Donnerstag, 25. April 2024

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BND-NSA-Affäre
"Eine unglaubliche Dummheit"

Die Ausspäh-Hilfsdienste des BND für die NSA seien eine "unglaubliche Dummheit, die bestraft werden muss", sagte der CDU-Europapolitiker Karl Lamers im DLF. Lamers kritisierte das Vorgehen der Amerikaner scharf und warf ihnen "digitalen Imperialismus" vor. Dagegen müsse man sich wehren.

Karl Lamers im Gespräch mit Jürgen Zurheide | 02.05.2015
    Graues Schild mit blauer Aufschrift "Bundesnachrichtendienst" vor einer grauen Mauer und blauem Himmel
    Der Bundesnachrichtendienst spionierte für die NSA. (dpa/picture alliance/Stephan Jansen)
    Es gehe nicht, dass man den wichtigsten Partner ausspioniere, das sei nicht nur eine Sauerei, sondern eine unglaubliche Dummheit. "Wir sind Konkurrenten, aber keine Feinde", sagte Lamers im DLF. Gerade in Zeiten des IS-Terrors müsse die EU in dieser Frage zusammenstehen und die Geheimdienste müssten zusammenarbeiten. Das gelte auch für Partnerschaft mit den USA, aber nicht nur zu ihren Bedingungen. Er könne sich vorstellen, dass die Geheimdienste von den USA unter Druck gesetzt wurden. Die Amerikaner würden zum "digitalen Imperialismus" neigen. Dagegen müssten sich die deutschen Geheimdienste zur Wehr setzen.
    Die Einstellung der Deutschen sei etwas naiv, aber das rechtfertige nicht das Verhalten der USA, die ein anderes Verständnis von Privatsphäre hätten. "Es lässt sich nicht bestreiten, dass wir gegenüber militärischen Dingen und Geheimdiensten eine unrealistische Einstellung haben. Aber es bleibt dabei was Angela Merkel mit schlichten Worten auf den Punkt gebracht hat: "So geht es nicht!", betonte Lamers.

    Das Interview in voller Länge:
    Jürgen Zurheide: Der BND hat mächtig spioniert oder hat der NSA, den Amerikanern geholfen, Daten weiterzuliefern, Daten, die in Deutschland liefen. Und diese Daten betreffen aber die Kommunikation zum Beispiel auch von befreundeten Ländern. Eigentlich hat die Kanzlerin ja gesagt, das geht gar nicht. Was jetzt alles geht, das hat sie auf dem Tisch liegen, die Frage ist: Wie lange? Darüber wollen wir jetzt weniger reden als vielmehr die Frage stellen: Was heißt das eigentlich außenpolitisch für das Verhältnis von Deutschland zum Beispiel zu den Franzosen, die offensichtlich mit ausspioniert worden sind, aber eben auch zu den Amerikanern? Über all das wollen wir reden mit Karl Lamers, dem CDU-Europapolitiker, den ich zunächst am Telefon herzlich begrüße. Guten Morgen, Herr Lamers!
    Karl Lamers: Guten Morgen, Herr Zurheide!
    Zurheide: Herr Lamers, fangen wir mal an vielleicht mit Frankreich: Wie man hört, sollen ja auch französische Unternehmen, Airbus, aber auch französische Politiker, Europapolitiker aus Brüssel ausspioniert worden sein. Also, nach der Dichte der Informationen können wir wohl davon ausgehen, dass so was stattgefunden hat. Welche Reaktion bekommen Sie aus Brüssel, aus Paris?
    Lamers: Also, Herr Zurheide ... Unverständnis. Und ich wiederhole, was Angela Merkel gesagt hat, was Sie schon zitiert haben: Das geht gar nicht unter Freunden. Es ist das nicht nur unanständig oder, salopp gesagt, eine Sauerei, sondern es ist vor allen Dingen unglaublich dumm. Also, wissen Sie, wenn ich wissen will, wie französische Beamte ticken, um es mal so salopp zu sagen, welche Vorstellungswerte sie haben, wie sie das Verhältnis zu den anderen europäischen Partnern und speziell zu Deutschland sehen, dann brauche ich keinen Geheimdienst. Dann muss ich mich etwas mit der französischen Geschichte, mit dem System der französischen Politik, mit den Enarchen und, und, und beschäftigen, dann weiß ich das sehr genau. Und dazu brauche ich keinen Geheimdienst. Deswegen ist es neben allem anderen eine unglaubliche Dummheit und Dummheit gehört bestraft.
    Karl Lamers, Europapolitiker (CDU)
    Karl Lamers, Europapolitiker (CDU) (Deutscher Bundestag)
    "Amerikaner stellen manchmal unanständige Forderungen"
    Zurheide: Ja, das ist richtig, da kommen wir gleich noch, auf die möglichen Konsequenzen. Aber was muss man denn fürchten jetzt an Reaktionen zum Beispiel aus Frankreich? Denn der Satz von Merkel – kann man immer nur wieder sagen – stimmt ja einfach, neben dem "Das geht nicht!" ist es dumm. Was müssen wir befürchten im Verhältnis zu Frankreich?
    Lamers: Also, ich hoffe, die Franzosen wissen, dass Geheimdienste zur Verselbstständigung tendieren, alle. Und dass so etwas immer wieder vorkommt und dass sie daraus keine allzu weitgehenden Konsequenzen ziehen. Wir brauchen doch gerade in diesem Augenblick so dringend Geheimdienste wie nur irgendetwas. Denken Sie an den transnationalen Terrorismus, den islamistischen, und dazu brauchen wir die Zusammenarbeit zwischen den Geheimdiensten und vor allen Dingen brauchen wir die Zusammenarbeit zwischen den Europäern. Aber wir brauchen natürlich auch die Zusammenarbeit mit den Amerikanern, die allerdings manchmal unanständige – um es wieder zurückhaltend zu formulieren – Forderungen stellen und Bedingungen stellen, die wir zurückweisen müssen, die wir aber nur zurückweisen können, wenn wir als Europäer gemeinsam handeln. Also, es ist immer wieder dasselbe. Die Partnerschaft mit Amerika ist auf dem Gebiet der Geheimdienste natürlich notwendig, aber nicht zu den einseitigen Bedingungen der Amerikaner, die nun wirklich dazu neigen zu überziehen, um es wieder einmal vorsichtig zu formulieren.
    Zurheide: Wir haben gerade in der "Presseschau" – ich glaube, es waren die Kollegen vom "Tagesspiegel" – gehört, das ist eine Art digitaler Imperialismus der Amerikaner. Würden Sie auch so weit gehen, was wir da erleben? Wobei dann die Deutschen offensichtlich ja mitgemacht haben.
    Lamers: Ja, wenn sie mitgemacht haben, ist es wirklich schlimm. Ich weiß nicht die Einzelheiten und bevor man das nicht kennt, darf man kein endgültiges Urteil treffen. Ich kann mir auch vorstellen, dass sie unter Druck gesetzt worden sind, weil man sonst die Zusammenarbeit eingeschränkt oder vielleicht sogar unterbrochen hat, damit gedroht hat, ich weiß es ja nicht. Die Amerikaner neigen in der Tat ... Dieses Wort vom digitalen Imperialismus, das ist ja nicht falsch, das sieht man ja auch im nicht geheimdienstlichen Bereich. Und dagegen müssen wir uns wehren, und wehren können wir uns immer wieder nur, wenn wir als Europäer gemeinsam handeln. Deswegen ist es also ganz besonders schlimm, wenn wir unseren wichtigsten europäischen Partner da versucht haben sollten auszuspionieren. Ich hoffe ja, dass sich das alles noch etwas zurückdimensioniert und dass die öffentliche Aufregung vielleicht nicht in allen Teilen berechtigt ist.
    "Das hat nichts mit übertriebenem Misstrauen zu tun"
    Zurheide: In der Tat wissen wir das zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht, obwohl die Faktenlage einigermaßen dicht scheint, aber lassen wir den Konjunktiv da stehen! Der US-Botschafter in Deutschland John Emerson hat jetzt gesagt, na ja, also – ich sage es mal mit meinen Worten –, vielleicht sind die Deutschen da manchmal etwas zu hysterisch! Was würden Sie dem Mann denn zurufen?
    Lamers: Also, Herr Zurheide, es lässt sich ja nicht bestreiten, dass wir gegenüber allen militärischen Dingen und gegenüber Geheimdiensten eine zum Teil, ja, unrealistische Einstellung haben. Ich habe eben gesagt, das kann ja gar nicht zweifelhaft sein, dass wir Geheimdienste brauchen, gerade in dieser Situation. Und das werden wir noch für lange Zeit, Gott sei es geklagt, brauchen. Der transnationale Terrorismus, der islamistische, ist ja dafür der beste Beleg. Also, wir übertreiben manchmal auch und wir haben manchmal eine Vorstellung von der Politik, die ziemlich unrealistisch ist. Denken Sie auch an die Piraten, die geglaubt haben, mit den digitalen Mitteln könnten wir die wahre Demokratie einführen. Gekommen ist der NSA, nicht wahr! Also, manchmal, muss ich sagen, habe ich eine zynische Genugtuung empfunden angesichts dieser naiven Vorstellung. Aber es bleibt dabei, was Angela Merkel mit schlichten Worten auf den Punkt gebracht hat: So geht es nicht! Das hat nun nichts mit übertriebenem Misstrauen zu tun, sondern das ist einfach eine Grundregel für das Verhältnis zwischen befreundeten Staaten, die auch aufeinander angewiesen sind. Es ist ja nicht so, als wenn wir nur auf die Amerikaner, die Amerikaner sind auch auf uns angewiesen. Gerade unsere Expertise, das habe ich in dem zweiten Golfkrieg persönlich auch erfahren, im Nahen Osten, die ist ganz gut. Wir wissen da schon etwas. Und wir wussten es besser als die Amerikaner übrigens, das muss man auch mal sagen, nicht wahr. Wir haben nicht an die Atomwaffen – unser Geheimdienst – geglaubt und, und, und. Also, es ist richtig, unsere Einstellung, die Einstellung der Deutschen ist etwas naiv, das ist wahr. Aber das rechtfertigt nicht das Vorgehen der Amerikaner.
    Zurheide: Sie haben ja auch selbst gerade gesagt, Geheimdienste neigen dazu, übers Ziel hinauszuschießen, sich zu verselbstständigen...
    Lamers: Ja.
    Zurheide: Das ist möglicherweise in Amerika angesichts des Kampfes gegen den Terror auch an manchen Punkten, weit übers Ziel hinausgeschossen. Richtige Beobachtung?
    Lamers: Ja, das ist zweifelsfrei eine richtige Beobachtung. Ich glaube, wir haben bis heute zum Teil nicht begriffen, welcher Schock der 11. September, 9/11 in den USA ausgelöst hat. Die Amerikaner waren bislang tatsächlich objektiv unangreifbar, ein einmaliges Privileg in der gesamten Weltgeschichte. Und dann haben sie erfahren, dass sie eben durch diese terroristischen Attentate angreifbar waren. Das ist ein Schock gewesen, der bis heute nachwirkt, und sie überziehen permanent. Das geht aber bekanntlich auch immer nach hinten los und deswegen müssen wir auch auf der hohen politischen Ebene ihnen sagen: Liebe amerikanische Freunde, bei allem Verständnis, ihr überzieht, so geht es nicht!
    "Es ist schlimmer als eine Sauerei, es ist unglaublich dumm"
    Zurheide: Auf der anderen Seite ist vielleicht die Vorstellung auch falsch zu sagen, na ja, Russland ist – ich sage es jetzt mal hart, zugespitzt – der böse Feind auf der einen Seite, und die Amerikaner, das ist der liebe große Bruder. Auch die Amerikaner haben Interessen, Punkt. Zum Beispiel Wirtschaftsinteressen, wenn denn stimmt – wieder Konjunktiv –, dass man auch bei Airbus natürlich massive wirtschaftliche Interessen vertritt. Und das tun die Amerikaner, wie wir sie kennen, immer ziemlich radikal.
    Lamers: Robust, ja, das ist wohl wahr! Und das geht natürlich auch gar nicht! Wir sind Konkurrenten, aber doch keine Feinde, Donnerwetter noch mal! Sondern wir sind und müssen Partner sein, die Partnerschaft muss auch noch ausgebaut werden. Das kann doch alles gar nicht zweifelhaft sein! Und so etwas ist wirklich irritierend. Und in dieser Situation – ich wiederhole es – ist es ganz besonders irritierend. Die Herausforderung, vor der wir stehen, die lange währen wird, die ist auch zum Teil wirklich neuartiger Natur, transnationaler Natur eben. Und da können wir uns solche Späße – also, das ist der falsche Ausdruck –, solche Blödsinnigkeiten und Dummheiten ... Ich sage ja, es ist schlimmer als eine Sauerei, es ist unglaublich dumm.
    Zurheide: Was muss die Kanzlerin tun? Der Satz, Sie haben gesagt, der ist schlicht, der trifft. Aber in dem Punkt müssten Sie was tun, bitte schön, Herr Lamers?
    Lamers: Tja, sie muss mit den Amerikanern, und zwar mit der höchsten Stelle reden. Und ich glaube, das tut sie auch, ich glaube, dafür ist sie viel zu klug, um nicht zu wissen, dass das jetzt bei ihr landet, nicht wahr. Und dass es wieder eine Situation, eine Stimmung schafft, die nun gar nicht unseren deutschen Interessen, aber auch nicht den amerikanischen Interessen dient.
    Zurheide: Dann wollen wir hoffen, dass sie Ihre Bitte erhört! Das war Karl Lamers, der CDU-Außenpolitiker mit einem Hinweis an die Bundeskanzlerin zu diesem wichtigen Thema. Herr Lamers, ich bedanke mich für das Gespräch!
    Lamers: Gerne, auch ich danke, Herr Zurheide!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.