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Bosbach: Union darf Metropolen nicht abschreiben

Wolfgang Bosbach hält nichts von einer Großstadtoffensive seiner Partei. Die CDU habe sich "traditionell in Großstädten schwerer getan als in ländlichen Gebieten". Die jüngsten Wahlniederlagen in Hamburg und Bremen seien besser "mit der Politik vor Ort" zu erklären, als mit fehlender Großstadtkompetenz seitens der Union.

Wolfgang Bosbach im Gespräch mit Peter Kapern |
    Peter Kapern: In Hamburg ist die CDU vom Wähler in die Opposition strafversetzt worden, in Bremen ist sie sogar nur noch drittstärkste Kraft und in vier Monaten wird in Berlin gewählt, da droht Platz vier und eine weitere Klatsche. Keine Frage: Die CDU hat ein Problem in Deutschlands Großstädten, und deshalb waren sich die Exegeten der verheerenden Daten aus Bremen gestern in ihrer Wahlanalyse auch sehr einig. Die CDU brauche eine Großstadtstrategie, sagten gestern zum Beispiel Fraktionschef Kauder, Hessens Ministerpräsident Bouffier und die Oberbürgermeisterin von Frankfurt, Petra Roth. Vor einer Stunde habe ich den CDU-Bundestagsabgeordneten Wolfgang Bosbach gefragt, ob er das auch so sieht.

    Wolfgang Bosbach: Das kommt darauf an, was man darunter versteht. Wir sind eine Union und unsere politischen Überzeugungen müssen wir vertreten, unabhängig davon, ob es sich um die CDU in einer Millionenmetropole wie Berlin handelt, oder im ländlichen Raum. Die CDU hat sich traditionell in Großstädten schwerer getan als in ländlichen Gebieten. Das ist allerdings auch kein Naturgesetz, Sie selber haben Hamburg angesprochen. Es ist richtig, dass die CDU dort bei der letzten Wahl verloren hat, aber das lag doch nicht an fehlender Großstadtkompetenz, sondern daran, dass Ole von Beust plötzlich, völlig unerwartet aus dem Amt ausgeschieden ist und dass die Partei mit den Grünen Kompromisse eingegangen ist, die die Wähler nicht honoriert haben. Das sind die Ursachen und nicht, weil die Union generell nicht in der Lage wäre, das Gefühl der Menschen in Großstädten zu erreichen.

    Kapern: Der Fraktionsvorsitzende Volker Kauder hat gesagt, die CDU müsse das Lebensgefühl in den großen Städten wieder besser treffen. Das heißt, Sie sehen nicht, dass die CDU da den Kontakt zur Großstadtrealität verloren hat?

    Bosbach: Ich glaube nicht, dass man von "den Großstädten" sprechen kann, sondern da muss man sich die jeweiligen Verhältnisse vor Ort sehr genau ansehen. Ich glaube, dass nicht nur unsere Parteifreunde in Düsseldorf, Frankfurt oder Stuttgart, wo die CDU den Oberbürgermeister stellt, das anders sehen, sondern auch in Berlin, wo in Kürze gewählt wird. Insbesondere in den Metropolen kommt es ja darauf an, dass man nah bei den Menschen ist. Das sind ja - nehmen Sie mal jetzt Bremen - immer auch nicht nur Landtagswahlen, sondern halbe Kommunalwahlen. Dass man sieht, welche Sorgen und Nöte haben die Menschen, welche Probleme wollen die gelöst haben, dass man dort nah bei den Menschen ist, da kann man mit Parteienideologie sehr wenig anfangen, sondern nur mit pragmatischer Politik, die die Sorgen der Menschen erkennt und ihre Probleme löst. Darauf kommt es ganz entscheidend an und das kann von Stadt zu Stadt ganz unterschiedlich sein.

    Kapern: Aber vielleicht hat ja die CDU gerade auf die Probleme, die es in vielen Großstädten gibt, keine passenden Antworten mehr?

    Bosbach: Ja. Das ist ja genau das Thema, worum es geht, und da wird man nicht alle Großstädte über einen Leisten schlagen können. Da wird es ganz unterschiedliche Aufgaben und Herausforderungen geben. Die Situation in Düsseldorf ist sicherlich eine ganz andere als in Berlin. Nehmen Sie mal meinen eigenen Wahlkreis: Wir haben keine Millionen-Metropole, aber die kleinste Gemeinde wird von einem SPD-Bürgermeister regiert, die größte Stadt, meine Heimatstadt Bergisch Gladbach mit 110.000 Bürgern, von einem CDU-Bürgermeister. Das hat also offensichtlich nicht nur etwas mit der Größe einer Stadt zu tun, sondern mit der Politik vor Ort.

    Kapern: Trotzdem noch mal nachgefragt, Herr Bosbach. Was wären denn solche Antworten, die die CDU dann in einigen Großstädten genauer geben müsste? Petra Roth, die Oberbürgermeisterin von Frankfurt, hat ja beispielsweise die Bildungs- und die Umweltpolitik angesprochen.

    Bosbach: Ja die Frage ist ja nun in jeder Hinsicht berechtigt, aber die Frage muss doch denjenigen gestellt werden, die sagen, die Union muss sich in ihrer politischen Programmatik mehr an dem Lebensgefühl der Menschen in den Großstädten orientieren. Jetzt möchten wir beide gerne wissen, was darunter ganz konkret politisch-inhaltlich zu verstehen ist. Nehmen wir wieder einmal das Beispiel Hamburg. Die Union ist dort eine Koalition mit den Grünen eingegangen und hat einen Schulkompromiss geschlossen, von dem wahrscheinlich viele sagen, das ist aber jetzt eine ganz moderne, großstadtorientierte Politik. Nur das, was dort geplant wurde, gemeinsames längeres Lernen und nicht mehr das traditionelle differenzierte Schulsystem unter der Überschrift "jeder soll nicht nur eine Bildungschance, sondern seine Bildungschance bekommen", hat offensichtlich der Wähler dort nicht honoriert.

    Kapern: Aus Ihren Worten höre ich heraus, Herr Bosbach, dass Sie das Großstadt-Problem der CDU gar nicht als so groß ansehen. Was ist dann die Ursache des Niedergangs der CDU? Was ist die Ursache der Kette von Wahlniederlagen?

    Bosbach: Zum einen - ich habe es vorhin genau anders gesagt -, wir tun uns in Großstädten traditionell schwerer als in ländlichen Räumen. Aber es ist doch noch nicht lange her, da hat die CDU auch in Hamburg und in Berlin die Regierungschefs gestellt. Wir sollten doch nicht jetzt die Großstädte abschreiben, oder uns selber einreden, die Union hätte in den Metropolen überhaupt keine Chance. Das kommt darauf an, wie sich die Parteien vor Ort präsentieren, wie sie sich politisch-inhaltlich positionieren und welche Akzeptanz unser Führungspersonal hat.
    Die Grünen haben zurzeit ein demoskopisches Hoch. Es ist gerade mal knapp fünf Jahre her, da sind die Grünen aus allen, aus ausnahmslos allen Regierungen herausgewählt worden: Bundesregierung vor sechs Jahren und auch aus sämtlichen Landesregierungen. Warum? - Weil sie in Regierungsverantwortung waren, weil die Menschen auf einmal die große Diskrepanz gesehen haben zwischen der Theorie, zwischen der politischen Rede und der praktischen Arbeit in der Regierung, nicht, weil die Grünen irgendwelche Skandale zu verantworten hatten. Wer heute regiert, muss auch unpopuläre Entscheidungen treffen. Das honoriert allerdings der Wähler nur in einem sehr begrenzten Umfang. Die Koalition in Berlin hatte einen sehr, sehr schweren Start. Wir haben dann im Laufe der letzten Monate Tritt gefasst. Aber seit einiger Zeit beschäftigen wir uns wieder im Wesentlichen mit uns selber. Das gilt zwar schwerpunktmäßig für die FDP, aber das gilt auch für die Union. Wenn wir den Eindruck erwecken, wir machen Politik nicht aus inhaltlicher Überzeugung, wir bleiben nicht unserer politischen Linie treu, weil wir sie für richtig halten, sondern wir machen Politik aus Opportunität und wir sind bereit, unsere Überzeugungen zu ändern, wenn der Trend einmal aus einer anderen Richtung kommt, dann werden wir verloren gegangenes Vertrauen nicht zurückgewinnen.

    Kapern: Darf ich die letzten Formulierungen auch auf den Atomausstiegskurs anwenden, den Angela Merkel ja jetzt noch forcieren will?

    Bosbach: Ich halte ihn in der Sache für richtig, aber wir müssen noch gewaltige Überzeugungsarbeit leisten, wenn wir den Wählerinnen und Wählern überzeugend darlegen wollen, erstens der Kurswechsel ist nicht aus Opportunitätsgründen erfolgt, sondern aus politisch-inhaltlichen Gründen, also aus sachlichen Erwägungen, und zweitens mit dem, was wir jetzt vorhaben, erreichen wir die Ziele sichere Energieversorgung, saubere Energieversorgung und das alles zu bezahlbaren Preisen, ohne dass wir die Privathaushalte und den Wirtschaftsstandort Deutschland über Gebühr belasten, und da müssen wir noch viel Arbeit leisten.

    Kapern: Die Erfolgswelle der Grünen haben Sie gewissermaßen eben als Zwischenhoch gekennzeichnet. Politikwissenschaftler sagen hingegen, dass die Grünen durchaus das Potenzial zur Volkspartei haben. Droht denn das Ende der Volkspartei CDU, wenn man sich mal das Ergebnis von Bremen anschaut?

    Bosbach: Wissen Sie, ich kann mich noch sehr gut an die Zeit der Spendenaffäre erinnern. Da haben viele Experten gesagt, die CDU wird den Weg der Democrazia Cristiana in Italien gehen. Nichts davon ist eingetreten und wenige Jahre später haben wir dann wieder die Bundeskanzlerin gestellt. Wir leben in einer sehr schnelllebigen Zeit. In wenigen Monaten kann die politische Lage schon ganz anders aussehen als heute. Der CDU droht ebenso wenig der Niedergang wie anderen Parteien, und in Bremen hatte es die CDU ohnehin noch nie leicht gehabt. Wir müssen jetzt sehr aufpassen, dass wir nicht so in einer Art Autosuggestion uns selber auch noch herunterziehen. Wenn wir selber nicht mehr an unseren Erfolg glauben, wenn wir selber nicht mehr aus voller Überzeugung unsere politischen Inhalte vertreten, dann wird sich eine solche düstere Prophezeiung möglicherweise bewahrheiten.

    Kapern: Wolfgang Bosbach war das von der CDU, der Vorsitzende des Innenausschusses im Bundestag.