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Bosbach kritisiert Aussagen Volmers als unzureichend

Der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag, Wolfgang Bosbach, kritisiert die Aussagen Ludger Volmer im Visa-Untersuchungsausschuss als unzureichend. Der ehemalige Staatsminister im Auswärtigen Amt habe erstaunliche Kenntnislücken bewiesen. Insgesamt habe die Bundesregierung und damit Außenminister Fischer die möglichen Folgen ihrer Visa-Politik unterschätzt und jahrelang nichts getan. Warum das so gewesen sei, werde Fischer bei seiner Befragung am Montag beantworten müssen, so der CDU-Politiker weiter.

Moderation: Christine Heuer |
    Christine Heuer: Politiker behaupten ja gern von sich, sie hätten einen 16-Stunden-Tag. Dass das stimmen kann, hat der Visa-Untersuchungsausschuss gestern live im Fernsehen bewiesen. 17 Stunden tagte das Gremium; zehn davon wurde der Zeuge Ludger Vollmer gehört. Wer sich das bis zum Schluss angesehen hat, wurde schließlich selbst Zeuge, Zeuge redlicher Erschöpfung nämlich bei den Sitzungsteilnehmern. Ermüdungserscheinungen zum Beispiel bei Eckart von Klaeden, dem CDU-Obmann im Ausschuss. Am Ende eines langen Tages fordert er wiederum den Rücktritt Joschka Fischers, denn schließlich sei doch klar:

    "Dass Minister schon wegen wesentlich geringerer Umstände zurückgetreten sind. Aber Minister Fischer wird nicht zurücktreten, weil das nicht seine Art ist, für persönliches Verschulden auch Verantwortung zu übernehmen."

    Eckart von Klaeden. – War es das alles wert? Sind Bürger und Politiker jetzt schlauer, und wem hat die Live-Übertragung gestern politisch genutzt? Was ist eigentlich mit Joschka Fischer, der am Montag aussagen soll? – Fragen an den Vizefraktionschef der Union im deutschen Bundestag, Wolfgang Bosbach. Herr Bosbach, wenn es darum ging, Rot-Grün in die Zwickmühle zu bringen, war das gestern nicht der Durchbruch?

    Wolfgang Bosbach: Ja und nein. Wir sind nur ein Stückchen schlauer. Ganz aufklären konnten wir den streitgegenständlichen Sachverhalt nicht, weil ja an den entscheidenden Stellen Herr Vollmer sagte, "davon weiß ich nichts", "damit hatte ich nichts zu tun" oder "jedenfalls war ich nicht zuständig". Ich nehme an, dass wir auch so ähnliche Aussagen am Montag von Herrn Fischer hören werden. Im Zweifel kehrt er dann zu seiner Ausgangsargumentation zurück: "Wenn meine Beamte Fehler gemacht haben, dann stelle ich mich vor sie".

    Jedenfalls wer die zehnstündige Vernehmung von Herrn Vollmer aufmerksam verfolgt hat, hat festgestellt: Die möglichen Folgen der neuen rot-grünen Visa-Politik – in den Jahren 1999/2000 begann ja alles – sind dramatisch unterschätzt worden. Und als die Folgen dann eingetreten sind, hat man jahrelang nichts getan, nicht reagiert und das ist eigentlich schon ein Skandal, der jetzt schon feststeht.

    Heuer: Sie haben gesagt, auf entscheidende Fragen habe Ludger Vollmer nicht geantwortet, und Sie erwarten das auch von Joschka Fischer. Dann kann der Untersuchungsausschuss eigentlich einpacken?

    Bosbach: Ja. Da muss man sich natürlich fragen, wer übernimmt eigentlich die politische Verantwortung dafür, dass die Missstände, Zwangsprostitution, legendierte Schleusungen, auch Schleusungen legendiert in die Schwarzarbeit, überhaupt entstehen konnten. Wer ist dafür verantwortlich? – Wenn Herr Vollmer sagt, "ich nicht", und wenn Herr Fischer sagt, "ich nicht", dann heißt das ja, dass offensichtlich niemand im Auswärtigen Amt hierfür die politische Verantwortung übernimmt, und das kann ja nicht ernsthaft das Ergebnis sein. Außerdem: Nachdem insbesondere die beiden Botschafter aus Moskau und Kiew vorgestern ausgesagt haben, kann doch nicht mehr bestritten werden, dass es nicht nur vom Bundeskriminalamt als Beispiel, sondern auch von den Botschaften, von den Visa-Stellen ernste Besorgnisse gab, die auch artikuliert worden sind und das Ministerbüro erreicht haben müssen. Wenn dann ein Botschafter zu Protokoll gibt, ob der Außenminister das zur Kenntnis genommen hat, das kann ich nicht sagen, dann fehlt jetzt nur noch die Argumentation: "Herr Fischer war doch jahrelang damit beschäftigt, die Welt zu retten. Er konnte doch sich jetzt auch nicht noch um die riesigen Probleme infolge der rot-grünen Visa-Politik kümmern."

    Heuer: Was heißt denn das jetzt alles? Hat Ludger Vollmer gelogen? Erwarten Sie gleiches von Joschka Fischer?

    Bosbach: Zumindest hatte er doch erstaunliche Kenntnislücken. Er hat ja größten Wert darauf gelegt, dass der Erlass nicht von ihm formuliert worden sei, er hätte nur am Ende seine Paraffe an die Seite gesetzt, und dass der umstrittene Satz "in dubio pro libertate" von ihm in Frage gestellt worden sei. Bei der nahe liegenden Frage, was heißt das eigentlich, "im Zweifel für die Freiheit", bei welchen Zweifeln soll zu Gunsten des Antragstellers entschieden werden, ist er enorm ins Schwimmen gekommen. Er hat einmal behauptet, das gelte nur für die Prüfung der Rückkehrbereitschaft. An anderer Stelle hat er gesagt: "Nein, das hätte auch für andere Prüfungen gegolten." Also immer dann, wenn es präzise wurde und wenn es schwierig wurde, dann ist er ausgewichen.

    Heuer: Nun hat Ludger Vollmer aber auch gesagt, der so genannte Vollmer-Erlass sei nicht ursächlich gewesen für die Schleuserkriminalität. Das ist an sich ja nicht falsch, denn das Reisebüro-Verfahren und die Reiseversicherung sind ja schon tatsächlich unter der Regierung Kohl eingeführt worden?

    Bosbach: Das ist falsch und das bleibt auch falsch, denn dieser so genannte Vollmer-Erlass, von dem er sagt, das ist nicht mein Erlass – dann wollen wir mal sehen, ob der Fischer sagt, das ist mein Erlass -, nimmt Bezug auf den so genannten "Plüree"-Erlass von Oktober 1999. Es ist richtig, dass es schon zu unserer Regierungszeit das Instrument Reiseschutzversicherung gab, allerdings nur für die Abdeckung eines finanziellen Risikos während des Aufenthalts in Deutschland. Das hat überhaupt nichts damit zu tun, dass selbstverständlich nach wie vor hätte geprüft werden müssen der Reisezweck und auch die Bonität der Einlader und auch die Rückkehrbereitschaft. Nur die Abdeckung des finanziellen Risikos in Deutschland sollte durch diese Reiseschutzversicherung abgedeckt werden.

    Durch den Vollmer-Erlass, der Bezug nahm auf den so genannten "Plüree"-Erlass, ist geregelt worden: Wenn ein Visa-Antragsteller eine Reiseschutzversicherung vorlegt, soll in der Regel auch nicht mehr der Reisezweck und auch nicht mehr die Rückkehrbereitschaft geprüft werden. In der Folge sind praktisch am Fließband Visa erteilt worden, nur wenn jemand eine solche Reiseschutzversicherung vorlegte, und da der so genannte Vollmer-Erlass Bezug nimmt auf diesen Erlass, ist er selbstverständlich ursächlich für die dramatischen Folgen.

    Heuer: Nun hat Ludger Vollmer gestern aber auch noch einmal gesagt, Unionspolitiker hätten die Visa-Erleichterung im Grundsatz begrüßt. Sie selbst übrigens – auch darauf hat Ludger Vollmer hingewiesen – sind ja in einem Fall aktiv geworden und haben ihm einen Brief geschrieben.

    Bosbach: Ja. Da muss ich sagen, dass man ein humanitäres Anliegen aus dem Jahre 2001 als Argument nimmt für eine Änderung der Visa-Politik Oktober 1999 und März 2000. Das ist ja schon Abenteuer, ist ja geradezu verwegen. Das zweite ist: In meinem Falle ist ein Visa begründungslos nicht erteilt worden. Das heißt, der Antragsteller wusste gar nicht, warum für das zehnjährige Kind kein Visum erteilt wird. Daraufhin habe ich gebeten, doch einmal die Begründung mitzuteilen, und habe geschrieben: Wenn es Besorgnisse gibt, die der Antragsteller ausräumen kann, dann mögen sie mitgeteilt werden. Das in einen Kausalzusammenhang zu stellen und zu sagen, auch Politiker der Union haben gefordert, nicht mehr den Reisezweck zu prüfen, nicht mehr die Bonität des Einladers, nicht mehr die Rückkehrbereitschaft, das ist nicht nur visarechtlich abenteuerlich, das ist politisch unanständig.

    Heuer: Nun kommt es ja auf Joschka Fischer an. Der tritt am Montag vor laufenden Kameras vor dem Untersuchungsausschuss auf. Welche Frage vor allem muss Joschka Fischer dort beantworten aus Ihrer Sicht?

    Bosbach: Ich meine es geht im Kern um zwei Fragen: Ob er die politische Verantwortung für den so genannten "Plüree"-Erlass trägt und insbesondere jetzt für den Erlass, den wir nicht mehr Vollmer-Erlass nennen sollen, weil Herr Vollmer sagt, damit habe er nichts zu tun. Was wusste Herr Fischer, was wollte Herr Fischer? Ich darf daran erinnern, dass Herr Fischer 1984 – da war er schon Bundestagsabgeordneter – gesagt hat, man kann den Ausländern nur raten, ein Touristenvisum zu beantragen und dann hier um eine Aufenthaltserlaubnis zu ersuchen. Das hat er selbst einmal gesagt; da war er schon Mandatsträger. Und da ja die katastrophalen Folgen der Erlasse unbestreitbar sind – es hat ja nun Warnberichte ohne Ende gegeben -, muss er die Frage beantworten, warum denn jahrelang nichts geschehen ist. Denn diese rot-grüne Visa-Politik ist nicht von rot-grün beendet worden, sondern eigentlich durch Herrn Oberstaatsanwalt Bülles in einem Ermittlungsverfahren und später hat es dann eine Verurteilung gegeben zu fünf Jahren Haftstrafe. Diese relativ milde Strafe für die Massenschleusungen wurde damit begründet, dass das Auswärtige Amt Mithilfe geleistet hätte.

    Heuer: Sie haben vorhin schon angedeutet, dass Sie sich nicht allzu viel Auskunft von Joschka Fischer erwarten. Für den Fall, dass er diese Fragen nicht beantworten kann, will, es jedenfalls nicht tut, muss er dann zurücktreten?

    Bosbach: Ich teile die Einschätzung des Kollegen von Klaeden, dass er nicht zurücktreten wird.

    Heuer: Muss er aus Ihrer Sicht?

    Bosbach: Aus meiner Sicht hätte er schon zurücktreten müssen, wenn für ihn die gleichen Maßstäbe gelten würden wie für andere auch. Warum ist denn seine damalige Kabinettskollegin Andrea Fischer zurückgetreten, die damalige Gesundheitsministerin? Weil sie drei Tage einen Brief übersehen hatte, der in ihrem Posteingangskorb lag. Das war Grund genug, über Andrea Fischer den Stab zu brechen. Aber ich wäre ja schon froh, wenn ich an der Menschwerdung von Herrn Fischer mal teilnehmen könnte. Ich glaube persönlich nicht, dass er zurücktreten wird. Dass er politisch versagt hat, daran habe ich keinen Zweifel.

    Heuer: Wolfgang Bosbach, der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion im deutschen Bundestag.