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Böhmische Klaviertrios
Eindrucksvolles Plädoyer für tschechische Kammermusik

Mit ihrer Aufnahme bringt das Feininger Trio den Hörer zurück in jene Aufbruchsstimmung, die damals geherrscht haben muss, als Joseph Suk, Antonin Dvořák und Bedřich Smetana ihre Klaviertrios schrieben. Die Werke klingen so auch heute unverbraucht und relevant.

Von Raoul Mörchen |
    Die neue Platte führt uns heute nach Tschechien – beziehungsweise nach Böhmen, wie man damals sagte, zurzeit von Bedřich Smetana, Antonin Dvořák und Joseph Suk. Klaviertrios dieser drei Fahnenträger der böhmisch-tschechischen Nationalmusik präsentiert das Label Cavi-music - und es präsentiert damit zugleich die erste CD eines neuen Kammerensembles: das Debüt des Feininger Trios.
    Suk - Klaviertrio c-Moll op.2, I Allegro
    1891, in einem Studentenkonzert des Prager Konservatoriums, sitzt im Publikum ein frisch gekürter Professor namens Antonin Dvořák. Hier in seiner Heimat ist er eine Berühmtheit, zählt auch in Deutschland und England zu den Großen seines Fachs und steht kurz davor, die USA zu erobern. Die große Welt wartet auf ihn, und Dvořák wird kommen - doch er wird die kleine Welt daheim nicht vergessen. An der Prager Hochschule will er helfen, seinem Land eine eigene Stimme zu geben. Umso erfreuter ist er über das, was er gerade hört: ein Klaviertrio des 16-jährigen Pragers Joseph Suk. Ein Stück, das formal noch etwas gegängelt wird von der Tradition und ihren Regeln, doch gleichzeitig einen starken, eigenen Willen offenbart. Im Unterricht werden die beiden, Dvořák und Suk, das Trio später noch einmal durchgehen, von Ballast befreien und als "kleines Trio", so steht es dann auf der Partitur, einem Verleger anbieten: als glänzende Empfehlung für die Zukunft.
    Suk - Klaviertrio c-Moll op.2, I Allegro
    Keine Frage: das alte Böhmen war mit Musikern immer reich gesegnet, auch mit großen Komponisten. Namen wir Krommer, Stamitz, Richter, Reicha, Dussek oder Bender schmücken die Musikgeschichte des Barock und der Klassik. Doch schaut man genauer in ihre Biografien, dann stellt man fest, dass die prominentesten Böhmen in Wahrheit Exil-Böhmen waren: geboren und ausgebildet in einem Land, das ihnen als Berufsmusiker keine Perspektiven bot. Und so gingen die, die das Talent und den Mut dazu hatten, nach Westen, an die wohlhabenden Höfe der Fürsten und Könige in Mannheim, Berlin und Wien oder weiter nach Paris und London.
    Erst die junge Nationalbewegung in der Heimat, die sich gegen die Übermacht der deutsch-österreichischen Kultur und damit gegen die herrschende Elite des Bürgertums und Adels zur Wehr setzt, erst sie bereitet im frühen 19. Jahrhundert einen fruchtbaren Boden auch für Künstler. Die neue Generation ist stolz auf ihre Herkunft. Sie meidet die deutsche Sprache und sucht nach eigenen Wurzeln. Fündig wird sie beim einfachen Volk, bei seinen Liedern und seinen Tänzen.
    Dvořák - Klaviertrio g-Moll op.26, Scherzo
    Will man die Dynamik und Eigenart der tschechischen Musik zwischen Smetana und Suk verstehen, von der Mitte bis zum Ende des 19. Jahrhunderts also, so ist Kammermusik dafür eigentlich nicht der rechte Ort. Man muss schon genau hinhören und hinschauen auf die drei Werke, die das Feininger-Trio für seine Debüt-CD ausgesucht hat und unter dem Motto "böhmische Klaviertrios" präsentiert. Denn anders als die Oper, anders sogar als die Sinfonik, taugt die Gattung des Klaviertrios nur bedingt als patriotisches Sprachrohr: Gegenüber der Oper fehlt ihr die Möglichkeit, Ideen und Parolen wörtlich zu formulieren, anders als die Sinfonik fehlt ihr von je her das große Publikum. Zudem ist gerade das Klaviertrio keine freie Form: seine Möglichkeiten und Grenzen wurden definiert von Haydn, Mozart und Beethoven, von just jener deutschen Kultur also, von der sich die jungen Tschechen gerade befreien wollen. Selbst bei einem Wortführer der nationalen Sache wie Smetana, dem Autor des viel gespielten Orchesterzyklus "Mein Vaterland" mit der berühmten "Moldau", selbst bei Smetana ist Kammermusik weitgehend unpolitisch - vermutlich hat er deswegen so wenig davon komponiert. Das vom Feininger-Trio ausgewählte op.15 hat, wenn überhaupt, eine ganz andere Botschaft: es ist ein Werk, in dem der Komponist den frühen Tod seiner Tochter verarbeitet.
    Smetana - Klaviertrio g-Moll op.15, Satz 1
    Selbst in einem so privaten Werk wie dem 1855 entstandenen Klaviertrio von Smetana mag man, wenn man unbedingt will, Spuren finden der viel beschworenen tschechischen Seele - und man findet sie auch bei den anderen Trios auf dieser Platte, den Trios von Josef Suk und Antonin Dvořák. Da gibt es einerseits die Vorliebe für schlichte, liedhafte Themen und andererseits eine auffallend vitale Rhythmik, eine Energie der Bewegung, die die drei Instrumente mitunter regelrecht fortreißt. Einfachheit und Lebendigkeit, mit diesen vermeintlichen Tugenden vom Lande setzt die tschechische Musik ein Ausrufezeichen – und attackiert die etablierte deutsche Kultur der herrschenden Eliten als eine Kultur der Städte. Das Feininger Trio kehrt in seinen Aufnahmen denn auch gerade diese Seite besonders deutlich hervor: die vitale Natürlichkeit, den Schwung, den Vorwärtsdrang.
    Nehmen wir als Beispiel das fröhlich stolpernde Finale des Klaviertrios von Joseph Suk - eine so übermütig-ausgelassene Musik wäre einem Schumann, Bruckner, ja vermutlich auch einem Johannes Brahms nie in den Sinn gekommen.
    Suk - Klaviertrio c-Moll op.2, Finale
    Wie gesagt, mit den nationalen Idiomen ist es eine schwierige Angelegenheit: man kann sie identifizieren, sollte sich vor patriotischen Schlussfolgerungen aber hüten. Längst wissen wir, dass man auch unter Chinesen großartige Beethoven-Interpreten findet und Musiker, auch wenn sie mitten in New York aufgewachsen sind, ein durchaus profundes Verständnis entwickeln können für die Wiener Befindlichkeit eines Franz Schubert. Und so kann uns auch nicht verwundern, wenn das eindrucksvolle Plädoyer für tschechische Kammermusik hier von einem Ensemble gehalten wird, das aus drei Schweizern besteht, die in Berlin leben: vom Pianisten Adrian Oetiker und zwei Mitgliedern der Berliner Philharmoniker, dem Geiger Christoph Streuli und dem Cellisten David Riniker. Ihr 2005 gegründetes Trio haben sie nach dem Bauhaus-Künstler Lyonel Feininger benannt, der ganz in der Nähe des gemeinsamen Proberaums sein Atelier hatte.
    Das Trio trifft sich eher sporadisch: Die CD mit den drei tschechischen Klaviertrios ist tatsächlich die erste des Ensembles. Die Aufnahmen sind auch nicht en bloc entstanden, sondern verstreut über sechs Jahre. Ausgerechnet die jüngste mit dem Dvořák-Trio ist die schwächere - die beiden Streicher Streuli und Riniker klingen mitunter, als ob sie nicht vor, sondern hinter dem Flügel ihres Kollegen Oetiker säßen: dem Ensembleklang fehlt es ein wenig an Kompaktheit und Prägnanz - dies vielleicht auch nur ein Manko der Audiotechnik. Spielerisch jedenfalls geben sich die Drei keine Blöße: Oetiker nicht, der auch den sehr virtuosen, von Liszt und Chopin beeinflussten Klavierpart des Smetana-Trios mit leichter Hand bewältigt und dabei so kraftvoll wie deutlich gestaltet, und auch nicht Streuli und Riniker mit ihrer sehr geschmeidigen, fasslichen Phrasierung. Was die Feiningers spielen, klingt stichhaltig - und es klingt unverbraucht und relevant.
    So gelingt ihnen mit ihrer Debüt-CD am Ende etwas sehr bemerkenswertes: Sie bringen den Hörer zurück in jene Aufbruchsstimmung, die damals geherrscht haben muss, als Joseph Suk, Antonin Dvořák und Bedřich Smetana ihre Klaviertrios schrieben.
    Smetana - Klaviertrio g-Moll op.15, Finale
    Das war das Finale des Klaviertrios op. 15 von Bedřich Smetana - gemeinsam mit Werken von Josef Suk und Antonin Dvořák eingespielt vom Feininger Trio. Die Aufnahmen der drei tschechischen Klaviertrios sind beim Label Cavi Music erschienen - und wurden Ihnen vorgestellt von Raoul Mörchen.