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Bosnien
Pokémon-Hype bis an den Rand der Minenfelder

Während des Kriegs in Bosnien wurden sehr viele Minenfelder angelegt. Über 1.000 Quadratkilometer sind auch heute noch nicht davon geräumt. Das Spiel Pokémon Go führt Smartphone-Nutzer auf der Suche nach Monstern bis an den Rand dieser Gebiete.

Von Ralf Borchard | 28.07.2016
    Haris und Haris spielen das Spiel Pokémon Go auf ihren Handys.
    Haris und Haris spielen das Spiel Pokémon Go auf ihren Handys. (Deutschlandradio - Ralf Borchard)
    Haris ist 14, wie Tausende andere ist er mit dem Smartphone auf Pokémon-Jagd:
    "Wir haben gerade einen seltenen Pokémon gefunden. Jetzt laufen wir hier noch weiter im Kreis, ob noch welche in der Nähe sind."
    Er und sein Freund, der ebenfalls Haris heißt, sind in einer Bauruine unterwegs – einem zerstörten Haus in Sarajevo, durch das im Krieg genau die Frontlinie verlief.
    "Ich wusste nicht, dass hier die Front war", sagt der Freund überrascht. "Aber ich glaube auch nicht, dass es hier noch Minen gibt. Die liegen, wenn, weit entfernt. Wir sind hier doch mitten in der Stadt."
    Die beiden 14-Jährigen haben Recht: dieses Gebäude ist von Minen geräumt. Doch mehr als 1.000 Quadratkilometer im Land sind es noch nicht. Meistens sind das zwar Waldgebiete und Wiesen, an denen Warnschilder stehen. Und natürlich hat der Anbieter des Smartphone-Spiels nicht mitten in solchen Minenfeldern virtuelle Pokémons platziert.
    Doch bis an den Rand solcher Gefahrenzonen führt der Pokémon-Hype allemal. Und nicht alle Gebiete sind klar abgegrenzt und gekennzeichnet. Immer wieder hat es in den vergangenen Jahren Tote und Verletzte gegeben - Minenräumer, Landwirte, auch spielende Kinder. Mirza Zornic ist ebenfalls Pokémon-Fan und steht an einer viel befahrenen Straße:
    "Es ist nicht notwendig, in solche Gebiete reinzulaufen, irgendwie sein Leben zu riskieren, ganz besonders wegen einem Spiel, also."
    Kind posierte an der Grenze zu einem Minenfeld
    Der 31-Jährige hat lange in Deutschland gelebt, jetzt ist er Mitglied der Facebook-Gruppe "Pokémon Go Sarajevo Gotta Catch 'em All". Er hat selbst ein Foto im Internet gesehen, auf dem ein Kind mit Handy direkt neben einem Minenwarnschild posiert, sagt der Grafikdesigner:
    "Auf dem Foto stand ein Kind, es war eher lächelnd, also anscheinend hat es ihm Spaß gemacht, in solche Gebiete zu laufen. Obwohl es auch nur an dieser Grenze war. Und daher sollten die Eltern Acht geben, wo genau ihre Kinder hinlaufen, und was sie tun."
    Ein Teil des Minenproblems in Bosnien ist: Kinder und Jugendliche sind nicht nur sowieso unbekümmerter. Wer nach Kriegsende geboren ist, hat auch weniger Bewusstsein für die Kriegsfolgen - wie die Minengefahr. Zwar werden in Radio und Fernsehen laufend Warnungen wiederholt. Dazu kommen neuerdings spezielle Pokémon-Warnspots im Internet. Es gibt Schulunterricht zur Minengefahr. Aber vielleicht gilt gerade deshalb ein Pokémon-Jagd-Foto neben einem Minenwarnschild bei manchen als cool, sagt Mirza Zornic:
    "Ich glaube eher, es sind Einzelfälle, wo auch die Kinder einfach bisschen Spaß machen, auch, um sich so herzuzeigen. Aber meiner Meinung nach sollte man das nicht machen."
    In Mirzas Pokémon-Facebookgruppe ist auch Emrah Zelmani. Der 23-jährige Kellner betont:
    "Seit es das Spiel Pokémon Go gibt, bin ich unzählige Kilometer weit gelaufen, habe viele neue Freunde - und 15 Mädels - kennengelernt. Das ist das Positive! Man lernt neue Leute kennen, neue Meinungen, neue Cliquen, neue Freunde. Was die Minen angeht: Ja das ist das größte Problem in unserem Land. Die Frage sollten wir unseren Politikern stellen: Warum über 20 Jahre nach Kriegsende immer noch Leute wegen Minen verunglücken."
    Nach offiziellen Schätzungen wird es noch bis 2024 dauern, bis in Bosnien-Herzegowina alle Minen entschärft und geräumt sind.