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Böhmer: Integrationspolitik war ein Stück Blindflug

Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Maria Böhmer, will ein Konzept vorstellen, mit dem die Erfolge von Eingliederungsmaßnahmen messbar gemacht werden. Jahrzehntelang hätten die nötigen Daten gefehlt. Dies solle zukünftig durch die regelmäßige Erfassung und Auswertung von Informationen etwa zum Spracherwerb oder zur Wohnsituation von Migranten geändert werden, erläuterte die CDU-Politikerin.

Moderation: Stefan Heinlein |
    Heinlein: Deutschland ist ein Einwanderungsland. Rund 15 Millionen Menschen haben ihre Wurzeln im Ausland. Dies ist fast ein Fünftel der Bevölkerung. Mehr als die Hälfte von ihnen besitzt die deutsche Staatsangehörigkeit. Viele sind in Deutschland geboren. Und dennoch haben es viele Migranten schwer, sich in Deutschland zu Hause zu fühlen. Mangelnde Sprachkenntnisse gehen einher mit schlechter Schul- und Berufsausbildung und entsprechend bescheidenen Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Ein gravierendes Problem, das jahrelang von der Politik verschlafen wurde. Erst in den vergangenen Jahren sind die politisch Verantwortlichen aufgewacht. Der von der Bundesregierung beschlossene Nationale Integrationsplan gilt als ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einem besseren Miteinander. Doch bisher fehlten weitgehend die wissenschaftlichen Grundlagen, um Erfolge und Misserfolge der Integrationspolitik bewerten zu können. Dies soll sich nun ändern. Heute wird im Kabinett ein entsprechendes Konzept von der Integrationsbeauftragten der Bundesregierung Maria Böhmer vorgestellt. - Guten Morgen Frau Staatsministerin!

    Böhmer: Guten Morgen!

    Heinlein: Frau Böhmer, ist Integration tatsächlich messbar?

    Böhmer: Ich glaube, dass wir in vielen Bereich die Frage positiv beantworten können und wir müssen sie auch positiv beantworten, denn wir wollen ja sehen: Greifen die Maßnahmen, die wir jetzt im Nationalen Integrationsplan gefasst haben, die Selbstverpflichtungen wirklich und bringen sie die Integration voran. Deshalb ist es wichtig, ein solches wir nennen es Indikatorensystem zu haben, das in den verschiedenen Bereichen angreift.

    Ich sage Ihnen einmal ein Beispiel dafür. Nehmen wir den Kindergarten. Wir wissen, wie wichtig heute die frühe Förderung von Kindern ist. Dazu brauchen wir erstens die Information: Wie hoch ist der Anteil der Kinder aus Zuwandererfamilien, die den Kindergarten besuchen? Und zweitens wollen wir wissen: Wie setzt sich die Sprachförderung um? Wie erfolgreich ist sie? Und dazu brauchen wir entsprechende Messdaten. Das ist nur ein Beispiel aus einem Indikatoren-Set von 100 und wir erfassen 14 Themenfelder. Das sind die zentralen Handlungsfelder der Integration.

    Heinlein: 14 Themenfelder. Wie soll das denn konkret vonstatten gehen? Bekommt eine Familie Fragebögen von der Ausländerbehörde, die sie dann ausfüllen muss? Haben Sie sich dazu schon Gedanken gemacht?

    Böhmer: Ja. Wir haben das beraten, auch mit Wissenschaftlern, und wir haben uns sehr intensiv auch innerhalb der Bundesregierung abgestimmt. Es wird auch ein weiteres Vorgehen geben: Abstimmung mit den Ländern. Und wir können auch auf Erfahrungen mit den Kommunen zurückgreifen.

    Jetzt war die Frage: Macht man Umfragen oder greift man auf existierende Statistiken zurück? - Wir haben uns für das Letztere entschieden. Wir sind interessiert an den Ergebnissen. Aber es gibt viele Statistiken, die zeigen nur den Unterschied auf zwischen Deutschen und Ausländern. Und dieses reicht eben heute nicht mehr. Sie haben selbst gesagt, wir haben 15 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland. Wir sind ein Integrationsland und deshalb müssen wir jetzt auch verstärkt fragen: Wie sieht es aus mit Menschen, die zwar die deutsche Staatsbürgerschaft haben, worüber wir uns sehr freuen, die aber trotzdem Migrationshintergrund haben und das wirkt sich ja auch aus.

    Heinlein: Also keine neuen Statistiken, wenn ich Sie richtig verstehe, sondern nur der Wust an Daten, der bisher schon vorhanden ist, wird neu zusammengefasst und bewertet?

    Böhmer: In der Regel. Es gibt einige Felder, wo wir auch klären müssen, ob wir neue Untersuchungen brauchen. Ich nenne hier den Bereich Medien. Es ist doch die Frage: Wer schaut welches Fernsehen? Wer liest welche Zeitung, die deutschen Zeitungen oder mehr die türkischen Zeitungen? Hierfür gab es jetzt schon erste repräsentative Untersuchungen. Aber wir brauchen hier vertiefte Untersuchungen und vor allen Dingen, worauf es mir ankommt, nicht nur einmal die Daten zu erfassen, sondern einen Verlauf zu haben, so dass wir feststellen können: Wie sah es jetzt im Jahr 2008 aus? Dann wissen wir in zwei Jahren: Wie sieht es im Jahr 2010 aus, im Jahr 2012? Und dann können wir Vergleiche ziehen und wir können damit die Integrationspolitik viel besser steuern, weil wir wissen, welche Maßnahmen wirken und welche vielleicht auch korrigiert werden müssen.

    Heinlein: Heißt das, Frau Böhmer, dass die bisherigen integrationspolitischen Entscheidungen und Weichenstellungen weitgehend im Nebel erfolgten, weil man nicht wusste, wo die eigentlichen Probleme liegen?

    Böhmer: Ja. Ich war erstaunt, dass ich feststellen musste, dass für viele Bereiche wir nicht auf gesicherte Daten setzen können. Das heißt es ist über Jahrzehnte hinweg ein Stück Blindflug erfolgt in der Integrationspolitik. Man hat sich auf Vermutungen gestützt. Uns stand vor Augen, als wir den Nationalen Integrationsplan geschrieben haben, dass wir gesicherte Daten brauchen. Das ist damals auch beschlossen worden. Wir haben ein Jahr intensiver Beratung mit Statistikern, mit Wissenschaftlern innerhalb der Bundesregierung hinter uns. Jetzt können wir ein solches Indikatoren-Set vorlegen und wir werden es auch erproben, um dann wirklich mit gesicherten Daten arbeiten zu können.

    Heinlein: Aber haben Sie dann nicht den zweiten vor dem ersten Schritt gemacht, erst den Integrationsplan beschlossen und jetzt die Entscheidung, Daten zu sammeln?

    Böhmer: Das ist eine sehr berechtigte Frage, aber ich glaube es war einfach wichtig, in den Feldern wo deutlich geworden ist, dass großer Handlungsbedarf besteht - und niemand zweifelte in Deutschland, dass es einen erheblichen Nachholbedarf gibt beim Erwerb der deutschen Sprache; niemand zweifelt daran, weil wir gute Informationen haben, was den schulischen Bereich anbelangt; denken Sie an die Pisa-Untersuchung -, dass wir dort vorangegangen sind. Aber jetzt ist es umso dringender zu schauen: Wie setzen sich diese Maßnahmen nicht nur um, sondern welche Wirkungen zeigen sie nachher in der Integration? Denn Integration heißt gleichberechtigte Teilhabe. Das heißt darauf zu zielen, dass Jugendliche die gleichen Chancen am Ausbildungsmarkt haben, dass die Zahl der Schulabbrecher von Jugendlichen aus Migrationsfamilien sinkt und dass die Kinder einen guten Start im Kindergarten erleben und damit auch in der Grundschule. Aber wir fragen auch nach der Wohnsituation: Ist es tatsächlich so, dass die Menschen sehr stark in Wohngebieten wohnen, wo wir eine Konzentration nicht nur von Ausländern haben, sondern von Migranten haben, oder steigt der Anteil derer, die inzwischen in einem Eigenheim wohnen, in einer eigenen Eigentumswohnung wohnen? Das sind auch Veränderungen, die wichtig sind, um Integrationsfortschritte festzustellen.

    Heinlein: Wie groß ist denn die Gefahr, dass sich anhand dieser Daten manche böse Klischees verfestigen könnten - nach dem Motto "Hier steht es schwarz auf weiß: Jeder zweite Migrant ist kriminell und schlägt seine Frau"?

    Böhmer: Jetzt greifen Sie natürlich einen besonders kritischen Bereich heraus. Wir fragen selbstverständlich auch nach der Kriminalitätsrate, fragen aber auch genauso nach Gewalt und Fremdenfeindlichkeit. Aber es kommt doch darauf an, dass wir Klarheit haben und nicht immer in vielen Feldern auf Vermutungen angewiesen sind oder wenn es um den Migrationshintergrund geht eben keine Daten haben, sondern nur zwischen Deutschen und Ausländern unterscheiden können. Entscheidend ist das Anliegen, was sich damit verbindet, nämlich Integrationspolitik noch wirkungsvoller zu gestalten, auf sicheren Daten sich zu bewegen und damit auch klar zu machen: Wir investieren viel Geld in die Integrationsarbeit. Ich glaube jeder Bürger und jede Bürgerin in Deutschland hat einen Anspruch darauf zu wissen, dass die Politik diese Steuermittel sinnvoll einsetzt und wirksam einsetzt. Auch das ist ein Ansatz dieses Indikatoren-Sets und ich bin davon überzeugt, dass wir damit ein gutes Steuerungselement haben und einen deutlichen Schritt voran kommen in der Integration.

    Heinlein: Frage zum Schluss, Frau Böhmer. Ein afro-amerikanischer Kandidat für das Weiße Haus. Funktioniert die Integration in den USA besser als bei uns in Deutschland? Ist das ein wichtiger Indikator?

    Böhmer: Die USA sind natürlich ein klassisches Einwanderungsland und ich habe mit großer Spannung jetzt wie viele beobachtet, wie die Entscheidung gehen würde. Dass sich jetzt abgezeichnet hat und damit die Entscheidung da ist, dass Obama ins Rennen um die Präsidentschaftskandidatur geht, das wird noch einmal etwas sein, was gerade diese Frage auch für die USA aufwirft. Ich denke diese Chance zu haben, genauso wenn es Hillary Clinton geworden wäre, dass eine Frau das erste Mal in den USA das Rennen um die Präsidentschaft eingeht, das sind gesellschaftliche Entwicklungen, die auch zeigen wie sich Gesellschaften weiterentwickeln.

    Heinlein: Können Sie sich vorstellen, dass ein türkisch- oder arabischstämmiger Politiker für die Christdemokraten in das Rennen um das Kanzleramt in Deutschland geht?

    Böhmer: Die Frage lag ja jetzt auf der Hand und ich glaube wenn wir über Jahre hinweg denken, dann sehen wir genau was zu tun ist. Wir müssen die Menschen, die zu uns gekommen sind, ja auch ermuntern, sich politisch zu engagieren. Übrigens auch ein Themenfeld des Indikatoren-Sets, was heute verabschiedet wird, nämlich zu fragen: Wer engagiert sich in politischen Parteien? Denn eine solche Entwicklung, die fällt ja nicht vom Himmel, sondern das heißt ja auch, dann im politischen Feld Nachwuchstalente zu fördern. Das ist auch ein Anliegen gerade in der CDU, denn wir wollen mehr Menschen dafür gewinnen, dass sie sich politisch in unserem Land engagieren.

    Heinlein: Heute Morgen im Deutschlandfunk die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung Maria Böhmer. Ich danke für das Gespräch und auf Wiederhören nach Berlin!

    Böhmer: Ich danke Ihnen auch. Auf Wiederhören!