Archiv


Bostons Ausnahmezustand und die politische Atmosphäre in den USA

Während Amerika diese Woche nach dem Attentat von Boston trauerte, gingen die politischen Auseinandersetzungen in Washington in aller Härte weiter. Im Senat scheiterte eine Waffenrechtsreform an den Republikanern. Und auch das Drama von Boston könnte die Rivalität befördern.

Sabina Matthay |
    Anfang der Woche, gleich nach dem Blutbad von Boston, stellten die Politiker in Washington ihre Auseinandersetzungen zurück.

    An einem solchen Tag gibt es weder Republikaner noch Demokraten, erklärte Präsident Obama in seiner ersten Stellungnahme nach dem Attentat. - Wir sind Amerikaner, vereint in Sorge um unsere Mitbürger.

    Politische Interessengegensätze hintenanzustellen ist üblich, wenn die USA eine Tragödie erleben.

    Selbst nach den Anschlägen vom 11. September 2001 währte der Schulterschluss in der politischen Arena allerdings nicht lange.

    Diesmal verflog die einheitsstiftende Wirkung der Katastrophe noch schneller. Bereits am Mittwoch stand ein wütender Barack Obama im Garten des Weißen Hauses. Gerade war der Vorstoß des Präsidenten für striktere Waffenregeln im Senat gescheitert. Nun bezichtigte Obama die Opposition der Lüge.

    "The gun lobby and its allies wilfully lied about the bill."

    Nach dem Massaker von Newtown, bei dem Ende letzten Jahres 20 Schulkinder und sechs Erwachsene von einem Amokläufer erschossen worden waren, hatte Obama sich für eine umfassende Reform des Waffenrechts starkgemacht und konnte sich der öffentlichen Zustimmung sicher sein.

    Doch die Waffenlobby, allen voran die "National Rifle Association", war besser organisiert. Erfolgreich mobilisierte sie ihre Anhänger. Keine einzige Maßnahme fand eine Mehrheit im Senat, nicht mal die Überprüfung von potenziellen Waffenkäufern, die die Republikaner einst selbst verlangt hatten. Dass selbst eine Tragödie wie das Massaker an Schulkindern zur Verschärfung der politischen Gegensätze führt statt zu ihrer Überwindung, ist bezeichnend für das politische Klima in den USA. Die Rivalität der Lager ist stärker denn je, der Kongress tief gespalten.

    Das liege vor allem an den Republikanern, sagt Norm Ornstein vom American Enterprise Institute in Washington DC.

    "Die Republikanische Partei ist nicht mehr konservativ, sondern radikal."

    Ein großer Teil der Republikaner lehnt nach Ornsteins Beobachtung nicht nur den Sozialstaat ab, sondern den Staat als regulatorische Instanz im Allgemeinen und benutzt darüber hinaus destruktive Mittel wie das Filibuster, um politische Ziele durchzusetzen.

    Spätestens seit den Zwischenwahlen 2010, als viele von der Tea Party unterstützten Republikaner in den Kongress gewählt wurden, ist es das erklärte Ziel der Partei, sämtliche Initiativen von Präsident Obama zu blockieren.

    An den Anschlägen von Boston entzündete sich zunächst keine politische Konfrontation. Doch wer die Fernseh-Talkshows einigermaßen aufmerksam verfolgte, nahm schon bald Unterschiede in den Spekulationen über die Tat wahr.

    Republikaner wie Mike McCaul, Vorsitzender des Ausschusses für Innere Sicherheit im Repräsentantenhaus, sprachen vor allem über mögliche Verbindungen zu islamistischen Terrorgruppen. Dahinter verbirgt sich der Vorwurf, dass Präsident Obama schwach sei und den Terror nach Amerika einlade.

    Demokraten und linksliberale Journalisten betonten dagegen, dass der 15. April, der Tag der Anschläge von Boston, Stichtag für Steuererklärungen in den USA ist und dass auch der Patriot Day auf dieses Datum fällt, an dem des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges gedacht wird. Etwa der Moderator Chris Matthews vom Nachrichtensender MSNBC:

    "Tax Day, Patriot Day – Reizwörter, die einen rechtsextremistischen amerikanischen Hintergrund nahelegten."

    Unter der Oberfläche vorgeblicher Neutralität brodelte es also schon sehr früh, formulierten die Opponenten bereits Schuldvorwürfe. Mäßigung ist nur Makulatur.

    Als die mutmaßlichen Attentäter von Boston sich als junge Einwanderer aus Tschetschenien herausstellten, streckten republikanische Gegner einer Einwanderungsreform die Fühler aus.

    Wer uns schaden will, erklärte der republikanische Senator Charles Grassley, darf keine Vorteile aus den Einwanderungsgesetzen ziehen. – Die Erleichterung der Einbürgerung insbesondere der Millionen illegaler Immigranten in den USA gehört zu den Projekten, die Präsident Obama in seiner zweiten Amtszeit unbedingt durchsetzen will.

    Sich hier zu verweigern, könnte für die Republikaner ebenso nachteilig sein wie die Absage an eine striktere Waffengesetzgebung. Ihre ideologische Blockadehaltung hat ihnen bereits bei der Wahl 2012 Verluste bei wichtigen Wählergruppen beschert.

    Wenn dieser Kongress sich weigert, auf das amerikanische Volk zu hören und vernünftige Waffengesetze zu verabschieden, dann werden die Wähler es ihn spüren lassen, sagte Präsident Obama nach der Absage an seine Reform.
    Die nächste Kongresswahl ist jedoch erst in anderthalb Jahren. Bis dahin wird Obama noch viele Grabenkämpfe mit den Republikanern führen müssen .
    Ob die Anschläge von Boston dabei eine Rolle spielen werden, bleibt abzuwarten.