Archiv


Böhmer: Union sollte Antidiskriminierungsgesetz akzeptieren

Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Wolfgang Böhmer hat den Koalitionskompromiss zum Antidiskriminierungsgesetz verteidigt. Zugleich wandte sich der CDU-Politiker gegen Ankündigungen aus Teilen der Union, über den Bundesrat noch Änderungen an dem Gesetz duchsetzen zu wollen. "Wenn es offensichtlich ist, dass die Kompromissmöglichkeiten ausgeschöpft sind, dann ist das alles nur inszenierter Theaterdonner, und ich glaube, dann sollten wir es lieber lassen", verwies Böhmer auf abweichende Positionen beim Koalitionspartner SPD.

Moderation: Stefan Heinlein |
    Stefan Heinlein: Große Kröten in der großen Koalition, so Christian Wulff. Am Ende hat sie auch der niedersächsische Ministerpräsident geschluckt. Die Aufregung um das Antidiskriminierungsgesetz der Bundesregierung endete im CDU-Präsidium schiedlich friedlich. Gleich vier unionsgeführte Bundesländer hatten zuvor die Überarbeitung des Gesetzes verlangt, doch in trauter Runde verließ die Ministerpräsidenten offenbar der Mut, und man verzichtete auf die offene Konfrontation mit dem Koalitionspartner. Doch schon deutet sich neues Ungemach an. Edmund Stoiber will die Integration von Ausländern notfalls auch mit Sanktionen erzwingen. Ein Vorschlag, der von der SPD als Stammtischparole abgetan wird. Das Verhandlungsgeschick von Angela Merkel wird also schon bald vor dem geplanten Integrationsgipfel im Juni gefordert sein. Und darüber möchte ich jetzt sprechen mit dem Ministerpräsidenten von Sachsen-Anhalt, Wolfgang Böhmer (CDU). Guten Morgen!

    Wolfgang Böhmer: Guten Morgen, Herr Heinlein!

    Heinlein: Herr Böhmer, der Koalitionskrach scheint vorerst abgewendet. So sieht es aus. War die Aufregung um das Antidiskriminierungsgesetz nur ein Sturm im Wasserglas?

    Böhmer: Nein, aber ich habe zur Kenntnis genommen, dass einige Kollegen sich schon öffentlich geäußert haben, bevor sie sich Einzelheiten über die Koalitionsrunde und die Gesprächsführung haben berichten lassen. Wenn man über ein Ergebnis urteilt, an dessen Zustandekommen man nicht beteiligt war, wo man selbst nur aus den Medien erfahren hat, was herausgekommen ist, ohne die Einzelheiten zu kennen, dann muss man auch damit leben, dass man manches hinterher anders sieht, nachdem man sich sachkundig gemacht hat. Das war offensichtlich auch so, weshalb ich es persönlich vorgezogen habe, mich öffentlich erst dann zu äußern, nachdem ich Einzelheiten in Erfahrung bringen konnte.

    Heinlein: Was schlussfolgern Sie denn daraus, dass einige Ihrer Kollegen sich so vorschnell geäußert haben?

    Böhmer: Dass es besser ist, sich erst einmal zu erkundigen und die Einzelheiten erzählen zu lassen, bevor man sich eine eigene Meinung bildet und öffentlich urteilt.

    Heinlein: Wie groß war denn dann im CDU-Präsidium gestern die Aufregung über das Antidiskriminierungsgesetz? Angeblich, so heißt es in Berichten, wurde ja lautstark diskutiert.

    Böhmer: Das muss jemand erfunden haben. Ich war dabei. Es hat keine lautstarke Diskussion gegeben. Natürlich hat es kritische Fragen gegeben. Natürlich haben einzelne Kollegen auch gesagt, dass sie sich das anders vorgestellt hätten. Aber nachdem die Bundeskanzlerin die Einzelheiten der Koalitionsgespräche erläutert hat, war das eine relativ friedliche Diskussion.

    Heinlein: Welchen Sinn, die Frage muss man sich ja dann stellen, hatte denn dann das Muskelspiel von Christian Wulff und anderen aus der CDU-Spitze im Vorfeld dieser Tagung gestern?

    Böhmer: Ich habe das auch nicht als Muskelspiel empfunden. Herr Wulff hat ein gewisses Unverständnis geäußert. Dafür habe ich wiederum Verständnis, wenn man nur das Ergebnis sieht ohne die einzelnen Bedingungen, die erfüllt werden mussten, um überhaupt zu einem Ergebnis zu kommen. Das ist ja nun einmal so. Wenn zwei völlig unterschiedliche Parteien mit unterschiedlicher Zielvorstellung und unterschiedlicher Gesellschaftskonzeption sich einigen müssen, dann geht das nur, wenn jeder auch mal Zugeständnisse macht. Das wird wahrscheinlich noch nicht das letzte Mal so sein, dass man sich entgegenkommen muss, damit sich überhaupt etwas bewegt. Und dann ist es besser, sich erst mal die Einzelheiten erläutern zu lassen, bevor man in der Öffentlichkeit schon wertende Urteile abgibt.

    Heinlein: Sie kennen ja nun die Einzelheiten dieses Antidiskriminierungsgesetzes. Einzelne Ihrer Kollegen haben heute noch einmal erklärt, sie wollen über den Bundesrat versuchen, noch einige Änderungen hinzubekommen. Findet das Ihre Unterstützung oder finden Sie das Gesetz gut, so wie es ist?

    Böhmer: Na ja, es ist ein Einspruchsgesetz, kein Zustimmungsgesetz. Wenn der Bundesrat etwas verändern will, muss er den Vermittlungsausschuss anrufen. Wenn im Vermittlungsausschuss kein Vermittlungsgespräch zu Stande kommt, das haben wir ja alles schon erlebt, vor kurzem erst bei diesem Arzneimittelwirtschaftlichkeitsverordnungsgesetz, dann geht das aus wie das Hornberger Schießen.

    Heinlein: Wollen Sie denn Änderungen noch erreichen über den Vermittlungsausschuss?

    Böhmer: Ich weiß, dass man Veränderungen nur im Kompromiss mit auch der SPD-Seite erreichen kann. Wenn es offensichtlich ist, dass die Kompromissmöglichkeiten ausgeschöpft sind, dann ist das alles nur inszenierter Theaterdonner, und ich glaube, dann sollten wir es lieber lassen.

    Heinlein:! Zeigt dieser Streit, dieser Theaterdonner wie Sie sagen, um das Antidiskriminierungsgesetz vielleicht grundsätzlich die Unzufriedenheit vieler Unionspolitiker gerade aus den Ländern mit der Arbeit der großen Koalition? Stichwort: zu viel SPD und zu wenig CDU.

    Böhmer: Na gut, das ist eine Darstellung, der man im Einzelfall folgen kann. In anderen Fällen wird es wieder umgedreht gesehen. Jeder weiß und wusste es vorher, dass das eine Bundesregierung werden wird - und wir haben ja auf der Landesebene ähnliche Konstellationen -, wo man sich entgegenkommen muss, um sich nicht gegenseitig zu blockieren. Und das werden diejenigen, die denken, sie könnten mit eigenen Vorstellungen immer sich durchsetzen, dann jedes Mal aufs Neue als schmerzlich empfinden, aber da muss man sagen: Bei dem gegenwärtigen Wahlergebnis ist etwas anderes nicht möglich. Das ist einfach dann zu akzeptieren.

    Heinlein: Also große Kröten müssen weiter geschluckt werden? Das ist auch Ihre Erfahrung in der großen Koalition, denn seit kurzem sind Sie ja auch in dieser Situation.

    Böhmer: Wir haben ja noch nicht allzu viele grundsätzliche Probleme hinter uns, aber auch wir haben in den Koalitionsvereinbarungen ein paar Zugeständnisse machen müssen - auch die Gegenseite -, die wir, wenn wir alleine regieren könnten, sicherlich nicht gemacht hätten. Das ist ganz logisch. Aber Demokratie heißt, kompromissfähig zu sein und für einen möglichen Kompromiss Mehrheiten zu organisieren. Sonst funktioniert das System nicht.

    Heinlein: Herr Böhmer, ein Kompromiss wird auch gefordert sein in Sachen Integration. Hier hat Edmund Stoiber eine neue Baustelle aufgemacht, indem er erklärt hat, die Integration von Ausländern müsse notfalls auch mit Strafen erzwungen werden. Das ist eine Provokation ganz klar für die SPD. Sie hat sich entsprechend geäußert. Will die Union vor diesem Hintergrund, will gerade die CSU hier Profil zeigen, um die Unterschiede zur SPD, zum Koalitionspartner deutlich zu machen?

    Böhmer: Ja gut, es kann ja nie schaden, wenn Parteien ihr Profil zeigen und sagen, wie sie es machen würden, wenn sie allein entscheiden könnten. Das ist auch für die öffentliche Darstellung wichtig, damit nicht alles wie ein großes Kuddelmuddel aussieht. Da habe ich gar nichts dagegen. Beide Parteien, auch die, die jetzt zusammenarbeiten in der großen Koalition, machen ja auch ihre Grundsatzdebatten, um ihre Selbstfindungsdiskussionen durchzuführen, damit sie ganz deutlich machen, dass sie sich auch in einigen Punkten unterscheiden. Ich denke, das ist man der Öffentlichkeit auch schuldig. Das heißt aber nicht, dass man in praktischen Problemen, wo wir auf Entscheidungen angewiesen sind, uns auch entgegenkommen müssen. Und gerade die CSU in Bayern, die hat ja seit vielen, vielen Jahren keine Koalition mehr nötig gehabt. Da sieht manches etwas anders aus.

    Heinlein: Was halten Sie denn von der Stoiber-Idee, integrationsunwilligen Ausländern notfalls die Sozialhilfe zu kürzen?

    Böhmer: Na gut, da wird man schon ernsthaft darüber nachdenken müssen. Niemand wird gezwungen, nach Deutschland zu kommen, und niemand wird gezwungen, die deutsche Staatsbürgerschaft zu übernehmen. Aber wer sich freiwillig und aus eigenen Stücken dafür entscheidet, der muss sich auch ein bisschen an uns gewöhnen wollen. Deswegen bin ich schon der Meinung, dass man da ganz klare Zeichen setzt. Es ist ja nicht so, dass wir die Leute unter Zwang nach Deutschland geholt hätten. Demzufolge muss man ihnen sagen, wenn ihr euch für uns entscheidet, dann haben wir nicht viele Forderungen, aber einige schon, und über die müssen wir uns jetzt einigen.

    Heinlein: Heute Morgen hier im Deutschlandfunk der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Wolfgang Böhmer. Ich danke für das Gespräch, Herr Böhmer, und auf Wiederhören.

    Böhmer: Bitte schön. Auf Wiederhören.