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"Botschaft hat das gemacht, was jede Botschaft dieser Welt macht"

CDU-Europaabgeordneter Elmar Brok möchte nicht, dass US-Botschafter Philip Murphy aufgrund der Äußerungen über Außenminister Guido Westerwelle zurücktritt. "Es muss doch ein Stückchen auch Berichterstattung möglich sein, die nicht frei ist".

Elmar Brok im Gespräch mit Christoph Heinemann | 03.12.2010
    Christoph Heinemann: Alles, was schiefgehen kann, wird auch schiefgehen, whatever can go wrong will go wrong. So lautet Murphy's berühmtes Gesetz. Der gegenwärtige US-Botschafter trägt zufällig den gleichen Namen und für Philip Murphy läuft gerade alles schief. Der Gau für Diplomaten: Die Analysen, die der Botschafter nach Washington kabelte, kann man weltweit im Netz nachlesen. Eine Quelle des Diplomaten war Guido Westerwelles Büroleiter in der FDP-Parteizentrale, der inzwischen von seinem Amt entbunden wurde.

    Wir haben kurz vor dieser Sendung den CDU-Europaabgeordneten Elmar Brok in Washington erreicht und mit ihm das folgende Gespräch aufgezeichnet. – Guten Tag, Herr Brok.

    Elmar Brok: Guten Morgen, muss ich sagen!

    Heinemann: Für Sie noch ganz früh, genau. – Sollte Philip Murphy, der US-Botschafter in Deutschland, den Koffer packen?

    Brok: Nein, auf keinen Fall, denn die amerikanische Botschaft hat das gemacht, was jede Botschaft dieser Welt macht. Und wenn da beschrieben wird, wie man jemand sieht gegenüber amerikanischen möglichen Gesprächspartnern dieser Leute, dann weist man halt darauf hin, ob jemand Englisch spricht oder nicht spricht, wie er beurteilt wird, wie er zur amerikanischen Regierung steht.

    Das Peinliche ist die Veröffentlichung und nicht die Tatsache, dass geschrieben wird. Und ich glaube, wenn der deutsche Botschafter Vertretern der Bundesregierung nicht konkrete Berichte auch über solche Gesprächspartner geben würde, dann wären diese Botschafter fehl am Platze.

    Heinemann: Ist es denn normal, fast die gesamte Führung des Gastlandes durch den Kakao zu ziehen?

    Brok: Ich glaube, ich würde mir gerne in diesem Zusammenhang mal aktuelle Berichte über die USA ansehen, die von der deutschen Botschaft gemacht worden sind. Und es ist ja nicht nur der Fall gewesen, dass die Amerikaner das über Deutschland gemacht haben. Sie haben das über andere Länder gemacht und dies ist "Mal Gossip" und Klatsch, was man da rausnehmen kann. Und Botschafter Murphy hat auch viele der Betroffenen angerufen und sie vorher davon informiert, dass so etwas passieren wird. Ich selbst gehöre dazu, dass ich von ihm vorher informiert worden bin. Und ich bin da auch mit ein paar Dingen nicht gerade positiv genannt. Aber ich glaube, das gehört zu dem Spiel dazu. Viel schwieriger ist es, dass beispielsweise durch diese Veröffentlichung jetzt die saudi-arabische Führung, die ägyptische Regierung in ihrer Politik gegenüber Iran, in Nahost inhaltlich bloßgestellt ist. Und daran sieht man die Unverantwortlichkeit der Tatsache der Veröffentlichung und nicht das, was Botschafter zur Information ihrer Chefs nach Hause schicken.

    Heinemann: Aber noch mal zurück zur deutschen Situation. Für Guido Westerwelle und Philip Murphy gilt Matthäus-Evangelium, Kapitel 18, Vers 20: Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen. Das heißt, die Wikileaks-Enthüllungen sitzen künftig immer mit am Tisch. Wie können die beiden überhaupt noch mal miteinander reden?

    Brok: Ich glaube, dass sie beide Manns genug sind, dieses zu tun und hier den richtigen Weg zu finden. Das wird sicherlich Philip Murphy hinbekommen und ich schätze auch die Großzügigkeit von Guido Westerwelle in diesem Sinne ein. Ich glaube, wenn wir jetzt den amerikanischen Alliierten zwingen würden, aus Deutschland abzuziehen, dann würde die Forderung, weltweit überall die Botschafter abzuziehen, kommen. Und ich glaube, dann hätten die Gegner westlicher Politik, die dies mit der Veröffentlichung ja erreichen wollten, das erreicht, was sie erreichen möchten. Und wir dürfen, glaube ich, diesen unverantwortlichen gesetzeswidrigen Veröffentlichungen nicht nachgeben, weil das dann ein Problem ist. Und ich glaube, hier sollten wir sehen, wie das in Zukunft vermieden werden kann, angesichts doch der neuen Verbreitungsmöglichkeiten, die aus den elektronischen Medien entstehen, durch das Internet entstehen. Dieses wird, glaube ich, in Zukunft eine völlig neue Qualität von Berichterstattung geben.

    Heinemann: Mit Sicherheit! – Nur das Vertrauen zwischen Westerwelle und Murphy ist doch schwer beschädigt. Wie können die wieder miteinander reden? Oder sollte sich der US-Botschafter wenigstens entschuldigen?

    Brok: Ich gehe davon aus, dass bei einem Gespräch zwischen Guido Westerwelle und dem amerikanischen Botschafter dieses versucht wird. Und ich hoffe, dass der amerikanische Botschafter dies machen wird. Und ich vertraue auf die Großzügigkeit des deutschen Außenministers, das entgegenzunehmen.

    Heinemann: Herr Brok, ist es nicht gut, dass Bürgerinnen und Bürger wissen, was Regierungen übereinander denken?

    Brok: Ja, aber es muss doch ein Stückchen auch Berichterstattung möglich sein, die nicht frei ist. Und sehen Sie, das wird doch überall gemacht. Wenn ich einen Gesprächspartner habe, dann bitte ich meine Untergebenen, die ihn kennen, mir den Gesprächspartner zu beschreiben, wie sie ihn sehen. Damit ich damit umgehen kann, wenn ich ihn das nächste Mal treffe. Wenn das nicht mehr möglich sein sollte, haben wir ein Kommunikationsproblem und auch ein fachliches Problem. Und wenn ein amerikanischer Botschafter aus Saudi-Arabien nicht mehr berichten kann, was der König ihm gesagt hat, dann kann er gleich zu Hause bleiben und wir können die Botschaften einstellen. Aber wir müssen doch die Kommunikation haben. Und wenn da bestimmte Politiken für richtig gehalten werden, dann muss er das doch berichten, im Vertrauen darauf, dass das vertraulich bleibt. Also zum Beispiel eine Diskussion darüber, wie die Atombautätigkeit des Irans unterbunden werden soll, wenn darüber nicht in der Berichterstattung eine Information gegenseitig mehr möglich sein sollte, wie soll man dann noch Politik machen.

    Heinemann: Wird Wikileaks, wird das Internet die Politik verändern, denn das wird wahrscheinlich doch keine Eintagsfliege bleiben?

    Brok: Es wird es verändern und man wird zu viel Reiserei zurückkehren, des persönlichen Gesprächs, denn Telefon wird auch abgehört. Und das wird in vielen Bereichen zur Stärkung der Positionen und der Fluggesellschaften führen.

    Heinemann: Wir erreichen Sie in den USA. Welche Rolle haben die Wikileaks-Dokumente bei Ihren politischen Gesprächen jetzt gespielt?

    Brok: Also ich bin beruhigt. Ich bin beim stellvertretenden Außenminister gewesen, im Weißen Haus gewesen, habe den zukünftigen Sprecher im Abgeordnetenhaus, US-Senator McCain gesehen. Denen ist das alles ungeheuer peinlich. Das Erste, was sie sagen: Es tut uns leid, es ist bitter, was sollen wir machen. Und daran sehe ich, dass die Amerikaner das, glaube ich, in einem Maß von Sensibilität sehen – das darf man jetzt auch nicht wieder sagen -, das man bei ihnen nicht gewohnt ist.

    Heinemann: Und welche Konsequenzen ziehen die Amerikaner daraus jetzt?

    Brok: Das weiß ich nicht, welche technischen Möglichkeiten sie daraus ziehen in der Kommunikation untereinander. Das wissen sie wahrscheinlich selbst noch nicht. Aber sie sind sich dessen bewusst, dass da nicht so sehr in Europa, das ist mehr Gossip und Klatsch, was da rausgekommen ist, aber durch inhaltliche Positionen im Nahen Osten, im Mittleren Osten, zur Türkei gravierender Schaden entstanden ist.

    Heinemann: Ist die Außenpolitik der USA schwer geschwächt?

    Brok: Ja, sie ist geschwächt dadurch und sie ist gerade in Krisenregionen geschwächt, weil in Zukunft jetzt erst einmal führende Leute in den Regionen in Aussagen gegenüber amerikanischen Diplomaten sehr viel vorsichtiger sein werden. Und das wird deswegen ein Informationsproblem für die USA werden.

    Heinemann: Der CDU-Europaabgeordnete und Außenpolitiker Elmar Brok. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Brok: Auf Wiederhören!

    Heinemann: Und dieses Gespräch haben wir kurz vor dieser Sendung aufgezeichnet.