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Bonus für Gewerkschaftsmitglieder

Heuer: Wir bleiben bei den Gewerkschaften, sogar bei der IG-Metall, schauen aber nach Nordrhein-Westfalen. Dort hat die Gewerkschaft in einem Duzend Fällen Tarifverträge abgeschlossen, bei denen die Gewerkschaftsmitglieder unter den Beschäftigten sehr viel besser abschneiden als diejenigen, die nicht in der Gewerkschaft sind. Die IG-Metall begründet diese Bonus-Politik damit, dass es unfair sei, dass alle vom Engagement der Gewerkschafter profitierten, aber eben nicht alle sich engagierten. Am Telefon ist Wolfgang Däubler, Arbeitsrechtler an der Universität in Bremen. Guten Tag, Herr Professor Däubler.

Gespräch mit Christine Heuer |
    Däubler: Guten Tag, Frau Heuer.

    Heuer: Ist denn was die IG-Metall in Nordrhein-Westfalen tut rechtlich überhaupt zulässig?

    Däubler: Meines Erachtens ist es grundsätzlich zulässig, dass man bestimmte Leistungen auf Gewerkschaftsmitglieder beschränkt. Jedes Gewerkschaftsmitglied zahlt ja im Regelfall ein Prozent des Bruttoeinkommens pro Monat in die Gewerkschaftskasse und ermöglicht dadurch, durch seinen Beitrag, gegebenenfalls durch weitergehendes Engagement, den Abschluss von Tarifverträgen.

    Andere, die nicht Mitglied sind, bekommen normalerweise vom Arbeitgeber freiwillig genau die gleichen Bedingungen, partizipieren also an den Erfolgen, die die Gewerkschaft erreicht hat. Deshalb ist man sich heute in der Literatur weitgehend einig, dass jedenfalls bis zur Grenze des Gewerkschaftsbeitrags eine Begünstigung, in Anführungszeichen, der Gewerkschaftsmitglieder möglich ist. Man kann also einen Bonus vorsehen, der gewissermaßen Ausgleich dafür schafft, dass sie ein Sonderopfer erbringen für eine Regelung die nachher faktisch für alle gilt.

    Heuer: Nun hören wir aber, Herr Däubler, von Fällen, in denen die Gewerkschafter in Nordrhein-Westfalen bis zu 5000 Euro im Jahr mehr bekommen haben als die Nichtgewerkschafter. Ist das mit der Grenzregelung, die Sie uns da eben geschildert haben, zu vereinbaren?

    Däubler: Da wird es möglicherweise eine juristische Auseinandersetzung geben. Das ist nun die Frage, inwieweit hier die so genannte negative Koalitionsfreiheit verletzt ist. Negative Koalitionsfreiheit bedeutet das Recht, sich keiner Gewerkschaft anzuschließen. Man wird sicherlich sagen können, wenn das Opfer, das man dadurch bringt, dass man nicht Gewerkschaftsmitglied ist, nicht höher ist als die heutigen Nachteile, die jemand in Kauf nimmt, der das eine Prozent bezahlt, dann ist das nicht zu beanstanden. Genauer gesagt: Bis zur Höhe des durchschnittlichen Gewerkschaftsbeitrags kann man Nichtorganisierte auch benachteiligen.

    Wenn es dann aber drüber raus geht, also wenn man einen höheren Nachteil hat, wenn meinetwegen der jährliche Gewerkschaftsbeitrag 300 Euro betragen würde und es würden die Gewerkschaftsmitglieder 600 Euro bekommen, dann hätten ja die Nichtorganisierten den Gewerkschaftsbeitrag gespart, das ist klar und sie hätten außerdem noch einen Nachteil von 300 Euro. Einen Nachteil, denn man heute bei Organisierten ohne Weiteres anerkennt. Wenn dann aber natürlich da noch erheblich drüber rausgegangen wird, dann muss man sehen, wie die Gerichte entscheiden.

    Heuer: Geht es denn mit diesem Bonus-System eigentlich nur bei betrieblichen Vereinbarungen oder kann man das auf den Flächentarifvertrag übertragen?

    Däubler: Das kann man auch im Flächentarif machen. Man könnte beispielsweise eine Regelung schaffen, die ein zusätzliches Urlaubsgeld vorsieht und die die Auszahlungen dieses Urlaubsgelds einer gemeinsamen Einrichtung der Tarifparteien überlässt. Da würden dann diejenigen, die ihre Gewerkschaftsmitgliedschaft nachweisen können, meinetwegen, im Jahr 200 Euro mehr Urlaubsgeld bekommen als andere.

    Heuer: So gesehen ist das, was die IG-Metall in Nordrhein-Westfalen vormacht die allerbeste Werbeaktion, die sich die Gewerkschaften hätten einfallen lassen können, oder?

    Däubler: Das hat sicher zu tun mit der Mitgliederentwicklung. Denn man ist lange davon ausgegangen, wir sind als Gewerkschaft so attraktiv, dass trotz des wirtschaftlichen Opfers, das der Einzelne bringt, nämlich ein Prozent des Bruttogehalts, wir genügend Mitglieder haben. Diese Situation ist eben nicht mehr gegeben, die Leute rechnen mit spitzem Bleistift stärker als sie das in der Vergangenheit gemacht haben. Deshalb überlegt man sich jetzt, ob man da nicht einen Ausgleich schaffen kann. Es gibt übrigens Vorbilder. Im Belgien gibt es seit Urzeiten die Differenzierungsklausel, wie man dazu unter Juristen sagt, also die obligatorische Begrenzung bestimmter Leistungen auf Gewerkschaftsmitglieder und das hat durchaus zu einem ordentlichen Organisationsgrad geführt.

    Heuer: Wenn wir über die Vorbilder sprechen, wissen Sie denn auch schon, ob andere Landesverbände oder andere Gewerkschaften dem Beispiel der IG-Metall in Nordrhein-Westfalen folgen wollen?

    Däubler: Genaues kann ich dazu nicht sagen, aber es gibt auch in anderen Bereichen Überlegungen in diese Richtung.

    Heuer: Die großen Wirtschaftsverbände haben schon Kritik geübt an dieser Bonus-Regelung der IG-Metall in Nordrhein-Westfalen. Sie haben kein Interesse daran, dass das Schule macht. Hat denn der einzelne Unternehmer etwas davon?

    Däubler: Der einzelne Unternehmer hat insofern was davon, als er weiß, er hat in Form der Gewerkschaft einen Ansprechpartner. Dieser Ansprechpartner wird natürlich auch eine relativ große Mitgliederzahl haben und der ist dann verlässlich in dem Sinn, dass er kooperiert. Es gibt in der Gewerkschaft auch Kritik gegen solche Differenzierungsklausel mit dem Argument, das macht uns von den Arbeitgebern abhängig. Denn es kann natürlich der Arbeitgeber hergehen und so einen Tarifvertrag kündigen. Dann ist plötzlich der Sondervorteil für die Gewerkschaftsmitglieder weg.

    Heuer: Wolfgang Däubler, Arbeitsrechtler an der Uni Bremen war das im Gespräch mit dem Deutschlandfunk.