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Bosbach sieht Erfolgsaussichten für NPD-Verbotsverfahren skeptisch

Für Wolfgang Bosbach, Vorsitzender des Innenausschusses im Bundestag, ist ein neues NPD-Verbotsverfahren riskant. Zwar sei die NPD offensichtlich verfassungsfeindlich, Voraussetzung für ein Verbot bleibe aber eine aggressiv-kämpferische Haltung. Dieser Nachweis werde nicht leicht zu führen sein, fürchtet der CDU-Politiker.

Wolfgang Bosbach im Gespräch mit Christine Heuer | 01.12.2012
    Christine Heuer: Knapp zehn Jahre ist es her, seit der letzte Versuch, die NPD vom Bundesverfassungsgericht verbieten zu lassen, gescheitert ist. Damals hatten sich die Staatsorgane selbst ein Bein gestellt, weil sie sich in ihrer Argumentation ganz wesentlich auf Aussagen von V-Leuten stützten, die sie selbst in die Führung der NPD eingeschleust hatten. Diesmal soll es aber klappen. Die V-Leute sind abgezogen, auf 1.000 Seiten wurden Belege für die Verfassungsfeindlichkeit der NPD gesammelt, ein Gutachter schätzt die Chancen auf über 50 Prozent ein, und all das wird die Bundesländer nächste Woche mit großer Sicherheit dazu veranlassen, es noch einmal zu probieren. Skeptisch beurteilt ein NPD-Verbotsverfahren der CDU-Politiker und Vorsitzende im Innenausschuss des Bundestags Wolfgang Bosbach. Guten Morgen, Herr Bosbach!

    Wolfgang Bosbach: Guten Morgen!

    Heuer: Der letzte Zweifel am Verbotsantrag, der sich vom Gegenteil überzeugen ließ, war dieser Tage der niedersächsische Innenminister Uwe Schünemann. Wann fallen Sie denn um?

    Bosbach: Ich habe nicht die Absicht, umzufallen. Ich habe vor gut zwölf Jahren dem ersten Verbotsantrag zugestimmt, schon damals gab es Bedenken, denn Anträge auf ein Parteiverbot vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe sind eigentlich klassische Aufgaben der Exekutive, also von Bundesregierung und der Landesregierung beziehungsweise des Bundesrates. Und meine Bedenken bestehen nach wie vor.

    Heuer: Aber nun sind 2649 Belege gesammelt worden für die aggressiv kämpferische Haltung der NPD. Reicht das nicht aus, um in Karlsruhe diesmal Erfolg zu haben?

    Bosbach: Das wird letztendlich Karlsruhe entscheiden müssen. Dass die NPD verfassungsfeindlich ist, das ist evident. Das kann man auch leicht aus offenen Quellen belegen. Hinzukommen muss allerdings eine aggressiv kämpferische Haltung in der Absicht, die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu beseitigen oder zumindest zu beeinträchtigen. Und dieser Nachweis wird nicht ganz einfach zu führen sein, zumal nach der bisherigen Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichtes Exzesse einzelner Mitglieder oder auch von Funktionären der Partei nicht ohne Weiteres angelastet werden können. Das gilt allerdings auch für Straftaten und Gewalttaten. Und ohne den Fall NSU würde es ja sicherlich nicht die erneute Debatte um ein Parteiverbot der NPD geben. Und Generalbundesanwalt Range hat noch vor wenigen Tagen darauf hingewiesen, dass es keine Belege dafür gibt, dass der NSU so eine Art bewaffneter Arm der NPD war.

    Heuer: Also eine Zusammenarbeit mit gewaltbereiten Neonazis reicht nicht aus? Da muss der NPD-Vorsitzende schon selbst zur Waffe greifen?

    Bosbach: Der NPD-Vorsitzende selber nicht, aber muss der Partei zurechenbar sein. Das heißt, in diesem Fall muss man der Partei nachweisen können, dass es Wunsch und Wille war der Partei insgesamt, dass so gehandelt wird. Wenn zum Beispiel jemand teilnimmt an einer Demonstration, wo auch damalige NSU-Aktivisten teilgenommen haben, würde das alleine sicherlich nicht ausreichen.

    Heuer: 2649 Belege, ich sage die Zahl extra noch mal, sind ja gesammelt worden für Hinweise auf diese aggressiv-kämpferische Haltung der NPD, um die es ganz wesentlich gehen wird. Der Gutachter Franz-Wilhelm Dollinger schätzt die Erfolgsaussichten auf dieser Grundlage auf mehr als 50 Prozent ein. Sie stimmen ja nicht zu. Ist Dollinger ein schlechter Jurist?

    Bosbach: Nein. Aber letztendlich wird es die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe sein und nicht die Entscheidung von Herrn Dollinger oder von Herrn Bosbach. Natürlich geht es dort in allererster Linie oder nur um Rechtsfragen. Wir haben ja relativ wenige Urteile. Es gibt das KPD-Urteil, das Urteil Sozialistische Reichspartei. Es gibt das gescheiterte Verfahren von 2003. Möglicherweise wird das Bundesverfassungsgericht auch ganz neue Hinweise geben. Es geht ja nicht nur um die Entscheidung selber, sondern auch um die Entscheidungsgründe. Ich lasse jetzt mal offen, wie die Entscheidung ausfällt, aber: Im Vorfeld der Bundestagswahl kommt jetzt ein erneuter NPD-Verbotsantrag. Und ich wette, dass die NPD dieses Verfahren wiederum als Bühne nutzen wird. Die NPD ist doch auf dem absteigenden Ast. Nach dem gescheiterten Verfahren 2003 hat sie doch einen erheblichen Zulauf von neuen Sympathisanten und Mitgliedern bekommen. Das heißt, wir machen mit einem erneuten Verbotsantrag die NPD wiederum in der Öffentlichkeit attraktiv, jedenfalls im rechtsradikalen Milieu. Wir bringen sie wieder in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. Dass ich froh wäre, wenn es die NPD nicht gäbe, dass ich froh gewesen wäre, wenn sie 2003 bereits verboten worden wäre vom Bundesverfassungsgericht, das steht außer Frage.

    Heuer: Sie haben die Bundestagswahl erwähnt, Herr Bosbach. Ich ergänze das mal um die Landtagswahl in Niedersachsen. Und Sie haben gesagt, dass dieses Verbotsverfahren, der neue Versuch möglicherweise der NPD eine Bühne bereitet. Bereitet er aber nicht auch den demokratischen Parteien eine Bühne im Wahlkampf, auch Ihrer eigenen Partei, der CDU?

    Bosbach: Darum geht es ja gerade. Wir haben ja das gleiche Phänomen wie Anfang 2000. Auch damals hielt sich die Begeisterung über einen NPD-Verbotsantrag in Grenzen. Über die Risiken ist diskutiert worden, sie sind dann allerdings verworfen worden. Warum? Weil sich niemand beim Kampf gegen Rechts – so heißt das ja heute, wenn man gegen Rechtsextremismus und Rechtsradikalität antritt, Ausländerfeindlichkeit, Antisemitismus, es ist immer Kampf gegen Rechts – da will sich ja niemand übertrumpfen lassen. Und wenn man einmal, und das ist das eigentliche Problem, wenn man einmal öffentlich darüber debattiert hat, ob man einen neuen NPD-Verbotsantrag stellt oder nicht, wenn das monatelang diskutiert worden ist, dann gibt es kein Zurück mehr, weil das schon keine juristische, aber eine faktische Niederlage des Staates wäre, weil dann die NPD natürlich sofort sagt, die hat der Mut verloren, offensichtlich sind wir doch nicht so verfassungsfeindlich und radikal, wie das immer behauptet wird. Deswegen läuft der Zug, rollt der Zug in Richtung NPD-Verbotsverfahren, da kann ich nur sagen: gute Reise. Ich hoffe, dass der Antrag auch tatsächlich Erfolg hat, dass die NPD verboten wird, denn ein erneutes Scheitern wäre ein Propagandaerfolg der NPD und eine riesige Blamage für den Staat.

    Heuer: Holger Stahlknecht, das ist der Innenminister in Sachsen-Anhalt, sagt: Selbst ein Scheitern des Antrags in Karlsruhe wäre ein Erfolg für den Rechtsstaat. Verstehen Sie Ihren Parteikollegen noch?

    Bosbach: Das müsste er mir mal erläutern, wie er dazu gekommen ist. Wenn er sagt, das ist eine Entscheidung, die man verfassungsrechtlich so begründen mag, und dann hat der Rechtsstaat eben obsiegt, er hat das letzte Wort in diesem Fall, das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe, das könnte ich noch nachvollziehen. Allerdings ist doch klar, dass es ein gigantischer Propagandaerfolg der NPD wäre, denn sie könnte jetzt auf ihre Plakate und auf ihre Wahlprogramme den Stempel setzen: vom Bundesverfassungsgericht geprüft.

    Heuer: Ein anderer CDU-Politiker, der Innenminister Friedrich, hat immer gewarnt, und er sagt jetzt, die Bundesregierung sei auf das Verbotsverfahren gut vorbereitet. Wofür steht Friedrich, Herr Bosbach? Steht er überhaupt noch?

    Bosbach: Er nimmt eine sehr vernünftige Haltung ein, indem er das macht, was seine Pflicht ist, nämlich, das ist ja verabredet worden, Anfang des Jahres eine Materialsammlung vorzunehmen, das heißt, die Materialien des Bundes und der Länder zusammenführen. Welche Argumente gibt es für ein Verbot? Dann das Material juristisch zu bewerten, und dann ist es bei einem NPD-Verbotsverfahren so wie bei anderen Verfahren auch, dass man Chancen und Risiken gegeneinander abwägt. Und es ist das gute Recht des Bundesinnenministers, zu sagen, dass er skeptisch ist und bleibt. Und diese Bedenken hat er auch am vergangenen Mittwoch im Bundesinnenausschuss vorgetragen und begründet. Und in diesem Zusammenhang nur noch ein kleiner Hinweis zum Thema V-Leute und quellenfreies Material: Der Bundesinnenminister hat gesagt, er hat schon vor geraumer Zeit die Länder aufgefordert zu bestätigen, dass in dem von ihnen erwähnten Material keinerlei Beziehungen zu V-Leuten bestehen, dass es absolut quellenfrei ist. Bis jetzt hat nur ein kleiner Teil der Länder diese Bestätigung abgegeben.

    Heuer: Der Zug rollt Richtung Karlsruhe, haben Sie gesagt. Wenn abgestimmt wird im Bundestag, und das rollt ja auch auf Sie zu, sagen Sie dann mal wieder nein?

    Bosbach: Mal wieder ist gut. Ich habe ja beim NPD-Verbotsverfahren, beim ersten, mit ja gestimmt. Allerdings: Wie sollen wir Abgeordnete eigentlich aus eigener Kenntnis wissen, woher das Material stammt und ob es kontaminiert ist durch V-Leute. Das können wir doch gar nicht wissen. Diese Kenntnis haben nur die Behörden. Für mich jedenfalls ist es keine Gewissensentscheidung. Andere Fragen sind es, für mich ist es keine. Andere mögen es anders sehen. Ich hoffe, dass die Fraktionsführung die Abstimmung freigibt und das jeder so entscheiden kann, wie er es für richtig hält.

    Heuer: Ich habe gesagt, sagen Sie mal wieder nein, weil Sie gestern zum Beispiel zur Griechenlandhilfe nein gesagt haben, und immer schon …

    Bosbach: Ja, habe ich auch. Beim ersten Hilfspaket zugestimmt, nur bei den weiteren konnte ich es nicht mehr, weil die Risiken immer größer werden.

    Heuer: Und immer schon waren Sie eigentlich gegen den Rettungsschirm. Jetzt hören wir aus Washington heute Nacht, Moody’s hat den Rettungsschirm, hat die Rettungsschirme herabgestuft. Herr Bosbach, fühlen Sie sich bestätigt?

    Bosbach: Ja und nein. Mit dieser Entwicklung war zu rechnen. Das wird vermutlich begründet mit der Situation in Frankreich. Das heißt, ich würde das weder dramatisieren noch bagatellisieren, denn es ist in erster Linie ein Hinweis an Frankreich, in den Reformanstrengungen nicht nachzulassen und alles zu tun, um das Vertrauen der Finanzmärkte zurückzugewinnen. Denn Frankreich haftet mit einem hohen Anteil, etwa 20 Prozent. Das heißt, wenn ein Land, das einen so hohen Haftungsanteil trägt, das Vertrauen der Finanzmärkte verliert, dann wirkt sich dieses nachlassende Vertrauen eben auch auf den Rettungsschirm aus. Insoweit war es aufgrund der Entwicklung in Frankreich zu erwarten oder zu befürchten.

    Heuer: Der CDU-Politiker Wolfgang Bosbach im Interview mit dem Deutschlandfunk. Haben Sie vielen Dank!

    Bosbach: Ich danke Ihnen!

    Heuer: Schönen Tag!

    Bosbach: Ihnen auch!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.