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Böhmer verlangt weitere Reformen

Liminski: "Halbe Bescherung", überschreibt eine Zeitung gestern ihren Kommentar zu den Kompromissen in Berlin, und die meisten Kommentatoren sind sich einig, dass dies nur der Anfang gewesen sein kann. Welche weiteren Reformschritte plant die Union? Wie kommen die Familien bei dem gefundenen Kompromiss weg? Muss es nicht eine Steuerreform geben statt dem Kleckern vom Sonntag? Kann angesichts des Wahljahrs 2004 überhaupt mit weiteren Schritten gerechnet werden? Muss man nicht auf Länderebene Reformen angehen? Berlin hinterlässt ebenso viele Fragen wie Antworten, und darüber wollen wir jetzt sprechen mit dem Ministerpräsidenten von Sachsen-Anhalt Wolfgang Böhmer. Herr Böhmer, der Kompromiss von Berlin ist der goldene Taler, der allen gefällt, eher der Silberling, den alle brauchen. Müssen nicht weitere Reformschritte folgen?

    Böhmer: Ja, das haben wir immer gesagt. Wir haben auch auf dem Parteitag einige grundsätzliche Beschlüsse gefasst, die zur weiteren Reformschritten führen sollen. Das, was jetzt gemacht wurde, waren einige kleine Reformen, auf alle Fälle besser als gar nichts, aber noch lange nicht der große Durchbruch, den das Land braucht.

    Liminski: Die vorgezogene Stufe der Steuerreform als halbe Sache, so wir es jedenfalls immer wieder gesagt. Wann kommt denn die große Steuerreform?

    Böhmer: Also es gibt bisher nur einen Konsens darüber, dass das Land eine große Steuerreform braucht. Es gibt etliche Vorschläge. Universitätsprofessoren haben einige gemacht, Professor Kirchhoff, Professor Langengut und andere. Von Herrn Uldall aus Hamburg gibt es schon seit Jahren grundsätzliche Vorschläge. Die letzten stammen von Herrn Merz aus der CDU-Bundestagsfraktion. Also an Vorschlägen mangelt es uns nicht. Nun muss es einen Konsens geben, wie man das gesetzgeberisch ausgestalten könnte, und dafür noch eine Mehrheit. Die ist im Moment noch nicht klar zu erkennen, aber wenn ich die Zeichen richtig verstehe, will auch die jetzige Regierungskoalition im Bundestag eine Steuerreform. Ich weiß nur noch nicht genau, wie sie aussehen soll.

    Liminski: Haben Sie darüber auch im Vermittlungsausschuss gesprochen?

    Böhmer: Darüber ist im Vermittlungsausschuss nicht konkret gesprochen worden, eher nur am Rande außerhalb der Verhandlungen, dass das mal gemacht werden muss, aber es gab keine konkreten Gespräche zur Sache.

    Liminski: Kann man denn angesichts des Wahljahres 2004 überhaupt mit weiteren Fortschritten rechnen? Die Kompromissbereitschaft ist ja bekanntermaßen vor Wahlen ziemlich eingeschränkt, und in den kommenden neun Monaten haben wir fünf Landtagswahlen, eine Europawahl und acht Kommunalwahlen, unter anderem auch eine in Sachsen-Anhalt. Von der Wahl des Bundespräsidenten und seinen spezifischen Umständen mal ganz abgesehen, muss man da sagen, das war es, liebe Leute, Fortsetzung der Reformen erst in ein paar Jahren?

    Böhmer: Nein, das denke ich nicht. Gesetzt den Fall, es wäre in dem nächsten halben Jahr oder dem nächsten Vierteljahr irgendwo eine Wahl, dann glaube ich nicht, dass das Ergebnis, was wir im Vermittlungsausschuss vor einigen Tagen gemeinsam gefunden haben, einen wesentlichen Einfluss auf diese Wahl hätte. Das hängt natürlich davon ab, von welchen einzelnen Reformschritten wir sprechen würden. In manchen Bereichen liegen wir ja mit unseren Zielvorstellungen so weit auseinander, dass ich mir nicht mal einen Vermittlungskompromiss vorstellen könnte. Solche Sachen hätten natürlich Einfluss auf Wahlausgänge.

    Liminski: Wo sehen Sie denn Kompromissbereitschaft oder in der Zielführung mögliche Kompromisse?

    Böhmer: Also das hängt von den Vorschlägen ab, die die Bundesregierung macht. Eine richtig grundsätzliche Gesundheitsreform mit einer Abkoppelung der Leistungsfinanzierung von den Tarifen ist im Moment meiner Ansicht nach nicht erkennbar und wäre wohl mit der jetzigen Regierungskoalition im Bund nicht zu machen, soweit ich die Zeichen richtig verstehe. Aber das ist etwas, was ich grundsätzlich für notwendig erachte, und da kann ich nicht erkennen, dass die jetzige Regierungskoalition in dieser Richtung da Vorschläge machen würde.

    Liminski: Und bei der Rente?

    Böhmer: Auch bei der Rente. Das sind ja bisher immer wieder nur, sagen wir, Notmaßnahmen, um die Finanzmisere zu überbrücken. Für die Rentenreform brauchen wir eine möglichst demographieunabhängige, auch für die Zukunft später einmal kapitalgedeckte Versicherung, die aus wenigstens drei Säulen bestehen soll. Auch das, was wir jetzt im Bereich der Rentenversicherung machen, ist nicht falsch. Es bedeutet ja schon den Aufbau einer kapitalgedeckten zweiten Säule, aber noch lange keine demographiefeste Reform, die im Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung Zukunftssicherheit schaffen würde.

    Liminski: Wir haben ein demographisches Problem in Deutschland, das haben Sie eben angesprochen. Das Problem schlägt mittlerweile auf die Sozialsysteme und die Wirtschaft durch. Das Buch des Jahres trägt bezeichnenderweise den Titel "Demographie und Wohlstand". Es ist nicht unbillig, sich nach der Familienfreundlichkeit der Reformen von Berlin zu erkundigen. Ist die Kürzung der Eigenheimzulage symptomatisch für den Charakter der jetzt beschlossenen Reformschritte?

    Böhmer: Nein, das kann man so nicht sagen. Eine Familie braucht Wohnraum. Ein Eigenheim ist ein angenehmer Wohnraum, das ist völlig klar. Aber wir haben in den neuen Bundesländern 20 Prozent Wohnungsleerstand. Deswegen sagen wir, wenn das Geld schon knapp ist und umgeschichtet werden muss, dann kann auch eine Eigenheimzulage kein Tabu sein. Sie ist ja auch nicht abgeschafft worden.

    Liminski: Und die Familienfreundlichkeit der Reformen? Wie sehen Sie das insgesamt?

    Böhmer: Das sehe ich grundsätzlich in einem etwas größeren Zusammenhang. Seit etwa Mitte der sechziger Jahre des vorigen Jahrhunderts wissen wir, dass die Welt nicht mehr so ist, wie sie einmal war, seitdem die Familienplanung ein bewusst gesteuerter Vorgang ist. Und das wird so bleiben. Wir werden lernen müssen, die Familienplanung mit der individuellen biografischen Entwicklung von Frauen viel besser in Übereinstimmung zu bringen als es jetzt noch möglich ist. Jede moderne Gesellschaft wird aus demographischen Gründen diese Frage lösen müssen. Die Entscheidung zu Kindern ist keine Frage des Wohlstands. Es ist vor allen Dingen eine Frage der persönlichen Lebensplanung von Frauen, die natürlich auch mit bestimmten finanziellen Verhältnissen verbunden ist – das ist richtig -, aber Sie müssten auch mal, wenn man ganz ehrlich ist, die Statistiken ansehen: Je höher das Qualifikationsniveau der Frauen ist, je höher die individuellen Lebensansprüche sind, umso geringer ist die Kinderzahl. Demzufolge ist es ein grundsätzliches Problem, was nicht nur mittelbar mit Finanzsubventionen zu lösen sein wird.

    Liminski: Sehen Sie das Ringen im Vermittlungsausschuss als ein Zeichen dafür, dass eine Reform der Kompetenzzuteilung zwischen Bundestag und Bundesrat nun dringlich ist?

    Böhmer: Ja, das wussten wir aber schon vorher. Diese Dringlichkeit besteht nach wie vor, aber ich will da auch vor übermütigen Erwartungen warnen. Wir werden ein föderalistisch aufgebauter Staat bleiben wollen, und selbstverständlich werden wir einiges mehr auseinander sortieren müssen, aber immer dann, wenn der Bund und die Bundesregierung in Länderkompetenzen hineinregieren, wird die Zustimmungspflicht im Bundesrat bestehen bleiben müssen. Mann kann nur eins machen, man kann sagen, der Bund zieht sich aus einigen Bereichen zurück und überlässt dies mehr den Ländern und bezieht sich dann tatsächlich nur auf Rahmengesetzgebung. Das, denke ich, ist das Ziel fast aller politischen Parteien, auch in der Föderalismuskommission, und wenn wir das hinbekommen, dann werden wir erreichen, dass die Zahl der zustimmungspflichtigen Gesetze vermindert wird, und das wäre schon mal was.

    Liminski: Noch für diese Legislaturperiode?

    Böhmer: Ja, ich denke schon. Die Kommission hat sich vorgenommen, bis zum Ende des nächsten Jahres soweit zu sein, dass Gesetze oder Vorschläge erarbeitet werden, die dann in Gesetzesformulierungen einfließen können, und da innerhalb der Kommission prinzipiell nur mit Zwei-Drittel-Mehrheit entschieden werden kann, was vernünftig ist, wird das zur Folge haben, dass wir uns allerdings mit kleinen Schritten dem Ziel nähern, aber ich bin ziemlich überzeugt davon, dass es Ergebnisse geben wird.

    Liminski: Noch eine letzte Frage zu den Reformen und auch zum Aufschwung, der ja im nächsten Jahr nun endlich kommen soll. Etliche Experten, auch auf diesem Sender meinen, der Schub, der von Berlin ausgehe, sei minimal, kaum messbar. Wichtiger sei es, das Denken zu verändern, Hilfen des Staates müssten Leistungen des Bürgers entgegenstehen oder zumindest die Bereitschaft dazu, Stichwort Arbeitslosenhilfe oder Sozialhilfe. Nur so würden wir international wettbewerbsfähig. Muss Deutschland umdenken?

    Böhmer: Ja. Das ist aber nichts Neues. Das haben wir schon immer gesagt, und ich habe auch bei jeder Gelegenheit, wo ich gefragt wurde, gesagt, dass man nur vom Vorziehen einer Steuerreform keinen wirtschaftlichen Aufschwung erwarten kann. Die Leute haben zunächst kein richtiges Vertrauen. Viele warten und ab und schauen, wir wollen erst mal abwarten, was wird, bevor über größere Ausgaben in der Familie entschieden wird. Also ich war da immer schon sehr skeptisch. Das Einzige, was man sagen kann, ist, es ist auch ein positives Zeichen dafür, dass auch unter den gegenwärtigen Bedingungen, auch unterschiedlichen Mehrheiten in Bundestag und Bundesrat, wir zu Reformen fähig sind. Ich gebe zu, manche wünschen, dass es schneller geht, manche würden größere Entscheidungsschritte erwarten, aber man darf nicht denken, dass dann immer alle einverstanden wären. Da bin ich sehr skeptisch. Wir brauchen grundsätzlich eine andere Einstellung dazu, wozu jeder einzelne verantwortlich sein muss oder bleiben muss oder wieder werden muss, und worauf der Staat sich konzentrieren muss. Es hat sich im Grunde genommen ein Zustand entwickelt, wo viele Menschen sich Gedanken machen, wie sie das Geld ausgeben und verteilen möchten, was andere erst verdienen sollen, und damit werden wir keine Wirtschaft aufbauen können.

    Liminski: Vielen Dank für das Gespräch.