Montag, 29. April 2024

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Situation in Bosnien-Herzegowina macht "etwas neue Hoffnung"

Der Kosovo ist ein eigener Staat, sagt Ulrike Lunacek. Dieser Tatsache beginne auch "die neue serbische Regierung in die Augen zu sehen". Von Seiten der EU müsse der Druck auf Serbien und das Kosovo im Hinblick auf eine friedliche Lösung des Konflikts erhöht werden, so die österreichische Grünen-Politikerin im EU-Parlament.

Ulrike Lunacek im Gespräch mit Silvia Engels | 31.10.2012
    Silvia Engels: US-Außenministerin Clinton und die EU-Außenbeauftragte Ashton nehmen derzeit gemeinsam Termine auf dem Balkan wahr. Zunächst hatten sie in Kroatien auf Fortschritte gedrängt, um die fragile Staatskonstruktion in Bosnien-Herzegowina zu stabilisieren. Heute Vormittag sind sie im Kosovo angekommen. Hier versuchen sie, im Konflikt zwischen Kosovaren und Serben Gespräche über eine Annäherung anzuschieben. "Dieser Dialog", so Clinton, "verlangt von Serbien nicht, das Kosovo anzuerkennen. Kosovo ist ein unabhängiger Staat. Die Grenzen in Europa werden sich nicht ändern." –

    Und im Kosovo erreichen wir Ulrike Lunacek, sie sitzt für die österreichischen Grünen im Europäischen Parlament und befasst sich seit Jahren mit der Region. Hallo, Frau Lunacek!

    Ulrike Lunacek: Ich grüße Sie! Schönen guten Tag aus Pristina.

    Engels: Ich grüße Sie! – Sie sind gerade in Pristina unterwegs. Wie erleben Sie die Lage dort, wie erleben Sie die Lage im Kosovo generell bei diesem Besuche?

    Lunacek: Ja wir sind in einer Delegation vom außenpolitischen Ausschuss des Europaparlaments hier. Wir waren auch in Belgrad vor zwei Tagen und sind jetzt hier. Und ich sage, ich finde, dass die Situation hier sehr wohl jetzt etwas neue Hoffnung macht, dass es im lange schon dauernden Konflikt um die Unabhängigkeit des Kosovo und um die Frage, wie es hier denn weitergeht, endlich Fortschritte gibt. Die neue Regierung in Belgrad hat uns versichert, dass sie sehr wohl bereit sind, das was schon vereinbart war im Frühling jetzt auch tatsächlich umzusetzen, und hier in Pristina ist man auch bereit, diesen Dialog weiterzuführen.

    Engels: Aber es hat sich ja auf der anderen Seite noch nicht faktisch etwas geändert. Nach wie vor gilt der Konflikt: Kosovo erklärte sich für unabhängig, ist international teilweise anerkannt, Serbien lehnt diesen Schritt weiter ab. Wo kann da wirklich substanziell Bewegung geschehen?

    Lunacek: Na ja, es ist international schon so, dass auch die große Mehrheit der EU-Staaten den Kosovo anerkannt haben. Auch in den Vereinten Nationen nähern sich jetzt die Anerkennungen zumindest einmal an die Hälfte. Und es ist so, dass dieses Kosovo, dieses unabhängige Kosovo einfach ein eigener Staat ist. Das sind Tatsachen, wo ich den Eindruck habe, das jetzt auch die neue serbische Regierung hier den Tatsachen beginnt, in die Augen zu sehen. Ich fände es wichtig, wenn auch einmal die fünf EU-Mitgliedsstaaten, die noch nicht anerkannt haben, endlich anerkennen. Das würde auch die eindeutige und klare Position der Europäischen Union befördern. Wie gesagt, ich sehe hier jetzt leichte Fortschritte. Es muss aber auch von Seiten der Europäischen Union weiter der Druck erhöht werden - wir vom Europaparlament machen das auf beide Seiten -, klar zu machen, dass das Prinzip der Europäischen Union, wofür wir ja auch den Friedensnobelpreis bekommen haben, heißt "Kooperation" und nicht "Konfrontation". Gute nachbarschaftliche Beziehungen sind eine Grundvoraussetzung für jedes Mitglied, für jeden Staat, der Mitglied in der Europäischen Union werden will. Das hat ja auch zwischen Deutschland und Frankreich funktioniert. Und ich denke, dass dieses Beispiel hier jetzt doch auch schön langsam Schule macht. Es ist noch nicht lange so weit, also wir brauchen noch einige Zeit, aber der Druck, der jetzt auch entsteht, dadurch, dass Frau Ashton und Frau Clinton gemeinsam hier sind, und wir sind auch als eine sechsköpfige Delegation des Europaparlaments gleichzeitig hier, das verstärkt schon noch den Druck auf die Behörden hier und in Belgrad zu sagen, gut, wir gehen jetzt einen Schritt weiter. Die europäische Perspektive und Teil der Union werden zu wollen, ist in beiden Ländern und gerade im Kosovo auch noch sehr stark.

    Engels: Auf der anderen Seite gibt es auch konkrete ungelöste Konflikte, zum Beispiel den Norden des Kosovo, wo eine serbische Mehrheit den albanischstämmigen Kosovaren gegenübersteht. Ist das überhaupt ohne internationale Militärpräsenz in absehbarer Zeit lösbar?

    Lunacek: Ich gebe die Hoffnung nicht auf.

    Engels: Aber es ist schwierig.

    Lunacek: Es ist schwierig, es bleibt schwierig. Wir haben zum Glück, sage ich, auch von der serbischen Regierung bei unserem jetzigen Besuch kein einziges Wort mehr davon gehört, dass es eine Trennung, eine Teilung geben soll. Notwendig ist, dass es für die Serben im Norden des Kosovo sowohl von der Regierung in Pristina her hier ein klares Herangehen gibt, um zu zeigen, wir wollen, dass ihr Bürger unseres Landes seid, ihr könnt dieselben Rechte und Möglichkeiten haben, wie sie sie in der kosovarischen Verfassung festgeschrieben haben, wie sie die Serben im Süden sehr wohl haben. Es gibt ja einen serbischen Vizepremier, wir haben ihn heute getroffen, hier in Pristina. Und auch die Serben hier, die an der Regierung sind, die in einigen Städten hier überall Bürgermeister haben, da gibt es jetzt endlich auch Versuche, stärker mit den Serben im Norden zu kooperieren. Das ist nicht einfach und ich würde auch die Militärpräsenz auch von KFOR und ich hoffe verstärkt von der Europäischen Zivilstaatlichkeitsmission EULEX, das wird noch eine Weile notwendig sein. Aber wie gesagt, in der Politik sind wir, um zu sehen, dass es Lösungen gibt, und hier sehe ich uns ein paar Schritte weitergehen.

    Engels: Aber es fragen sich natürlich auch viele Menschen in der EU, wie viel Zeit man sich insgesamt dafür nehmen will, denn das ganze Konzept ist ja auch sehr teuer. Milliarden-Hilfen sind ins Kosovo geflossen. Der Europäische Rechnungshofbericht, der jetzt dazu herausgekommen ist, spricht aber davon, dass da viel ineffizient investiert wurde. Korruption und Kriminalität, da habe es zu wenig Fortschritte gegeben. Ist die Hilfe ineffizient?

    Lunacek: Zum Teil schon, aber man muss sich das genau anschauen, diesen Bericht des Europäischen Rechnungshofes. Der geht mit allen Beteiligten hart ins Gericht. Er kritisiert auch die Europäische Union selbst, die Mitgliedsstaaten, die zwar sagen, wir wollen dieses sehr teuere, die größte Mission, Zivilstaatlichkeitsmission, die die EU je hatte, wir wollen sie. Aber sie sind nicht bereit, genug Personal zum Beispiel für die Justiz zur Verfügung zu stellen und dass die auch länger hier bleiben. Staatsanwälte und Richterinnen, die von den Mitgliedsstaaten zur Verfügung gestellt werden, müssen manchmal nach einem halben Jahr oder einem Jahr wieder zurück ins Heimatland. Das ist keine Möglichkeit, damit tatsächlich auch nachhaltig Verfahren führen zu können. Also der Rechnungshof hat harte Kritik geäußert, dazu ist ein Rechnungshof auch da, aber es müssen schon alle Beteiligten schauen, was sie tun, um die Arbeit auch effizienter zu machen.

    Engels: Informationen von Ulrike Lunacek, sie sitzt für die österreichischen Grünen im Europäischen Parlament und befasst sich seit Jahren mit der Balkan-Region. Wir erreichten sie in Pristina im Kosovo anlässlich des Besuches von US-Außenministerin Clinton und der EU-Außenbeauftragten Ashton. Vielen Dank für das Gespräch!

    Lunacek: Gerne! – Danke!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.