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Bosnischer Braindrain

Nicht nur polnische Pflegekräfte zieht es zum Arbeiten nach Deutschland. Auch in Bosnien bereiten sich vor allem junge Universitätsabsolventen auf den deutschen Arbeitsmarkt vor - und lernen am Goethe-Institut in Sarajevo fleißig Deutsch.

Von Karla Engelhard | 09.08.2013
    Sarajevo - im Deutschkurs für Fortgeschrittene:

    "Zemir ist mein Name, ich lerne Deutsch, weil ich eine gute Chance habe in Deutschland zu arbeiten, weil mein Beruf dort sehr anerkannt ist."

    Der 23-Jährige ist Fachmann für medizinische Radiologie mit einem bosnischen Ingenieursabschluss in der Tasche. Seine Nachbarin Bedmar, ein Jahr jünger, studiert noch Medizin in der bosnischen Hauptstadt:

    "Ich war in Deutschland und ich lerne Deutsch, denn ich wollte meine Sprache verbessern. Meine Grammatik war ein bisschen schlecht, denn ich war da, als ich klein war. Ich möchte gern gehen, wenn ich hier mein Studium zu Ende bringe."

    In Bosnien fehlt es an Personal
    Im Goethe-Institut in Sarajevo sind alle Deutschkurse seit Langem ausgebucht. In den vergangenen Monaten hat sich die Teilnehmerzahl verdreifacht und liegt derzeit bei 800, meint Heinrich Stricker verantwortlich für die Sprachausbildung. Er arbeitet seit 3 Jahren im Goethe-Institut von Sarajevo:

    "Natürlich, vielen wollen auch nach Deutschland auswandern. Es gibt viele Arbeitsmigranten. Es gibt jetzt einen Vertrag zwischen Bosnien-Herzegowina und Deutschland für medizinisches Personal. Ich schätze, dass allein in diesem Jahr ungefähr 300-400 Krankenpfleger nach Deutschland gehen werden."

    Personal, was in Bosnien-Herzegowina fehlen wird. Doch bezahlte Arbeitsplätze sind selten. Kaum eine ehemalige jugoslawische Provinz hat so mit dem Wiederaufbau zu kämpfen. Den Krieg zwischen Serben-Bosniaken und Kroaten in den 1990er Jahren beendete das internationale Friedensabkommen von Dayton.

    Dementsprechend gibt es, um den Frieden zwischen den Ethnien zu wahren, fast überall staatliche Doppel- und Dreifachstrukturen, die vor allem Geld fressen und mit sich selbst beschäftig sind.

    Nichts geht ohne Kontakte oder Bestechung
    Um eine Arbeit zu bekommen, muss man Vitamin B haben oder Geld, damit man für die Arbeit zahlt oder politisch aktiv. Vettern- und Günstlingswirtschaft nehmen vielen jungen Leuten die Perspektive. Während des Krieges lebten rund 320 000 Bosnier in Deutschland. Viele lernten als Kinder gut Deutsch. Stricker:

    "Ich höre also täglich von jungen Leuten, die entweder zu mir kommen oder deren Eltern zu mir kommen, die sagen: mein Sohn spricht sehr gut Deutsch, haben sie nicht irgendwie eine Idee, wo wir ihn unterbringen könnten."

    Deutschland wird so schnell zu einer Alternative, zumindest für Akademiker. Seit 2012 gilt die sogenannte Blue Card - eine Art zeitlich begrenzte Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis. Die Bedingungen sind hart: ein Hochschulabschluss und ein Arbeitsvertrag mit der Aussicht auf ein Bruttogehalt von rund 3900 Euro im Monat. In Mangelberufen, wie Ärzte, IT-Fachkräfte oder Ingenieure dürfen es auch etwa 800 Euro weniger brutto sein. Doch nicht nur Geld und Arbeit locken:

    "Es sind die Leute in Europa überhaupt offener als die hier. Hier gibt es noch immer mehrere Tabus als in Deutschland, ich glaube, da kann man freier sein."

    Die meisten aus dem Deutschkurs für Fortgeschrittene in Sarajevo wollen nach Deutschland gehen, für immer?

    "Nicht für immer, das weiß ich. Ich will auch nach einigen Jahren zurückkehren und irgendetwas hier machen."