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"Facebook ist sicherlich alles andere als eine sichere Investition"

Die Herausforderung für Facebook sei es, die Nutzerzahl auszubauen und deutlich mehr Geld zu verdienen, sagt Christian Schulze von der Frankfurt School of Finance and Management. Der Wert eines Unternehmens messe sich nämlich letztlich nicht an der Anzahl der Nutzer, sondern am Gewinn.

Christian Schulze im Gespräch mit Dirk Müller | 18.05.2012
    Dirk Müller: Die Börse ist bereit zu einem Börsengang einer Internetfirma, die eine völlig neue Dimension einziehen kann und einziehen soll. Kurz vor dem Countdown hat das soziale Netzwerk, wie viele das Unternehmen nennen, noch einmal kräftig draufgesattelt: Facebook verlangt 38 Dollar pro Aktie, macht möglicherweise einen Unternehmenswert von über 100 Milliarden Dollar insgesamt. Das wäre ein Internetriese, der alles bislang da gewesene in den Schatten stellt. Aber ist Facebook wirklich so viel wert und ist Facebook wirklich die Zukunft? Darüber sprechen wollen wir nun mit dem Marketingfachmann Professor Christian Schulze von der Frankfurt School of Finance and Management, guten Morgen!

    Christian Schulze: Guten Morgen!

    Müller: Herr Schulze, kaufen Sie Facebook-Aktien?

    Schulze: Nein, ich kaufe keine Facebook-Aktien, aber das würde auch überhaupt nicht zu meinem Risikoprofil passen.

    Müller: Weil?

    Schulze: Ich bin tendenziell eher ein konservativer Anleger und habe wenig Geld zu verlieren. Und Facebook ist sicherlich alles andere als eine sichere Investition.

    Müller: Herr Schulze, wenn wir nach vorne blicken, bevor wir jetzt noch mal auf die Details kommen: Können 900 Millionen Nutzer mit ihrer Präferenz, können diese 900 Millionen Nutzer irren?

    Schulze: Die Frage ist, glaube ich, was tun die Menschen eigentlich auf Facebook? Und ich glaube, da gibt es noch große Unsicherheit auch bei den potenziellen Investoren. Und die 900 Millionen Nutzer sind ja tatsächlich aktive Nutzer, das heißt also, Menschen, die innerhalb der letzten 30 Tage Facebook auch wirklich genutzt haben und sich nicht irgendwann nur angemeldet und wieder verschwunden sind. Und ich glaube, dass das, was Facebook den Menschen bietet, nämlich mit Leuten auf der ganzen Welt im Kontakt zu bleiben, mit ihnen Bilder zu teilen, Nachrichten zu teilen, Videos zu teilen, aber auch vielleicht mit Unternehmen zu kommunizieren, dass das schon nach wie vor interessant für die Nutzer ist und die Leute insofern sich das schon gut überlegen, womit sie ihre Zeit im Internet auch verbringen.

    Müller: Und auch nach wie vor interessant bleiben wird?

    Schulze: Natürlich ist es schwer, in die Zukunft zu schauen. Aber wie anfangs schon gesagt wurden: Die Nutzerzahlen von Facebook wachsen nach wie vor und sogar ziemlich rasant. Alle drei Tage kommen eine Million neue Nutzer hinzu und es sieht im Moment nicht danach aus, dass sich das ganze Wachstum dramatisch verlangsamen wird.

    Müller: Und warum kommen Sie dennoch zu dem Schluss, dass das Ganze relativ unsicher ist?

    Schulze: Facebook hat, glaube ich, zwei Herausforderungen, die sie in den nächsten Jahren meistern müssen: Die erste Herausforderung ist, mit den Nutzern, die sie haben, oder mit jedem einzelnen Nutzer deutlich mehr Geld zu verdienen. Letztendlich misst sich der Wert eines Unternehmens daran, wie groß der Gewinn ist, und nicht, wie groß die Anzahl der Nutzer sind. Und das andere ist, die andere Herausforderung ist, die Anzahl der Nutzer auch zu halten oder sogar noch auszubauen. Und da sehe ich tatsächlich noch die größere Herausforderung.

    Müller: Weil das Geschäftsmodell nicht ausreicht?

    Schulze: Ich glaube, dass Facebook bis jetzt überhaupt noch kaum versucht hat, Geld mit seinen Nutzern zu verdienen. Facebook ist ein soziales Netzwerk und lebt davon, dass möglichst viele Leute dort aktiv sind. Das heißt also, es kann sich nur dann gegen die Konkurrenz auch wirklich dauerhaft durchsetzen, wenn die Leute bei Facebook bleiben. Und das war bisher das primäre Unternehmensziel. Nebenbei ein bisschen Werbung zu schalten und damit Geld zu verdienen, ist sicherlich nur eine Möglichkeit für Facebook und wurde mit Sicherheit auch noch nicht mit voller Macht ausgeübt.

    Müller: Das wird ja bei den Analysten in den Börsen, auf den Finanzmärkten häufig kritisiert: Nur eine Milliarde Gewinn, heißt es da, im Durchschnitt jetzt für Facebook. Und die Tendenz ist noch nicht absehbar. Wir haben andere Konzerne, Deutsche Bank beispielsweise, sechs, sieben Milliarden pro Jahr. Das ist vielen viel zu wenig, und dann gibt es einen Unternehmenswert, der prognostiziert und projektiert wird – wir haben das eben mehrfach gehört – auf fast 100 Milliarden Dollar. Das wäre ein Kurs-Gewinn-Verhältnis von 100 zu eins. Ist das das schlechteste Kurs-Gewinn-Verhältnis, was man sich überhaupt vorstellen kann?

    Schulze: Also, das ist sicherlich schlecht, keine Frage. Wenn man das aber mit anderen Börsengängen, zum Beispiel von Google, vergleicht, sah das beim Google-Börsengang auch ganz ähnlich aus. Und letztendlich hat Google als natürlich eine der größten Erfolgsstorys in den letzten Jahren gezeigt, dass man Gewinne von Quartal zu Quartal konsequent steigern kann und dass man auch mit so einem zunächst einmal ungewöhnlichen Geschäftsmodell, wie im Internet Geld zu verdienen und vielleicht noch nicht einmal irgendein Produkt dabei zu verkaufen, dass man damit richtig, richtig Geld verdienen kann.

    Müller: Liegt die Genialität nicht in dieser Einfachheit, einfach über Anzeigen, über Werbekunden so viel Geld zu machen?

    Schulze: Also, ich glaube, das ist zwar das Geschäftsmodell von Google, aber ich sehe nicht unbedingt, dass das das Geschäftsmodell oder zumindest das Hauptgeschäftsmodell von Facebook in der Zukunft sein wird.

    Müller: Sagen Sie uns, wie die Zukunft aussehen wird in dem Punkt!

    Schulze: Also, ich glaube, dass Facebook viele Möglichkeiten hat, Geld zu verdienen. Auf der einen Seite können die Nutzer zahlen, dafür gibt es diverse Beispiele, wo Internetunternehmen das schon machen, und auf der anderen Seite können Unternehmen zahlen dafür, dass sie beispielsweise auf Facebook präsent sind, dafür, dass sie Apps auf dem Facebook-App-Markt zur Verfügung stellen, oder auch dafür, dass sie über Facebook Transaktionen abwickeln, was sicherlich in Zukunft deutlich wichtiger werden wird.

    Müller: Wir haben auch hier in der Vorbereitung gelesen, dass es noch große Probleme mit den Smartphones gibt, also mit den mobilen Telefonen, mit denen so gut wie jeder gerade auch unter den jungen Menschen jetzt rumlaufen. Die können immer noch keine Anzeigen empfangen, also keine Werbekunden über Facebook empfangen sozusagen.

    Schulze: Ja, das stimmt tatsächlich. Es ist so, dass mehr als die Hälfte aller Mitglieder auf Facebook bereits die mobilen Zugänge nutzen, und jeder, der das schon mal selbst ausprobiert hat, weiß auch, wie unkomfortabel das nach wie vor ist. Jetzt könnte man sagen, das ist eine riesige Schwäche von Facebook; angesichts der großen Kritik an den zu geringen Umsätzen und Gewinnen würde ich das aber eher als große Chance sehen, weil das ja bis jetzt ein Potenzial ist, das Facebook noch gar nicht ausgenutzt hat. Und es sollte eigentlich nicht allzu schwer sein, über eine mobile App oder einen mobilen Zugang auch Werbung zu schalten und Geld zu verdienen. Und ich glaube, dass das Facebook in den nächsten Monaten und spätestens in einem Jahr auch massiv angehen wird.

    Müller: Was spricht dafür, dass die Datendichte, die Datenqualität mit Blick auf die Personen, die aktiv sind bei Facebook, immer größer wird, immer detaillierter wird?

    Schulze: Ja, ich glaube, je länger Sie bei Facebook aktiv sind, umso mehr lernt Facebook natürlich über Sie und umso mehr gewöhnen Sie sich auch daran, das quasi als so eine Art digitales Zuhause zu betrachten. Sie sind bereit, mit ihren Freunden Nachrichten zu teilen, aber damit natürlich auch mit Facebook. Und je länger Sie dabei sind, umso größer ist quasi der Grundstock an Fotos, an Mitteilungen, an Erfahrungen, an Erlebnissen innerhalb des Netzwerks. Und umso geringer ist auch die Wahrscheinlichkeit, dass Sie zur Konkurrenz wechseln werden.

    Müller: Und jeder Datenschützer muss in die Rehaklinik?

    Schulze: Ich glaube, man muss unterscheiden zwischen Datenschutz – im Sinne von gelangen Ihre Daten in die falschen Hände – und Privatsphäre. Was die Privatsphäre angeht, glaube ich, muss ich Ihnen recht geben, das ist natürlich eine große Offenbarung, die jeder einzelne Nutzer da hat, also im Sinne von private Daten, die an das Unternehmen gehen. Im Sinne von Datenschutz würde ich das nicht unbedingt so sehen, Datenschutzprobleme hat die von Ihnen bereits genannte Deutsche Bank auch, wenn die Daten an die Öffentlichkeit gelangen.

    Müller: Also, Sie sehen das relativ gelassen?

    Schulze: Also, ich wüsste jetzt nicht, warum Facebook ein größeres Datenschutzproblem hätte im Sinne von, ja, die Daten sind unsicher. Da gibt es, glaube ich, genug andere Unternehmen, die vor der gleichen Herausforderung stehen und die im Zweifelsfall noch deutlich sensiblere Daten von Ihnen haben, zum Beispiel Ihre Krankenversicherung. Aber die Privatsphäre-Sachen, ist letztendlich die Frage, was jeder Nutzer bereit ist zu teilen. Und da hat man sich, wenn man sich die Internetentwicklung in den letzten zehn, 15 Jahren so anschaut, dann gibt es da sicherlich auch eine enorme Entwicklung von dem, was Nutzer bereit sind, stückchenweise von sich preiszugeben, weil, sie bekommen ja auch etwas dafür. Es ist ja nichts so, dass das Unternehmen ihnen das quasi absaugt oder so, sondern jeder teilt das ja bereitwillig.

    Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk der Marketingfachmann Professor Christian Schulze von der Frankfurt School of Finance and Management, unser Thema: Facebook geht an die Börse. Vielen Dank!

    Schulze: Danke auch!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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