Dirk-Oliver Heckmann: Dass Sozialdemokraten Wahlen auch wieder gewinnen können, das hat die Landtagswahl in Bremen vorgestern gezeigt. Die Sozialdemokraten unter Jens Böhrnsen haben zwar Stimmen verloren, und das nicht zu knapp, aber sie bleiben größte Fraktion und können sich nun ihren Partner sogar aussuchen. Die Frage war nun, welche Auswirkungen hat das auf die Große Koalition im Bund? Würde der SPD-Wahlsieg neuen Handlungsspielraum eröffnen innerhalb der Großen Koalition, oder sollten die Fronten zwischen Union und SPD weiter verhärtet bleiben. Gestern Abend tagte der Koalitionsausschuss, dabei gab es eine Einigung beim Ausbau der Krippenplätze, doch beim Mindestlohn, wie er von den Sozialdemokraten gefordert wird, da blieben die Fronten verhärtet.
Björn Böhning ist Chef des Jugendverbands der SPD, der Jungsozialisten, und Mitglied des Bundesvorstands der Sozialdemokraten. Jetzt ist er bei uns am Telefon. Guten Morgen!
Björn Böhning: Schönen guten Morgen!
Heckmann: Herr Böhning, ist das Glas für Sie nun halb voll oder halb leer?
Böhning: Ich denke, dass es erstmal ein großer Erfolg ist, dass wir bei der Krippenbetreuung eine Lösung gefunden haben, wobei man die Einzelheiten der Einigung noch prüfen muss. Es ist aber erstmal ein gutes Zeichen für die Eltern in Deutschland, dass zukünftig eine Krippenbetreuung möglich sein wird. Zweitens ist es schon ein einmaliger Vorgang, dass sich eine Volkspartei in Deutschland für Hungerlöhne und für die Existenz von Hungerlöhnen einsetzt. Deswegen bin ich sehr erschrocken darüber, dass beim Mindestlohn keinerlei Einigung möglich war.
Heckmann: Das ist schwerer Tobak, Herr Böhning. Nichts anderes war von Ihnen zu erwarten. Bleiben wir aber erstmal beim Thema Krippenausbau. Da ist ja jetzt beschlossen worden, dass ab dem Jahr 2013 ein Rechtsanspruch für Kinder unter drei Jahren festgeschrieben sein soll. Dafür hat sich die Union durchgesetzt mit ihrer Forderung nach einem so genannten Erziehungsbonus, das heißt also, das ist Geld für Eltern, die ihre Kinder lieber zu Hause erziehen möchten. Zuvor, vor dieser Einigung, machte das böse Wort von der Herdpauschale die Runde.
Böhning: Es ist, glaube ich, erstmal eine Befriedung der konservativsten Schichten, die die Union zu vertreten hat. Wenn die Einigung dafür ist, dass wir zukünftig eine Krippenbetreuung in Deutschland haben, die flächendeckend organisiert ist, ein Recht auf Krippenbetreuung, dann kann man sicherlich mit diesem Kompromiss leben. Grundsätzlich ist dies aber eine Prämie für die CDU-Wählerinnen und -Wähler, und das muss jetzt jeder persönlich bewerten, ob eine solche Geldleistung für die eigenen Wählerinnen und Wähler sinnvoll ist.
Heckmann: Aber ist es nicht auch eine Frage der Gerechtigkeit, dass die Eltern, die eben zu Hause bleiben und sich dazu entscheiden, nicht arbeiten zu gehen, dass die nicht leer ausgehen.
Böhning: Die Eltern sind ja durch umfangreiche Maßnahmen, Steuerrecht und insbesondere auch durch das neue Elterngeld, haben die schon eine Möglichkeit, hier auch steuerlich entlastet zu werden und Zuschüsse zu bekommen.
Heckmann: Das Elterngeld gilt aber nur für ein Jahr.
Böhning: Aber ob hier ein weiterer Bonus über die Jahre hinaus notwendig ist, der ist ja auch nicht so groß, wenn ich das richtig verstanden habe, das muss man sich schon fragen. Ob das Geld nicht lieber investiert werde bei dem Thema der Infrastruktur vor Ort, da gehört nicht nur die Krippenbetreuung dazu, sondern auch die Erziehungsberatung, ähnliche Dinge, das muss man sich in der Tat fragen. Aber wenn das der Kompromiss ist, dann ist das in Ordnung, und wir haben zukünftig ein Recht auf Kinderbetreuung, Krippenbetreuung. Das ist gut.
Heckmann: Die Union wirft Ihnen vor, dass sie nach wie vor versuchen, in die Entscheidungsfreiheit der Eltern einzugreifen.
Böhning: Das ist konservative Rhetorik und Stimmungsmache und hat mit der Realität in Deutschland nichts mehr zu tun.
Heckmann: Die Finanzierung ist weiterhin unklar, Björn Böhning, dazu bedarf es noch einer Entscheidung. Die SPD schließt aber weiterhin nicht aus, auf die Erhöhung des Kindergelds zu verzichten. Meinen Sie, das ist eine gute Idee, die auch bei Ihrer Klientel gut ankommt?
Böhning: Unser Vorschlag geht in die Richtung, da wir bei der Frage des Ehegattensplittings eine Einschränkung vornehmen. Das Ehegattensplitting hat in der Vergangenheit dazu geführt, dass es eine Zu-Hause-bleib-Prämie für Frauen gibt. Das wollen wir nicht aus gleichstellungspolitischen Gesichtspunkten heraus. Und zweitens ist es, glaube ich, viel sinnvoller als in die individuelle Transferleistung zu investieren, sprich das Kindergeld, in funktionierende Infrastruktur zu investieren. Das zeigen übrigens auch alle Studien, auch alle Erfahrungen in anderen Ländern Europas. Insofern finde ich das einen richtigen Vorschlag. Jetzt muss man gucken, wie weit mit der Union eine Lösung möglich ist.
Heckmann: Sie wissen, dass mit der Union eine Kürzung des Ehegattensplittings nicht zu machen ist?
Böhning: Das ist sicherlich richtig, aber auch die Union will hier eine Umgestaltung des Ehegattensplittings vornehmen hin zu einem Familiensplitting, was wir aus gleichstellungspolitischen Gesichtspunkten heraus ablehnen. Nichtsdestotrotz glaube ich, dass man zu Lösungen kommen muss, weil wir wissen, dass beispielsweise auch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und die Attraktivität für Frauen, einen Arbeitsplatz zu erwerben, durch das Ehegattensplitting massiv beeinträchtigt wird.
Heckmann: Herr Böhning, beim Mindestlohn, Sie haben es gerade eben schon angedeutet, gab es keine Einigung. Das ist allerdings eine gute Nachricht für Geringqualifizierte und Langzeitarbeitslose, wenn man jedenfalls Bert Rürup folgt, dem Chef der Wirtschaftsweisen, denn ein Mindestlohn würde deren Chancen erschweren, einen Job zu finden.
Böhning: Auch das ist sicherlich eher Pseudowissenschaft denn wirklich eine realistische Annahme, denn wir haben in 20 von 27 europäischen Ländern einen Mindestlohn. Großbritannien beispielsweise hat den Mindestlohn vor wenigen Jahren eingeführt. Dort gibt es eine low-pay-commission aus Arbeitgebern und Arbeitnehmern, die jedes Jahr Bericht über die Beschäftigungssituation vorlegen, und jedes Jahr kommen sie zu dem Ergebnis, es gibt keine Beeinträchtigung beim Aufbau der Beschäftigung. In anderen europäischen Ländern ist das auch so. Insofern, der Mindestlohn hat, wenn überhaupt, eher positive Auswirkungen auf die Beschäftigung, weil er die Konjunkturbasis stabilisiert.
Heckmann: Sie sprechen von Pseudowissenschaft im Fall von Bert Rürup. Dann müssten Sie allerdings auch sagen, dass Herr Rürup an der Stelle, an der er jetzt sitzt, nicht richtig sitzt.
Böhning: Ich glaube erstmal, dass es hier eine ideologische Auseinandersetzung gibt, eine schwierige Debatte in Deutschland darüber, ob es so etwas wie Mindestlöhne, die bisher nur tariflich geschaffen worden sind, geben soll. Und da müssen sich manche von ihren Vorstellungen, die von vor 10, 20 Jahren herrühren, verabschieden.
Heckmann: Das heißt, der Chef der Wirtschaftsweisen ist nicht neutral.
Böhning: Er hat seine persönliche Meinung, und diese persönliche Meinung muss ich nicht teilen.
Heckmann: Immerhin eine Einigung gab es, was die Geringverdiener betrifft. Und zwar sollen die von Sozialabgaben in Zukunft befreit werden. Ist das ein Schritt in die richtige Richtung?
Böhning: Das ist erstmal ein Schritt in die richtige Richtung, weil es zur Ordnung des Niedriglohnsektors beiträgt und dazu führt, dass der Wildwuchs, der im Bereich der Aufstocker entstanden ist, auch die Unternehmen, die dort ihre Löhne reduziert haben, um sich vom Staat zusätzliche Sozialleistungen geben zu lassen, dass das eingeschränkt wird. Und das begrüße ich sehr.
Heckmann: Herr Böhning, der Koalitionsausschuss hat in der Nacht auch den Kompromiss zur Reform der Erbschaftssteuer bestätigt. Der sieht vor, dass es mindestens bei dem jetzigen Niveau der Einnahmen bleiben soll. Sie aber, sie wollten mehr.
Böhning: Ja, das halte ich für zu wenig, weil ich glaube, dass wir, wenn wir eine Unternehmenssteuerreform machen, die zirka fünf Milliarden Euro an Steuerausfällen jedes Jahr in Deutschland auswirken wird, dass wir eine höhere Erbschaftsbesteuerung, sprich die höhere Besteuerung von großen Erbschaften, brauchen. Ich habe die große Sorge, dass eine jetzt vereinbarte Aufkommensneutralität bei der Erbschaftssteuer später dann im Verfahren des Bundesrates über die Unionsländer wieder gekippt wird. Das ist ein altes Spiel, was wir in der Großen Koalition schon häufig erlebt haben. Deswegen halte ich diese Einigung für höchst fahrlässig.
Heckmann: Das heißt, Sie sprechen sich dafür aus, dass in den Parteigremien und auch in der Bundestagsfraktion beides abgelehnt wird, Erbschaftssteuer als auch die Reform der Unternehmenssteuer?
Böhning: Ich spreche mich dafür aus, dass es erstmal eine Koppelung zwischen Erbschaftssteuerreform und Unternehmenssteuerreform gibt, und dass die SPD-Position weiter eine Erhöhung der Erbschaftssteuer sein sollte.
Heckmann: Und der Kompromiss, der erzielt worden ist, der ist falsch?
Böhning: Dieser Kompromiss ist nicht tragfähig, weil er dazu führen wird, dass die Union im Verfahren des Bundesrates eine weitere Einschränkung der Erbschaftssteuer durchsetzen wird.
Heckmann: Herr Böhning, die Linkspartei, die Linke hat in Bremen Fuß gefasst, erstmals in einem westdeutschen Bundesland. Wie soll die SPD darauf reagieren? Diese Partei links von der SPD angreifen oder sich ihr öffnen, wie ihr Parteikollege Ottmar Schreiner gefordert hat?
Böhning: Ich denke, sowohl als auch. Eine Tabuisierung des Phänomens Linkspartei ist sicherlich nicht mehr tragfähig, sondern wir brauchen eine Auseinandersetzung mit deren wirklich unseriösen Programmvorschlägen. Da muss man auch deutlich machen, dass diese niemals weder finanzierbar noch realistisch sind. Zum Zweiten müssen wir natürlich auch auf Angriff fahren, und das können wir dann, wenn wir uns mit den Argumenten dieser Partei auseinandersetzen. Wenn das nicht stattfindet, sondern man einfach zur Tagesordnung übergeht, dann wäre dies sicherlich die falsche Strategie und würde auch der Linkspartei in die Hände spielen.
Heckmann: Das heißt, eine Koalition mit der Linkspartei ist auf lange Sicht für Sie nicht ausgeschlossen?
Böhning: Eine Koalition mit der Linkspartei ist im Jahre 2013 und folgende sicherlich nicht ausgeschlossen. In nächster Zukunft ist das keine Option. Nichtsdestotrotz gibt es ein Projekt zur Halbierung der Linkspartei und das bedeutet, mit ihr koalieren.
Heckmann: Ganz kurz zum Schluss, Herr Böhning, die Wahlbeteiligung in Bremen war extrem niedrig. Haben die Menschen das Interesse an Politik verloren, und wenn ja, womit hängt das zusammen?
Böhning: Ich befürchte erstmal, dass sich weite Bevölkerungsgruppen zunehmend von der Demokratie und der Politik entfernen. Das muss allen demokratischen Parteien Grund zur Sorge sein. Da müsste man versuchen, konkretere Anspracheformen auch vor Ort zu entwickeln. Zweitens hat dies sicherlich aber auch mit der Großen Koalition insgesamt, also im Bund, zu tun. Eine Mobilisierung der jeweils anderen Partei gegen die große Ebene in der Bundespolitik findet nicht mehr statt. Insofern sind die harten Auseinandersetzungen vor Ort dann auch geringer geworden. Das hat sich ja in Bremen auch gezeigt, wo die Polarisierung dann auch fehlte. Und das führt dann zu solchen Ergebnissen. Aber wie gesagt, darüber muss man sich ernsthaft Gedanken machen in allen Parteien.
Heckmann: Björn Böhning war das, der Chef der Jungsozialisten hier im Interview im Deutschlandfunk. Herr Böhning, ich danke Ihnen für das Gespräch.
Böhning: Gerne, schönen Tag.
Björn Böhning ist Chef des Jugendverbands der SPD, der Jungsozialisten, und Mitglied des Bundesvorstands der Sozialdemokraten. Jetzt ist er bei uns am Telefon. Guten Morgen!
Björn Böhning: Schönen guten Morgen!
Heckmann: Herr Böhning, ist das Glas für Sie nun halb voll oder halb leer?
Böhning: Ich denke, dass es erstmal ein großer Erfolg ist, dass wir bei der Krippenbetreuung eine Lösung gefunden haben, wobei man die Einzelheiten der Einigung noch prüfen muss. Es ist aber erstmal ein gutes Zeichen für die Eltern in Deutschland, dass zukünftig eine Krippenbetreuung möglich sein wird. Zweitens ist es schon ein einmaliger Vorgang, dass sich eine Volkspartei in Deutschland für Hungerlöhne und für die Existenz von Hungerlöhnen einsetzt. Deswegen bin ich sehr erschrocken darüber, dass beim Mindestlohn keinerlei Einigung möglich war.
Heckmann: Das ist schwerer Tobak, Herr Böhning. Nichts anderes war von Ihnen zu erwarten. Bleiben wir aber erstmal beim Thema Krippenausbau. Da ist ja jetzt beschlossen worden, dass ab dem Jahr 2013 ein Rechtsanspruch für Kinder unter drei Jahren festgeschrieben sein soll. Dafür hat sich die Union durchgesetzt mit ihrer Forderung nach einem so genannten Erziehungsbonus, das heißt also, das ist Geld für Eltern, die ihre Kinder lieber zu Hause erziehen möchten. Zuvor, vor dieser Einigung, machte das böse Wort von der Herdpauschale die Runde.
Böhning: Es ist, glaube ich, erstmal eine Befriedung der konservativsten Schichten, die die Union zu vertreten hat. Wenn die Einigung dafür ist, dass wir zukünftig eine Krippenbetreuung in Deutschland haben, die flächendeckend organisiert ist, ein Recht auf Krippenbetreuung, dann kann man sicherlich mit diesem Kompromiss leben. Grundsätzlich ist dies aber eine Prämie für die CDU-Wählerinnen und -Wähler, und das muss jetzt jeder persönlich bewerten, ob eine solche Geldleistung für die eigenen Wählerinnen und Wähler sinnvoll ist.
Heckmann: Aber ist es nicht auch eine Frage der Gerechtigkeit, dass die Eltern, die eben zu Hause bleiben und sich dazu entscheiden, nicht arbeiten zu gehen, dass die nicht leer ausgehen.
Böhning: Die Eltern sind ja durch umfangreiche Maßnahmen, Steuerrecht und insbesondere auch durch das neue Elterngeld, haben die schon eine Möglichkeit, hier auch steuerlich entlastet zu werden und Zuschüsse zu bekommen.
Heckmann: Das Elterngeld gilt aber nur für ein Jahr.
Böhning: Aber ob hier ein weiterer Bonus über die Jahre hinaus notwendig ist, der ist ja auch nicht so groß, wenn ich das richtig verstanden habe, das muss man sich schon fragen. Ob das Geld nicht lieber investiert werde bei dem Thema der Infrastruktur vor Ort, da gehört nicht nur die Krippenbetreuung dazu, sondern auch die Erziehungsberatung, ähnliche Dinge, das muss man sich in der Tat fragen. Aber wenn das der Kompromiss ist, dann ist das in Ordnung, und wir haben zukünftig ein Recht auf Kinderbetreuung, Krippenbetreuung. Das ist gut.
Heckmann: Die Union wirft Ihnen vor, dass sie nach wie vor versuchen, in die Entscheidungsfreiheit der Eltern einzugreifen.
Böhning: Das ist konservative Rhetorik und Stimmungsmache und hat mit der Realität in Deutschland nichts mehr zu tun.
Heckmann: Die Finanzierung ist weiterhin unklar, Björn Böhning, dazu bedarf es noch einer Entscheidung. Die SPD schließt aber weiterhin nicht aus, auf die Erhöhung des Kindergelds zu verzichten. Meinen Sie, das ist eine gute Idee, die auch bei Ihrer Klientel gut ankommt?
Böhning: Unser Vorschlag geht in die Richtung, da wir bei der Frage des Ehegattensplittings eine Einschränkung vornehmen. Das Ehegattensplitting hat in der Vergangenheit dazu geführt, dass es eine Zu-Hause-bleib-Prämie für Frauen gibt. Das wollen wir nicht aus gleichstellungspolitischen Gesichtspunkten heraus. Und zweitens ist es, glaube ich, viel sinnvoller als in die individuelle Transferleistung zu investieren, sprich das Kindergeld, in funktionierende Infrastruktur zu investieren. Das zeigen übrigens auch alle Studien, auch alle Erfahrungen in anderen Ländern Europas. Insofern finde ich das einen richtigen Vorschlag. Jetzt muss man gucken, wie weit mit der Union eine Lösung möglich ist.
Heckmann: Sie wissen, dass mit der Union eine Kürzung des Ehegattensplittings nicht zu machen ist?
Böhning: Das ist sicherlich richtig, aber auch die Union will hier eine Umgestaltung des Ehegattensplittings vornehmen hin zu einem Familiensplitting, was wir aus gleichstellungspolitischen Gesichtspunkten heraus ablehnen. Nichtsdestotrotz glaube ich, dass man zu Lösungen kommen muss, weil wir wissen, dass beispielsweise auch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und die Attraktivität für Frauen, einen Arbeitsplatz zu erwerben, durch das Ehegattensplitting massiv beeinträchtigt wird.
Heckmann: Herr Böhning, beim Mindestlohn, Sie haben es gerade eben schon angedeutet, gab es keine Einigung. Das ist allerdings eine gute Nachricht für Geringqualifizierte und Langzeitarbeitslose, wenn man jedenfalls Bert Rürup folgt, dem Chef der Wirtschaftsweisen, denn ein Mindestlohn würde deren Chancen erschweren, einen Job zu finden.
Böhning: Auch das ist sicherlich eher Pseudowissenschaft denn wirklich eine realistische Annahme, denn wir haben in 20 von 27 europäischen Ländern einen Mindestlohn. Großbritannien beispielsweise hat den Mindestlohn vor wenigen Jahren eingeführt. Dort gibt es eine low-pay-commission aus Arbeitgebern und Arbeitnehmern, die jedes Jahr Bericht über die Beschäftigungssituation vorlegen, und jedes Jahr kommen sie zu dem Ergebnis, es gibt keine Beeinträchtigung beim Aufbau der Beschäftigung. In anderen europäischen Ländern ist das auch so. Insofern, der Mindestlohn hat, wenn überhaupt, eher positive Auswirkungen auf die Beschäftigung, weil er die Konjunkturbasis stabilisiert.
Heckmann: Sie sprechen von Pseudowissenschaft im Fall von Bert Rürup. Dann müssten Sie allerdings auch sagen, dass Herr Rürup an der Stelle, an der er jetzt sitzt, nicht richtig sitzt.
Böhning: Ich glaube erstmal, dass es hier eine ideologische Auseinandersetzung gibt, eine schwierige Debatte in Deutschland darüber, ob es so etwas wie Mindestlöhne, die bisher nur tariflich geschaffen worden sind, geben soll. Und da müssen sich manche von ihren Vorstellungen, die von vor 10, 20 Jahren herrühren, verabschieden.
Heckmann: Das heißt, der Chef der Wirtschaftsweisen ist nicht neutral.
Böhning: Er hat seine persönliche Meinung, und diese persönliche Meinung muss ich nicht teilen.
Heckmann: Immerhin eine Einigung gab es, was die Geringverdiener betrifft. Und zwar sollen die von Sozialabgaben in Zukunft befreit werden. Ist das ein Schritt in die richtige Richtung?
Böhning: Das ist erstmal ein Schritt in die richtige Richtung, weil es zur Ordnung des Niedriglohnsektors beiträgt und dazu führt, dass der Wildwuchs, der im Bereich der Aufstocker entstanden ist, auch die Unternehmen, die dort ihre Löhne reduziert haben, um sich vom Staat zusätzliche Sozialleistungen geben zu lassen, dass das eingeschränkt wird. Und das begrüße ich sehr.
Heckmann: Herr Böhning, der Koalitionsausschuss hat in der Nacht auch den Kompromiss zur Reform der Erbschaftssteuer bestätigt. Der sieht vor, dass es mindestens bei dem jetzigen Niveau der Einnahmen bleiben soll. Sie aber, sie wollten mehr.
Böhning: Ja, das halte ich für zu wenig, weil ich glaube, dass wir, wenn wir eine Unternehmenssteuerreform machen, die zirka fünf Milliarden Euro an Steuerausfällen jedes Jahr in Deutschland auswirken wird, dass wir eine höhere Erbschaftsbesteuerung, sprich die höhere Besteuerung von großen Erbschaften, brauchen. Ich habe die große Sorge, dass eine jetzt vereinbarte Aufkommensneutralität bei der Erbschaftssteuer später dann im Verfahren des Bundesrates über die Unionsländer wieder gekippt wird. Das ist ein altes Spiel, was wir in der Großen Koalition schon häufig erlebt haben. Deswegen halte ich diese Einigung für höchst fahrlässig.
Heckmann: Das heißt, Sie sprechen sich dafür aus, dass in den Parteigremien und auch in der Bundestagsfraktion beides abgelehnt wird, Erbschaftssteuer als auch die Reform der Unternehmenssteuer?
Böhning: Ich spreche mich dafür aus, dass es erstmal eine Koppelung zwischen Erbschaftssteuerreform und Unternehmenssteuerreform gibt, und dass die SPD-Position weiter eine Erhöhung der Erbschaftssteuer sein sollte.
Heckmann: Und der Kompromiss, der erzielt worden ist, der ist falsch?
Böhning: Dieser Kompromiss ist nicht tragfähig, weil er dazu führen wird, dass die Union im Verfahren des Bundesrates eine weitere Einschränkung der Erbschaftssteuer durchsetzen wird.
Heckmann: Herr Böhning, die Linkspartei, die Linke hat in Bremen Fuß gefasst, erstmals in einem westdeutschen Bundesland. Wie soll die SPD darauf reagieren? Diese Partei links von der SPD angreifen oder sich ihr öffnen, wie ihr Parteikollege Ottmar Schreiner gefordert hat?
Böhning: Ich denke, sowohl als auch. Eine Tabuisierung des Phänomens Linkspartei ist sicherlich nicht mehr tragfähig, sondern wir brauchen eine Auseinandersetzung mit deren wirklich unseriösen Programmvorschlägen. Da muss man auch deutlich machen, dass diese niemals weder finanzierbar noch realistisch sind. Zum Zweiten müssen wir natürlich auch auf Angriff fahren, und das können wir dann, wenn wir uns mit den Argumenten dieser Partei auseinandersetzen. Wenn das nicht stattfindet, sondern man einfach zur Tagesordnung übergeht, dann wäre dies sicherlich die falsche Strategie und würde auch der Linkspartei in die Hände spielen.
Heckmann: Das heißt, eine Koalition mit der Linkspartei ist auf lange Sicht für Sie nicht ausgeschlossen?
Böhning: Eine Koalition mit der Linkspartei ist im Jahre 2013 und folgende sicherlich nicht ausgeschlossen. In nächster Zukunft ist das keine Option. Nichtsdestotrotz gibt es ein Projekt zur Halbierung der Linkspartei und das bedeutet, mit ihr koalieren.
Heckmann: Ganz kurz zum Schluss, Herr Böhning, die Wahlbeteiligung in Bremen war extrem niedrig. Haben die Menschen das Interesse an Politik verloren, und wenn ja, womit hängt das zusammen?
Böhning: Ich befürchte erstmal, dass sich weite Bevölkerungsgruppen zunehmend von der Demokratie und der Politik entfernen. Das muss allen demokratischen Parteien Grund zur Sorge sein. Da müsste man versuchen, konkretere Anspracheformen auch vor Ort zu entwickeln. Zweitens hat dies sicherlich aber auch mit der Großen Koalition insgesamt, also im Bund, zu tun. Eine Mobilisierung der jeweils anderen Partei gegen die große Ebene in der Bundespolitik findet nicht mehr statt. Insofern sind die harten Auseinandersetzungen vor Ort dann auch geringer geworden. Das hat sich ja in Bremen auch gezeigt, wo die Polarisierung dann auch fehlte. Und das führt dann zu solchen Ergebnissen. Aber wie gesagt, darüber muss man sich ernsthaft Gedanken machen in allen Parteien.
Heckmann: Björn Böhning war das, der Chef der Jungsozialisten hier im Interview im Deutschlandfunk. Herr Böhning, ich danke Ihnen für das Gespräch.
Böhning: Gerne, schönen Tag.