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Bodenentsiegelung als Ausgleich für Neubauten
"Ein gutes Instrument, um unsere Erderwärmung aufzuhalten"

Mit jedem Neubau werden Böden versiegelt und die Flächen für die Natur somit verbraucht. Nun will die Bundesregierung den Flächenverbrauch in den nächsten Jahren mehr als halbieren. Dass dies auch ein gutes Mittel ist, um das Erdklima zu kühlen und Überschwemmungen zu vermeiden, erklärt Nicola Brockmüller von der Stiftung Naturschutz Schleswig-Holstein im DLF.

Nicola Brockmüller im Gespräch mit Stefan Römermann | 10.08.2016
    Ein Mitarbeiter des Technischen Hilfswerks steht knietief im schlammigen Wasser, hinter ihm ein Gartenzaum und ein Wohnhaus. Gegenstände treiben durch das Wasser.
    Durch die Entsiegelung von Böden kann auch das Überschwemmungsrisiko minimiert werden. So kann Regenwasser langsam versickert. (dpa/Karl-Josef Hildenbrand )
    Stefan Römermann: Wenn ein neues Haus gebaut wird oder eine neue Straße, dann werden dafür Flächen verbraucht, sagen die Umweltschützer. Die Fläche, die ist natürlich immer noch da, aber der Boden wird versiegelt und kann dann beispielsweise kein Regenwasser mehr aufnehmen. Die Bundesregierung will den Flächenverbrauch deshalb in den nächsten Jahren mehr als halbieren.
    Wie das gehen kann, wenn trotzdem weiter Straßen und Wohnungen gebaut werden, darüber spreche ich jetzt mit Nicola Brockmüller von der Stiftung Naturschutz Schleswig-Holstein. Frau Brockmüller, vielleicht zuerst die Frage, warum ist dieser Flächenverbrauch denn tatsächlich so ein großes Problem? Man könnte ja sagen, das Regenwasser, das kann auch in den Gully abfließen, oder?
    "Boden wirkt temperaturausgleichend"
    Nicola Brockmüller: Ja, das könnte es, aber dann wird es zum Beispiel nicht gefiltert. Also Boden filtert unser Grund und damit natürlich auch unser Trinkwasser. Boden ist auch der Ort, wo wir unsere Nahrungsmittel produzieren und unsere Rohstoffe – zum Beispiel Holz. Auch wenn es langsam versickert, minimieren wir damit das Überschwemmungsrisiko.
    Boden wirkt temperaturausgleichend, also hat einen guten Einfluss auf unser Klima, denn wenn man mal daran denkt, wer im Sommer schon mal als Kind barfuß auf eine heiße Asphaltfläche getreten ist, der weiß, wie die sich aufheizt, und die versiegelten Flächen strahlen Wärme ab, das tut der Boden nicht, er kühlt unser Klima und ist damit eben auch ein gutes Instrument, um unsere Erderwärmung aufzuhalten. Und nicht zuletzt …
    Römermann: Das erklärt auch so ein bisschen, warum in den Städten das Klima wärmer ist als auf dem Land.
    Brockmüller: Das erklärt zum Beispiel genau das. Und nicht zuletzt – das wollte ich noch anfügen – ist es natürlich auch so, dass der Boden Grundlage für die biologische Vielfalt ist, weil er ist Träger unserer Lebensräume, für unsere heimischen Tiere und Pflanzen.
    "Jeder einzelne von uns verbraucht immer mehr Boden"
    Römermann: Wie groß ist diese Größenordnung, wie viel Fläche verbrauchen wir momentan?
    Brockmüller: Wir verbrauchen ungefähr 60 Hektar pro Tag neuen Boden. Also im Moment ist es so, dass 13 Prozent unserer Bodenfläche in Schleswig-Holstein überbaut sind. Das ist eine Größe, die ungefähr der Größe von Niedersachsen entspricht und das, obwohl wir ja nicht mehr werden in Deutschland. Also das Bevölkerungswachstum stagniert, aber wir, jeder einzelne von uns, verbraucht immer mehr Boden, und immer mehr Boden wird eben dann versiegelt und seiner Funktion entzogen.
    Römermann: Ihre Stiftung arbeitet jetzt an einer Pilotstudie zur Entsiegelung von Flächen. Was ist das, was muss ich mir darunter vorstellen?
    Brockmüller: Wir versuchen Flächen, die nicht mehr benötigt werden, eben der Natur wieder zurückzugeben. Also wir haben da Erfahrung in der Vergangenheit schon gemacht. Wir haben 2007 beispielsweise einen ehemaligen Campingplatz an der Ostseeküste zurückgebaut, also Anlagen wie Wege, aber auch die Waschhäuser und so weiter, wurden alle abgebaut und dann eben renaturiert und wieder zu einer funktionstüchtigen Ostseedünenlandschaft umgebaut.
    Ein weiteres Projekt im letzten Jahr, wir haben eine Panzerwaschanlage auf einem ehemaligen Truppenübungsplatz der Natur zurückgegeben und so dann praktisch die Funktion wiederhergestellt.
    "Jeder, der eingreift in den Boden, ist ausgleichsverpflichtet"
    Römermann: Das klingt jetzt aber trotz allem doch sehr kleinteilig verglichen mit der doch riesigen Menge, die da täglich verbraucht wird.
    Brockmüller: Das stimmt. Wir in Schleswig-Holstein – wir sind ja ein sehr kleines Bundesland –, wir verbrauchen 2,7 Hektar pro Tag und wollen das natürlich, genauso wie die Bundesregierung das eben sich wünscht, bis 2020 auf 1,3 Hektar pro Tag herunterbrechen. Nichtsdestotrotz ist es ja so, dass wir das untersuchen im Rahmen der Ausgleichsregelung.
    Dazu muss man wissen, dass jeder, der eingreift in den Boden oder ein Haus baut, eine Straße baut, eben ausgleichsverpflichtet ist, und dafür wird oft auch wiederum Fläche benötigt und oft eben einfach auch landwirtschaftliche Böden, die da in Anspruch genommen werden, was den Flächenverbrauch noch erhöht. Wir versuchen, das zu verhindern, indem wir solche Projekte, wo solche Anlagen rückgebaut werden, eben als Ausgleich anrechnen können und dann eben nicht noch über die Baumaßnahme hinaus auch noch weitere Flächen in Anspruch genommen werden müssen.
    Flächenbelastung durch "Altlasten oder Munitionsreste"
    Römermann: Was denken Sie, wo sind da die Grenzen bei diesem Thema Entsiegelung? Also nur, dass wir da jetzt nicht zu weit ausholen.
    Brockmüller: Also die Schwierigkeiten stehen erst mal darin, überhaupt zu identifizieren, wo diese Flächen liegen. Das sind ja Flächen unterschiedlicher Eigentümer, und es gibt kein Kataster in Schleswig-Holstein dafür. Auch in anderen Bundesländern gibt es das noch nicht und das versuchen wir aufzubauen.
    Dann ist es so, dass es oft einfach auch noch Probleme gibt, Flächenbelastung, die im Vorfeld identifiziert werden müssen – Altlasten bei Gewerbebetrieben oder Munitionsreste und solche Sachen –, da muss man ganz genau dann abwägen, lohnt sich das, ist das nicht viel zu teuer, und kann man das anders besser herstellen.
    Römermann: Nicola Brockmüller von der Stiftung Naturschutz Schleswig-Holstein, vielen Dank für das Gespräch!
    Brockmüller: Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.