O-Ton Karl-Theodor zu Guttenberg: "Wir haben die Frage nach den Patenten gestellt; dazu ist General Motors grundsätzlich bereit.Wir haben die Frage danach gestellt, ob man auch zu einer Minderheitenbeteiligung in Europa bereit wäre; dazu ist man grundsätzlich bereit. Wir haben die Frage gestellt, ob man bereit ist, die Anteile entsprechend auch ins Spiel zu bringen; dazu ist der Mutterkonzern bereit. Entscheidend ist, ob die amerikanische Regierung das auch mit trägt."
Gerwald Herter: Bundeswirtschaftsminister Karl Theodor zu Guttenberg heute Nacht in den USA über seine Gespräche in Sachen Opel-Rettung. Mit dem amerikanischen Finanzminister Timothy Geithner wird er zwar erst heute Abend in Washington reden; Guttenberg hat aber deutlich gemacht, dass ihm General-Motors-Chef Rick Wagoner Entgegenkommen signalisiert hat.
Ohne einen finanzkräftigen Investor geht es nicht. Auch das ist bei den Gesprächen des deutschen Wirtschaftsministers zu Guttenberg in den USA deutlich geworden. Offenbar verhandelt die Bundesregierung bereits mit Interessenten. GM soll ähnliche Gespräche führen. Entscheidend ist darüber hinaus, wie Opel Europa aus dem Mutterkonzern herausgelöst werden könnte.
Obwohl es dazu innerhalb der Großen Koalition durchaus unterschiedliche Meinungen gibt, versucht die Bundesregierung also, Opel zu retten. Ansonsten wäre die Reise des Wirtschaftsministers in die USA wohl sinnlos. – Ich bin nun mit dem Wirtschaftsweisen Professor Peter Bofinger in Würzburg verbunden. Herr Bofinger, lassen Sie uns auf die im Beitrag angeklungenen Szenarien oder Optionen, die verschiedenen Möglichkeiten zurückkommen. Wie könnte Opel aus Ihrer Sicht denn gerettet werden?
Peter Bofinger: Wenn man sich eine Lösung malen könnte, dann würde die natürlich darin bestehen, dass man versucht, einen privaten Investor zu finden, dass man Opel löst aus dem GM-Bereich, denn alles, was man hört, war das ja keine so besonders gute Basis für die Entwicklung von Opel, und dass man natürlich auch versuchen würde, die Patente, die Opel benötigt, dann auch entsprechend herauszulösen. Aber mein Eindruck ist, dass diese Ideallösung wohl kaum realistisch ist.
Herter: Und was wäre Plan B, eine Insolvenz?
Bofinger: Ich glaube, man sollte durchaus die Insolvenz mit ins Auge fassen, und dabei ist es ganz wichtig, dass man jetzt die Insolvenz nicht als Ende des Unternehmens ansieht, sondern dass man erkennt, dass die Insolvenz ja durchaus Möglichkeiten bietet, ein Unternehmen fortzuführen. Das ist ja durch die Insolvenzrechtsreform auch ganz gezielt so ermöglicht worden. Das heißt, wir haben die Option des Insolvenzplans, und der Insolvenzplan zielt ja darauf ab, das Unternehmen zu erhalten, die Beschäftigten zu erhalten, und ich meine, das wäre eine Möglichkeit, die man jetzt auch durchaus ins Auge fassen sollte, denn sie bietet eben auch wiederum die Möglichkeit, dass man Opel aus dem GM-Bereich herauslöst, dass man das Unternehmen unabhängiger macht und dass man dann wiederum versucht, private Investoren zu finden. Die Möglichkeit bei diesem Modell besteht ja auch, dass man etwas Zeit gewinnen kann, denn im Augenblick ist ja sicher die Situation auch für Automobilunternehmen besonders ungünstig und deswegen meine ich, alles was dazu beiträgt, dass man jetzt über die nächsten anderthalb Jahre hinwegkommt, wäre ein ganz wichtiger Beitrag.
Herter: Da plädieren Sie für eine Insolvenz. Wichtig ist die Änderung des Insolvenzrechtes, bei dem Begriff ist es aber geblieben. Wird denn dieser Begriff in der deutschen Öffentlichkeit falsch interpretiert? Bekommt man da zu Unrecht Angst, wenn es um Insolvenzen geht?
Bofinger: Natürlich ist Insolvenz immer eine schmerzhafte Lösung, denn sie ermöglicht natürlich, jetzt aus Verträgen auszusteigen, sie ermöglicht auch Entlassungen, die sonst nicht möglich sind.
Herter: Das heißt, das gilt auch für Tarifverträge? Die werden dann ungültig im Falle einer Insolvenz?
Bofinger: Nein, die Tarifverträge gelten weiter, aber ich habe natürlich Möglichkeiten, Mitarbeiter zu entlassen. Das heißt, von daher ist natürlich die Insolvenz immer eine problematische Lösung. Auf der anderen Seite ist sie aber auch nicht der K.o, das heißt also, das Unternehmen kann fortgeführt werden, und es gibt ja auch Beispiele in der Vergangenheit, dass Unternehmen trotz Insolvenz dann erfolgreich fortgeführt worden sind.
Herter: Wäre es dann aber nicht besser, die Insolvenz zu vermeiden und sozusagen die Mitarbeiter mitzunehmen? Zugeständnisse müssen die ja machen. Nun haben die Betriebsräte auch angekündigt, dass sie dazu bereit sind. Aber ist es nicht psychologisch besser, auch für die Identität des Unternehmens, Insolvenz zu vermeiden, um unter dem Druck zu stehen, Mitarbeiter zu Zugeständnissen zu bringen, mit ihnen zu verhandeln, eine Verhandlungslösung zu erreichen?
Bofinger: Natürlich ist es besser, wenn man die Insolvenz vermeiden kann. Die Frage ist nur, wie man das erreichen kann, und ich sehe eben das Problem, wenn jetzt die Bundesregierung in größerem Umfang Kredite an das Unternehmen gibt, dass zum einen nicht kontrolliert werden kann, ob diese Mittel wirklich in Deutschland bleiben, und zum anderen ist das natürlich auch ein Präzedenzfall, dass dann ganz viele andere Unternehmen auch staatliche Garantien oder Kredite in Anspruch nehmen wollen, denn das ist ja einfach eine attraktive Lösung, und wir haben sehr viele Unternehmen, die Probleme haben. Das heißt, wenn man in dieser Weise Opel stützt, ist es sehr schwierig für den Staat, bei anderen Unternehmen Nein zu sagen.
Herter: Die Grenze ist hier genau das Problem. Jetzt gibt es ja im Bankenbereich diesen Begriff "systemisch". Wenn eine Bank systemisch ist, dann soll man sie retten; ist sie nicht systemisch, wird sie andere Banken nicht mit in den Abgrund hinunterziehen. Lässt sich dieser Begriff "systemisch" auf Unternehmen übertragen, etwa dann, wenn wie im Fall Opel mehr als 25.000 Arbeitsplätze direkt dranhängen?
Bofinger: Ich glaube, man muss da schon unterscheiden zwischen dem Bankensystem und der so genannten Realwirtschaft. Im Bankensystem heißt "systemisch", dass das gesamte Bankensystem zusammenbrechen würde, sprich, dass die Sparer in Deutschland eben ihre Ersparnisse nicht mehr voll zurückbekommen würden. Das wäre sicher der Fall, wenn die Hypo Real Estate jetzt in die Insolvenz ginge. Dann hätten wir das Problem, dass private Anleger, Menschen, die ihr Sparbuch haben und zu ihrer Bank wollen, das nicht mehr voll ausbezahlt bekämen. Das verstehe ich unter "systemisch", dass also das gesamte System in seiner Stabilität gefährdet ist.
Wenn jetzt ein einzelnes Unternehmen, auch wenn das doch relativ große Mitarbeiterzahlen hat, in die Insolvenz geht, bedeutet das nicht, dass der Produktionsstandort Deutschland, dass die Industrie in Deutschland zusammenbricht. Das ist sicher sehr schmerzhaft und sehr problematisch und deswegen sollte man auch alles tun, das zu verhindern, aber systemisch in dem Sinne, dass die gesamte deutsche Industrie zusammenbricht, ist Opel nicht.
Herter: Welche Kriterien bieten Sie an, nach denen man sich orientieren könnte, um in einem Fall Unternehmen zu retten, um es im anderen Fall aber nicht zu tun? Ist Größe alleine entscheidend?
Bofinger: Ich glaube, das sollte man nicht tun. Wir haben in Deutschland sehr viele mittelständische Unternehmen, die das überhaupt nicht verstehen würden, wenn die großen gerettet würden und die kleinen nicht. Gerade die kleinen und mittleren sind ja auch ein Beitrag zur Stabilität und zum Erfolg der deutschen Industrie. Deswegen: Die Größe darf es nicht sein.
Entscheidend muss sein, ob ein Unternehmen wirklich ein zukunftsfähiges Geschäftsmodell hat. Das ist natürlich schwer im Einzelfall zu prüfen, aber das muss das Kriterium sein und das sollte auch bei Opel das Kriterium sein, sprich wenn Opel den Weg in die Insolvenz, in diesen Insolvenzplan gehen müsste, dann wäre natürlich als erstes wiederum zu suchen, gibt es private Investoren, die vielleicht in ein, eineinhalb Jahren dann aufspringen, vielleicht auch, weil die Automobilkonjunktur sich wieder besser darstellt, weil die Weltwirtschaft besser aussieht, und wenn das nicht der Fall ist, dann, meine ich, ist zu prüfen, ob es für den Staat die richtige Lösung wäre, das Unternehmen zumindest temporär fortzuführen, das Unternehmen zu erwerben. Allerdings setzt das dann wirklich voraus, dass man sagt, ja, das was von Opel immer gesagt wird, dass man Technologien hat, die zukunftsfähig sind, dass das Unternehmen mittelfristig Erfolg hat, das muss dann gewährleistet sein und dann würde es sich auch rechtfertigen, dass der Staat als Investor einsteigt.
Herter: Wer sollte das denn prüfen, wenn das so schwierig zu prüfen ist? Reicht da die Kompetenz beispielsweise im Wirtschaftsministerium aus?
Bofinger: Ich meine, wir haben im Augenblick eine Situation, wo der Staat ja in eine neue Rolle hineinkommt, wo er als Investor in der Wirtschaft tätig sein muss. Das ist neu und ich würde auch sagen, es ist unvermeidbar und es ist auch richtig, dass er das tut. Was man sich dabei überlegen muss ist, ob der institutionelle Rahmen, den wir dafür haben, geeignet ist. Bisher ist das ja alles so ein bisschen im Handbetrieb. Ich glaube, man sollte sich Lösungen ansehen, wie man sie zum Beispiel in Frankreich findet, dass solch ein Staatsfonds etabliert wird mit einer entsprechenden personellen Ausstattung, der dann eben zum einen für die Frage der Bankensanierung zuständig ist und zum anderen zuständig wäre, solche Fälle zu prüfen, ein Unternehmen, das nun im Insolvenzbereich ist, das keinen privaten Investor findet, das sehr groß ist – das spielt natürlich dann doch eine Rolle –, zu übernehmen, um dann festzustellen: hat es Zukunftschancen. Deswegen die Idee des Deutschlandfonds, die ja von Herrn Rüttgers in die Diskussion gebracht worden ist, ist etwas, was man wirklich intensiv prüfen sollte. Es ist eben nun mal so: wenn man als Staat in der Wirtschaft aktiv wird, meine ich, dann muss man es wirklich professionell machen. Dann braucht man einen institutionellen Rahmen dafür und deswegen finde ich diese Deutschlandfonds-Lösung eine sehr, sehr interessante Anregung.
Herter: Sie haben das Beispiel Frankreich erwähnt. Wie wichtig ist es, dass solche Schritte international koordiniert werden? Wenn man mal Verträge liest, den EWG-Vertrag zum Beispiel, EG-Vertrag, da ist ja eine Menge von Industriepolitik die Rede, was offenbar gar nicht abgerufen wird.
Bofinger: Wir haben im Augenblick natürlich das Problem, dass die Koordination in der ganzen Krise verbesserungsbedürftig ist. Das heißt, jedes Land versucht, einzelne Lösungen fallweise voranzutreiben, und ich würde sagen, das größte Defizit besteht darin, dass wir jetzt auch in der Frage der Nachfragebelebung keine koordinierten Lösungen haben in Europa, was eben dazu führt, dass Deutschland zum Beispiel relativ viel tut, aber eine ganze Reihe kleinerer Länder einfach gar nichts in die Wege leitet, sich als Trittbrettfahrer verhält, wodurch natürlich die Effekte von Konjunkturprogrammen erheblich vermindert werden. Das erklärt ja auch, dass jetzt eben mehr und mehr Unternehmen sozusagen auf dem Trockenen liegen, weil einfach die Nachfrage insgesamt derzeit zu schwach ist.
Herter: Also viele Lösungsansätze fehlen da noch. Professor Bofinger über die grundsätzliche Bedeutung des Falls Opel. Vielen Dank!
Bofinger: Gerne.
Gerwald Herter: Bundeswirtschaftsminister Karl Theodor zu Guttenberg heute Nacht in den USA über seine Gespräche in Sachen Opel-Rettung. Mit dem amerikanischen Finanzminister Timothy Geithner wird er zwar erst heute Abend in Washington reden; Guttenberg hat aber deutlich gemacht, dass ihm General-Motors-Chef Rick Wagoner Entgegenkommen signalisiert hat.
Ohne einen finanzkräftigen Investor geht es nicht. Auch das ist bei den Gesprächen des deutschen Wirtschaftsministers zu Guttenberg in den USA deutlich geworden. Offenbar verhandelt die Bundesregierung bereits mit Interessenten. GM soll ähnliche Gespräche führen. Entscheidend ist darüber hinaus, wie Opel Europa aus dem Mutterkonzern herausgelöst werden könnte.
Obwohl es dazu innerhalb der Großen Koalition durchaus unterschiedliche Meinungen gibt, versucht die Bundesregierung also, Opel zu retten. Ansonsten wäre die Reise des Wirtschaftsministers in die USA wohl sinnlos. – Ich bin nun mit dem Wirtschaftsweisen Professor Peter Bofinger in Würzburg verbunden. Herr Bofinger, lassen Sie uns auf die im Beitrag angeklungenen Szenarien oder Optionen, die verschiedenen Möglichkeiten zurückkommen. Wie könnte Opel aus Ihrer Sicht denn gerettet werden?
Peter Bofinger: Wenn man sich eine Lösung malen könnte, dann würde die natürlich darin bestehen, dass man versucht, einen privaten Investor zu finden, dass man Opel löst aus dem GM-Bereich, denn alles, was man hört, war das ja keine so besonders gute Basis für die Entwicklung von Opel, und dass man natürlich auch versuchen würde, die Patente, die Opel benötigt, dann auch entsprechend herauszulösen. Aber mein Eindruck ist, dass diese Ideallösung wohl kaum realistisch ist.
Herter: Und was wäre Plan B, eine Insolvenz?
Bofinger: Ich glaube, man sollte durchaus die Insolvenz mit ins Auge fassen, und dabei ist es ganz wichtig, dass man jetzt die Insolvenz nicht als Ende des Unternehmens ansieht, sondern dass man erkennt, dass die Insolvenz ja durchaus Möglichkeiten bietet, ein Unternehmen fortzuführen. Das ist ja durch die Insolvenzrechtsreform auch ganz gezielt so ermöglicht worden. Das heißt, wir haben die Option des Insolvenzplans, und der Insolvenzplan zielt ja darauf ab, das Unternehmen zu erhalten, die Beschäftigten zu erhalten, und ich meine, das wäre eine Möglichkeit, die man jetzt auch durchaus ins Auge fassen sollte, denn sie bietet eben auch wiederum die Möglichkeit, dass man Opel aus dem GM-Bereich herauslöst, dass man das Unternehmen unabhängiger macht und dass man dann wiederum versucht, private Investoren zu finden. Die Möglichkeit bei diesem Modell besteht ja auch, dass man etwas Zeit gewinnen kann, denn im Augenblick ist ja sicher die Situation auch für Automobilunternehmen besonders ungünstig und deswegen meine ich, alles was dazu beiträgt, dass man jetzt über die nächsten anderthalb Jahre hinwegkommt, wäre ein ganz wichtiger Beitrag.
Herter: Da plädieren Sie für eine Insolvenz. Wichtig ist die Änderung des Insolvenzrechtes, bei dem Begriff ist es aber geblieben. Wird denn dieser Begriff in der deutschen Öffentlichkeit falsch interpretiert? Bekommt man da zu Unrecht Angst, wenn es um Insolvenzen geht?
Bofinger: Natürlich ist Insolvenz immer eine schmerzhafte Lösung, denn sie ermöglicht natürlich, jetzt aus Verträgen auszusteigen, sie ermöglicht auch Entlassungen, die sonst nicht möglich sind.
Herter: Das heißt, das gilt auch für Tarifverträge? Die werden dann ungültig im Falle einer Insolvenz?
Bofinger: Nein, die Tarifverträge gelten weiter, aber ich habe natürlich Möglichkeiten, Mitarbeiter zu entlassen. Das heißt, von daher ist natürlich die Insolvenz immer eine problematische Lösung. Auf der anderen Seite ist sie aber auch nicht der K.o, das heißt also, das Unternehmen kann fortgeführt werden, und es gibt ja auch Beispiele in der Vergangenheit, dass Unternehmen trotz Insolvenz dann erfolgreich fortgeführt worden sind.
Herter: Wäre es dann aber nicht besser, die Insolvenz zu vermeiden und sozusagen die Mitarbeiter mitzunehmen? Zugeständnisse müssen die ja machen. Nun haben die Betriebsräte auch angekündigt, dass sie dazu bereit sind. Aber ist es nicht psychologisch besser, auch für die Identität des Unternehmens, Insolvenz zu vermeiden, um unter dem Druck zu stehen, Mitarbeiter zu Zugeständnissen zu bringen, mit ihnen zu verhandeln, eine Verhandlungslösung zu erreichen?
Bofinger: Natürlich ist es besser, wenn man die Insolvenz vermeiden kann. Die Frage ist nur, wie man das erreichen kann, und ich sehe eben das Problem, wenn jetzt die Bundesregierung in größerem Umfang Kredite an das Unternehmen gibt, dass zum einen nicht kontrolliert werden kann, ob diese Mittel wirklich in Deutschland bleiben, und zum anderen ist das natürlich auch ein Präzedenzfall, dass dann ganz viele andere Unternehmen auch staatliche Garantien oder Kredite in Anspruch nehmen wollen, denn das ist ja einfach eine attraktive Lösung, und wir haben sehr viele Unternehmen, die Probleme haben. Das heißt, wenn man in dieser Weise Opel stützt, ist es sehr schwierig für den Staat, bei anderen Unternehmen Nein zu sagen.
Herter: Die Grenze ist hier genau das Problem. Jetzt gibt es ja im Bankenbereich diesen Begriff "systemisch". Wenn eine Bank systemisch ist, dann soll man sie retten; ist sie nicht systemisch, wird sie andere Banken nicht mit in den Abgrund hinunterziehen. Lässt sich dieser Begriff "systemisch" auf Unternehmen übertragen, etwa dann, wenn wie im Fall Opel mehr als 25.000 Arbeitsplätze direkt dranhängen?
Bofinger: Ich glaube, man muss da schon unterscheiden zwischen dem Bankensystem und der so genannten Realwirtschaft. Im Bankensystem heißt "systemisch", dass das gesamte Bankensystem zusammenbrechen würde, sprich, dass die Sparer in Deutschland eben ihre Ersparnisse nicht mehr voll zurückbekommen würden. Das wäre sicher der Fall, wenn die Hypo Real Estate jetzt in die Insolvenz ginge. Dann hätten wir das Problem, dass private Anleger, Menschen, die ihr Sparbuch haben und zu ihrer Bank wollen, das nicht mehr voll ausbezahlt bekämen. Das verstehe ich unter "systemisch", dass also das gesamte System in seiner Stabilität gefährdet ist.
Wenn jetzt ein einzelnes Unternehmen, auch wenn das doch relativ große Mitarbeiterzahlen hat, in die Insolvenz geht, bedeutet das nicht, dass der Produktionsstandort Deutschland, dass die Industrie in Deutschland zusammenbricht. Das ist sicher sehr schmerzhaft und sehr problematisch und deswegen sollte man auch alles tun, das zu verhindern, aber systemisch in dem Sinne, dass die gesamte deutsche Industrie zusammenbricht, ist Opel nicht.
Herter: Welche Kriterien bieten Sie an, nach denen man sich orientieren könnte, um in einem Fall Unternehmen zu retten, um es im anderen Fall aber nicht zu tun? Ist Größe alleine entscheidend?
Bofinger: Ich glaube, das sollte man nicht tun. Wir haben in Deutschland sehr viele mittelständische Unternehmen, die das überhaupt nicht verstehen würden, wenn die großen gerettet würden und die kleinen nicht. Gerade die kleinen und mittleren sind ja auch ein Beitrag zur Stabilität und zum Erfolg der deutschen Industrie. Deswegen: Die Größe darf es nicht sein.
Entscheidend muss sein, ob ein Unternehmen wirklich ein zukunftsfähiges Geschäftsmodell hat. Das ist natürlich schwer im Einzelfall zu prüfen, aber das muss das Kriterium sein und das sollte auch bei Opel das Kriterium sein, sprich wenn Opel den Weg in die Insolvenz, in diesen Insolvenzplan gehen müsste, dann wäre natürlich als erstes wiederum zu suchen, gibt es private Investoren, die vielleicht in ein, eineinhalb Jahren dann aufspringen, vielleicht auch, weil die Automobilkonjunktur sich wieder besser darstellt, weil die Weltwirtschaft besser aussieht, und wenn das nicht der Fall ist, dann, meine ich, ist zu prüfen, ob es für den Staat die richtige Lösung wäre, das Unternehmen zumindest temporär fortzuführen, das Unternehmen zu erwerben. Allerdings setzt das dann wirklich voraus, dass man sagt, ja, das was von Opel immer gesagt wird, dass man Technologien hat, die zukunftsfähig sind, dass das Unternehmen mittelfristig Erfolg hat, das muss dann gewährleistet sein und dann würde es sich auch rechtfertigen, dass der Staat als Investor einsteigt.
Herter: Wer sollte das denn prüfen, wenn das so schwierig zu prüfen ist? Reicht da die Kompetenz beispielsweise im Wirtschaftsministerium aus?
Bofinger: Ich meine, wir haben im Augenblick eine Situation, wo der Staat ja in eine neue Rolle hineinkommt, wo er als Investor in der Wirtschaft tätig sein muss. Das ist neu und ich würde auch sagen, es ist unvermeidbar und es ist auch richtig, dass er das tut. Was man sich dabei überlegen muss ist, ob der institutionelle Rahmen, den wir dafür haben, geeignet ist. Bisher ist das ja alles so ein bisschen im Handbetrieb. Ich glaube, man sollte sich Lösungen ansehen, wie man sie zum Beispiel in Frankreich findet, dass solch ein Staatsfonds etabliert wird mit einer entsprechenden personellen Ausstattung, der dann eben zum einen für die Frage der Bankensanierung zuständig ist und zum anderen zuständig wäre, solche Fälle zu prüfen, ein Unternehmen, das nun im Insolvenzbereich ist, das keinen privaten Investor findet, das sehr groß ist – das spielt natürlich dann doch eine Rolle –, zu übernehmen, um dann festzustellen: hat es Zukunftschancen. Deswegen die Idee des Deutschlandfonds, die ja von Herrn Rüttgers in die Diskussion gebracht worden ist, ist etwas, was man wirklich intensiv prüfen sollte. Es ist eben nun mal so: wenn man als Staat in der Wirtschaft aktiv wird, meine ich, dann muss man es wirklich professionell machen. Dann braucht man einen institutionellen Rahmen dafür und deswegen finde ich diese Deutschlandfonds-Lösung eine sehr, sehr interessante Anregung.
Herter: Sie haben das Beispiel Frankreich erwähnt. Wie wichtig ist es, dass solche Schritte international koordiniert werden? Wenn man mal Verträge liest, den EWG-Vertrag zum Beispiel, EG-Vertrag, da ist ja eine Menge von Industriepolitik die Rede, was offenbar gar nicht abgerufen wird.
Bofinger: Wir haben im Augenblick natürlich das Problem, dass die Koordination in der ganzen Krise verbesserungsbedürftig ist. Das heißt, jedes Land versucht, einzelne Lösungen fallweise voranzutreiben, und ich würde sagen, das größte Defizit besteht darin, dass wir jetzt auch in der Frage der Nachfragebelebung keine koordinierten Lösungen haben in Europa, was eben dazu führt, dass Deutschland zum Beispiel relativ viel tut, aber eine ganze Reihe kleinerer Länder einfach gar nichts in die Wege leitet, sich als Trittbrettfahrer verhält, wodurch natürlich die Effekte von Konjunkturprogrammen erheblich vermindert werden. Das erklärt ja auch, dass jetzt eben mehr und mehr Unternehmen sozusagen auf dem Trockenen liegen, weil einfach die Nachfrage insgesamt derzeit zu schwach ist.
Herter: Also viele Lösungsansätze fehlen da noch. Professor Bofinger über die grundsätzliche Bedeutung des Falls Opel. Vielen Dank!
Bofinger: Gerne.