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Pöttering: Israel muss Baustopp erklären

Falls Israel den Siedlungsbau in den Palästinensergebieten nicht stoppe, sei er für die Anerkennung Palästinas als UN-Mitgliedsstaat, sagt der EU-Parlamentarier und Präsident der Konrad-Adenauer-Stiftung, Hans-Gert Pöttering. Besser sei aber eine Lösung über Friedensverhandlungen. Die EU müsse hier die Initiative ergreifen.

Hans-Gert Pöttering mit Jürgen Liminski |
    Jürgen Liminski: In der kommenden Woche wird die UN-Vollversammlung über einen Antrag befinden, der einen noch auszurufenden Palästinenserstaat in der einen oder anderen Form von der Völkerversammlung anerkennt. Zwar hat Washington bereits angekündigt, sein Veto gegen eine solche Anerkennung einzulegen, aber die Weltmeinung ist nicht so ohne weiteres bei Seite zu wischen, gerade in Demokratien nicht. In diesem Sinn kommt dem Votum der Europäer besondere Bedeutung zu. Wie weit ist die Meinungsfindung in Europa, vor allem in Deutschland gediehen, und ist die Frage nach einer eigenen Nation für die Palästinenser nicht auch eine Frage nach den Rechten von Minderheiten in islamisch geprägten Ländern? Dazu begrüße ich jetzt am Telefon in Straßburg den ehemaligen Präsidenten des Europaparlaments und Vorsitzenden der Konrad-Adenauer-Stiftung, Hans-Gert Pöttering. Guten Morgen, Herr Pöttering.

    Hans-Gert Pöttering: Guten Morgen, Herr Liminski.

    Liminski: Herr Pöttering, gibt es eine einheitliche Meinung im Parlament zur Frage eines Palästinenserstaates?

    Pöttering: Es gibt natürlich keine ganz einheitliche Meinung, sondern es gibt unterschiedliche Positionen. Obwohl wir keine förmliche Abstimmung in der Sache diese Woche machen, ist doch mein Eindruck, dass es eine Mehrheit gibt für die Anerkennung Palästinas als UN-Mitgliedsstaat, weil doch die Mehrheit des Parlamentes meint, dass wir jetzt ein Signal geben müssen für die Palästinenser. Allerdings ist auch meine Meinung, dass es besser wäre, im Rahmen von Friedensverhandlungen zu einem Ergebnis zu kommen, also zur Anerkennung Palästinas, aber dieses würde voraussetzen, zu Friedensverhandlungen zu kommen, dass Israel endlich aufhört, seine Siedlungen in Palästina weiter auszubauen. Und die Organisation in Israel, also eine Nichtregierungsorganisation, "Frieden jetzt", hat festgestellt, dass nach dem Ende des Siedlungsbau-Stopps im Oktober 2010 doppelt so viele neue Häuser in den Siedlungen in den palästinensischen Gebieten gebaut wurden als im israelischen Staatsgebiet selber, und dieses ist völlig unakzeptabel für die Palästinenser. Man nimmt ihnen das Land weg, das die Grundlage für einen Staat sein soll, und hier muss Israel den Baustopp erklären. Sonst ist es für Palästina nach meiner Meinung nicht akzeptabel, Friedensverhandlungen zu beginnen, und wenn Israel diesen Schritt nicht tut, dann bin ich in der Tat dafür, in der Generalversammlung der Vereinten Nationen Palästina als UN-Mitgliedsstaat anzuerkennen.

    Liminski: Das Faktum eines Palästinenserstaats ist allgemein akzeptiert. Die offizielle Anerkennung scheint nur eine Frage der Zeit zu sein. Kann Europa den Prozess beschleunigen, oder nur begleiten?

    Pöttering: Ich finde, Europa sollte eine Führungsrolle übernehmen, weil Präsident Obama, der im Grundsatz eine richtige Politik machen wollte im Nahen Osten, durch die Innenpolitik, durch die innenpolitische Situation der Vereinigten Staaten auch vor Wahlen im nächsten Jahr, gehindert ist, das zu tun, was er tun möchte. Und die amerikanische Politik ist auch wenig glaubwürdig, das muss man leider sagen als Freund der USA. Präsident Obama möchte Palästina im Grundsatz anerkennen, er möchte die Zwei-Staaten-Lösung, Israel in sicheren Grenzen, Palästina in sicheren Grenzen, aber er will sein Veto einlegen, sollten die Palästinenser in den Weltsicherheitsrat gehen. Und man droht sogar damit, wenn die Palästinenser die Sache in die UNO bringen, dass man dann die finanzielle Hilfe für Palästina einstellen will. Und diese Politik ist nicht glaubwürdig, weil im Grundsatz Obama diese Politik will. Und deswegen ist es jetzt eine wichtige Aufgabe für die Europäer, die mehr Akzeptanz haben nach meiner Meinung im Nahen Osten bei allen Seiten zusammen, hier eine wirkliche Initiative zu ergreifen, und es muss sichergestellt werden, oder sollte sichergestellt werden, dass die Europäer in der Europäischen Union zu einem gemeinsamen Ergebnis kommen, das die Zwei-Staaten-Regelung befördert. Und das ist das Wichtigste und es ist entscheidend, dass wir anerkennen in Europa und in der Welt, die Israelis haben ihre Würde, die wir verteidigen müssen, aber die Palästinenser haben ebenso ihre Würde, und wir dürfen jetzt weder die Würde der Israelis, noch die Würde der Palästinenser beschädigen. Und dieses alles spielt sich ja in einem Rahmen ab des Kampfes für Freiheit und Demokratie in der arabischen Welt, und es ist im Kern ein Kampf für die Würde der Menschen in der arabischen Welt, und deswegen müssen wir auch einen Schritt tun, dass wir wirklich zu einer Zwei-Staaten-Regelung im Nahen Osten kommen.

    Liminski: Die Frage nach einer eigenen Würde für die Palästinenser, nach einer eigenen Nation auch, wirft die Frage auf, welche Rechte und Würde Minderheiten in einem solchen Staat haben sollen. Das ist in islamisch geprägten Ländern sicher keine leichte Frage, Stichwort Religionsfreiheit.

    Pöttering: Ja, Herr Liminski, das ist ein ganz wichtiger Punkt, und wir müssen darauf bestehen als Europäer, dass die Christen in der arabischen, in der islamischen Welt ebenso eine Zukunft haben, ebenso ihren Glauben leben können müssen, wie das selbstverständlich auch für Moslems bei uns in Europa ist. Ich habe fast alle arabischen und islamischen Länder besucht, und die Situation ist sehr unterschiedlich. In Oman beispielsweise, wo es hunderttausende von Christen gibt, die dort als Gastarbeiter sind, von den Philippinen, Indien Bangladesch, dort können sie ihren christlichen Glauben, katholischen Glauben leben. Ich habe sogar erlebt, als ich dort einmal in einer Kathedrale war in Maskat, der Hauptstadt Omans, dass man für die europäischen Gäste gebetet hat, aber auch für den Sultan. Und dann habe ich gefragt, warum beten sie für den Sultan, und die Antwort war, weil er es uns ermöglicht, unseren Glauben zu leben. Und als ich am nächsten Tag beim Sultan war, habe ich gesagt, Majestät - ein Sultan ist ja so etwas wie ein König -, Majestät, gestern haben die Christen, die Katholiken für Sie gebetet. Der Mann hat sich unglaublich gefreut, er kannte sogar zum Teil die Namen der Geistlichen.
    Dann Saudi-Arabien, wo ebenfalls Hunderttausende von Christen leben. Dort gibt es nicht eine einzige christliche Kirche. Und der Einwand, der immer gemacht wird, dort, was ich in Gesprächen erlebt habe, ja, der Papst würde auch im Vatikan keine Moschee erlauben. Und meine Antwort war dann, sie können nicht das gesamte Staatsgebiet Saudi-Arabiens zu einem muslimischen Vatikan erklären. Wenn sie keine Kirche haben in Mekka und Medina, den sogenannten heiligen Stätten, dann kann ich das verstehen, aber erlauben sie Kirchen in den anderen Landesteilen, damit die Christen ihren Glauben leben können, und da habe ich ein absolutes Nein erlebt. Und wir müssen unsere Werte verteidigen. Die Moslems verlangen mit Recht ihre Moscheen, ihre Gebetshäuser in Europa, aber wir müssen das auch verlangen in der arabischen und islamischen Welt für Christen, und es dient im übrigen auch der Toleranz zwischen den unterschiedlichen Konfessionen bei den Moslems.

    Liminski: Kann Europa da helfen, etwa mit Hilfe für die Minderheiten, oder mit Druck auf die Regierungen, etwa auf die Regierung in Saudi-Arabien?

    Pöttering: Ja, absolut. Ich möchte ein Beispiel nennen. Es waren vor nicht langer Zeit Bischöfe aus dem Norden des Irak in Brüssel und das Hilfswerk "Kirche in Not" war dabei behilflich, die Bischöfe in die europäischen Institutionen zu vermitteln, und der Präsident des europäischen Rates, van Rompuy, hat auch die Bischöfe empfangen, und das zeigt, dass die europäischen Institutionen offen sind, die Christen in der arabischen, in der islamischen Welt zu unterstützen, und wir müssen ihnen Ermutigung geben. Und die Christen, die im Norden des Iraks, im kurdischen Teil des Iraks leben, leben ja auch unter Moslems. Sie sind vertrieben worden oder geflohen aus der Mitte, aus dem Süden des Irak, wo sie bedroht werden, wo viele umgekommen sind. Aber sie haben im Norden des Irak Zuflucht gefunden und leben dort friedlich unter Moslems. Aber man muss leider auch sagen, dass von den 900.000 Christen, die im Irak gelebt haben, 600.000 das Land verlassen haben, und ich glaube, es ist etwa eine Anzahl von 120.000 Christen, die im nördlichen Irak dann eine neue Heimat gefunden haben. Also es gibt positive wie auch sehr negative Beispiele und es ist unsere Aufgabe als Europäische Union, Minderheiten überall in der Welt zu verteidigen, weil wir unseren Werten treu bleiben müssen als Europäer, aber auch etwas tun müssen, und das ist ja das Hauptanliegen, für die Menschen, die ihren Glauben leben wollen, dort wo sie sind, und das ist vielfach eben für Christen auch die muslimische und arabische Welt.

    Liminski: Europa, die Frage des Palästinenserstaates und die Religionsfreiheit - das war der CDU-Europaabgeordnete und Vorsitzende der Konrad-Adenauer-Stiftung, Hans-Gert Pöttering. Besten Dank für das Gespräch, Herr Pöttering.

    Pöttering: Sehr gerne, Herr Liminski.

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