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"Botschaften sind unverletzlich"

Solange sich WikiLeaks-Gründer Julian Assange in der Botschaft Ecuadors in London befinde, sei er geschützt, sagt der Völkerrechtler Andreas Zimmermann. Allerdings komme der 41-Jährige nicht wieder heraus, ohne inhaftiert zu werden.

Andreas Zimmermann im Gespräch mit Dirk Müller | 21.08.2012
    Dirk Müller: Ein diplomatisches Schauspiel, ein Tauziehen, verbunden mit Droh- und Machtgebärden, alles in der Öffentlichkeit, alles vor den Kameras der internationalen und nationalen Fernsehstationen: der Fall Julian Assange. Ecuador gewährt dem WikiLeaks-Gründer politisches Asyl, doch die Regierung in London will ihn nicht gehen lassen, will den 41-jährigen Australier festnehmen, auch mit Gewalt, falls nötig, sobald dieser die schützende Botschaft Ecuadors verlässt. Und eine Vielzahl südamerikanischer Staaten erklären sich solidarisch mit der Entscheidung der Regierung in Quito. Diese sind empört, sehen das internationale Diplomatenrecht mit Füßen getreten.
    Wer hat denn nun Recht, Julian Assange, Ecuador oder Downing Street? Das wollen wir nun wissen von Völkerrechtler Professor Andreas Zimmermann von der Universität in Potsdam. Guten Morgen!

    Andreas Zimmermann: Guten Morgen aus Potsdam.

    Müller: Herr Zimmermann, schlägt Machtpolitik das internationale Recht?

    Zimmermann: Nein. Ich glaube, die Frage ist: Beide haben Recht. Einerseits besteht eine Verpflichtung des Vereinigten Königreiches, die Unverletzlichkeit der Botschaft zu schützen. Andererseits besteht keine Berechtigung von Ecuador, eine Person, noch dazu eine Person, die nicht politisch verfolgt wird, in die Botschaft aufzunehmen. Dieses Spannungsverhältnis wird irgendwann diplomatisch aufzulösen sein, indem Herr Assange die Botschaft freiwillig wird verlassen müssen.

    Müller: Und rechtlich steht das für Sie fest: Assange wird nicht politisch verfolgt, sagen Sie?

    Zimmermann: Ein Strafverfahren wegen Sexualdelikten in Schweden soll gegen ihn durchgeführt werden, das ist keine politische Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention. Und darüber hinaus hat er ja auch vollen Anspruch auf Rechtsschutz in Schweden, sodass wirklich keinerlei Hinweise bestehen, dass hier eine Verfolgung im Sinne der Konvention vorliegt.

    Müller: Reden wir noch über die andere Seite. Sie sagen, beide Seiten haben Recht. Inwieweit auch Ecuador?

    Zimmermann: Botschaften sind unverletzlich. Das Vereinigte Königreich ist gehindert, in die Botschaft hineinzugehen und Assange mit Gewalt dort heraus zu befreien. Das heißt, solange er sich in der Botschaft befindet, kann ihm nichts passieren.

    Müller: Und das ist auch international gedeckt, da gibt es gar keine Diskussion?

    Zimmermann: Das ist unproblematisch. Wenn und solange der Botschaftsstatus besteht, darf dort nicht hineingegangen werden. Es gibt einen Fall aus dem Jahr 1984, da war eine britische Polizistin von der libyschen Botschaft heraus beschossen und getötet worden. Und selbst unter diesen sehr viel schlimmeren Umständen hat das Vereinigte Königreich nicht die Botschaft betreten, sondern hat nur die fraglichen Diplomaten zur Persona non grata erklärt und sie gebeten, das Vereinigte Königreich zu verlassen. Das zeigt, wie hoch, wie wichtig der Wert der Unverletzlichkeit der Botschaft eigentlich ist.

    Müller: Wir haben gelernt, Herr Zimmermann: Der Balkon gehört noch zweifelsohne mit zur Botschaft. Was denn noch? Auch der Garten, auch das Tor?

    Zimmermann: Das ist im einzelnen umschrieben in dem jeweiligen Grundbuch. Das heißt, man müsste in das Grundbuch schauen, wie weit das Botschaftsgelände faktisch geht. Das ist eine Faktenfrage eigentlich.

    Müller: Hat er vielleicht Pech gehabt, Julian Assange, aus seiner Perspektive jedenfalls argumentierend, dass es oben kein Dach gibt, wo man ihn per Hubschrauber abholen könnte?

    Zimmermann: Auch sozusagen ein Hubschrauber, der nicht zur Botschaft gehört, wäre dann nicht mehr geschützt von der diplomatischen Unverletzlichkeit – spätestens dann, wenn der Hubschrauber in Heathrow landen würde und Herr Assange aussteigen würde aus dem Hubschrauber. Spätestens dann könnte der Zugriff durch die britischen Behörden erfolgen. Wir haben eine Situation, die sich so nicht auflösen lässt. Sie werden sich vielleicht erinnern: In den 50er-Jahren war ein ungarischer Kardinal über mehrere Jahre hinweg in der amerikanischen Botschaft in Budapest, und man kann es nicht lösen. Solange er in der Botschaft ist, ist er geschützt, er kommt aber auch nicht raus.

    Müller: Drehen wir uns, Herr Zimmermann, territorial etwas weiter. Wir haben bislang immer gehört, auch in unserem Korrespondentenbericht eben aus London, dass Schweden ja gesagt hat, wir können keine Nichtauslieferungsgarantie geben in Richtung USA, das heißt wir können nicht ausschließen, in Richtung USA auszuliefern. Jetzt haben wir heute Morgen in unseren Nachrichten gehört, dass die Schweden offenbar gesagt haben, wir werden nicht ausliefern, falls Assange in den USA die Todesstrafe droht. Geht das?

    Zimmermann: Also es ist so: Zum einen besteht offenbar ein Auslieferungsabkommen zwischen Schweden und den USA. Danach dürfte Schweden zur Auslieferung verpflichtet sein, aber erst natürlich, nachdem das schwedische Verfahren durchgeführt worden ist. Daneben besteht aber ein Verbot nach der europäischen Konvention für Menschenrechte, Personen auszuliefern, denen im Zielstaat die Todesstrafe droht. Das heißt: Sollte ihm wirklich die Todesstrafe drohen, könnte und dürfte Schweden nicht in die USA ausliefern. Das könnte wiederum dadurch dann gelöst werden, sollte es jemals so weit kommen, dass die USA versichern, nicht die Todesstrafe zu beantragen beziehungsweise zu verhängen.

    Müller: Falls Washington, falls die USA wie auch immer, die Richter dort auf eine Todesstrafe verzichten würden, habe ich das schon so richtig verstanden, natürlich kann Assange in Schweden der Prozess gemacht werden, und wenn der dann vorbei ist, wie auch immer er ausgeht, auch wenn er mit Haftstrafe endet, wenn die dann vorbei ist, dann können die Amerikaner kommen und Assange kassieren?

    Zimmermann: Dann könnten die USA die Auslieferung beantragen. Dann würde das nach den entsprechenden Regelungen des schwedisch-amerikanischen Auslieferungsabkommens geklärt werden und dann könnte er gegebenenfalls in die USA ausgeliefert werden, wenn ein hinreichender Verdacht besteht, wenn das unter die Delikte fällt, die von dem Auslieferungsabkommen erfasst werden, wovon ich ausgehe.

    Müller: Jetzt sind Sie ja, Herr Zimmermann, Jurist und Völkerrechtler. Ich weiß nicht, ob Sie auch Thriller lesen. Es gibt ja die Unterstellung beziehungsweise auch die Argumentation von Julian Assange, dahinter steckt der CIA, die Vorwürfe der Vergewaltigung in Schweden. Das würde in den politischen Kontext passen, dass WikiLeaks äußerst, äußerst unangenehm für die amerikanische Regierung ist. Könnte da was dran sein?

    Zimmermann: Das ist ja Kaffeesatz lesen. Wie Sie richtig sagen, bin ich Jurist, ich bin Völkerrechtler, ich kann zu den rechtlichen Fragen Stellung nehmen. Ob der CIA was gemacht hat? Ich bin nicht in Geheimdienstkreisen tätig. Das bitte ich zu entschuldigen.

    Müller: Die Frage geht ja dahin, inwieweit man so etwas auch dann vielleicht von schwedischer Seite, von britischer Seite aus untersuchen müsste beziehungsweise sich damit beschäftigen muss, weil das ist ja ein großes Risiko.

    Zimmermann: Okay. Er könnte im Rahmen des schwedischen Auslieferungsverfahrens natürlich geltend machen, ihm drohe ein nicht rechtsstaatliches Verfahren in den USA, etwa mit gefälschten Beweismitteln oder Ähnlichem. Das wäre dann zu prüfen. Und gegebenenfalls hätte er auch gegenüber einer etwaigen Auslieferungsentscheidung in die USA die Möglichkeit, den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg damit zu befassen. Das haben wir in der Vergangenheit immer wieder gehabt, dass der Straßburger Menschenrechtsgerichtshof gesagt hat, Auslieferung, Abschiebung in bestimmte Staaten ist wegen rechtsstaatlichen Bedenken unzulässig. Das heißt, auch gegen die Auslieferungsentscheidung gäbe es nicht nur Rechtsschutz vor schwedischen Gerichten, sondern gegebenenfalls sogar vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg.

    Müller: Dann ist zumindest jetzt schon klar, dass der Fall Julian Assange für die Öffentlichkeit beziehungsweise für die europäischen Bürger sehr teuer kommen wird?

    Zimmermann: Jedenfalls wird es noch einige Zeit dauern.

    Müller: Reden wir über die Pattsituation, das haben Sie eben festgestellt: Beide Seiten haben im Grunde Recht. Sehen Sie denn in irgendeiner Form eine mögliche Kompromisslösung?

    Zimmermann: Es wird vermutlich schwierig werden, weil beide Staaten sich so weit jetzt nach außen sozusagen öffentlich gemacht haben, welche Position sie einnehmen. Eine Möglichkeit wäre, dass das Vereinigte Königreich die diplomatischen Beziehungen zu Ecuador abbricht. Damit müssten alle ecuadorianischen Diplomaten das Vereinigte Königreich verlassen. In dem Moment würde dann auch das Botschaftsgelände den Status als Botschaft verlieren. Aber das ist natürlich auch ein hoher Preis, den das Vereinigte Königreich dann politisch zu bezahlen hätte, Abbruch der diplomatischen Beziehungen zu Ecuador, und inzwischen ist es ja auch in Südamerika eine gewisse Solidaritätsbewegung, sodass sich das Vereinigte Königreich das sicher sehr lange und ernsthaft überlegen wird.

    Müller: Und das würde bedeuten, dass man dann reingehen kann in die Botschaft?

    Zimmermann: In dem Moment, wo die diplomatischen Beziehungen zwischen Ecuador und dem Vereinigten Königreich beendet würden, besteht eine Verpflichtung aller Diplomaten aus Ecuador, das Land zu verlassen binnen einer angemessenen Frist und die Botschaft zu räumen, die dann damit, weil auch keine Diplomaten mehr da sind, auch den Botschaftsstatus verlieren würde.

    Müller: Und dann wäre Julian Assange nur noch als Hausmeister übrig?

    Zimmermann: Genau.

    Müller: Der Völkerrechtler Professor Andreas Zimmermann von der Universität in Potsdam heute Morgen live im Deutschlandfunk. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Zimmermann: Ich danke Ihnen!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.