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Bosbach: Union darf nicht vom politischen Erdbeben der SPD erfasst werden

Der stellvertretende Unionsfraktionschef Wolfgang Bosbach hat erklärt, CDU und CSU wollten die Koalitionsverhandlungen zu einem erfolgreichen Ende führen. Die Union müsse allerdings aufpassen, dass sie vom politischen Erdbeben der SPD nicht erfasst werde.

Moderation: Stefan Heinlein |
    Heinlein: "Das schönste Amt neben Papst" - Franz Müntefering war gerne SPD-Vorsitzender. Bis gestern Nachmittag. Eine herbe, überraschend deutliche Niederlage im Parteivorstand, daraufhin sein Abschied vom SPD-Parteivorsitz. Noch in dieser Woche soll es eine Vorentscheidung zumindest über seine Nachfolge geben. Die Personalquerelen bei den Genossen werden auch von der Union mit Sorge beobachtet, man fürchtet um die große Koalition, denn auch Edmund Stoiber überlegt nun noch einmal seinen Wechsel ins Merkel-Kabinett. Dennoch gingen gestern die Verhandlungen weiter und dazu jetzt bei mir am Telefon der stellvertretende Unionsfraktionsvorsitzende Wolfgang Bosbach. Guten Morgen.

    Bosbach: Guten Morgen, Herr Heinlein.

    Heinlein: Heftige Turbulenzen bei ihrem wahrscheinlichen Partner - machen Sie sich Sorgen um die SPD?

    Bosbach: Ja, wir machen uns schon Sorgen, denn was sich gestern in der SPD-Parteizentrale ereignet hat, das war schon ein politisches Erdbeben, und wir können nur hoffen als potentieller Koalitionspartner der SPD, dass die Partei bald wieder Tritt fasst, und wir hoffen auch, dass es nicht zu einer politischen Verschiebung kommen wird, dass sich die SPD nicht noch weiter nach links orientiert, denn das war ja nicht nur eine Entscheidung Nahles oder Wasserhövel, sondern ein Votum für Andrea Nahles war natürlich auch eine politisch-inhaltliche Entscheidung, denn sie steht ja bewusst für eine linke Politik in der SPD.

    Heinlein: Überbewerten Sie da nicht die Funktion eines Generalsekretärs?

    Bosbach: Sie hat ja selber so argumentiert, sie hat gesagt, sie wollte eine politische Generalsekretärin sein, sie wollte sich bewusst politischer positionieren als Herr Wasserhövel, das wäre schon etwas merkwürdig, wenn sie jetzt plötzlich ihre politischen Überzeugungen über Bord werfen würde. Das glaube ich ihr auch, das traue ich ihr auch gar nicht zu, sondern ich glaube, dass sie jetzt versuchen wird, doch verstärkt für ihre Positionen innerhalb der SPD zu werben und damit auch innerhalb der Koalition. Allerdings kann ich mir auch gut vorstellen, dass sich jetzt schon rechte Sozialdemokraten auf das Rückspiel freuen auf dem Bundesparteitag der SPD.

    Heinlein: Sollten Ihre Befürchtungen eintreffen, die SPD weiter nach links rücken in vielen Positionen, steht dann für Sie die große Koalition in Frage?

    Bosbach: Jedenfalls noch nicht. Wir wollen ja, dass diese Koalition zustande kommt. Die Koalition ist mit Verlaub auch fast ein zwangsläufiges Ergebnis der Entscheidungen der Wählerinnen und Wähler, das Wahlergebnis ist ein kompliziertes Gesamtkunstwerk, es hätte zwar auch andere politische Konstellationen gegeben (zumindest theoretisch), sie waren aber politisch-praktisch nicht realistisch und deswegen läuft jetzt alles auf eine große Koalition hinaus. Wir wollen die Verhandlungen erfolgreich zu Ende führen. Ich gehe auch davon aus, dass das so der Fall sein wird, ich kann allerdings auch ein Scheitern nicht ausschließen.

    Heinlein: Wie wird sich denn Ihre Partei in den kommenden Tagen verhalten, wer ist ihr erster Ansprechpartner in den Verhandlungen?

    Bosbach: Das muss nach wie vor Franz Müntefering sein, denn er ist ja noch Parteivorsitzender der SPD, er wird es auch noch bleiben bis zu deren Bundesparteitag, er ist immer noch designierter Arbeitsminister und Vizekanzler, denn er hat sich ja noch nicht endgültig entschieden, dass er das Kabinett verlassen wird, genauer gesagt, dass er nicht für dieses Amt antreten wird. Das alles ist noch offen. Also nach wie vor müssen und werden wir mit Franz Müntefering an erster Stelle verhandeln, aber für uns stellt sich natürlich die Frage: inwieweit hat er noch pro cura für die SPD zu sprechen?

    Heinlein: Können Sie diese Frage beantworten?

    Bosbach: Ja, alle Stimmen, die wir in den letzten Stunden vernommen haben, sagen, Franz Müntefering ist nach wie vor zumindest primus inter paris und er ist der Verhandlungsführer für die SPD, und danach haben wir uns auszurichten.

    Heinlein: Wird es die Union, spekulieren wir mal über einen Nachfolger, nicht vielleicht sogar leichter haben mit Kurt Beck oder Matthias Platzeck, den wahrscheinlichen Nachfolgern?

    Bosbach: Das kann man jetzt noch beurteilen, weil es weniger auf die Persönlichkeit ankommen darf als auf die politischen Inhalte. Sollte, was ich nicht hoffe, was ich auch nicht erwarte, aber auch nicht ausschließen kann, es zum Scheitern der Koalitionsverhandlungen kommen, dann sicherlich nicht wegen der Personalie Wasserhövel-Nahles, sondern eher wegen politischen Inhalten, dass man sich in wichtigen Sachfragen nicht einigen kann, und dieses Problem kann sich bei jedem SPD-Vorsitzenden stellen. Außerdem dürften ja die Koalitionsverhandlungen abgeschlossen sein, wenn die SPD ihren Bundesparteitag hat, so dass es dann auf das praktische Regierungshandeln ankommt und dann glaube ich, wäre es besser gewesen, wenn auch der Parteivorsitzende der SPD mit am Kabinettstisch gesessen hätte und das ist ja reine Spekulation, zum jetzigen Zeitpunkt davon auszugehen, dass der neue SPD-Vorsitzende, wer immer es sein mag, ins Bundeskabinett wechseln wird.

    Heinlein: Der angekündigte Rücktritt von Franz Müntefering hatte ja auch Weiterungen gestern Nachmittag in Ihrer Partei, in Ihrer Fraktion. Edmund Stoiber überlegt, und heute soll entschieden werden, ob er vielleicht doch nicht nach Berlin ins Merkel-Kabinett wechselt. Welche Folgen hätte das denn für den Zustand der großen Koalition?

    Bosbach: Ich selber kann das weder bestätigen noch dementieren, ich bin da auch auf Nachrichten angewiesen. Sicherlich ist richtig, dass Edmund Stoiber zurzeit überlegt, ob er seine Entscheidung revidiert. Dafür kann man auch Verständnis haben, denn für ihn war es offenkundig wichtig, dass Franz Müntefering nicht nur mit am Verhandlungstisch sondern auch mit am Kabinettstisch sitzt, vielleicht war das für ihn, für Edmund Stoiber, auch eine Geschäftsgrundlage für den Wechsel von München nach Berlin, nur müssen wir jetzt aufpassen, dass wir von dem politischen Erdbeben der SPD nicht mit erfasst werden, wir müssen jetzt klar sein in unseren inhaltlichen Positionen und auch in unseren Personalentscheidungen und deswegen wäre es gut, wenn auch in dieser Frage möglichst rasch und dann endgültig Klarheit herrschen würde.

    Heinlein: Warum haben Sie Verständnis für den möglichen Rückzieher von Edmund Stoiber? Das sieht doch so aus, als ob er nur auf die Gelegenheit gewartet hat, jetzt doch zu sagen, ich bleibe in Bayern.

    Bosbach: Ich habe ja nun an allen Verhandlungen in der Föderalismus-Kommission als Obmann der CDU/CSU-Bundestagsfraktion teilgenommen und weiß daher aus eigener Kenntnis, dass Edmund Stoiber und Franz Müntefering über einen langen Zeitraum hinweg sehr eng und vertrauensvoll zusammengearbeitet haben und möglicherweise war dieser Punkt auch für Edmund Stoiber wichtig bei seiner Entscheidung, nach Berlin zu kommen.

    Heinlein: Also es hängt doch an den Personen und nicht an den Inhalten.

    Bosbach: Ja, aber mit Verlaub doch nicht nur. Selbst die längste und schwierigste Verhandlungsrunde macht doch nur dann Sinn, wenn man zu guten Sachentscheidungen kommt. Und bei Edmund Stoiber spielten offensichtlich nicht ausschließlich diese Sachfragen eine Rolle, sondern auch eine gute politisch-persönliche Beziehung zu Franz Müntefering. So wichtig und richtig es gewesen wäre, wenn Edmund Stoiber nach Berlin gekommen wäre oder genauer gesagt, wenn er in Berlin bleiben würde, weil auch Angela Merkel verständlicherweise Wert darauf legen muss, dass dann im Bundeskabinett auch die Parteivorsetzenden vertreten sind, so sehr habe ich auch Verständnis dafür, wenn Edmund Stoiber jetzt in diesem Moment überlegt, macht es für mich noch Sinn, weil ich auf die Person und die Funktion von Franz Müntefering gesetzt habe, weil er ja die Sozialdemokraten repräsentiert und zumindest bis vor wenigen Stunden noch verbindliche Erklärungen für die SPD abgeben konnte.

    Heinlein: Wer könnte denn Stoiber ersetzen?

    Bosbach: Also um Gottes Willen, das ist jetzt wirklich der reine Bereich von Spekulationen, daran möchte ich mich überhaupt nicht beteiligen. Zum jetzigen Zeitpunkt müssen wir ja noch davon ausgehen, dass Edmund Stoiber in Berlin bleibt und nicht wieder nach München zurückgeht, und dann ist es die Entscheidung der CSU, und das muss mit Angela Merkel besprochen werden und jeder Zwischenruf von außen kann da nur stören.