Silvia Engels: Heute vor einem Jahr nahm die größte Umweltkatastrophe vor der Küste der Vereinigten Staaten ihren Lauf. Am 20. April 2010 explodierte die Förderplattform Deepwater Horizon im Golf von Mexiko. Elf Menschen starben. – Aus einem leckgeschlagenen Bohrloch flossen anschließend in den folgenden Monaten schätzungsweise rund 800 Millionen Liter Öl ins Meer, bevor es gelang, das Loch zu verschließen. EU-Energiekommissar Oettinger spricht sich heute in der Zeitung Die Welt für bessere Kontrollen auch der europäischen Förderplattformen aus. Außerdem will er die Haftungsregeln für die Betreiber verschärfen. – Über technische und rechtliche Konsequenzen aus der Katastrophe sprachen wir vor der Sendung mit Professor Kurt Reinicke, er ist Direktor des Instituts für Erdöl- und Erdgastechnik an der Technischen Universität Clausthal. An ihn ging die Frage, ob mittlerweile feststeht, wie es zu dem Versagen der Sicherheitssysteme im Golf von Mexiko kam.
Kurt Reinicke: Das ist eigentlich schon klar seit Ende vergangenen Jahres. Der Kenntnisstand hat sich seit September 2010 kaum verändert. Die Ergebnisse sind dokumentiert in Berichten von BP und von der US-Regierung. Ein Bericht steht noch aus, es handelt sich dabei um den Untersuchungsbericht für die Absperr-Armaturen am Bohrlochkopf, aber die Erkenntnisse werden sich nicht wesentlich ändern.
Engels: Haben Sie denn daraus in der Forschung bessere Erkenntnisse ableiten können, wie man die Sicherheitssysteme besser macht?
Reinicke: Man hat das sehr wohl tun können. Man ist dort vorgegangen im Grunde genommen wie bei der Unfallforschung von Verkehrsunfällen auch. Man hat alle verfügbaren Informationen zusammengetragen, man hat diese Informationen analysiert und sie bewertet, und man hat daraus natürlich Erkenntnisse abgeleitet.
Engels: Und wie sehen die nun aus? Was muss anders werden als Standard?
Reinicke: Das was insbesondere anders werden muss, das ist, dass die bestehenden Regeln, die es gibt bei dem Abteufen solcher Bohrungen, eingehalten werden müssen. Es gibt hier und da auch technische Möglichkeiten, Verbesserungen durchzuführen. Die ist man dabei, zu identifizieren.
Engels: Das heißt, der Unfallgrund war mehr Schlamperei und fehlende Kontrolle vorab, als tatsächlich ein schlechtes Sicherheitssystem?
Reinicke: Also am schwersten wiegt meiner Ansicht nach schon das Versagen der Organisation und das Versagen der handelnden Personen, weniger das Versagen der Technik. Wenn man die Regeln der Technik beachtet hätte, wäre dieses Unglück nicht passiert.
Engels: Die Regeln der Technik, mehr Kontrolle beachten, das sind möglicherweise zwei Erkenntnisse. Ist das denn auch in neue Sicherheitsstandards, in mehr Kontrollen und auch in neue Gesetze geflossen?
Reinicke: Diese neuen Gesetze stehen noch aus, aber ich meine, was man gemacht hat: Man ist natürlich als Erstes der Frage nachgegangen, ob so was auch hätte in Europa passieren können. Das heißt, man hat die Regeln, die in den USA gelten, mit den Regeln, die in Europa gelten, verglichen. Bei diesem Vergleich hat sich herausgestellt, dass es eine ganze Reihe von Unterschieden gibt. Das ist im Internet abrufbar. Die Norweger haben dort eine sehr schöne Gegenüberstellung gemacht. Man hat dann in einem zweiten Schritt natürlich die eigenen Sicherheitssysteme trotzdem noch mal auf den Prüfstand gestellt, mit zwei Zielrichtungen: Ziel Nummer eins ist es, wie kann ich Ähnliches vermeiden, und Ziel Nummer zwei ist es, wenn es denn passiert, wie kann ich es besser bekämpfen wie im Golf von Mexiko.
Engels: Und was kam dabei heraus? Wie will man denn nun konkret vorgehen? Beispielsweise hatte ja die EU-Kommission die Überlegung gehabt, dass man das ganze auf europäischen Standard bringt, damit eben sichergestellt ist, dass auch die Kontrolle europaweit nach einheitlichen Standards funktioniert.
Reinicke: Das ist immer noch der Fall. Es wird erwartet, dass die EU mit einem Regelwerk, mit einem ersten Entwurf zu einem neuen Regelwerk, das EU-weit gelten soll, im Mai an die Öffentlichkeit gehen wird, um in öffentlichen Hearings diese ganze Sache auch zu besprechen.
Engels: Dann machen wir es konkreter. Da war ja vor einem Jahr viel davon die Rede, ob zum Beispiel die Ventiltechnik doppelt gesichert sein muss, ob die in den USA ausreichend ist im Vergleich zu Europa. Ist das immer noch der Debattenstand, oder wird hier auch in Europa gerade bei den Ventilen von Bohrlöchern nachgebessert?
Reinicke: Bei diesem Vergleich, von dem ich vorhin gesprochen habe, der durchgeführt worden ist in Norwegen, hat sich herausgestellt, dass diese doppelte Absicherung in den USA nicht vorgeschrieben ist, während sie zum Beispiel in Norwegen vorgeschrieben ist. Ich erwarte eigentlich, dass es im Rahmen dieses Regelwerkes, das jetzt in den nächsten Wochen wahrscheinlich diskutiert werden wird, dazu kommt, dass das, was sich als vorbildlich erwiesen hat, in den einzelnen Ländern dann auch zur Norm erklärt wird.
Engels: Das heißt, dass das europaweit gelten soll. Was würde das denn bedeuten für die Sicherheitsstandards der vielfach ja relativ alten Ölförderplattformen in der Nordsee beispielsweise, die ja längst nicht nur von Norwegen betrieben werden?
Reinicke: Wir reden jetzt zunächst mal von den Sicherheitsstandards, die Anwendung finden sollen für das Herstellen von neuen Bohrungen. Natürlich wird man dort nicht aufhören. Man wird also diese Sicherheitssysteme dann auch im Grunde genommen überprüfen für die Produktion von existierenden alten Plattformen.
Engels: Das heißt aber, es existieren auch in der Nordsee durchaus noch Förderanlagen, die diesem norwegischen Standard, den Sie angesprochen haben, nicht gerecht werden?
Reinicke: Ich meine, das ist immer so: Bei diesen Abschalteinrichtungen, von denen wir gesprochen haben, handelt es sich um Abschaltvorrichtungen, die nur in Betrieb sind während der Herstellungsphase dieser Bohrungen, nicht für existierende Bohrlöcher. Die existierenden Bohrlöcher, die haben das eigentlich automatisch.
Engels: Sie sagen also, da braucht man keine weiteren Nachbesserungen, Nacharbeitungen, damit dort der Sicherheitsstandard vielleicht höher wird?
Reinicke: Es ist immer so: Auf der Basis der Ereignisse in Macondo ist zunächst mal die Zielrichtung ganz eindeutig auf die Herstellung von neuen Bohrungen. Das geschieht meiner Ansicht nach auch zurecht. Dann, wenn diese ganze Sache durchgegangen ist, wird man sich sicherlich auch der Produktion von alten beziehungsweise existierenden Plattformen widmen und dort vielleicht auch die eine oder die andere Sache als verbesserungsfähig identifizieren.
Engels: Nun war ja unmittelbar nach dem Unglück der Deepwater Horizon auch die Frage aufgekommen, ob es vielleicht Grenzen geben muss, wie tief man bohren darf, denn gerade die Tiefe dieses Bohrloches im Golf von Mexiko hatte ja das Problem ausgelöst, es nicht so leicht verschließen zu können. Welches sind da Ihre Erkenntnisse? Sollte man da Grenzen ziehen, wann man nicht mehr tiefer bohren sollte?
Reinicke: Die Technologie schreitet ja voran. Ich glaube, dass die Tiefe, mit der man es zu tun hatte im Golf von Mexiko, technologisch beherrschbar ist, wenn man wie gesagt die Regeln der Technik und die letzte Technologie auch anwendet. Ob man darüber hinaus in wesentlich größere Tiefen gehen kann, das muss man einfach der Technologieentwicklung überlassen.
Engels: Vielen Dank für das Gespräch an Professor Kurt Reinicke. Er ist der Direktor des Instituts für Erdöl- und Erdgastechnik an der Technischen Universität Clausthal. Vielen Dank für das Gespräch.
Reinicke: Danke schön.
Kurt Reinicke: Das ist eigentlich schon klar seit Ende vergangenen Jahres. Der Kenntnisstand hat sich seit September 2010 kaum verändert. Die Ergebnisse sind dokumentiert in Berichten von BP und von der US-Regierung. Ein Bericht steht noch aus, es handelt sich dabei um den Untersuchungsbericht für die Absperr-Armaturen am Bohrlochkopf, aber die Erkenntnisse werden sich nicht wesentlich ändern.
Engels: Haben Sie denn daraus in der Forschung bessere Erkenntnisse ableiten können, wie man die Sicherheitssysteme besser macht?
Reinicke: Man hat das sehr wohl tun können. Man ist dort vorgegangen im Grunde genommen wie bei der Unfallforschung von Verkehrsunfällen auch. Man hat alle verfügbaren Informationen zusammengetragen, man hat diese Informationen analysiert und sie bewertet, und man hat daraus natürlich Erkenntnisse abgeleitet.
Engels: Und wie sehen die nun aus? Was muss anders werden als Standard?
Reinicke: Das was insbesondere anders werden muss, das ist, dass die bestehenden Regeln, die es gibt bei dem Abteufen solcher Bohrungen, eingehalten werden müssen. Es gibt hier und da auch technische Möglichkeiten, Verbesserungen durchzuführen. Die ist man dabei, zu identifizieren.
Engels: Das heißt, der Unfallgrund war mehr Schlamperei und fehlende Kontrolle vorab, als tatsächlich ein schlechtes Sicherheitssystem?
Reinicke: Also am schwersten wiegt meiner Ansicht nach schon das Versagen der Organisation und das Versagen der handelnden Personen, weniger das Versagen der Technik. Wenn man die Regeln der Technik beachtet hätte, wäre dieses Unglück nicht passiert.
Engels: Die Regeln der Technik, mehr Kontrolle beachten, das sind möglicherweise zwei Erkenntnisse. Ist das denn auch in neue Sicherheitsstandards, in mehr Kontrollen und auch in neue Gesetze geflossen?
Reinicke: Diese neuen Gesetze stehen noch aus, aber ich meine, was man gemacht hat: Man ist natürlich als Erstes der Frage nachgegangen, ob so was auch hätte in Europa passieren können. Das heißt, man hat die Regeln, die in den USA gelten, mit den Regeln, die in Europa gelten, verglichen. Bei diesem Vergleich hat sich herausgestellt, dass es eine ganze Reihe von Unterschieden gibt. Das ist im Internet abrufbar. Die Norweger haben dort eine sehr schöne Gegenüberstellung gemacht. Man hat dann in einem zweiten Schritt natürlich die eigenen Sicherheitssysteme trotzdem noch mal auf den Prüfstand gestellt, mit zwei Zielrichtungen: Ziel Nummer eins ist es, wie kann ich Ähnliches vermeiden, und Ziel Nummer zwei ist es, wenn es denn passiert, wie kann ich es besser bekämpfen wie im Golf von Mexiko.
Engels: Und was kam dabei heraus? Wie will man denn nun konkret vorgehen? Beispielsweise hatte ja die EU-Kommission die Überlegung gehabt, dass man das ganze auf europäischen Standard bringt, damit eben sichergestellt ist, dass auch die Kontrolle europaweit nach einheitlichen Standards funktioniert.
Reinicke: Das ist immer noch der Fall. Es wird erwartet, dass die EU mit einem Regelwerk, mit einem ersten Entwurf zu einem neuen Regelwerk, das EU-weit gelten soll, im Mai an die Öffentlichkeit gehen wird, um in öffentlichen Hearings diese ganze Sache auch zu besprechen.
Engels: Dann machen wir es konkreter. Da war ja vor einem Jahr viel davon die Rede, ob zum Beispiel die Ventiltechnik doppelt gesichert sein muss, ob die in den USA ausreichend ist im Vergleich zu Europa. Ist das immer noch der Debattenstand, oder wird hier auch in Europa gerade bei den Ventilen von Bohrlöchern nachgebessert?
Reinicke: Bei diesem Vergleich, von dem ich vorhin gesprochen habe, der durchgeführt worden ist in Norwegen, hat sich herausgestellt, dass diese doppelte Absicherung in den USA nicht vorgeschrieben ist, während sie zum Beispiel in Norwegen vorgeschrieben ist. Ich erwarte eigentlich, dass es im Rahmen dieses Regelwerkes, das jetzt in den nächsten Wochen wahrscheinlich diskutiert werden wird, dazu kommt, dass das, was sich als vorbildlich erwiesen hat, in den einzelnen Ländern dann auch zur Norm erklärt wird.
Engels: Das heißt, dass das europaweit gelten soll. Was würde das denn bedeuten für die Sicherheitsstandards der vielfach ja relativ alten Ölförderplattformen in der Nordsee beispielsweise, die ja längst nicht nur von Norwegen betrieben werden?
Reinicke: Wir reden jetzt zunächst mal von den Sicherheitsstandards, die Anwendung finden sollen für das Herstellen von neuen Bohrungen. Natürlich wird man dort nicht aufhören. Man wird also diese Sicherheitssysteme dann auch im Grunde genommen überprüfen für die Produktion von existierenden alten Plattformen.
Engels: Das heißt aber, es existieren auch in der Nordsee durchaus noch Förderanlagen, die diesem norwegischen Standard, den Sie angesprochen haben, nicht gerecht werden?
Reinicke: Ich meine, das ist immer so: Bei diesen Abschalteinrichtungen, von denen wir gesprochen haben, handelt es sich um Abschaltvorrichtungen, die nur in Betrieb sind während der Herstellungsphase dieser Bohrungen, nicht für existierende Bohrlöcher. Die existierenden Bohrlöcher, die haben das eigentlich automatisch.
Engels: Sie sagen also, da braucht man keine weiteren Nachbesserungen, Nacharbeitungen, damit dort der Sicherheitsstandard vielleicht höher wird?
Reinicke: Es ist immer so: Auf der Basis der Ereignisse in Macondo ist zunächst mal die Zielrichtung ganz eindeutig auf die Herstellung von neuen Bohrungen. Das geschieht meiner Ansicht nach auch zurecht. Dann, wenn diese ganze Sache durchgegangen ist, wird man sich sicherlich auch der Produktion von alten beziehungsweise existierenden Plattformen widmen und dort vielleicht auch die eine oder die andere Sache als verbesserungsfähig identifizieren.
Engels: Nun war ja unmittelbar nach dem Unglück der Deepwater Horizon auch die Frage aufgekommen, ob es vielleicht Grenzen geben muss, wie tief man bohren darf, denn gerade die Tiefe dieses Bohrloches im Golf von Mexiko hatte ja das Problem ausgelöst, es nicht so leicht verschließen zu können. Welches sind da Ihre Erkenntnisse? Sollte man da Grenzen ziehen, wann man nicht mehr tiefer bohren sollte?
Reinicke: Die Technologie schreitet ja voran. Ich glaube, dass die Tiefe, mit der man es zu tun hatte im Golf von Mexiko, technologisch beherrschbar ist, wenn man wie gesagt die Regeln der Technik und die letzte Technologie auch anwendet. Ob man darüber hinaus in wesentlich größere Tiefen gehen kann, das muss man einfach der Technologieentwicklung überlassen.
Engels: Vielen Dank für das Gespräch an Professor Kurt Reinicke. Er ist der Direktor des Instituts für Erdöl- und Erdgastechnik an der Technischen Universität Clausthal. Vielen Dank für das Gespräch.
Reinicke: Danke schön.