Dienstag, 23. April 2024

Archiv

Der Pianist und Dirigent Lars Vogt
Brahms-Sternstunde zum Abschied

Vor 24 Jahren hat Lars Vogt das Festival Spannungen: gegründet. Im Juni hat der nun verstorbene Pianist dort seinen letzten öffentlichen Auftritt in Deutschland gespielt. Die Intensität in Brahms' c-Moll-Klavierquartett war berückend.

Am Mikrofon: Norbert Hornig | 11.09.2022
Eine Bratschistin, ein Pianist und eine Cellistin musizieren auf einer Bühne. Im Hintergrund sind Maschinen des Jugendstil-Kraftwerks Heimbach (Eifel)  zu sehen.
"Sich intensiv mit der Sache befassend, aber auch die Gemeinschaft genießend. Das war mein Wunsch und das ist erstaunlich schön in Erfüllung gegangen", sagte Lars Vogt über sein Spannungen-Festival in der Eifel. Hier spielt er bei seinem letzten dortigen Auftritt mit Barbara Buntrock (Vla) und Tanja Tetzlaff (Vc). (Georg Witteler)
Die Atmosphäre war mit Emotionen aufgeladen, als der Pianist beim Abschlusskonzert des Festivals Spannungen:2022 am 26. Juni die Bühne betrat. Seine Kolleginnen und Kollegen hatten aufgrund von Vogts fortgeschrittener Krebserkrankung das Kammermusikfest in diesem Jahr fast ausschließlich ohne dessen Gründer und künstlerischen Leiter bestritten.

Vehement auf die Bühne

Er wollte sich aber offenbar zumindest den Schlusspunkt nicht nehmen lassen und trat gegen den Rat seiner Ärzte noch einmal auf die Bühne des RWE-Kraftwerks in Heimbach, um mit Christian und Tanja Tetzlaff sowie Barbara Buntrock das Klavierquartett Nr. 3 c-Moll op. 60 von Johannes Brahms zu spielen.
Der Auftritt wurde zum Abschied des beliebten Pianisten von Heimbach und dem Publikum in Deutschland. Drei Tage vor seinem 52. Geburtstag starb Lars Vogt am 5. September im Kreise seiner Familie.
Ein Geiger, eine Bratschistin, ein Pianist und eine Cellistin musizieren auf einer Bühne. Im Hintergrund sind Maschinen des Jugendstil-Kraftwerks Heimbach (Eifel) sowie einige Zuhörerinnen und Zuhörer zu sehen.
"Ich liebe sowieso die ganze Kammermusik von Brahms natürlich so ungeheuer - aber das ist vielleicht noch eine der Sternstunden darin", sagte Lars Vogt kurz vor seinem Auftritt in Heimbach über Brahms' Klavierquartett in c-Moll. (Georg Witteler)
In seinem Spiel kamen enorme pianistische Kraft mit höchster Sensibilität und Klangsinn zusammen. Mit diesen Qualitäten überzeugte er in vielen Konzerten mit Orchester, in den Soloabenden oder in den zahlreichen Kammermusikkonzerten im Kreis seiner Musikerfreunde beim Kammermusikfest Spannungen, im Eifelstädtchen Heimbach.

"Für mich ist Heimbach mit eigentlich die künstlerisch prägendste Erfahrung meines Lebens."

Diese kommunikative Art des Musizierens war für ihn ein Glücksbrunnen. Zur 20. Ausgabe im Jahr 2017 fasste er im Interview zusammen, was das Festival für ihn so besonders machte:
"Der Kontakt mit großen Musikern! Gerade Pergamenschikow, Antje Weithaas, Sharon Kam, Christian Tetzlaff natürlich ganz stark, Tanja Tetzlaff … Die ganzen Gespräche, Auseinandersetzungen, das Schnelle-Infrage-Stellen: Das Tempo mag sich für dich gut anfühlen, aber ist es denn das Richtige? Könnte es nicht auch was sehr anderes sein? - Diese Gespräche laufen jetzt auch alleine in meinem Kopf ab, wenn ich mir überlege, wie ich eine Sinfonie dirigiere oder wie ich eine neue Klaviersonate spiele. Für mich ist Heimbach mit eigentlich die künstlerisch prägendste Erfahrung meines Lebens."
Blick auf das Wasserkraftwerk Heimbach in der Eifel. Seit 1904 produzieren in dem Jugendstil-Gebäude tonnenschwere Generatoren Strom. Heute beherbergt das Kraftwerk außerdem ein Museum.
Blick auf das Wasserkraftwerk Heimbach in der Eifel. Seit 1904 produzieren in dem Jugendstil-Gebäude tonnenschwere Generatoren Strom. Heute beherbergt das Kraftwerk außerdem ein Museum und im Sommer fungiert es als Konzertort für das Spannungen-Festival. (picture alliance / dpa / Roland Scheidemann)
Lars Vogt war ein überaus vielseitiger Künstler. Sein immenses Repertoire reichte von der Musik von Bach, Mozart und Beethoven über die Romantiker Schumann, Brahms, Grieg, Tschaikowsky und Rachmaninow bis hin zu zeitgenössischen Werken, wie dem Klavierkonzert von Witold Lutosławski.

Brahms-Liebe auf den zweiten Blick

Mit der Musik von Brahms verband den Pianisten eine besondere Beziehung - obwohl er erst nach und nach seine Faszination für den norddeutschen Komponisten entdeckte, wie er im Sommer 2020 in einem Interview für den Deutschlandfunk erzählte:
"Es hat bei mir in meiner Jugend auch ein bisschen gedauert, bis ich zu Brahms wirklich eine Liebe entwickelt habe. Und als es dann passiert ist, dann war es wie ein Hammer. Dann habe ich eigentlich ein ganzes Jahr lang nur Brahms hören wollen und spielen wollen. Und dem entzieht es sich bis heute nicht und ich entdecke immer neue Schichten, die dann eine Rolle spielen. Angefangen hat es bei mir mit der Liebe zur Harmonik, zu dieser etwas finsteren, rauen Harmonik, die es bei ihm häufiger gibt. Und selbst in so einem an sich freundlichen Dur-Stück gibt es immer auch die ganz dunklen Momente, wo ich ihn mir dann irgendwo im dunklen Hamburg in seiner Jugend immer vorstelle."
Ein Geiger, eine Bratschistin, ein Pianist und eine Cellistin musizieren auf einer Bühne. Umrahmt werden sie von Maschinen im Jugendstil-Kraftwerk Heimbach (Eifel) sowie Zuhörerinnen und Zuhörern.
Ein besonderer Moment auch für das treue Publikum im RWE-Kraftwerk in Heimbach: Lars Vogt (Kl) gemeinsam mit Christian Tetzlaff (Vl), Barbara Buntrock (Vla) und Tanja Tetzlaff (Vc) beim Kammermusikfest Spannungen:2022. (Georg Witteler)
Bei seinem letzten Auftritt in Heimbach spielte Lars Vogt jedoch in Moll: das düstere 3. Klavierquartett von Johannes Brahms, "das sich als Thema sogar mit dem Tod auseinandersetzt", wie Christian Tetzlaff es formuliert. In einem Interview mit dem VAN Magazin spricht der Geiger und langjährige Freund von Lars Vogt auch über den gemeinsamen Brahms-Auftritt in Heimbach:
"Er hatte Corona und zwei Wochen starke Chemotherapie hinter sich, und hat gespielt wie ein Gott. Wir haben alle im Hinterkopf und im Bauch das Gefühl gehabt, dass es wahrscheinlich das letzte Mal ist, dass wir dieses Stück zusammen spielen."

Trostspender Brahms

Brahms sei Vogt und Tetzlaff in wirklich tiefen Seelenlagen der nächste gewesen, "vielleicht weil er nicht ganz so übermenschlich daherkommt wie andere, oder mit einer solchen Verzweiflungssucht, sondern weil er – um sein Requiem zu zitieren –, sagt: Ich will Dich trösten wie eine Mutter Dich tröstet. Und das ist etwas, was selbst in den dunklen Stücken von Brahms mitzuschwingen scheint, dass er nicht größer sein möchte als wir, sondern mit uns sein möchte. Brahms ist der Komponist, der uns am meisten über die Jahre verbunden hat und der uns auch einen schönen Abschied geschenkt hat".
Musikerinnen und Musiker sowie einige Kinder stehen in legerer Kleidung aufgereiht auf einer Bühne. Umrahmt werden sie von Maschinen im Jugendstil-Kraftwerk Heimbach (Eifel) sowie Zuhörerinnen und Zuhörern, die ihnen Applaus spenden.
Auch stets ein Fest der Freundschaft und Liebe: das 1998 von Lars Vogt gegründete Spannungen-Festival, hier umrahmen ihn seinen Kolleginnen und Kollegen nach seinem letzten dortigen Auftritt im Juni 2022. (Georg Witteler)
Die Intensität der Brahms-Interpretation ergriff das Publikum und bescherte - wie so oft in Heimbach - eine kammermusikalische Erfahrung der Extraklasse. Im Interview für den Deutschlandfunk sprach Lars Vogt vor seinem Auftritt über den packenden Ausdruck des Werks:
"Dieses Liebesleid. Das Thema war ja Liebe in diesem Jahr, und hier wirklich auch die tragisch unerfüllte Liebe. Etwas Nagendes ist in diesem Stück. Für mich sind die Schlussakkorde am Schluss fast wie eine runter sausende Gilloutine. Dann trotzig in C-Dur und dazwischen dann eine unglaubliche Liebesarie im 3. Satz. Also es gibt immer wieder diese Dur-Visionen, ja, von Liebe denke ich auch. Aber die Tragik hat in diesem Stück doch immer wieder die Oberhand."

Geleit durch Beethovens Tonart-Zwilling

Wie Brahms' 3. Klavierquartett steht auch Beethovens Streichquartett op. 18 Nr. 4 in c-Moll, ein markantes Werk aus der ersten Streichquartettserie des Komponisten, in dem es erstaunlicherweise keinen langsamen Satz gibt. Als zeitgenössischer Kontrapunkt zu Beethoven und Brahms kam in diesem Abschlusskonzert von Spannungen:2022 Musik von Georgios Aperges zur Aufführung. Seine "Quatre Pièces Fébriles" (1995) versteht der griechische Komponist auch als "Spiegelspiele zwischen Klavier und Marimba".
Lars Vogt war dem Deutschlandradio, insbesondere dem Deutschlandfunk in Köln, durch zahlreiche Konzerte und Produktionen und vor allem durch sein Kammermusikfest in Heimbach eng verbunden. Als langjähriger Medienpartner des Festivals präsentiert der Deutschlandfunk das Abschlusskonzert vom 26. Juni 2022 sowie eine Interpretation von Lars Vogt beim Nachtkonzert vom 24. Juni, bei dem er ein Brahms-Intermezzo spielte.
Kammermusikfest Spannungen 2022
Aufnahmen vom 24. und 26.6.2022 aus dem Kraftwerk Heimbach
Georgios Aperges
Quatre Pièces Fébriles für Marimba und Klavier
Hans-Kristian Kjos Sørensen (Marimba), Kiveli Dörken (Klavier)

Ludwig van Beethoven
Quartett für zwei Violinen, Viola und Violoncello c-Moll, op18 Nr. 4
Christian Tetzlaff, Elisabeth Kufferath (Violinen), Yura Lee (Viola), Julia Hagen (Violoncello)

Johannes Brahms
Intermezzo op. 117 Nr. 1
Lars Vogt (Klavier)

Johannes Brahms
Quartett für Klavier, Violine, Viola und Violoncello Nr. 3 c-Moll, op. 60
Lars Vogt (Klavier), Christian Tetzlaff (Violine), Barbara Buntrock (Viola), Tanja Tetzlaff (Violoncello)