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BND-Affäre
"Eine extreme Grenzüberschreitung"

Der Grünen-Netzpolitiker Konstantin von Notz hat Bundeskanzlerin Angela Merkel dazu aufgerufen, zu den Berichten über neue Spähaktionen des US-Geheimdienstes NSA Stellung zu beziehen. Merkel müsse nun die Wahrheit sagen, sagte von Notz im DLF. Zudem forderte er eine Aufklärung über das Mitwirken des Bundesnachrichtendienstes.

Konstantin von Notz im Gespräch mit Sandra Schulz | 27.04.2015
    Konstantin von Notz, Obmann im NSA-Untersuchungsausschuss.
    Konstantin von Notz, Obmann im NSA-Untersuchungsausschuss. (imago/Metodi Popow)
    Nach dem Bekanntwerden erster Vorwürfe gegen den US-Geheimdienst NSA habe sich Merkel öffentlich empört und überrascht gezeigt, sagte von Notz. Jetzt wisse man, dass ihr die Fakten längst bekannt gewesen seien. Der BND habe beim internationalen Datenabgriff mitgewirkt; hier gebe es ein globales Netz.
    Der BND sei Teil dieses Netzes, betonte von Notz. Er sei als Auslandsgeheimdienst jedoch nicht legitimiert, im Inland Daten von Deutschen abzugreifen und diese weiterzuleiten. "Wenn der BND jahrelang blauäugig mitgemacht hat, dann ist das eine extreme Grenzüberschreitung."
    Das Bundeskanzleramt hatte gestern bestätigt, dass es im Jahr 2008 über unzulässige Spionageziele der NSA informiert wurde. Dabei ging es unter anderem um die europäischen Rüstungsunternehmen EADS und Eurocopter.

    Das Interview in voller Länge:
    Sandra Schulz: Hat sich der Bundesnachrichtendienst benutzen lassen vom eigentlich befreundeten Dienst, dem US-Auslandsgeheimdienst NSA, benutzen lassen für Wirtschaftsspionage auch europäischer Unternehmen? Dieser Verdacht beschäftigt seit Ende der Woche die deutsche Öffentlichkeit, auch wenn noch nicht klar ist, welche Daten oder welches Wissen die US-Amerikaner tatsächlich abgeschöpft haben. Jetzt am Wochenende hat sich die Diskussion unter anderem auf die Frage verengt, wie viel das Kanzleramt wusste.
    Am Telefon ist jetzt Konstantin von Notz, Obmann der Grünen im NSA-Untersuchungsausschuss. Guten Morgen!
    Konstantin von Notz: Guten Morgen, Frau Schulz.
    "Kanzleramt wusste spätestens 2008 davon"
    Eine kleine Deutschlandfahne steht am 17.05.2013 neben einer Kamera und Mikrofonen für eine Videokonferenz auf einem Monitor bei einer Pressekonferenz des Zollfahndungsamts in Hamburg.
    Datenschutz - wer hat wo und wann spioniert (dpa / picture alliance / Christian Charisius)
    Schulz: Was ist Ihr Bild? Wusste das Kanzleramt Bescheid oder nicht?
    von Notz: Na ja, man muss sich klar machen: Wir haben ja diese ganze Geschichte ausgegraben durch einen Beweisbeschluss, den der Untersuchungsausschuss gefasst hat. Wir haben gesagt, wir wollen zu einem Vorgang mehr Akten haben. Und dieser Beweisbeschluss, der richtete sich darauf, dass wir aus den Akten über diese Eurocopter und EADS-Geschichte aus dem Jahr 2005 wussten. Das steht da. Ich darf das nicht genau sagen, aber es gibt da Hinweise auf diese Geschichte und es gibt Hinweise darauf, dass das Kanzleramt spätestens 2008 davon wusste. Insofern hat uns das auch nicht überrascht. Es macht die Sache aber nicht weniger skandalös.
    Schulz: Aber wenn das so ist, dass das Kanzleramt doch früher schon bescheid wusste, dann waren die Rücktrittsforderungen an den BND-Chef Schindler, die ja auch von Ihrem Fraktionschef Hofreiter zum Ende der Woche kamen, doch verfrüht, oder?
    von Notz: Man muss das sehr differenziert sich angucken. Diese Begriffe, über die wir jetzt reden, diese Listen mit 40.000 und mit 2.000 Begriffen, die sind ja tatsächlich aus einer späteren Zeit, nach 2005, und wenn das nicht weitergemeldet worden ist, ist das natürlich ein schwerer Verstoß. Aber dass man grundsätzlich wusste, dass diese Kooperation mit den Amerikanern problematisch ist, deutsche und europäische Interessen verletzen kann, das war dem BND und dem Bundeskanzleramt sehr viel länger bewusst.
    "Erst aufklären, dann personelle Konsequenzen überlegen"
    Schulz: Dann ist Anton Hofreiter eigentlich auf die Bundesregierung reingefallen?
    von Notz: Das würde ich so nicht sagen. Es wurden ja nun von vielerlei Seiten Rücktritte jetzt schon überlegt. Ich glaube, wir sollten erst versuchen, den gesamten Komplex einmal richtig zu verstehen und aufzuklären, das tut der Untersuchungsausschuss, und dann muss man strukturelle und personelle Konsequenzen überlegen. Also ein Schritt nach dem anderen.
    Schulz: Das würde ich gerne jetzt mit Ihnen auch probieren. Wenn wir auf die Vorwürfe in der Sache schauen, dann gibt es den Verdacht, dass der NSA zusammengearbeitet hat mit dem BND, dass die NSA vom BND ein bisschen mehr wissen wollte, als der BND rausgeben wollte. Was genau ist denn daran der Skandal?
    von Notz: Der Skandal ist, dass es ein globales Netz gibt des Datenabgriffes und dass der BND Teil dieses globalen Netzwerkes ist an bestimmten Stellen und dass er weiß, dass sich dieser Datenabgriff, den die NSA weltweit organisiert, eben auch ganz gezielt gegen europäische und deutsche Interessen, Wirtschaftsinteressen, aber auch politische Interessen richtet, und man da einfach mitgemacht hat.
    Schulz: Aber dass die Geheimdienste weltweit Daten abgreifen, das ist doch deren Job.
    von Notz: Ja, aber das würde ich erst mal so pauschal nicht unterschreiben. Es ist nicht einfach der Job, irgendwelche Daten abzugreifen. Wo kommt man dahin. In Rechtsstaaten wie den USA und Deutschland müssen Geheimdienste kontrolliert werden und dürfen eben nicht das machen, was sie wollen wie in Nordkorea, und insofern braucht es da eine scharfe Kontrolle. Und dass sich hier Dienste sozusagen fröhlich bedienen und Daten von Wirtschaftskonzernen abgreifen, um daraus eventuell einen Vorteil zu schlagen, das ist ein skandalöser Vorgang und ein unfreundlicher Akt, und wenn der BND in einem solchen System jahrelang blauäugig mitgemacht hat, dann ist das eine extreme Grenzüberschreitung, weil es auch ganz klar gegen Gesetze verstößt.
    "Der BND hat hier Fehler gemacht"
    Die ehemalige große Abhörbasis der NSA in Bad Aibling in Bayern.
    Die ehemalige große Abhörbasis der NSA in Bad Aibling in Bayern. (CHRISTOF STACHE / AFP)
    Schulz: Aber ist es denn erwiesen - das ist meine Frage; das ist ja nach wie vor Spekulation, dass der BND mitgemacht hat. Es könnte ja sein, Stand heute Morgen - korrigieren Sie mich, wenn ich irre -, dass der BND gesehen hat, wir haben hier problematische Suchbegriffe, die sortieren wir aus. Es ist ja überhaupt nichts darüber bekannt, dass der BND diese Dinge auch tatsächlich dann weitergegeben hat, oder?
    von Notz: Man kann das so sagen. Das Ding ist, wir müssen diese Listen jetzt sehen. Bei dieser 2000er-Liste ist unstreitig nach heutigem Stand, dass diese Begriffe gelaufen sind und Daten abgeflossen sind. Aber Sie müssen sich auch das große Bild klar machen. Natürlich hat der BND hier Fehler gemacht und bei den Dingen, die man in Deutschland gemacht hat, offensichtlich nicht genau hingeguckt. Aber die NSA arbeitet ja an ganz vielen Stellen auf der Welt mit anderen Diensten zusammen, greift Daten ab, und durch diese Information, dass man weiß, in diesen Netzwerken sind Suchbegriffe drin, die gegen europäische und deutsche Interessen verstoßen, weiß man, dass die NSA an allen anderen Punkten auf der Welt diese Daten genau abgreift. Man ist Teil eines Systems, das sich eindeutig gegen die Interessen des eigenen Landes richtet, und das ist wirklich ein hoch problematischer Vorgang.
    Schulz: Können Sie das konkreter machen? Von welchem Verstoß gegen deutsches Recht können Sie heute Morgen ausgehen?
    von Notz: Der BND ist nicht legitimiert, im Inland, in, sagen wir mal, Bad Aibling, da wo diese Satellitenstationen stehen, Daten abzugreifen, die sich auf deutsche Grundrechtsträger beziehen, und die einem anderen Nachrichtendienst zu geben.
    "Frau Merkel muss einfach mal die Wahrheit erzählen"
    Schulz: Gehen Sie denn davon aus, dass der BND das gemacht hat?
    von Notz: Ja, davon gehen wir heute aus.
    Schulz: Und was soll Angela Merkel jetzt machen? Soll sie nach Washington fliegen und bei Obama mit der Faust auf den Tisch schlagen?
    von Notz: Nein, Angela Merkel soll sich erst mal gegenüber der deutschen Bevölkerung erklären. Im Wahlkampf 2013 nach den Snowden-Veröffentlichungen, die ja überhaupt erst auf dieses ganze Problem hingewiesen haben, hat sie so getan, als wüsste man von allem nichts und als wäre man ganz erstaunt, was die NSA alles Böses kann und tut, und man ist massiv empört gewesen und ist ja schon in die USA gereist und hat da über irgendwelche Dinge verhandelt, die bis heute keiner versteht. Tatsächlich wissen wir heute, auch durch die Akten und durch die Arbeit des Untersuchungsausschusses, dass man sehr gut Bescheid wusste und dass der BND sehr eng mit der NSA kooperiert hat in den letzten Jahren und dass man über die Fähigkeiten und diesen massenhaften Datenabgriff, den die NSA organisiert, voll bescheid wusste. Insofern muss Frau Merkel einfach mal die Wahrheit erzählen.
    "Massiv deutsche Interessen verletzt"
    Schulz: Aber noch mal die Frage, jetzt im Verhältnis zu den USA. Es ist ja klar, dass die USA das Bedürfnis haben, viel zu wissen, viel zu erfahren, und dass sie dann die Fragen stellen. Ist das politisch nicht legitim?
    von Notz: Mir ist das etwas zu apodiktisch, das so hinzunehmen, dass sozusagen ein verbündetes Land, mit dem wir gemeinsam versuchen, auch für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu streiten, hier so massiv übergriffig unterwegs ist. Und wenn Sie sich angucken, was Edward Snowden veröffentlicht hat, was wir im Untersuchungsausschuss in den letzten Monaten an systematischen massenhaften Datenabgriffen weltweit aufgedeckt haben, dann kann man nur sagen, hier ist ein demokratiefeindliches System implementiert worden, eingerichtet worden in die Kommunikationsinfrastruktur, und das ist rechtsstaatsfeindlich und das muss zurückgekämpft werden und das darf man nicht einfach so hinnehmen, Geheimdienste arbeiten nun mal im Geheimen und die Amerikaner wollen nun mal viel wissen, sondern hier werden massiv deutsche Interessen verletzt und das muss beendet werden.
    Schulz: Der Obmann der Grünen im NSA-Untersuchungsausschuss, Konstantin von Notz, heute hier in den „Informationen am Morgen“ im Deutschlandfunk. Vielen Dank Ihnen.
    von Notz: Ich danke Ihnen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.