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Blogger in Deutschland
Publizistisch meist kaum relevant

"Netzpolitik.org" ist durch die Ermittlungen wegen Landesverrats zum wohl bekanntesten Blog in Deutschland geworden. Die meisten der geschätzt rund 50.000 Blogs sind aber publizistisch kaum relevant – sie berichten auch nicht über Politik, sondern widmen sich ganz anderen Themen.

Von Michael Meyer | 08.08.2015
    Screenshot der Seite "netzpolitik.org"
    So bekannt ist sonst kaum ein Blog. (Screenshot / netzpolitik.org)
    Le Floid, aka Florian Mundt, dürfte einer der bekanntesten deutschen Blogger sein. Nicht etwa, weil er der beste wäre, sondern weil er einer jener Video-Blogger ist, die sich im Laufe der Zeit einen Namen gemacht haben. Sein YouTube Video-Kanal hat über 1,1 Mio Abonnenten - und wer so viele Follower hat, schafft es auch bis ins Bundeskanzleramt zu Frau Merkel. Und natürlich hat auch LeFloid sich diese Woche mit den Ermittlungen zu "Netzpolitik.org" befasst.
    Doch derlei Ruhm bleibt die Ausnahme. Auch deswegen, weil die meisten Blogger kaum größere Reichweiten erzielen und daher kaum oder gar nicht davon leben können. Laut einer 2013 veröffentlichten Studie thematisieren die meisten der rund 50.000 deutschen Blogs nicht Mode, Kosmetik oder Shopping, wie man gemeinhin annehmen könnte. Das sei erstaunlich, so der Blogger Tobias Gillen, der selbst über Technik und Medien schreibt:
    "Tatsächlich ist rausgekommen, dass die Top Ten an erster Stelle erstmal Heim und Garten, Erotik und Liebe und Gesundheit und Ernährung sind, das sind zumindest laut der Studie die Top drei der Themen, über die am meisten geschrieben wird."
    Dass über bestimmte Themen häufiger geschrieben wird, so Tobias Gillen, liege sicher auch daran, dass sich die Blogger bei derlei populären Themen mehr Reichweite und Einnahmen versprechen. Denn nur, wenn die Leserschaft groß genug ist, schalten Werbekunden Anzeigen. Gillens eigener Blog "Basic Thinking" wird 350.000 mal pro Monat angeklickt.
    Diejenigen Blogs, die sich mit Politik oder Medien befassen, haben es oft schwerer. Stefan Niggemeier, einer der wohl bekanntesten Medienkritiker Deutschlands, kann zum Teil von seinem Blog leben. Niggemeier kritisierte vor einigen Jahren allerdings, dass es zu wenig originäre Inhalte, also selbst recherchierte Geschichten gebe. Zugespitzt gesagt: Ein Blogger schreibt vom anderen ab. Tobias Gillen sieht auch so: "Was grundsätzlich nichts Schlechtes ist, weil mit jedem Beitrag, der einen anderen Beitrag wieder aufgreift, gewinnt ein Thema neue Aspekte. Das ist nicht per se kritikwürdig , nur was man natürlich auch beachten muss, ist, dass originärer Content in der Regel viel Aufwand ist, und, dass sehr viele Leute ihr Blog aus Hobbygründen betreiben."
    Die Ermittlungen gegen "Netzpolitik.org" würden aber nicht dazu führen, dass sich Blogger einschüchtern lassen, meint Gillen. Es gebe eine große Solidarität in der Szene, eine Reihe von Bloggern haben die brisanten Dokumente gespiegelt und nun Selbstanzeige gestellt.
    Der Berliner Journalist Johnny Häusler, Mitbegründer der Internetkonferenz re:publica und seit 2001 mit seinem Blog "Spreeblick" online, sieht die Lage nüchtern: Blogs könnten natürlich nur so gut und wichtig sein, wie die Autoren, die dahinterstehen. Und nicht alle Journalisten, die bloggen könnten, täten es: "Es gibt die Möglichkeiten, und sich darüber zu beschweren dass man Themen nicht mehr unterkriegt, ist Quatsch, weil man kann sie ins Netz setzen und wenn sie wichtig sind, werden sie auch gelesen werden."
    Es stellt sich aber auch die Frage nach der Rolle von Bloggern - da ist nicht immer klar, in welcher Funktion jemand auftritt, ob nun als Aktivist oder als Journalist. Das sei aber auch früher schon so gewesen, sagt Hendrik Zörner vom Deutschen Journalistenverband. Gerade im Falle von "Netzpolitik.org" sei das aber unproblematisch: "Diejenigen, die sowas den Netzpolitik-Leuten vorwerfen, haben offensichtlich vergessen, dass auch Journalisten von renommierten, konventionellen Medien, in den 70er-, 80ern-Jahren beispielsweise überhaupt keine Probleme damit hatten, sich als Journalisten mit einer bestimmten politischen Meinung zu outen. Das ist heute sicherlich nicht mehr so üblich, aber ich habe überhaupt kein Problem damit, wenn Journalisten mit einer Haltung antreten und diese Haltung auch bekannt machen."
    Und doch: Der Blick auf "Netzpolitik.org" verstellt die Tatsache, dass die allermeisten Blogs in Deutschland publizistisch kaum relevant seien, zumindest, was den politischen Journalismus betrifft, meint Zörner. Eine stärkere Professionalisierung und auch das Erstellen von mehr eigenen, originären Inhalten wären in jedem Fall wünschenswert.