Silvia Engels: Gestern Abend wurde es offiziell: Friedrich Merz, der frühere Fraktionschef der Union im Bundestag, zieht sich aus der Politik zurück. Spätestens 2009 will er nicht wieder für den Bundestag kandidieren. Merz will sich zum einen ganz auf seine Arbeit als Anwalt konzentrieren. Zum anderen äußerte er aber auch deutliche Kritik:
"Ich mache überhaupt kein Geheimnis daraus, dass ich den Parteitagsbeschluss von Dresden für falsch halte, dass wir uns jetzt darum bemühen, vereinfacht gesagt die SPD links zu überholen. Die Partei positioniert sich hier anders, aber das ist nicht meine Überzeugung."
Soweit Friedrich Merz, und am Telefon hat mitgehört Unionsfraktionsvize Wolfgang Bosbach. Guten Morgen!
Wolfgang Bosbach: Guten Morgen, Frau Engels!
Engels: Sind Sie überrascht von dem angekündigten Rückzug von Friedrich Merz?
Bosbach: Ja und nein. Auf der einen Seite bin ich überrascht, dass es just in diesem Moment ist. Auf der anderen Seite habe ich ja als guter Freund von Friedrich Merz schon sehr oft mit ihm gesprochen. Ich war einmal sein Stellvertreter, als er noch Fraktionsvorsitzender war. Aber der gute Kontakt ist auch in der Zeit danach nie abgebrochen, und er war unzufrieden. Es ist ein Verlust für die Fraktion, wenn er nicht mehr für den Deutschen Bundestag kandidiert. Friedrich Merz ist ja nicht nur ein glänzender Debattenredner, sondern er hat auch glasklare ordnungspolitische Vorstellungen, für die er immer gestritten hat. Ich glaube, es gibt nicht einen einzigen Grund, sondern es ist vielmehr ein Motivbündel, was ihn dann bewogen hat, nicht erneut für den Bundestag zu kandidieren.
Engels: Die Kritik ist ja nicht zu überhören, die er an der gegenwärtigen Politik der Großen Koalition übt. Haben Sie Verständnis dafür?
Bosbach: Ja, dafür habe ich Verständnis. Das ist völlig klar: Wenn man eine Koalition eingeht, dann muss man Kompromisse machen. Dann muss man kompromissfähig sein. Das liegt in der Natur der Sache. Nur derjenige, der die absolute Mehrheit hat, kann seine Vorstellungen zu 100 Prozent umsetzen. Und ab und zu muss man auch mal die Faust in der Tasche machen. Aber wenn man dann die Faust meistens in der Tasche hat, dann wird es schwer, weil man natürlich auf der einen Seite koalitionstreu sein will und auch der eigenen Regierung, der Bundeskanzlerin, keine Probleme bereiten möchte. Das ist doch völlig klar. Aber auf der anderen Seite will man auch seinen politischen Überzeugungen treu bleiben. Wenn beides nicht mehr geht, dann muss man Konsequenzen ziehen.
Engels: Friedrich Merz stand für einen wirtschaftsliberaleren Kurs, als ihn die Große Koalition derzeit umsetzt. Steht seine Position denn Ihrer Einschätzung nach für viele in der Union, die die jetzige Politik kaum noch mittragen können?
Bosbach: Sie steht jedenfalls doch für einen großen Kreis in der Union. Das mag von Landesverband zu Landesverband etwas unterschiedlich sein, und die Partei ist ja auch nicht Koalitionszwängen unterworfen wie die CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Also möglicherweise sieht man dort die Dinge etwas anders als in der Fraktion, die in der täglichen Arbeit viele Kompromisse eingehen muss. Entscheidend ist: Stimmt die Richtung, Ja oder Nein, mal losgelöst von einzelnen Sachentscheidungen? Ich glaube, dass Friedrich Merz für sich das persönliche Resümee gezogen hat, dass die Richtung nicht mehr stimmt.
Engels: Herr Bosbach, wie steht es denn mit Ihnen? Auch Sie gelten ja als Ordnungspolitiker und als Innenexperte, können auch nicht alles umsetzen. Haben Sie noch Lust weiterzumachen?
Bosbach: Ja, Lust weiterzumachen habe ich insbesondere deshalb, weil ich über die Politik auch viele Freunde gefunden habe. Mir macht die Arbeit Spaß. Ich gehe jeden Morgen noch gerne ins Büro. Ich habe mir gestern auch selber meine Gedanken gemacht. Ich war schon etwas erschrocken, mit Friedrich Merz einen guten Kollegen und Freund in der Fraktion zu verlieren. Dann habe ich für mich gedacht, "noch bist zu nicht so weit", und dann war ich erschrocken über das Wort "noch".
Engels: Das Wort "noch". Das heißt, Sie haben sich noch nicht endgültig festgelegt, ob Sie in der nächsten Legislaturperiode noch mal kandidieren?
Bosbach: Das entscheiden ohnehin andere, in der Reihenfolge der liebe Gott, die Familie, die Partei und letztendlich die Wählerinnen und Wähler. Aber man stellt sich jeden Tag die Frage, ob der große Aufwand, den man betreiben muss, wenn sie nicht einen wirklich großen Aufwand an Zeit und Kraft betreiben, dann können sie nicht in einer verantwortlichen Position tätig sein, ob der sich noch lohnt, nicht lohnt für einen persönlich, sondern ob es sich noch lohnt für die politischen Ziele, für die man immer gekämpft hat. Ich könnte mir überhaupt keine andere politische Arbeit vorstellen. Ich kann überhaupt nur CDU-Politik, etwas anderes kann ich gar nicht. Das wird immer meine politische Heimat sein. Aber dann muss man natürlich für sich selber überprüfen, wie viel kannst du eigentlich noch von deiner eigenen politischen Überzeugung durchsetzen. So viel, wie es eigentlich sein müsste, ist es jedenfalls zurzeit leider nicht.
Engels: Das ist Ihre Meinung. Sie sagen, es sei auch relativ weit verbreitet in der Union, dass die Sorge um den Kurs eine große Rolle spielt. Zerreißt diese Große Koalition die Union?
Bosbach: Nein. Das glaube ich nicht, weil es zu dieser Koalition auch keine Alternative gibt. Das mag sich jetzt etwas kurios oder gar widersprüchlich anhören, was ich sage. Ich möchte ja gar nicht, dass diese Koalition scheitert. Ich habe sie nicht gewollt. Ich habe für eine Koalition mit der FDP gekämpft. Aber sie ist da! Das ist die Folge der Entscheidung der Wählerinnen und Wähler. Keine andere politische Option war politisch möglich. Und im Interesse des Landes möchte ich nicht, dass sie scheitert.
Aber ich möchte, dass sie eine Politik macht, die unser Land wirklich wieder nach vorne bringt, die große Probleme löst und nicht vertagt. Das möchte ich. Wenn sie in Wahlkreisen unterwegs sind oder quer durch die ganze Republik, dann gibt es natürlich viele, die sagen, eigentlich möchten wir doch eine etwas klarere Handschrift der Union in der Koalition. Dann habe ich doch immer relativ viel rhetorischen Aufwand zu betreiben, um zu erklären, warum das jedenfalls zurzeit nicht möglich ist.
Engels: Jetzt haben wir ja bei der Gesundheitsreform erlebt, dass Friedrich Merz, aber auch mancher andere aus der Unionsfraktion diesem Kompromiss nicht zugestimmt hat. Was bedeutet diese Auflösungserscheinung, die jetzt Friedrich Merz auch anspricht, für künftiges Abstimmungsverhalten? Ist die Union da noch geschlossen?
Bosbach: Man kann bei einem so großen Reformprojekt wie bei der Gesundheitsreform, ich kenne überhaupt kein Reformvorhaben, das derart umstritten war und heiß umkämpft war wie die Gesundheitsreform, eigentlich nicht erwarten, dass zwei monolithische Blöcke dort abstimmen, also einmal CDU/CSU, einmal SPD, ohne dass es auch nur einen einzigen Abweichler gibt. Ich warne aber auch vor dieser Zerbröselungstendenz nach dem Motto "Unsere Mehrheit ist doch groß genug in der Koalition, es macht doch nichts, wenn ein paar Dutzend von der Fahne gehen bei den Abstimmungen", weil diejenigen, die sich so verhalten, natürlich diejenigen in Schwierigkeiten bringen, die zustimmen, damit nicht erstens die Reform und zweitens die Koalition scheitert.
Konkret beim Thema Gesundheitsreform kommt hinzu: Ich habe selbst, übrigens auch heute noch, verfassungsrechtliche Bedenken, aber sie haben mich nicht dazu gebracht, am Ende nein zu sagen, weil ich erstens sage, die Reform ist in vielen Einzelteilen, die weitestgehend unbekannt sind, besser als ihr Ruf, und ich muss natürlich auch eine Abwägungsentscheidung treffen, was passiert eigentlich, wenn die Gesundheitsreform scheitert? Das könnte dann das Ende der Koalition sein. Und niemand weiß, ob wir bei einer Neuwahl besser dastehen würden als jetzt.
Engels: Friedrich Merz wird nun durch seinen angekündigten Abgang eine Art Symbolfigur in der Fraktion werden, eine Symbolfigur dafür, dass es einen anderen Kurs gibt. Ist das förderlich, oder sollte er sein Amt möglicherweise schon vor Ende der Legislaturperiode abgeben?
Bosbach: Sie meinen sein Mandat als Bundestagsabgeordneter?
Engels: Genau.
Bosbach: Nein, das sollte er nicht. Man kann sich ja einmal die Wahlergebnisse von Friedrich Merz im Hochsauerlandkreis ansehen. Dann kann man sagen, das ist ohnehin eine verfassungstreue Gegend, da hat die Union immer gute Ergebnisse erzielt. Das ist richtig, aber Friedrich Merz hat herausragende Ergebnisse erzielt, und wenn man sieht, auch wie groß sein Vorsprung an Erststimmen ist gemessen an den Zweitstimmen, die die Union bekommen hat, dann weiß man, dass er nicht nur in seiner Heimat sehr, sehr populär ist. Damit hat er auch eine Verpflichtung für seinen Wahlkreis übernommen. Und ich kann nur sagen, Respekt, wenn er sagt, trotz aller Bedenken und Probleme, die ich habe, bleibe ich noch bis zum Ende der Legislaturperiode Mitglied des Deutschen Bundestages, um auch meine Verpflichtungen gegenüber den Wählerinnen und Wählern zu Hause zu erfüllen.
Engels: Friedrich Merz hat nicht ganz ausgeschlossen, dass er irgendwann in die große Politik zurückkommt. Hoffen Sie darauf?
Bosbach: Ja natürlich! Friedrich Merz ist ein homo politicus. Übrigens wird sein Wort auch Gewicht haben, wenn er nicht mehr Mitglied des Deutschen Bundestages sein sollte. Ich glaube nicht, dass er ganz ohne Politik leben kann. So wie ich ihn kenne, werden wir eines Tages ihn auch wieder, in welcher Rolle auch immer, auf der politischen Bühne wieder sehen.
Engels: Unionsfraktionsvize Wolfgang Bosbach zum Abgang von Friedrich Merz, zunächst aus der ersten Reihe der Politik. Ich bedanke mich herzlich für das Gespräch.
Bosbach: Frau Engels, ich danke Ihnen.
"Ich mache überhaupt kein Geheimnis daraus, dass ich den Parteitagsbeschluss von Dresden für falsch halte, dass wir uns jetzt darum bemühen, vereinfacht gesagt die SPD links zu überholen. Die Partei positioniert sich hier anders, aber das ist nicht meine Überzeugung."
Soweit Friedrich Merz, und am Telefon hat mitgehört Unionsfraktionsvize Wolfgang Bosbach. Guten Morgen!
Wolfgang Bosbach: Guten Morgen, Frau Engels!
Engels: Sind Sie überrascht von dem angekündigten Rückzug von Friedrich Merz?
Bosbach: Ja und nein. Auf der einen Seite bin ich überrascht, dass es just in diesem Moment ist. Auf der anderen Seite habe ich ja als guter Freund von Friedrich Merz schon sehr oft mit ihm gesprochen. Ich war einmal sein Stellvertreter, als er noch Fraktionsvorsitzender war. Aber der gute Kontakt ist auch in der Zeit danach nie abgebrochen, und er war unzufrieden. Es ist ein Verlust für die Fraktion, wenn er nicht mehr für den Deutschen Bundestag kandidiert. Friedrich Merz ist ja nicht nur ein glänzender Debattenredner, sondern er hat auch glasklare ordnungspolitische Vorstellungen, für die er immer gestritten hat. Ich glaube, es gibt nicht einen einzigen Grund, sondern es ist vielmehr ein Motivbündel, was ihn dann bewogen hat, nicht erneut für den Bundestag zu kandidieren.
Engels: Die Kritik ist ja nicht zu überhören, die er an der gegenwärtigen Politik der Großen Koalition übt. Haben Sie Verständnis dafür?
Bosbach: Ja, dafür habe ich Verständnis. Das ist völlig klar: Wenn man eine Koalition eingeht, dann muss man Kompromisse machen. Dann muss man kompromissfähig sein. Das liegt in der Natur der Sache. Nur derjenige, der die absolute Mehrheit hat, kann seine Vorstellungen zu 100 Prozent umsetzen. Und ab und zu muss man auch mal die Faust in der Tasche machen. Aber wenn man dann die Faust meistens in der Tasche hat, dann wird es schwer, weil man natürlich auf der einen Seite koalitionstreu sein will und auch der eigenen Regierung, der Bundeskanzlerin, keine Probleme bereiten möchte. Das ist doch völlig klar. Aber auf der anderen Seite will man auch seinen politischen Überzeugungen treu bleiben. Wenn beides nicht mehr geht, dann muss man Konsequenzen ziehen.
Engels: Friedrich Merz stand für einen wirtschaftsliberaleren Kurs, als ihn die Große Koalition derzeit umsetzt. Steht seine Position denn Ihrer Einschätzung nach für viele in der Union, die die jetzige Politik kaum noch mittragen können?
Bosbach: Sie steht jedenfalls doch für einen großen Kreis in der Union. Das mag von Landesverband zu Landesverband etwas unterschiedlich sein, und die Partei ist ja auch nicht Koalitionszwängen unterworfen wie die CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Also möglicherweise sieht man dort die Dinge etwas anders als in der Fraktion, die in der täglichen Arbeit viele Kompromisse eingehen muss. Entscheidend ist: Stimmt die Richtung, Ja oder Nein, mal losgelöst von einzelnen Sachentscheidungen? Ich glaube, dass Friedrich Merz für sich das persönliche Resümee gezogen hat, dass die Richtung nicht mehr stimmt.
Engels: Herr Bosbach, wie steht es denn mit Ihnen? Auch Sie gelten ja als Ordnungspolitiker und als Innenexperte, können auch nicht alles umsetzen. Haben Sie noch Lust weiterzumachen?
Bosbach: Ja, Lust weiterzumachen habe ich insbesondere deshalb, weil ich über die Politik auch viele Freunde gefunden habe. Mir macht die Arbeit Spaß. Ich gehe jeden Morgen noch gerne ins Büro. Ich habe mir gestern auch selber meine Gedanken gemacht. Ich war schon etwas erschrocken, mit Friedrich Merz einen guten Kollegen und Freund in der Fraktion zu verlieren. Dann habe ich für mich gedacht, "noch bist zu nicht so weit", und dann war ich erschrocken über das Wort "noch".
Engels: Das Wort "noch". Das heißt, Sie haben sich noch nicht endgültig festgelegt, ob Sie in der nächsten Legislaturperiode noch mal kandidieren?
Bosbach: Das entscheiden ohnehin andere, in der Reihenfolge der liebe Gott, die Familie, die Partei und letztendlich die Wählerinnen und Wähler. Aber man stellt sich jeden Tag die Frage, ob der große Aufwand, den man betreiben muss, wenn sie nicht einen wirklich großen Aufwand an Zeit und Kraft betreiben, dann können sie nicht in einer verantwortlichen Position tätig sein, ob der sich noch lohnt, nicht lohnt für einen persönlich, sondern ob es sich noch lohnt für die politischen Ziele, für die man immer gekämpft hat. Ich könnte mir überhaupt keine andere politische Arbeit vorstellen. Ich kann überhaupt nur CDU-Politik, etwas anderes kann ich gar nicht. Das wird immer meine politische Heimat sein. Aber dann muss man natürlich für sich selber überprüfen, wie viel kannst du eigentlich noch von deiner eigenen politischen Überzeugung durchsetzen. So viel, wie es eigentlich sein müsste, ist es jedenfalls zurzeit leider nicht.
Engels: Das ist Ihre Meinung. Sie sagen, es sei auch relativ weit verbreitet in der Union, dass die Sorge um den Kurs eine große Rolle spielt. Zerreißt diese Große Koalition die Union?
Bosbach: Nein. Das glaube ich nicht, weil es zu dieser Koalition auch keine Alternative gibt. Das mag sich jetzt etwas kurios oder gar widersprüchlich anhören, was ich sage. Ich möchte ja gar nicht, dass diese Koalition scheitert. Ich habe sie nicht gewollt. Ich habe für eine Koalition mit der FDP gekämpft. Aber sie ist da! Das ist die Folge der Entscheidung der Wählerinnen und Wähler. Keine andere politische Option war politisch möglich. Und im Interesse des Landes möchte ich nicht, dass sie scheitert.
Aber ich möchte, dass sie eine Politik macht, die unser Land wirklich wieder nach vorne bringt, die große Probleme löst und nicht vertagt. Das möchte ich. Wenn sie in Wahlkreisen unterwegs sind oder quer durch die ganze Republik, dann gibt es natürlich viele, die sagen, eigentlich möchten wir doch eine etwas klarere Handschrift der Union in der Koalition. Dann habe ich doch immer relativ viel rhetorischen Aufwand zu betreiben, um zu erklären, warum das jedenfalls zurzeit nicht möglich ist.
Engels: Jetzt haben wir ja bei der Gesundheitsreform erlebt, dass Friedrich Merz, aber auch mancher andere aus der Unionsfraktion diesem Kompromiss nicht zugestimmt hat. Was bedeutet diese Auflösungserscheinung, die jetzt Friedrich Merz auch anspricht, für künftiges Abstimmungsverhalten? Ist die Union da noch geschlossen?
Bosbach: Man kann bei einem so großen Reformprojekt wie bei der Gesundheitsreform, ich kenne überhaupt kein Reformvorhaben, das derart umstritten war und heiß umkämpft war wie die Gesundheitsreform, eigentlich nicht erwarten, dass zwei monolithische Blöcke dort abstimmen, also einmal CDU/CSU, einmal SPD, ohne dass es auch nur einen einzigen Abweichler gibt. Ich warne aber auch vor dieser Zerbröselungstendenz nach dem Motto "Unsere Mehrheit ist doch groß genug in der Koalition, es macht doch nichts, wenn ein paar Dutzend von der Fahne gehen bei den Abstimmungen", weil diejenigen, die sich so verhalten, natürlich diejenigen in Schwierigkeiten bringen, die zustimmen, damit nicht erstens die Reform und zweitens die Koalition scheitert.
Konkret beim Thema Gesundheitsreform kommt hinzu: Ich habe selbst, übrigens auch heute noch, verfassungsrechtliche Bedenken, aber sie haben mich nicht dazu gebracht, am Ende nein zu sagen, weil ich erstens sage, die Reform ist in vielen Einzelteilen, die weitestgehend unbekannt sind, besser als ihr Ruf, und ich muss natürlich auch eine Abwägungsentscheidung treffen, was passiert eigentlich, wenn die Gesundheitsreform scheitert? Das könnte dann das Ende der Koalition sein. Und niemand weiß, ob wir bei einer Neuwahl besser dastehen würden als jetzt.
Engels: Friedrich Merz wird nun durch seinen angekündigten Abgang eine Art Symbolfigur in der Fraktion werden, eine Symbolfigur dafür, dass es einen anderen Kurs gibt. Ist das förderlich, oder sollte er sein Amt möglicherweise schon vor Ende der Legislaturperiode abgeben?
Bosbach: Sie meinen sein Mandat als Bundestagsabgeordneter?
Engels: Genau.
Bosbach: Nein, das sollte er nicht. Man kann sich ja einmal die Wahlergebnisse von Friedrich Merz im Hochsauerlandkreis ansehen. Dann kann man sagen, das ist ohnehin eine verfassungstreue Gegend, da hat die Union immer gute Ergebnisse erzielt. Das ist richtig, aber Friedrich Merz hat herausragende Ergebnisse erzielt, und wenn man sieht, auch wie groß sein Vorsprung an Erststimmen ist gemessen an den Zweitstimmen, die die Union bekommen hat, dann weiß man, dass er nicht nur in seiner Heimat sehr, sehr populär ist. Damit hat er auch eine Verpflichtung für seinen Wahlkreis übernommen. Und ich kann nur sagen, Respekt, wenn er sagt, trotz aller Bedenken und Probleme, die ich habe, bleibe ich noch bis zum Ende der Legislaturperiode Mitglied des Deutschen Bundestages, um auch meine Verpflichtungen gegenüber den Wählerinnen und Wählern zu Hause zu erfüllen.
Engels: Friedrich Merz hat nicht ganz ausgeschlossen, dass er irgendwann in die große Politik zurückkommt. Hoffen Sie darauf?
Bosbach: Ja natürlich! Friedrich Merz ist ein homo politicus. Übrigens wird sein Wort auch Gewicht haben, wenn er nicht mehr Mitglied des Deutschen Bundestages sein sollte. Ich glaube nicht, dass er ganz ohne Politik leben kann. So wie ich ihn kenne, werden wir eines Tages ihn auch wieder, in welcher Rolle auch immer, auf der politischen Bühne wieder sehen.
Engels: Unionsfraktionsvize Wolfgang Bosbach zum Abgang von Friedrich Merz, zunächst aus der ersten Reihe der Politik. Ich bedanke mich herzlich für das Gespräch.
Bosbach: Frau Engels, ich danke Ihnen.