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Bloggen für die Wahrheit

Kritik an Staat und Gesellschaft sind in China nicht gern gesehen. Chefredakteure erhalten in regelmäßigen Abständen ähnlich wie früher in der DDR ein Dossier, auf dem sie lesen, welche Themen tabu sind und wie weit sie bei anderen mit der Kritik gehen dürfen. Der staatlichen Kontrolle können sich Blogger entziehen, deren Zahl auf zirka 34 Millionen geschätzt wird.

Von Eleni Klotsikas und Jörg Wagner | 28.07.2007
    Sonderverwaltungszone Hongkong, Überfahrt mit der Fähre zur Insel Lamma Island entlang einer sehr beeindruckenden Wolkenkratzer-Skyline, die jeden Abend ein imposantes Licht- und Laser-Schauspiel bereithält. Doch nicht touristische Attraktionen führen uns hierher.

    Wir erreichen nach rund einer halbe Stunde den Zufluchtsort von Zeng Yinyan aus Peking. Sie ist 23 Jahre alt und hat zusammen mit ihrem Mann Hu Jia die Organisation "Loving Source" gegründet, um aidskranken Menschen in abgelegenen Dörfern Chinas zu helfen. Viele Aidskranke haben sich durch den Verkauf ihres Blutes angesteckt. Ein lukratives Geschäft, an denen Provinzbehörden wie die in Hunan beteiligt sind. Für arme Bauern ist das eine kleine Einnahmequelle. Da die Hygienevorschriften bei der Blutabnahme nicht immer eingehalten wurden, haben sich Hunderttausende Bauern mit HIV infiziert. Ein Skandal, über den man in chinesischen Medien nicht gern berichtet. Zeng Jinyan hat diese Themen im Internet veröffentlicht:

    "Meine Sorge gilt den Betroffenen, denjenigen, die darunter leiden, und ich möchte ihre persönlichen Geschichten erzählen. Ich hoffe, dass dadurch auch viele Nicht-Betroffene aufmerksam werden und verstehen, was diese Menschen tagtäglich durchmachen. Sie wünschen sich ein besseres Leben für die Zukunft, und wir sollten sie dabei unterstützen. Deswegen blogge ich darüber."

    Im vergangenen Jahr ist ihr Ehemann Hu Jia für mehrere Wochen in einem illegalen Gefängnis eingesperrt gewesen. Über das Internet hat sie eine Pressekonferenz für ausländische Journalisten organisiert. Nach seiner Freilassung wurden er und Zeng Jinyan immer wieder unter Hausarrest gestellt. Von seinem Fenster aus hat Hu Jia gefilmt, wie sie Tag und Nacht von Zivilpolizisten bewacht werden und hat daraus einen Dokumentarfilm gemacht.
    Zeng Jinyan hat alle ihre Erfahrungen in ihrem Blog verarbeitet.

    "Es passiert meist Folgendermaßen: Morgens wenn wir das Haus verlassen, dann warten meist schon viele Leute unten im Hausflur. Es sind häufig muskulöse Männer, und wenn mein Mann Hu Jia oder ich an ihnen vorbeilaufen möchten, dann stoppen sie uns und sagen, er hätte heute nicht das Recht dazu, das Haus zu verlassen. Und wenn wir fragen wieso, dann bekommen wir meist keine Antwort, sie zeigen uns auch nicht, wer sie sind und weisen sich aus. Sie sagen uns auch nicht, wie lange der Hausarrest gilt. Alles, was sie sage, ist: Wir haben eine Anweisung von unserem Boss."

    Natürlich ist Zeng Jinyans Blog wie auch viele andere regimekritische Internetseiten in China geblockt. Doch inzwischen gibt es bestimmte Software wie zum Beispiel Freegate, mit der Blogger in China die Blockaden ihrer Seiten umgehen können. Bisher hat es das Ministerium für Propaganda in China nicht geschafft, die Blogger mundtot zu machen.

    "Seitdem wir das Internet haben, stehen wir Aktivisten alle in ständigem Kontakt via E-Mail, Skype, MSN oder Blog. Das hat unsere Arbeitsweise verändert."

    Die Öffentlichkeit, die sie international, mit ihrem Blog geschaffen hat, ist das einzige Druckmittel, das sie hat, um nicht wie viele andere politische Aktivisten auch eines Tages im Gefängnis zu landen. Dafür nimmt sie ein Leben mit ständiger Verfolgung in Kauf.

    "Ich habe keine Angst davor. Denn alles, was ich tue, verstößt nicht gegen das Gesetz. Es ist nicht illegal, und wenn sie wissen wollen, was meine Pläne sind, dann bitteschön, sie hören sowieso mein Telefon ab, lesen meine E-Mails. Ich habe keine Geheimnisse."

    Deswegen ist sie inzwischen mit ihrem Mann auch wieder nach Peking zurückgereist. Der Hausarrest lies nicht lange auf sich warten, und eine geplante Reise in die Schweiz zur UNO wurde mit dem Entzug des Passes beantwortet.