Freitag, 19. April 2024

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Bosnien und Herzegowina
Ankämpfen gegen nationalistische Machtzirkel

Auch 23 Jahre nach dem Krieg leiden die Menschen in Bosnien und Herzegowina unter gravierenden Missständen: sehr hohe Arbeitslosigkeit, miserable Infrastruktur, extreme Luftverschmutzung. Die Politiker, die das eigentlich ändern sollten, befeuern stattdessen nationalistische Stimmungen. Und die Zivilgesellschaft?

Von Srdjan Govedarica | 05.05.2018
    Ein Bus mit einer Familien-Reklame auf der Seite fährt durchs Bild
    Rund 80.000 vor allem junge Menschen haben Bosnien und Herzegowina in den vergangenen zwei Jahren verlassen. Sie sehen bei einer Jugendarbeitslosigkeit von 60 Prozent keine Perspektive in ihrem Heimatland. (Srdjan Govedarica )
    Nahid Mahmic hat sich herausgeputzt. Ein weinroter bosnischer Fes mit Zipfel schmückt seinen ergrauten Kopf. Mit weißem Rüschenhemd und goldbestickter schwarzer Weste macht der 70-jährige eine gute Figur. In der Ferhadija – der Fußgängerzone im Zentrum Sarajevos - spielt er Akkordeon und singt dazu Sevdah, den bosnischen Blues.
    Nahid Mahmic hat ein ganzes Erwerbsleben hinter sich, zuerst hat er als Automechaniker gearbeitet, dann als Kraftfahrer. Trotzdem ist er im Alter auf die Einnahmen aus der Spendenbox angewiesen, die er neben sich aufgestellt hat. Darauf steht geschrieben: "Danke an Gott und die Ärzte, dass ich noch lebe":
    "Ich bin zu 90 Prozent schwerbehindert. Ich bekomme umgerechnet 41 Euro im Monat. Ich lebe mit meinen zwei Söhnen zusammen und einer Schwiegertochter. Keiner von uns hat Arbeit. Meine zwei Enkeltöchterchen bekommen jeweils 5,50 Euro Kindergeld. Und das ist alles. Ich muss hier spielen, damit ich Medikamente kaufen kann und etwas zu essen und die Nebenkosten bezahlen kann. Damit ich leben kann."
    Straßenmusiker mit Akkordeon im Zentrum Sarejovos
    Nahid Mahmić spielt im Zentrum Sarajevos Sevdah, den bosnischen Blues. Mit seiner Rente von umgerechnet 41 Euro kommt der 70-Jährige sonst nicht über die Runden. (Srdjan Govedarica )
    Große Erwartungen, dass sich an seiner Lage etwas ändern könnte, hat Nahid Mahmic nicht. Die Arbeitslosigkeit in Bosnien und Herzegowina liegt bei 40 Prozent. Damit ist das Land weltweit an drittletzter Stelle, hinter Dschibuti und dem Kongo. Auch 23 Jahre nach Ende des Krieges geht es kaum voran. 80.000 Menschen sollen allein in den vergangenen zwei Jahren Bosnien und Herzegowina verlassen haben. Und das in einem Land mit der Einwohnerzahl Berlins.
    Das Plateau des Sport- und Kulturzentrums Skenderija im Herzen Sarajevos. Damir Niksic dreht hier sein aktuelles Youtube-Video:
    "Guck mal, so mache ich das. Den Text habe ich schon geschrieben, dann ziehe ich ihn in eine App, die gleichzeitig auch ein Teleprompter ist. Dann aktiviere ich die App und die Aufnahme geht los. Siehst du?"
    Damir Niksic – ernster Blick, dichter Schnurrbart, Brille und Schirmmütze - ist wütend. Wütend auf die Machteliten in seinem Land. Eigentlich ist er Kunstmaler. Seit Jahren ist der 48-Jährige der bosnischen Öffentlichkeit aber vor allem durch seine Youtube-Videos bekannt. Die Videos sind einfach gestrickt, haben es aber in sich. Meist läuft Damir Niksic einfach durch die Stadt und teilt ordentlich aus. So auch heute:
    "Alle Bürger dachten: Hauptsache wir überleben, Hauptsache der Kopf ist noch auf den Schultern, Hauptsache es wird nicht mehr geschossen. Und in diesem Moment hast du es mit völlig verschreckten Bürgern, einer verschreckten Zivilgesellschaft zu tun, die gar nicht wissen, wie sie sich mit der Hegemonie der herrschenden Clique politisch auseinandersetzen können. Dabei sind das eher kleine ideologische Gruppen – also die serbischen oder kroatischen Nationalisten oder die Muslime – und sie haben die Menschen in Geiselhaft genommen, eine ganze Gesellschaft."
    Kritik an den Amtsträgern
    Es ist kein Zufall, dass Damir Niksic heute auf dem Plateau der Skenderija dreht. Das Ende der 60er-Jahre mit viel Beton und sozialistischen Charme gebaute Sport- und Kulturzentrum spielt eine große Rolle für die Stadt. Hier wurden 1984 während der Winterolympiade die Medaillen verliehen, in der Veranstaltungshalle haben alle wichtigen Popstars aus der Region gespielt und der Basketballverein Bosna feierte hier große Erfolge. Noch gehört die Skenderija dem Staat. Jetzt ist aber bekannt geworden, dass der Komplex an einen Investor aus Dubai verkauft werden soll, der hier Bürogebäude und ein Einkaufszentrum errichten will. Damir Niksic geht davon aus, dass irgendein Amtsträger sehr viel Geld mit diesem Deal verdienen wird.
    Der Youtuber Niksic mit Mütze im Halbprofil
    Youtuber Damit Nikšić auf dem Plateau des Sport-und Kulturzentrums Skenderija. Er setzt sich gegen die politischen Machteliten ein, die "die gesamte Gesellschaft in Geiselhaft genommen haben". (Srdjan Govedarica )
    "Wir sind arme Schlucker. Hätten wir Kohle, würden die Machthaber auch etwas für uns tun und sagen, ich mache das, was die Bürger wünschen. Und weil wir keine Kohle haben, interessieren sie sich nicht für uns, die wir bis zum Hals verschuldet sind. Weder fragen sie noch verhandeln sie mit uns – sie verhandeln nur mit den Reichen"
    Tatsächlich zeigt sich in Bosnien und Herzegowina seit Jahrzehnten ein bemerkenswertes Defizit an politischem Willen und Können, die Probleme seiner Bürger zu meistern. Neben der hohen Arbeitslosigkeit und der allgemeinen sozialen Unsicherheit präsentiert sich das Land auch sonst vor allem mit Mängeln. Von Krankenhäusern auf dem Niveau der Dritten Welt über eine auch im regionalen Vergleich miserable Infrastruktur bis zur Luftverschmutzung, die nur in Nordkorea mehr Menschen im Jahr tötet – das politische Versagen macht sich in fast allen Lebensbereichen bemerkbar. Das sagt auch Marion Kraske. Sie leitet das Büro der Heinrich-Böll-Stiftung in Sarajevo. Bosnien und Herzegowina ist aus ihrer Sicht ein Capured State, ein gekapertes Land:
    "Diese sogenannten Eliten haben es geschafft, in ein Vakuum reinzugehen und dieses Vakuum für sich zu nutzen, den Staat also in allen Kleinstspähern zu besetzen, zu okkupieren, Stellen mit Familienangehörigen zu besetzen und den Staat als Privatbusiness anzusehen. Deswegen ist alles, was auf Reformen hinausläuft, auf Modernisierung, auf einen funktionierenden Rechtsstaat nicht in ihrem Sinne, kann gar nicht in ihrem Sinne sein, weil das dazu führen würde, dass ihre Stellung hier möglicherweise relativ schnell infrage gestellt würde, beziehungsweise juristische Konsequenzen in der Folge auftreten würden."
    Nichtstun der Politiker verärgert
    Marion Kraske glaubt das so – im wahrsten Sinne des Wortes – kein Staat zu machen ist. Als Beispiel nennt das Problem mit der Luftverschmutzung in Bosnien und Herzegowina. Es ist allgemein bekannt und gut beschrieben und dennoch passiert einfach nichts. Marion Kraske ärgert das. Sie setzt sich dafür ein, dass das Nichtstun der Politiker in Bosnien und Herzegowina klar benannt und öffentlich angeprangert wird:
    "Wenn wir ganz ehrlich mit dem Prozess des Naming und Shaming anfangen. Diese Politiker arbeiten nicht – nicht für ihre ethnischen Gruppen, nicht für die Gesamtbevölkerung. Und ich glaube, das muss man klar kommunizieren. Wir haben hier ja auch eine gekaperte Medienlandschaft, sodass die Leute nicht die erforderlichen Informationen bekommen. Und das muss die internationale Gemeinschaft einfach leisten. Wir müssen die Leute mit richtigen, objektiven Informationen versorgen, damit sich die Leute ein klares Bild machen können und dann entsprechend auch bei den Wahlen dann anders wählen können."
    Doch das wird ein langer Prozess sein. Bis dahin gilt – wenn die Politiker nicht können oder nicht wollen, dann müssten eben die Bürger selbst ran, sagt Marion Kraske:
    "Wir müssen die Akteure, die hier tatsächlich an Demokratisierung und Modernisierung interessiert sind, die müssen wir unterstützen. Das sind Akteure der Zivilgesellschaft. Ich glaube, dass die internationale Gemeinschaft gut beraten ist, wenn hier schnell gehandelt wird. Wir haben hier einen massiven Brain-Drain, wir haben einen Massenexodus aus Bosnien heraus. Das heißt, in zehn Jahren haben wir ein komplett entvölkertes Land und die Rahmenbedingungen für demokratische Reformen werden dadurch verschlechtert."
    Minarett der Ferhadija Moschee in Banja Luka
    Die Ferhadija Moschee in Banja Luka: Serbische Nationalisten hatten das damalige Unesco Welterbe vollständig zerstört. Dafür ist bis heute niemand zur Verantwortung gezogen worden. 2016 wurde die Moschee nach 15-jähriger Rekonstruktion wiedereröffnet. (Srdjan Govedarica )
    Klassisch mit nur einem Minarett entfaltet die Ferhadija-Moschee in Banja Luka im diesigen Licht des Wintertages ihre berühmte Schönheit. Das ist nicht selbstverständlich, denn die Moschee steht in der Hauptstadt der Republik Srpska, dem serbischen Landesteil Bosnien und Herzegowinas. Früher gehörte sie zum UNESCO-Weltkulturerbe, doch dann musste sie neu gebaut werden, weil sie 1993 von serbischen Nationalisten vollständig zerstört worden war. Darüber spricht man heute nicht so gerne in Banja Luka. Doch darum schert sich Blogger Srdjan Puhalo nicht:
    "Dafür musste sich niemand je verantworten. Und so ist die Ferhadija etwas, was Banja Luka verschönert – andererseits ist sie aber auch etwas, das viele Fragen aufwirft, die den Menschen hier nicht gefallen."
    Srdjan Puhalo konfrontiert mit unbequemen Wahrheiten
    Srdjan Puhalo fällt auf in Banja Luka. Der 48-jährige trägt gerne T-Shirts, die seinen Mitbürgern übel aufstoßen. Zum Beispiel hat er sich eines mit dem populären serbisch-nationalistischen Slogan "Nur Eintracht rettet den Serben" drucken lassen – auf Arabisch. Puhalo ist eigentlich promovierter Psychologe und verdient sein Geld in einer Markforschungsagentur. Bekannt ist er aber als Blogger. In seiner Freizeit schreibt und spricht er unerhörte Dinge aus, zumindest aus der Sicht vieler bewegter Serben:
    "Ist es etwa normal, dass unsere Medien über ein Massengrab berichten, das in Mexiko entdeckt worden ist, aber nicht über ein Massengrab, das 100 Kilometer von hier entfernt ist und für das wir verantwortlich sind? Es reicht aus, nur diese Frage zu stellen. Und viele werden sich darüber ärgern. Weil du Massengräber erwähnst, die wir gefüllt haben. Da muss man nicht besonders mutig sein oder weise oder klug. Es geht nur darum, ob du das Schweigen akzeptieren willst, dass die Nationalisten und den regierenden Politikern vorgegeben haben oder eben nicht. Das hat natürlich aber auch seinen Preis."
    Blogger Srdjan Puhalo aus Banja Luka im Halbprofil aufgenommen
    Srdjan Puhalo engagiert sich als Blogger gegen den allgegenwärtigen Nationalismus in Bosnien und Herzegowina: „Es werden künstliche Spannungen erzeugt. Weil es viel einfacher ist, mit der Angst und Hass zu regieren als Arbeitsplätze zu schaffen oder sozi (Srdjan Govedarica)
    Srdjan Puhalo wird von den regierungstreuen Medien regelmäßig als Verräter oder ausländischer Agent bezeichnet oder als jemand, der auf der Payroll des US-Milliardärs George Soros stehen soll. Srdjan Puhalo stört mit seinen Zwischenrufen eine Praxis, die sich in Bosnien und Herzegowina in den letzten Jahrzehnten vor allem vor Wahlen zum Patentrezept für den politischen Machterhalt entwickelt hat. Seit dem Ende des Krieges 1995 ist Bosnien und Herzegowina ein de facto geteilter Staat – Bosniaken, Kroaten und Serben leben eher getrennt als zusammen. Das Land wird praktisch ohne Unterbrechung von Nationalisten regiert und diese konservieren ein noch in Kriegszeiten erprobtes System der Angst vor der jeweils anderen Ethnie. Das geht Srdjan Puhalo gehörig auf die Nerven und darüber schreibt er immer wieder. In seinem Blog und bei Twitter:
    "Sie erzeugen künstliche Spannungen. Weil es viel einfacher ist, mit Angst und Hass zu regieren, als Arbeitsplätze zu schaffen oder soziale Probleme zu lösen. Ich glaube nicht, dass der Hass wirklich so groß ist, aber durch Politik und Medien ist er allgegenwärtig. Und was auch wichtig ist: Der Hass wird auf eine Art dosiert. Man kann ethnische Spannungen ansteigen und dann wieder sinken lassen. Das wird kontrolliert."
    Politiker Dodik setzt auf die nationalistische Karte
    Einer dieser politischen Führer ist Milorad Dodik. Der Präsident der bosnisch-serbischen Teilrepublik Srpska verfolgt eine Politik der Homogenisierung, manche nennen ihn auch einen Separatisten. Den gemeinsamen Staat Bosnien und Herzegowina stellt er immer wieder infrage – auch im Interview mit dem ARD-Studio Wien:
    "Ein Volk will das, die Bosniaken, die Moslems. Und das hat zu den Ideen gepasst, die es im Westen gab, als Gesellschaften auf dem Vormarsch waren, die nach liberalen Gesichtspunkten organisiert waren. Plötzlich war der Aufbau einer multiethnischen Gesellschaft gefragt, die im Prinzip nirgendwo funktioniert. Sogar Merkel hat doch vor ein paar Jahren davon gesprochen, dass der Ansatz, Gesellschaften multiethnisch aufzubauen, gescheitert ist. Selbst in Europa. Und jetzt ist es so weit gekommen, dass wir, die wir uns dem serbischen Volk zugehörig fühlen, plötzlich als Bosnier angesehen werden."
    Milorad Dodik, der kurz nach diesem Interview seine Kandidatur für das Staatspräsidium des Gesamtstaates Bosnien und Herzegowina bekannt gegeben hat, gibt unumwunden zu, dass er von diesem Staat wenig hält:
    "Ich fühle mich nicht als Bosnier. Ich habe zwar formal – wie soll ich sagen – die Identität einer bosnischen Staatsbürgerschaft. Aber das nehme ich nicht besonders ernst. Ich finde, das ist mein Recht. Wichtig ist mir die Staatsbürgerschaft der Republika Srpska und die Serbiens, die ich auch habe. Bosnien und Herzegowina ist all die Jahre leider vom Interventionismus der internationalen Gemeinschaft aufrechterhalten worden. Wäre es nach dem Willen Bosnien und Herzegowinas gegangen, wäre es schon längst auseinandergefallen."
    Diese Überbetonung der Unterschiede zwischen den Volksgruppen hat der 46-jährige Srdjan Puhalo satt. Denn in Bosnien und Herzegowina wird alles streng nach den Kategorien Bosniake Kroate Serbe unterteilt. Alle wichtigen politischen Ämter sind dreifach besetzt, die Schulkinder lernen nach drei unterschiedlichen Lehrplänen, alle offiziellen Dokumente sind dreisprachig, obwohl die drei Sprachen linguistisch fast identisch sind. Srdjan Puhalo hat für all das wenig Verständnis:
    "Ich bemühe mich, mich selber zuallererst als Mensch zu identifizieren. Und dann erst kommt alles andere. Ich habe kein Problem damit, Bosnier zu sein und auch nicht damit, Serbe zu sein. Aber wenn du zu deiner Frau und den Kindern nach Hause kommst, ist es doch etwas seltsam, Serbe zu sein. Da bist du Ehemann und Vater. Wenn du zur Arbeit kommst, hast du auch nichts davon, Serbe zu sein, da musst du Profi sein."
    Fluss, Brücke, das andere Ufer.
    Die alte Brücke in Mostar ist im Krieg zerstört und wieder aufgebaut worden. Heute verbindet sie den katholischen und den muslimischen Teil der Stadt. Zumindest theoretisch, denn die Menschen gehen nicht so gerne "auf die andere Seite". (Srdjan Govedarica)
    Stefica Galic schreitet die von unzähligen Touristenfüßen glatt polierten Treppen der alten Brücke in Mostar hoch. Heute ist es kalt und windig und nur eine Handvoll Menschen schaut sich das Wahrzeichen der Stadt an. Stefica Galic hat den Blick auf die Neretva fast für sich alleine. Der Fluss mit seiner unwirklichen smaragdgrünen Farbe teilt Mostar in zwei Hälften – links von der Neretva leben vor allem muslimische Bosniaken, rechts davon Kroaten:
    "Leider hat die Brücke noch immer nicht ihre alte Funktion, als sie die beiden Ufer der Neretva miteinander verbunden hat. Sie sieht so aus wie früher, aber heute trennt sie, im ganz alltäglichen Sinne. Es gibt unzählige Menschen, die sie nach dem Krieg noch nie überquert haben, vor allem junge Menschen. In diesem Sinne ist Mostar eine geteilte Stadt. Auch seine Institutionen sind geteilt. Vom Schulwesen, über die Müllabfuhr bis zum Stromanbieter - alles gibt es hier doppelt."
    Stefica Galic möchte Deutungshoheit nicht den Nationalisten überlassen
    Stefica Galic kommt eigentlich aus der mehrheitlich von Kroaten bewohnten Kleinstadt Ljubuski, wo sie und ihr mittlerweile verstorbener Ehemann Nedjo im Bosnienkrieg zu den Helden von Ljubuski geworden sind, weil sie ihre muslimischen Nachbarn vor der Verfolgung durch ihre kroatischen Landsleute geschützt haben. Auch nach dem Krieg engagierte sich Stefica Galic gegen den kroatischen Nationalismus und musste deshalb Ljubuski verlassen und nach Mostar ziehen. Obwohl sie Kroatin ist, lebt und arbeitet sie auf der linken, muslimischen Seite der Stadt:
    "Es ist nicht einfach. Ich gehe zum Beispiel selten auf die rechte Seite. Wenn ich drüben bin und zufällig mit einer meiner Äußerungen in der Öffentlichkeit war, rechne ich fest damit, dass ich jemanden treffe, der mir etwas Hässliches sagt. Und da ich schon mal zusammengeschlagen worden bin, kann das jederzeit wieder passieren, weil man mir immer damit droht. Aber das interessiert mich nicht. Wenn Sie mit sich im Reinen sind, glauben Sie an das, was Sie machen. Dann können Sie keine Angst haben. Man lebt nur einmal."
    Portrait der engagierten Internetbetreiberin Stefica Galic
    Stefica Galić betreibt das Internetportal tacno.net und kämpft gegen nationalistische Narrative, die von Politik und Medien verbreitet werden: "Sie versuchen eine offizielle, erfundene Wahrheit zu etablieren. Das mache ich nicht mit. So lange ich lebe, we (Srdjan Govedarica )
    Stefica Galic betreibt ein Internetportal und engagiert sich - wie sie sagt - für die Wahrheit. Als Rechtsradikale den örtlichen Partisanenfriedhof verwüstet hatten und die Polizei sich weigerte, Ermittlungen aufzunehmen, weil der Friedhof angeblich vorher schon im schlechten Zustand war, stellte sie umgehend ein Video mit dem Gegenbeweis online. Sie möchte den Nationalisten aber auch nicht die Deutungshoheit über die Vergangenheit überlassen, sagt die 54-Jährige:
    "Zum Beispiel die Wahrheit über den Krieg. Das habe ich am eigenen Leib erlebt. Als ich 2012 in Ljubuski erzählt habe, was ich erlebt habe, also was ich von meinem Balkon beobachten konnte und aus meinem Haus, wurde ich zusammengeschlagen, weil sie gesagt haben, das ist nicht wahr, das war nicht so. Sie versuchen eine offizielle, erfundene Wahrheit zu etablieren. Das mache ich nicht mit. So lange ich lebe, werde ich für die Wahrheit kämpfen, über die ich Zeugnis ablegen kann."
    Stefica Galic sagt, dass Bosnien und Herzegowina nur dann zu retten ist, wenn diejenigen, die den Krieg angezettelt haben und auch heute noch zündeln, nicht mehr an der Macht sind. Sie glaubt nicht, dass sie von alleine gehen werden. Einer, der hier helfen könnte, ist Valentin Inzko. Der österreichische Diplomat ist der hohe Repräsentant der Vereinten Nationen für Bosnien und Herzegowina. Sein Amt ist weltweit einmalig: Er kann Gesetze aufheben, Behörden schaffen oder abschaffen und gewählte Politiker absetzen. Zumindest theoretisch:
    "Es gab eine Stimmung bis 2006, 2007, den Regierenden auf die Finger zu klopfen. Wir haben die sogenannten Bonner Vollmachten, die wurden in Bonn beschlossen. Diese wurden 800 Mal eingesetzt und davon wurden 200 mal böse Politiker entfernt. Auch drei Staatspräsidenten, also nicht nur Bürgermeister oder Abgeordnete. Die waren zum Beispiel im Unterstützungsnetz für Karadzic und Mladic oder die waren korrupt oder haben sich gegen die Verfassung verhalten. Sie wurden dann bestraft und entfernt."
    Valentin Inzko vermittelt den Eindruck, dass auch er die Bonner Vollmachten gerne häufiger einsetzen würde. Doch dazu fehle ihm der Rückhalt:
    "Also, das was ich jetzt sage, hat nicht die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft, das ist meine persönliche Meinung. Ich glaube, wir sollten wieder etwas robuster hier eingreifen. Wir sollten wieder stärker präsent sein, so wie in den ersten zehn oder zwölf Jahren in Bosnien und Herzegowina. Diese große Dynamik haben wir jetzt nicht mehr, weil wir die Philosophie gewechselt haben, ungefähr mit der Ankunft des hohen Repräsentanten Schwarz-Schilling. Seither haben wir die Philosophie, die lautet Local ownership, lokale Verantwortung, lokale Lösungen. Und ich glaube, feststellen zu müssen, seitdem haben wir das Tempo nicht mehr und zum Teilhaben wir sogar Rückschritte."
    Stefica Galic möchte nicht warten, bis sich die internationale Gemeinschaft dazu durchringt, robuster einzugreifen. Sie hofft, dass ihre Mitbürger die Sache selbst angehen werden:
    "Ich glaube, dass es wichtig wäre, wenn alle nach ihren Möglichkeiten ihr Bestes geben. Ich bemühe mich zum Beispiel, das was ich mache, möglichst verantwortungsvoll und zum Wohle aller zu tun. Wenn alle so handeln würden, ginge es uns sicher besser. Jeder kann beitragen. Die Frage ist, ob wir angepasst sein wollen und warten, bis uns jemand hilft. Oder ob wir selber etwas unternehmen möchten. Es liegt an uns."