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Bosbach: Wir geben Eigenverantwortlichkeit der Schuldenstaaten auf

Der EU-Rettungsschirm führt dazu, dass verschuldete Staaten höhere Risiken eingehen können, kritisiert der CDU-Politiker Wolfgang Bosbach. Die EU-Verträge sehen eigentlich vor, dass Staaten es eigenverantwortlich schaffen müssen, aus einer Krise zu kommen - diese Regelung werde aufgegeben.

Das Gespräch führte Christiane Kaess | 29.06.2012
    Christiane Kaess: Es war eine dramatische Nachtsitzung der Staats- und Regierungschefs der 17 Euro-Länder. Jetzt hat man sich auf Hilfen für die bedrängten Länder Spanien und Italien geeinigt. Rom und Madrid haben bekanntlich akute Schwierigkeiten, sich frisches Geld zu besorgen.
    Und wie schon gesagt: Auch in Berlin ist heute ein bisschen Brüssel. Bundestag und Bundesrat stimmen unmittelbar vor der Sommerpause noch über den Fiskalpakt und den dauerhaften europäischen Rettungsschirm ab. Die Zweidrittelmehrheit der Abgeordneten bei beiden Gesetzespaketen gilt zwar als so gut wie sicher; für Nervosität und Unmut ist dennoch gesorgt, denn längst nicht alle sind mit den Plänen der Regierung einverstanden. – Am Telefon ist Wolfgang Bosbach (CDU), Vorsitzender des Bundestagsinnenausschusses. Guten Morgen, Herr Bosbach.

    Wolfgang Bosbach: Guten Morgen, Frau Kaess.

    Kaess: Herr Bosbach, schauen wir zunächst auf die Ergebnisse in Brüssel. Ist Deutschland denn aus Ihrer Sicht jetzt gezwungen worden, seine Position aufzuweichen?

    Bosbach: Jedenfalls war wohl ohne Zustimmung Deutschlands zu dem, was gerade berichtet worden ist, eine Einigung beim Brüsseler Gipfel nicht möglich. Es gibt sicherlich positive Elemente, wie zum Beispiel den sogenannten Wachstumspakt – insbesondere deshalb, weil wohl nicht beabsichtigt ist, dieses Paket zur Stärkung wirtschaftlichen Wachstums kreditzufinanzieren, damit wäre die Schuldenlast erneut erhöht worden. Aber es gibt natürlich auch Beschlüsse, die dem widersprechen, was Deutschland jahrelang gesagt hat. Das wiederum überrascht nicht, denn bisher haben wir deshalb nie rote Linien überschritten, weil immer dann, wenn die rote Linie erreicht war, sie weiter verschoben wurde. Und wenn jetzt zum Beispiel der Vorrang des ESM vor dem privaten Gläubiger wegfällt, ist das eine gute Nachricht für die privaten Gläubiger, aber keine gute Nachricht für die Steuerzahler.

    Kaess: Haben wir denn, Herr Bosbach, jetzt eine Vergemeinschaftung der Schulden, gegen die Angela Merkel immer so strikt war und so wie Italiens Ministerpräsident Mario Monti das Ganze jetzt interpretiert?

    Bosbach: Natürlich gehen wir einen großen Schritt in Richtung Vergemeinschaftung von Schulden, denn wenn heute der ESM beschlossen wird, dann weitet sich die Währungsunion aus zu einer Haftungsunion. Also das kann man nun wirklich nicht bestreiten. Die Frage ist, ob diese Haftungsunion eines Tages dazu führen wird, dass wir über das, was wir jetzt ohnehin zahlen müssen, die 22 Milliarden Euro bei der Aufbringung des Kapitals, auch zahlen müssen bei Zahlungsausfällen. Ich rechne damit, dann wird aus der Haftungsunion tatsächlich eine Transferunion, was die Europäische Union immer schon war. Aber der Euro, die Eurozone sollte nie eine Transferunion werden, nur eine Währungsunion.

    Kaess: Aber, Herr Bosbach, warum macht Ihnen das so große Sorgen, denn nach wie vor müssen sich doch die Länder an ihre Haushaltsvorgaben halten?

    Bosbach: Ja, genauso wie an die strikten Stabilitätskriterien von Maastricht auch und genauso wie ...

    Kaess: Das soll ja mit dem Fiskalpakt anders werden.

    Bosbach: Ja. Was gibt Ihnen denn die Sicherheit, dass die Regeln des Fiskalpaktes anders als die Regeln der Maastricht-Kriterien strikt beachtet werden? Und außerdem: Wenn Sie jetzt in diesem Gespräch davon ausgehen, der Fiskalpakt wird strikt beachtet, und die anderen Konvergenz- und Stabilitätskriterien auch, warum brauchen wir dann einen dauerhaften Rettungsschirm? Dann wäre doch der EFSF, der auf Zeit angelegt und der Höhe nach befristet ist, völlig ausreichend gewesen. Einen dauerhaften Rettungsschirm mit einem Volumen, Haftungsvolumen von mindestens, nicht etwa höchstens, 500 Milliarden Euro, brauche ich nur dann, wenn ich doch davon ausgehe, dass die strikten Stabilitätskriterien nicht beachtet werden und Staaten deshalb in Turbulenzen geraten können.

    Kaess: Aber, Herr Bosbach, die andere Argumentation wäre, dass gerade mit dem ESM doch die Schuldenunion verhindert wird, denn es gibt eben gleichzeitig den Fiskalpakt und beim ESM eine Maximalverpflichtung, also keine offene Transferunion?

    Bosbach: Keine offene, aber sie wird eines Tages, so unsere Befürchtung, die Folge der Haftungsunion sein. Alles das, was jetzt versprochen wurde, ist den Bürgern bereits schon einmal versprochen worden, nämlich bei der Einführung des Euro. Wir haben es doch erlebt, bis zur Währungs- und Finanzkrise 2008/2009 und in der Zeit danach, dass immer wieder etwas ganz fest zugesichert wurde, was dann doch nicht eingehalten werden konnte, damit man überhaupt zu einer Einigung in der Eurozone kommt. Das Problematischste der Beschlüsse heute ist doch, dass wir endgültig und unkündbar Artikel 125 des EU-Vertrages, die sogenannte No-Bailout-Klausel, die die Eigenverantwortlichkeit der Euro-Staaten für ihre eigene Finanzpolitik sicherstellen soll, aufgeben. Und wenn wir das Prinzip der Eigenverantwortlichkeit erst einmal aufgegeben haben, dann wird es Länder geben, die Risiken eingehen zulasten anderer Staaten, die sie nie eingehen würden, wenn sie wüssten, sie müssten alleine haften.

    Kaess: Aber, Herr Bosbach, was wäre denn die Alternative, die überschuldeten Länder aus der Eurozone ausscheiden lassen?

    Bosbach: Es gibt keine Regeln für Austritt und Ausschluss, das gilt auch für Griechenland. Die Entscheidung, ob Griechenland auf Dauer im Euroraum ...

    Kaess: Was ist denn die Möglichkeit, diese Staaten zu retten?

    Bosbach: Das war zunächst einmal – deswegen habe ich ja auch für die erste Griechenland-Hilfe gestimmt und auch für die Einrichtung der EFSF. Aber ich habe immer gesagt, darüber hinaus gehe ich nicht. Immer dann, wenn sich die Haftung ausweitet, erleichtert das den Problemstaaten die Aufnahme neuer Schulden. Damit steigt der Schuldenberg weiter an. Sie können eine Staatsschuldenkrise nicht mit immer mehr Schulden lösen.

    Kaess: Also in eine weitere Haushaltsdisziplin haben Sie kein Vertrauen. – Herr Bosbach, Sie haben sich mit Ihrem damaligen Nein zum erweiterten europäischen Euro-Rettungsschirm üble Beschimpfungen und Kritik aus den eigenen Reihen eingeholt. Wenn Sie die Abstimmung damals mit der heute vergleichen – was ist jetzt anders, auch für die Abweichler wie Sie, die gegen den ESM stimmen werden?

    Bosbach: Es hat sich möglicherweise die Erkenntnis durchgesetzt, dass sich die Union überhaupt keinen Gefallen tut, wenn sie nach außen den Eindruck erweckt, hier ist nur die Einheitsmeinung gefragt und toleriert, alles Andere wird nicht geduldet. Wir sind doch alle in der Bevölkerung, auch bei den Journalisten, hin- und hergerissen bei der Beantwortung der Frage, welcher Weg zur Bewältigung der Schuldenkrise ist richtig, und warum soll man nicht vor den Augen und Ohren der Öffentlichkeit die unterschiedlichen Auffassungen austauschen.

    Kaess: Also unter Druck stehen die Abweichler nicht?

    Bosbach: Nein, überhaupt nicht.

    Kaess: Wie ist denn die Stimmung in der Fraktion?

    Bosbach: Wir gehen ja davon aus, dass es eine deutliche Mehrheit geben wird, auch eine eigene Mehrheit. Für mich ist allerdings überraschend zu erfahren, zu Beginn der Rettungsbemühungen gab es ja noch leidenschaftliche Debatten über Zahlen, Daten und Fakten, die Debatte hat sich stark beruhigt. Je höher die Haftungssummen werden, die beschlossen werden, desto ruhiger werden auch die Debatten.

    Kaess: Das heißt, das hört sich so an, man ist eigentlich heute schon viel abgebrühter, weil das Thema Euro-Rettung sowieso rauf- und runterdiskutiert wurde und eh schon so viel Geld dafür versprochen wurde?

    Bosbach: Es hat sich eine gewisse Rettungsroutine eingeschliffen, das ist richtig.

    Kaess: Welche Wirkungen, glauben Sie, haben die Beschlüsse des Gipfels kurzfristig auf die Märkte?

    Bosbach: Kurzfristig werden sie die Märkte beruhigen. Es ist auch gut - und deswegen werde ich ja auch gerne dem Fiskalpakt zustimmen -, dass durch die entsprechenden verfassungsrechtlichen Änderungen in den Nationen der politische Eindruck erweckt wird, wir wollen aber jetzt in Zukunft strikter Haushaltsdisziplin üben als in der Vergangenheit. Aber entscheidend ist, ob die Länder Italien, Spanien, Portugal, Griechenland die politische Kraft haben, so strikte Haushaltsdisziplin zu üben, dass sie zumindest mittelfristig in der Lage sind, sich aus eigenen Kräften zu finanzieren.

    Kaess: Wolfgang Bosbach (CDU), er ist Vorsitzender des Bundestags-Innenausschusses. Vielen Dank für dieses Gespräch heute Morgen.

    Bosbach: Ich danke Ihnen.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.