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Börsenspektakel um Facebook

Es ist der bislang größte Börsengang eines Internetunternehmens. Und er wird seine Eigentümer reich machen. Ob freilich auch die Anleger davon profitieren werden, bleibt abzuwarten.

Von Philipp Schnee | 18.05.2012
    Gleich zu Beginn: 100 Milliarden Dollar – das ist Facebook noch lange nicht wert. Da sind sich alle Analysten einig. Doch das Unternehmen hat enormes Potenzial. Eine Investition in Facebook: Das ist eine Wette auf die Zukunft. Wie riskant sie ist, das wird ganz unterschiedlich bewertet:

    "Die entscheidende Frage ist, was den Optimismus angeht, ob man daran glaubt, dass Facebook in fünf Jahren noch existiert."

    Christian Schulze von der Frankfurt School of Finance and Management. Schulze ist recht optimistisch:

    "Meine persönliche Meinung ist, dass sie bisher vieles richtig gemacht haben, insbesondere in einer Industrie, die auf Netzeffekten basiert, die darauf basiert, dass mein Freund auch im Netzwerk ist und ich das soziale Netzwerk nicht wechsle. Da haben sie auf das große Wachstum gesetzt."

    Facebook ist erfolgreich. Erfolgreich, was das Sammeln von Nutzern angeht, unbestreitbar: In den letzten Jahren hat Facebook-Chef Mark Zuckerberg alles auf Expansion gesetzt. 900 Millionen Nutzer zählt das soziale Netzwerk weltweit und erreicht damit eine Masse, an der keine Werbefirma heutzutage vorbeikommt.

    Doch jetzt, mit dem prognostizierten Börsenwert von mehr als 100 Milliarden Dollar, da kommt es darauf an, dieses Wachstum endlich zu barem Geld zu machen, auch in Umsatz und Gewinn umzumünzen. Entscheidend hierbei: Wie viel Einahmen kann Facebook aus jedem einzelnen Nutzer ziehen, wie viel sind die Datenberge wirklich wert?
    "Für die Werbung ist natürlich die entscheidende Frage immer nicht nur, wieviele Menschen sind es, sondern sind es die richtigen und was machen die Leute auf der Plattform."

    Denn bei dem pro Nutzer erwirtschaftetem Gewinn liege Facebook weit hinter Konkurrent Google, so Christian Schulze. Weltweit nur bei 1,20 Dollar 20 pro Jahr pro Nutzer, sagt der IT-Marketing-Berater Ossi Urchs:

    "Jetzt muss man aber sehen, dass die Umsätze mit amerikanischen Nutzern schon deutlich drüberlagen, bei etwa zehn Dollar. Das heißt, man wird im Wesentlichen bei Facebook versuchen müssen, die Modelle, die in den USA attraktiv sind entweder auf andere Länder zu übertragen oder dort ähnlich funktionierende, ähnlich erfolgreiche Modelle zu entwickeln. Das ist die Schwierigkeit vor der Facebook heute steht."

    Denn die Schwierigkeit vor der Facebook steht, das ist, den enormen Vorschusslorbeeren gerecht zu werden: 2011 erzielte das Unternehmen einen Gewinn von einer Milliarde Dollar: Der prognostizierte Börsenwert – rund 100 Milliarden Dollar: Das ergibt ein sehr optimistisches Kurs-Gewinn-Verhältnis von 100:1, ein Standardmaß mit dem Aktienanalysten Unternehmen beurteilen. Der momentan wertvollste Konzern der Welt, Apple, ist dazu im Vergleich ein Schnäppchen mit einem Verhältnis von 14:1.

    Facebook muss also seine Einnahmen kräftig steigern – auf mindestens zwei Dollar pro Nutzer pro Monat in den nächsten fünf Jahren, sagt Christian Schulze. Allein Werbung reiche da nicht mehr aus:

    "Ich glaube, dass die Werbeeinnahmen sicherlich ein wesentlicher Faktor des Facebook-Umsatzes und letztlich auch Gewinns sein werden, aber sicherlich nicht die einzige Möglichkeit. Nicht zuletzt entsteht der Nutzen, den Facebook aus den Nutzern zieht, auch dadurch, dass sie viel Zeit auf der Seite verbringen, dass diese Seite zum zentralen Anlaufpunkt vieler Nutzer wird, wenn sie ins Internet gehen"

    Anders gesagt: Facebook darf nicht irgendeine Seite sein. Facebook muss das Internet werden. Ein Kommunikationskanal, den Millionen Nutzer für all ihre Aktivitäten im Netz nutzen: Um seine Stellung als Platzhirsch nachhaltig zu sichern, und, so Christan Schulze, um auch Bezahlmodelle zu etablieren: Ein App-Markt wie Apple, Marktplätze wie Ebay oder Amazon, bezahlte Webauftritte von Firmen wären denkbar.

    Sorgfältig austariert werden muss dabei immer der Interessenskonflikt zwischen Werbekunden, die alles und immer mehr wissen möchten, und Nutzern, die ihre Privatsphäre geschützt wissen wollen, betont Ossi Urchs:

    "Facebook ist ganz wesentlich vom Wohlwollen und Sympathie der Nutzer angewiesen. Facebook wird sicherlich auch alles unterlassen, was diese Nutzer verschreckt und beispielsweise dazu bewegt, zu einer alternativen Plattform zu wechseln."

    Der massive Umzug der Nutzer – weg von Facebook zum nächsten großen Ding im schnelllebigen Internet – dieses Szenario schwebt wie ein Damoklesschwert über dem Geschäftsmodell des Unternehmens. Doch Urchs und auch Schulze sind sich sicher: Facebook hat gar keine so schlechte Karten:

    "Ich hab dort meine ganzen Freunde. Ich müsste meine ganzen Inhalte mitnehmen, meine Fotos meine Posts und dadurch baut Facebook, je länger die Nutzer bei Facebook sind, natürlich enorme Wechselkosten auf"

    Unterm Strich: Facebook muss es schaffen, so dominant zu bleiben und gleichzeitig den Hebel umzulegen, aus dieser Dominanz Profit zu schlagen. Und dabei ein enormes Wachstumstempo beibehalten, um den 100 Milliarden Dollar irgendwann gerecht zu werden. Enorm sportlich findet Ossi Urchs die Bewertung:

    "Das ist sicherlich eine Wette auf die Zukunft. Man braucht schon Spaß am Abenteuer, wenn man sich auf ein solches Investment einlassen möchte. Aber es ist sicherlich auch nichts, wo man sagen würde, dass gehört ins Reich der Fantasie, so wie wir das Mal beim Platzen der Dotcom-Blase erlebt haben"

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