Elke Durak: Im Folgenden soll es um den Fall Murat Kurnaz und die Verantwortung der rot-grünen Bundesregierung gehen: Im Interview mit Wolfgang Bosbach, dem stellvertretenden Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Guten Morgen Herr Bosbach!
Wolfgang Bosbach: Guten Morgen!
Durak: Zwei Aufträge hat der BND-Untersuchungsausschuss im Grunde. Er soll ja herausfinden, ob deutsche Behörden mit Schuld an der knapp fünfjährigen Inhaftierung von Kurnaz in Guantanamo tragen und weshalb die damalige rot-grüne Bundesregierung ein mögliches frühes Angebot der USA zur Freilassung von Kurnaz abgewiesen hat. Der Ausschuss wartet dringend auf Erläuterungen des damaligen Kanzleramtsministers und heutigen Außenministers Frank-Walter Steinmeier. Die will er auch ausdrücklich bald geben. Bald heißt: es wird von April geschrieben. Reicht das aus, oder sollte er früher?
Bosbach: Hier gilt das, was in der Politik auch ansonsten gelten sollte: Genauigkeit geht vor Schnelligkeit. Aber ich glaube, dass insbesondere Herr Steinmeier und die Bundesregierung eigentlich ein überragendes Interesse daran haben müssten, dass der streitgegenständliche Sachverhalt möglichst rasch aufgeklärt wird. Bis April wäre tatsächlich noch ein sehr langer Zeitraum. Ich wäre froh, wenn die Aufklärung des Sachverhaltes früher erfolgen könnte.
Durak: Murat Kurnaz galt ja amerikanischen Behörden, den USA und selbst der deutschen Staatsanwaltschaft als recht unschuldig. Trotzdem haben deutsche Behörden ihn nicht nach Hause zurückgeholt. Was hat die Bundeskanzlerin und CDU-Vorsitzende Angela Merkel getan? Sie hat Kurnaz aus Guantanamo geholt. Sie hat offensichtlich andere Erkenntnisse gehabt als rot-grün. Welche?
Bosbach: Hier müssen zwei Sachverhalte unterschieden werden. Es gibt noch mehr Punkte aufzuklären, aber das scheinen mir die beiden wichtigsten zu sein. Zunächst einmal muss doch die Frage beantwortet werden: gab es Ende 2002 das Angebot der USA, Kurnaz freizulassen mit der Folge, dass er wieder nach Deutschland beziehungsweise nach Bremen hätte zurückkehren können? Gab es das Angebot und wie hat die damalige Bundesregierung darauf reagiert?
Zweitens - und das ist natürlich ein ganz herber Vorwurf gegen die damalige Bundesregierung - gab es tatsächlich den Versuch, die Rückkehr von Kurnaz nach Deutschland zu vereiteln? - Offensichtlich hat Angela Merkel Informationen gehabt, dass es eben keine belastbaren Vorwürfe gegen Herrn Kurnaz gibt, und dann gibt es natürlich unter keinem Gesichtspunkt einen Grund, ihn weiterhin festzuhalten. Hinzu kommt ja, dass die damalige Bundesregierung die Verhältnisse in Guantanamo stets sehr heftig öffentlich kritisiert hat und sich auch distanziert hat von den dortigen Haftbedingungen. Dann wäre es natürlich ein eklatanter Widerspruch, wenn sie gewusst hätte oder hätte wissen können, dass es keine belastbaren Vorwürfe gegen Kurnaz gibt und er trotzdem dort in Haft verblieben ist.
Durak: Und wenn man das zu Ende denkt, müsste es Schlussfolgerungen und Konsequenzen geben. Welche sollten das sein?
Bosbach: Zunächst einmal plädiere ich dafür, dass wir den Sachverhalt lückenlos aufklären und dass wir Herrn Steinmeier und andere Mitglieder der damaligen Bundesregierung nicht vorverurteilen. Das hatten wir schon einmal!
Durak: Das tun wir aber nicht, Herr Bosbach!
Bosbach: Ja, aber Entschuldigung! Die Skandalisierung eines Vorganges, der kein Skandal war, das hatten wir schon einmal, Thema Bundeslöschtage. Das brauchen wir nicht noch einmal! Ich plädiere dafür, dass wir in diesem Falle wie im Übrigen auch zunächst einmal Sachverhalte aufklären, ermitteln und dann sie politisch bewerten und die notwendigen Konsequenzen ziehen. Man sollte nicht über Herrn Steinmeier und andere voreilig den Stab brechen, aber aufgeklärt werden muss das auf jeden Fall.
Durak: Die Frage ging ja nach dem Ausmaß der Konsequenzen, Herr Bosbach. Alles andere ist ja unschlüssig. Bundeslöschtage, das ist die Geschichte, dass Daten bei der Amtsübernahme von Kanzlerschaft zu Kanzlerschaft gelöscht wurden, oder verstehe ich das falsch?
Bosbach: Aber Entschuldigung! Damals ist der Vorwurf gegen Herrn Pfeiffer, Herrn Bohl und andere erhoben worden, es seien vorsätzlich Akten vernichtet worden, um Informationen der Nachfolgeregierung vorzuenthalten. Die damaligen Vorwürfe haben sich doch als haltlos erwiesen.
Durak: Ich wollte es nur noch mal in Erinnerung rufen, Herr Bosbach. Weiter nichts. - Die Konsequenzen, welche könnten das denn sein? Welche müssten das sein, wenn sich eine Mitschuld in der beschriebenen Weise ergibt?
Bosbach: Ich bitte um Verständnis dafür, dass ich jetzt keine Was-wäre-wenn-Fragen beantworten möchte.
Durak: Schade!
Bosbach: Sollten sich die Vorwürfe aber als wahr herausstellen, dann bin ich sicher, dass die Betroffenen selber wissen, dass das Konsequenzen haben muss. Da muss man sie nicht unbedingt öffentlich auffordern.
Durak: Es gibt einen weiteren Vorwurf in diesem Zusammenhang mit Bezug auf geheime Dokumente. Im Fall Kurnaz und auch im Fall des Deutsch-Libanesen el Masri habe es unter rot-grün so eine Art sicherheitspolitisches Schattenkabinett gegeben. Am Außenministerium vorbei, am parlamentarischen Kontrollgremium und an anderen Behörden sei vorbeiagiert, informiert worden, fehlinformiert worden. Dürfte so etwas sein?
Bosbach: So etwas dürfte eigentlich nicht sein, denn wir haben zuständige Institutionen in der Bundesregierung. Es gibt auch ein so genanntes Sicherheitskabinett. Ich bitte um Verständnis dafür, dass ich von hieraus nicht beurteilen kann, wer in der damaligen rot-grünen Bundesregierung was wann wusste und wie reagiert hat. In einem bin ich mir allerdings ziemlich sicher, weil das die Erfahrungen der letzten Jahre gezeigt haben. Joschka Fischer wusste im Zweifel, wenn es eng wird, immer von nichts.
Durak: Würde das in Konsequenz bedeuten, um solche Fälle potenziell, muss man ja sagen, auszuschließen, dass es deutlich mehr Kontrolle dieser Tätigkeiten von Geheimdiensten und anderen auch KSK-Einheiten und so weiter geben sollte?
Bosbach: Mit diesem Problem beschäftigen wir uns schon seit geraumen Zeiten und nicht nur im Zusammenhang mit dem Fall Kurnaz. Wir müssen uns in der Tat als Parlamentarier fragen, ob wir genügend Möglichkeit haben, die Arbeit der Geheimdienste zu kontrollieren.
Durak: Haben wir?
Bosbach: Ich bin der Überzeugung, dass dies nicht der Fall ist. Ich glaube, dass wir von den Diensten das erfahren, was wir nach Auffassung der Dienste erfahren sollen. Wir bekommen ja nicht selten gesagt, dann hätte man aber mal nachfragen müssen. Nachfragen kann man aber doch nur bei Sachverhalten, die einem bekannt sind. Deswegen werden wir jenseits des Untersuchungsausschusses uns einmal in aller Ruhe fragen müssen, ob wir nicht weitere Erkenntnismöglichkeiten als Parlamentarier haben könnten. Hier geht es nicht um das einem Dienst Hinterherschnüffeln oder gar um den Verrat von Staatsgeheimnissen, sondern hier geht es schlicht darum, wenn das Parlament Kontrollmöglichkeiten hat, es sie auch wirksam ausschöpfen muss. Wir sehen ja bei dem Vorgang, der jetzt Gegenstand des Untersuchungsausschusses ist, dass es einen hohen Aufklärungsbedarf gibt.
Im Übrigen sei noch folgender Hinweis erlaubt: Es gab ja damals im Fall Kurnaz möglicherweise tatsächlich zunächst ernst zu nehmende Sicherheitsbedenken, auch Sorgen wegen islamistischer Radikalisierungstendenzen bei ihm. Aber da muss man doch trotzdem die rechtsstaatlichen Grundsätze beachten. Da darf man doch nicht den Rechtsstaat über Bord werfen nach dem Motto "Der Zweck heiligt die Mittel".
Durak: Also werden irgendwann Konsequenzen gezogen. - Besten Dank!
Bosbach: Ich danke Ihnen.
Durak: Wolfgang Bosbach war das, stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Unser Thema: der Fall Kurnaz, die Verantwortung der rot-grünen Bundesregierung und mögliche Konsequenzen.
Wolfgang Bosbach: Guten Morgen!
Durak: Zwei Aufträge hat der BND-Untersuchungsausschuss im Grunde. Er soll ja herausfinden, ob deutsche Behörden mit Schuld an der knapp fünfjährigen Inhaftierung von Kurnaz in Guantanamo tragen und weshalb die damalige rot-grüne Bundesregierung ein mögliches frühes Angebot der USA zur Freilassung von Kurnaz abgewiesen hat. Der Ausschuss wartet dringend auf Erläuterungen des damaligen Kanzleramtsministers und heutigen Außenministers Frank-Walter Steinmeier. Die will er auch ausdrücklich bald geben. Bald heißt: es wird von April geschrieben. Reicht das aus, oder sollte er früher?
Bosbach: Hier gilt das, was in der Politik auch ansonsten gelten sollte: Genauigkeit geht vor Schnelligkeit. Aber ich glaube, dass insbesondere Herr Steinmeier und die Bundesregierung eigentlich ein überragendes Interesse daran haben müssten, dass der streitgegenständliche Sachverhalt möglichst rasch aufgeklärt wird. Bis April wäre tatsächlich noch ein sehr langer Zeitraum. Ich wäre froh, wenn die Aufklärung des Sachverhaltes früher erfolgen könnte.
Durak: Murat Kurnaz galt ja amerikanischen Behörden, den USA und selbst der deutschen Staatsanwaltschaft als recht unschuldig. Trotzdem haben deutsche Behörden ihn nicht nach Hause zurückgeholt. Was hat die Bundeskanzlerin und CDU-Vorsitzende Angela Merkel getan? Sie hat Kurnaz aus Guantanamo geholt. Sie hat offensichtlich andere Erkenntnisse gehabt als rot-grün. Welche?
Bosbach: Hier müssen zwei Sachverhalte unterschieden werden. Es gibt noch mehr Punkte aufzuklären, aber das scheinen mir die beiden wichtigsten zu sein. Zunächst einmal muss doch die Frage beantwortet werden: gab es Ende 2002 das Angebot der USA, Kurnaz freizulassen mit der Folge, dass er wieder nach Deutschland beziehungsweise nach Bremen hätte zurückkehren können? Gab es das Angebot und wie hat die damalige Bundesregierung darauf reagiert?
Zweitens - und das ist natürlich ein ganz herber Vorwurf gegen die damalige Bundesregierung - gab es tatsächlich den Versuch, die Rückkehr von Kurnaz nach Deutschland zu vereiteln? - Offensichtlich hat Angela Merkel Informationen gehabt, dass es eben keine belastbaren Vorwürfe gegen Herrn Kurnaz gibt, und dann gibt es natürlich unter keinem Gesichtspunkt einen Grund, ihn weiterhin festzuhalten. Hinzu kommt ja, dass die damalige Bundesregierung die Verhältnisse in Guantanamo stets sehr heftig öffentlich kritisiert hat und sich auch distanziert hat von den dortigen Haftbedingungen. Dann wäre es natürlich ein eklatanter Widerspruch, wenn sie gewusst hätte oder hätte wissen können, dass es keine belastbaren Vorwürfe gegen Kurnaz gibt und er trotzdem dort in Haft verblieben ist.
Durak: Und wenn man das zu Ende denkt, müsste es Schlussfolgerungen und Konsequenzen geben. Welche sollten das sein?
Bosbach: Zunächst einmal plädiere ich dafür, dass wir den Sachverhalt lückenlos aufklären und dass wir Herrn Steinmeier und andere Mitglieder der damaligen Bundesregierung nicht vorverurteilen. Das hatten wir schon einmal!
Durak: Das tun wir aber nicht, Herr Bosbach!
Bosbach: Ja, aber Entschuldigung! Die Skandalisierung eines Vorganges, der kein Skandal war, das hatten wir schon einmal, Thema Bundeslöschtage. Das brauchen wir nicht noch einmal! Ich plädiere dafür, dass wir in diesem Falle wie im Übrigen auch zunächst einmal Sachverhalte aufklären, ermitteln und dann sie politisch bewerten und die notwendigen Konsequenzen ziehen. Man sollte nicht über Herrn Steinmeier und andere voreilig den Stab brechen, aber aufgeklärt werden muss das auf jeden Fall.
Durak: Die Frage ging ja nach dem Ausmaß der Konsequenzen, Herr Bosbach. Alles andere ist ja unschlüssig. Bundeslöschtage, das ist die Geschichte, dass Daten bei der Amtsübernahme von Kanzlerschaft zu Kanzlerschaft gelöscht wurden, oder verstehe ich das falsch?
Bosbach: Aber Entschuldigung! Damals ist der Vorwurf gegen Herrn Pfeiffer, Herrn Bohl und andere erhoben worden, es seien vorsätzlich Akten vernichtet worden, um Informationen der Nachfolgeregierung vorzuenthalten. Die damaligen Vorwürfe haben sich doch als haltlos erwiesen.
Durak: Ich wollte es nur noch mal in Erinnerung rufen, Herr Bosbach. Weiter nichts. - Die Konsequenzen, welche könnten das denn sein? Welche müssten das sein, wenn sich eine Mitschuld in der beschriebenen Weise ergibt?
Bosbach: Ich bitte um Verständnis dafür, dass ich jetzt keine Was-wäre-wenn-Fragen beantworten möchte.
Durak: Schade!
Bosbach: Sollten sich die Vorwürfe aber als wahr herausstellen, dann bin ich sicher, dass die Betroffenen selber wissen, dass das Konsequenzen haben muss. Da muss man sie nicht unbedingt öffentlich auffordern.
Durak: Es gibt einen weiteren Vorwurf in diesem Zusammenhang mit Bezug auf geheime Dokumente. Im Fall Kurnaz und auch im Fall des Deutsch-Libanesen el Masri habe es unter rot-grün so eine Art sicherheitspolitisches Schattenkabinett gegeben. Am Außenministerium vorbei, am parlamentarischen Kontrollgremium und an anderen Behörden sei vorbeiagiert, informiert worden, fehlinformiert worden. Dürfte so etwas sein?
Bosbach: So etwas dürfte eigentlich nicht sein, denn wir haben zuständige Institutionen in der Bundesregierung. Es gibt auch ein so genanntes Sicherheitskabinett. Ich bitte um Verständnis dafür, dass ich von hieraus nicht beurteilen kann, wer in der damaligen rot-grünen Bundesregierung was wann wusste und wie reagiert hat. In einem bin ich mir allerdings ziemlich sicher, weil das die Erfahrungen der letzten Jahre gezeigt haben. Joschka Fischer wusste im Zweifel, wenn es eng wird, immer von nichts.
Durak: Würde das in Konsequenz bedeuten, um solche Fälle potenziell, muss man ja sagen, auszuschließen, dass es deutlich mehr Kontrolle dieser Tätigkeiten von Geheimdiensten und anderen auch KSK-Einheiten und so weiter geben sollte?
Bosbach: Mit diesem Problem beschäftigen wir uns schon seit geraumen Zeiten und nicht nur im Zusammenhang mit dem Fall Kurnaz. Wir müssen uns in der Tat als Parlamentarier fragen, ob wir genügend Möglichkeit haben, die Arbeit der Geheimdienste zu kontrollieren.
Durak: Haben wir?
Bosbach: Ich bin der Überzeugung, dass dies nicht der Fall ist. Ich glaube, dass wir von den Diensten das erfahren, was wir nach Auffassung der Dienste erfahren sollen. Wir bekommen ja nicht selten gesagt, dann hätte man aber mal nachfragen müssen. Nachfragen kann man aber doch nur bei Sachverhalten, die einem bekannt sind. Deswegen werden wir jenseits des Untersuchungsausschusses uns einmal in aller Ruhe fragen müssen, ob wir nicht weitere Erkenntnismöglichkeiten als Parlamentarier haben könnten. Hier geht es nicht um das einem Dienst Hinterherschnüffeln oder gar um den Verrat von Staatsgeheimnissen, sondern hier geht es schlicht darum, wenn das Parlament Kontrollmöglichkeiten hat, es sie auch wirksam ausschöpfen muss. Wir sehen ja bei dem Vorgang, der jetzt Gegenstand des Untersuchungsausschusses ist, dass es einen hohen Aufklärungsbedarf gibt.
Im Übrigen sei noch folgender Hinweis erlaubt: Es gab ja damals im Fall Kurnaz möglicherweise tatsächlich zunächst ernst zu nehmende Sicherheitsbedenken, auch Sorgen wegen islamistischer Radikalisierungstendenzen bei ihm. Aber da muss man doch trotzdem die rechtsstaatlichen Grundsätze beachten. Da darf man doch nicht den Rechtsstaat über Bord werfen nach dem Motto "Der Zweck heiligt die Mittel".
Durak: Also werden irgendwann Konsequenzen gezogen. - Besten Dank!
Bosbach: Ich danke Ihnen.
Durak: Wolfgang Bosbach war das, stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Unser Thema: der Fall Kurnaz, die Verantwortung der rot-grünen Bundesregierung und mögliche Konsequenzen.