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Botschafter: Netanjahu für eine Zwei-Staaten-Lösung

Angesichts der schwierigen Regierungsbildung nach der Wahl in Israel, hat der israelische Botschafter in Deutschland, Yoram Ben-Zeev, davor gewarnt den konservativen Politiker Benjamin Netanjahu als Friedensfeind vorzuverurteilen. Schließlich seien in der Vergangenheit vor allem rechtsgerichteten israelischen Politikern Fortschritte mit den Palästinensern gelungen. Als Beispiele nannte er den ersten Frieden mit einem arabischen Land unter Menachem Begin und den vollständigen Rückzug aus dem Gazastreifen unter Ariel Scharon.

Yoram Ben-Zeev im Gespräch mit Christoph Heinemann | 27.02.2009
    Christoph Heinemann: Benjamin Netanjahu versucht weiterhin eine breite Koalitionsregierung zu bilden. Halten Sie eine Regierung der Einheit für möglich, an der auch die Kadima-Partei teilnimmt.

    Yoram Ben-Zeev: In der Politik ist alles möglich. Die Frage ist, ob eine solche Regierung das Ergebnis der letzten Wahlen in Israel widerspiegeln würde. Frau Livni sagt, sie sei für eine Politik gewählt worden, die auf Ansätzen beruht, die sich von denjenigen der anderen Parteien unterscheiden. Also: Es ist möglich, aber im Augenblick nicht wahrscheinlich.

    Heinemann: Welche Bedingungen müssten erfüllt werden, damit Frau Livni ihre anfängliche Zurückweisung aufgibt?

    Ben-Zeev: Sie könnte einiges fordern. Zunächst wurde über eine Rotation gesprochen. Sie könnte Ministerpräsidentin werden, da ihre Partei bei den Wahlen zur stärksten politischen Gruppierung wurde. Also Rotation in der Regierung: zwei Jahre übernimmt Kadima die Führung, dann zwei Jahre Likud. Eine andere Frage ist die nach den Grundsätzen der Außenpolitik, auf die sich beide Parteien einigen müssten, bevor sie sich zusammentun. Wir sollten nicht spekulieren, wir benötigen Geduld, zehn Tage oder zwei Wochen, bevor sich die Dinge entwickeln.

    Heinemann: Die tschechische EU-Präsidentschaft erwartet einen schwierigen Start, sollte Benjamin Netanjahu Ministerpräsident werden. Der stellvertretende tschechische Ministerpräsident Vondra hat die Frage gestellt, ob Netanjahus Nominierung gut wäre für den Friedensprozess im Nahen Osten. Wie beantworten Sie diese Frage?

    Ben-Zeev: Man kann über Spitzenpolitiker nicht urteilen, bevor sie ihr Amt angetreten haben. Die Zugehörigkeit zu der einen oder anderen politischen Farbe bedeutet nicht notwendigerweise, dass dies die künftige Politik bestimmt. Ein Beispiel: Der erste Frieden zwischen uns und einem arabischen Land wurde unter Ministerpräsident Menachem Begin, dem Chef einer rechten Partei, geschlossen. Der Zweite war Netanjahu selbst, der den Palästinensern beim Thema Hebron sehr weit entgegengekommen ist. Und der Letzte war auch ein Likud-Politiker: Ariel Scharon, der Vater der Siedlungspolitik, ließ einseitig alle israelischen Siedlungen im Gazastreifen auflösen. Wir sollten Geduld haben und uns die grundlegenden Vorstellungen der neuen Regierung, wann immer sie ans Werk gehen wird, anschauen. Wir sollten sie nach ihren Leistungen beurteilen, nicht nach der politischen Farbenlehre.

    Heinemann: Erwarten Sie, dass Benjamin Netanjahu eine Zwei-Staaten-Lösung und ein souveränes Palästina unterstützt?

    Ben-Zeev: Ja, das glaube ich und so sieht es auch die internationale Gemeinschaft. Eine Zwei-Staaten-Lösung wäre gut für den gesamten Nahen Osten, die Palästinenser, und es würde dazu beitragen, Israel Sicherheit zu verschaffen. Die Frage ist allerdings, ob es auf der palästinensischen Seite eine starke Führung gibt, die mit uns den Weg zu einer Zwei-Staaten-Lösung gehen wird. Aber noch einmal: Die Antwort lautet ja. Und ich schließe nicht aus, dass wir von der künftigen Regierung, welche es auch sein mag, überrascht werden.

    Heinemann: Bislang hat Benjamin Netanjahu von einem "wirtschaftlichen Frieden" gesprochen. Was meint er damit?

    Ben-Zeev: Herr Netanjahu ist der Auffassung, dass der Wohlstand wichtig ist, um international eine Bereitschaft zum Frieden zu schaffen. Er meint, dass zunächst die Voraussetzungen auf palästinensischer Seite für eine funktionierende Wirtschaft hergestellt werden müssen. Als er Finanzminister war, hat er viel Energie darauf verwendet, mit entsprechenden Finanzinstrumenten die palästinensische Wirtschaft zu unterstützen.

    Heinemann: Avraham Burg, der frühere Präsident der Knesset, hat in einem Interview mit dem "Spiegel" gesagt, er hätte es sich nicht vorstellen können, dass eines Tages eine rassistische Ideologie in der Knesset vertreten sein könnte. Sehen Sie das auch so, ist Avigdor Liebermann ein Rassist?
    Ben-Zeev: Nein, das glaube ich nicht. Es tut mir leid: Avraham Burg ist ein guter Freund von mir. Wir stimmen in vielem überein und in vielem nicht. In diesem Fall bin ich vollständig anderer Meinung. In Israel gilt Herr Burg als jemand, der zu Schnellschüssen neigt. Herr Liebermann ist anders, als er von Herrn Burg beschrieben wird. Herr Liebermann sollte sich als Mitglied der Knesset oder als Minister bewähren dürfen, bevor er von Herrn Burg als Rassist beschrieben wird. Avigdor Liebermannn vertritt Ideen, die einige Israelis mögen, andere nicht. Als ehemaliger Präsident der Knesset hat Herr Burg das Recht zu sagen, was er sagen möchte. Alles legitim, solange es nicht zu Rassismus und Radikalismus aufstachelt.

    Heinemann: Herr Liebermann hält die arabischen Israelis, also Bürger mit israelischem Pass, für Bürger zweiter Klasse.

    Ben-Zeev: Nein, das ist nicht so. Er hat deutlich gesagt, dass Araber, die loyal zum Land stehen, gleich sind wie alle anderen, unabhängig davon, ob es sich um Araber, Juden oder Moslems handelt. Es geht ihm nicht um die Staatsbürgerschaft, sondern um die Loyalität Einzelner oder einer Gruppe. Wenn die nicht vorhanden ist, ist das Land nicht verpflichtet, diese an den Vorzügen, die es zu bieten hat, teilhaben zu lassen. Auch darüber wird in Israel ausführlich debattiert. Viele Israelis akzeptieren nicht, dass Loyalität und Staatsbürgerschaft miteinander zu tun haben. Noch einmal: man mag das so sehen oder nicht, aber dies ist keine direkt rassistische Politik gegenüber einer Menschengruppe.

    Heinemann: Avramam Burg hat in dem "Spiegel"-Interview gesagt, die Shoa sei in Israel gegenwärtiger als Gott, die Menschen in Israel seien verroht durch den Holocaust und er hat gesagt: "Wir sind so aggressiv".

    Ben-Zeev: Dies ist ein anderer Punkt, in dem ich mit Avram Burg nicht übereinstimmen. Er hat sich sehr extremer Ausdrücke bedient, um eine Botschaft auszusenden. Das ist nicht das Israel, das ich kenne, nicht seine Politik, seine Kultur und nicht das zivilisierte Israel. Alles unter dem Dach des Holocaust zu vereinen, zu behaupten, wir seien eine aggressive Nation wegen der Folgen des Holocaust - da ist er zwei Schritte zu weit gegangen.