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Brasilien
Erzbischof: Regierung treibt Verschwinden der Indigenen an

Dom Roque Paloschi, Erzbischof von Porto Velho in Brasilien wirft Brasiliens Regierung den Ausverkauf des Amazonas vor. Von der Amazonassynode erhofft er sich eine Stärkung der Indigenen-Rechte. Das Mercosur-Abkommen gelte es zu überdenken, wenn es nur um die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen gehe, sagte Dom Roque im Dlf.

Jule Reimer im Gespräch mit Dom Roque Paloschi | 17.10.2019
Brasilien: Indigene Frauen schreien politische Parolen bei einem Protest gegen die Umweltpolitik des rechten Präsidenten Bolsonaro und den Verlust ihrer traditionellen Siedlungsgebiete.
Indigene Frauen protestieren - "Die indigenen Völker leben seit 10 bis 12.000 Jahren als Ureinwohner in der Amazonas-Region und sie müssen respektiert werden", sagt Dom Roque (dpa/ Tuane Fernandes)
Jule Reimer: Die Amazonassynode ist fast in der Halbzeit angekommen. "Der Schutz des Amazonas vor der Zerstörung durch den Menschen liege in der Verantwortung der gesamten Menschheit", hieß es in einer am Dienstagabend vom Vatikan verbreiteten Zusammenfassung der Redebeiträge. Die Betonung liegt auf "der gesamten Menschheit". Kurz vor dieser Sendung konnte ich mit Dom Roque Paloschi sprechen, dem Erzbischof von Porto Velho im Amazonasstaat Roraima und Präsidenten des Indigenen-Missionsrat CIMI und ich wollte von ihm wissen, was so eine Aussage praktisch bedeutet?
Dom Roque Paloschi: Praktisch bedeutet es, dass wir unseren Lebensstil überdenken müssen, den Konsum, die Verschwendung, dieses Wegwerfen. Wir meinen, die natürlichen Ressourcen seien unerschöpflich, dabei sind sie endlich und unsere Erde ruft bereits um Hilfe.
"Über der staatlichen Souveränität steht das Recht auf Leben"
Reimer: Stellen Sie damit nicht die Souveränität der Amazonas-Anrainer-Staaten infrage, einschließlich die Ihrer eigenen – also der brasilianischen Regierung?
Dom Roque: Über der staatlichen Souveränität steht das Recht auf Leben. Die indigenen Völker leben seit 10 bis 12.000 Jahren als Ureinwohner in der Amazonas-Region und sie müssen respektiert werden. Und über der staatlichen Souveränität steht auch die Hoffnung, im Namen der Menschheit von Frieden, Gerechtigkeit und Brüderlichkeit für alle zu träumen.
Reimer: Fakt ist, dass es aber unterschiedliche Ansichten über die Art und Weise gibt, wie der Amazonas genutzt werden sollte. Präsident Bolsonaro wurde bei der UN-Generalversammlung in New York von einer jungen Indigenen begleitet - Ysani Kalapalo - , die für die "Gruppe der Indigenen Landwirte" von einem überholten Entwicklungsmodell für die indigenen Gemeinden sprach. Dieses halte sie in Armut und in Abhängigkeit von staatlicher Sozialhilfe. Wie viel Armut herrscht in den geschützten indigenen Gebieten?
Dom Roque: Ich sage nichts zu dieser Indigenen, die Präsident Bolsonaro nach New York begleitet hat. Denn dazu haben sich bereits die Indigenen Völker geäußert, einschließlich ihrer eigenen Ethnie, die klar Stellung bezogen hat.
Reimer: Was haben sie denn gesagt?
Dom Roque: Laut dieser Indigenen [Ysani Kalapalo – Anm. der Redaktion] sind die anderen gegen Entwicklung. Aber die Frage ist doch, um welche Form von Entwicklung geht es? Entwicklung, die die Umwelt zerstört, um dann Reichtum in der Hand von wenigen Reichen zu konzentrieren? Ein indigener Führer sagte zu dieser Entwicklungsdiskussion: "Ich fühle mich angegriffen, denn wir sind nicht arm. Wir haben den Wald, wir haben Fische, wir angeln, wir jagen, wir haben alles, was wir brauchen. Und wir haben nicht die Absicht, Mehrwert anzuhäufen und dadurch unsere natürlichen Ressourcen zu erschöpfen." Und er erwarte Respekt vor seiner Selbstbestimmung und für seine Lebensform.
Mehr als 300 Ethnien in der Amazonasregion
Reimer: In den Indigenen Gebiete liegen große Reichtümer – Rohstoffe wie Gold, Bauxit etc.. Bergbau als solcher geht nicht immer, aber häufig auf Kosten des Naturschutzes. Könnte da die landwirtschaftliche Nutzung - wie sie diese "Gruppe der indigenen Landwirte" fordert - einen Kompromiss zwischen dem absoluten Naturschutz und der Nutzung des Amazonas darstellen?
Dom Roque: In Wahrheit herrscht in der Amazonasregion Vielheit. Es leben dort mehr als 300 Ethnien, die denkbar unterschiedlich sind, dennoch müssen alle Gruppen respektiert werden. Aber rund herum gibt es ein Rechtsrahmen. Es gilt die brasilianische Verfassung, die indigenen Völkern haben in ihren Gebieten das Nutzungsrecht, Eigentümer des Bodens ist der Staat. Aber Brasilien hat auch multilaterale Verträge unterschrieben, darunter die ILO-Konvention 169 [Übereinkommen über indigene und in Stämmen lebende Völker in unabhängigen Ländern – Anmerkung der Redaktion]. Diese schreibt ganz klar vor: Ureinwohner müssen vor jedem Projekt, das in ihre Territorien eingreift, zuerst konsultiert werden. Niemand ist gegen Entwicklung, sondern die Indigenen bitten schlicht darum, die ihnen in der brasilianischen Verfassung von 1988 garantierten Rechte zu respektieren.
Reimer: Sie haben angedeutet, dass diese Rechte verletzt werden. Wie werden sie verletzt?
Dom Roque: Die Rechte der Indigenen werden verletzt, wenn erlaubt wird, in ihre Schutzgebiete einzudringen, durch die Holzunternehmer, durch die Besetzung durch professionelle Landdiebe, durch das Vordringen von Monokulturen wie die Viehzucht oder den Sojaanbau; durch Großprojekte der Regierung, wenn diese die indigenen Gemeinschaften weder konsultiert noch ihnen eine Zukunftsperspektive garantiert. Ihre Rechte werden verletzt, wenn legaler oder illegaler Bergbau zugelassen wird, mit schrecklichen Folgen. So sind zum Beispiel in der Yanomami-Region in Roraima bis zu 90 Prozent der Bevölkerung mit Quecksilber kontaminiert. Das sind offizielle Daten. All das zeigt, dass die Rechte nicht respektiert werden, im Gegenteil, sie werden jedes Mal geschwächt, wenn die Regierung erlaubt, ja ermuntert, die Rechte der Indigenen zu zerstören.
Reimer: Wie ist das möglich, dass eine Regierung so etwas Illegales erlaubt?
Dom Roque: Weil die derzeitige Regierung ein Projekt vorantreibt, das während der brasilianischen Militärdiktatur [1964 bis 1985, Anmerkung der Redaktion] von großer Bedeutung war: die Idee, dass die Indigenen verschwinden werden und sie mit der brasilianische Gesellschaft zu verschmelzen. Die jetzige Regierung will dieses Projekt vorantreiben, das Verschwinden der Ureinwohner.
"Wahrscheinlich müssen 12.000 Quilombolas ihr Land verlassen"
Reimer: Der brasilianische Umweltminister Ricardo Salles wies bei seinem Deutschlandbesuch darauf hin, dass die Entwaldung der Amazonasregion schon seit 2012 - also deutlich vor dem Amtsantritt von Präsident Bolsonaro - wieder deutlich zugenommen hatte. Herr Salles argumentiert: Der wirkliche Ursprung brasilianischen Umweltprobleme sei die Armut. Man müsse den Amazonas nutzen, um ihn zu schützen.
Dom Roque: Der Umweltminister nutzt häufig die Losung "nutzen um zu schützen". Aber wer gibt denn die Souveränität Brasiliens in fremde Hände ab? Das ist doch die Regierung selbst! Drei Beispiele: Erstens der brasilianische Weltraumbahnhof von Alcântara im Bundesstaat Maranhão. Die Regierung plant einen so beschämenden Vertrag mit den USA abzuschließen, dass dort wahrscheinlich 12.000 Quilombolas ihr Land verlassen müssen - weil die Regierung den Weltraumbahnhof der US-Regierung übertragen will. [Quilombolas sind Bewohner von Quilombos, eine Bezeichnung für Dörfer, die aus geheimen Niederlassungen geflohener schwarzer Sklaven hervorgegangen waren. Seit 1988 sind die Landrechte der Quilombolas in der brasilianischen Verfassung verankert. – Anmerkung der Redaktion]
Zweitens Bergbau: Wer will die indigenen Schutzgebiete für Minen freigeben und lädt dazu die großen multinationalen Konzerne ein? Die brasilianische Regierung. Drittens: Wer propagiert den Verkauf von Ländereien im Amazonas an Ausländer? Die Regierung. Also: Was ist das für eine Art von Naturschutz? Was wird hier geschützt? Die Konzentration von Reichtum, die illegale Aneignung von sogenanntem "unbewohntem, leerem" Land, das öffentlicher Boden ist? Das ist die Schlüsselfrage! Wie mit dem Traktor wird alles platt gemacht und versucht, zu negieren, was an Rechten für die Indigenen errungen wurde.
"Überall in der Welt für eine ganzheitliche Ökologie einsetzen"
Reimer: Welches Ergebnis erhoffen Sie sich als Erzbischof der Amazonasregion von der Synode in Rom?
Dom Roque: Wir erhoffen uns, dass die Synode weder die Armen vergisst noch ihre Verantwortung, auf unser gemeinsames Haus aufzupassen. Und dass die Leute sich aufmachen und sich katholische Christen nicht nur in der Amazonasregion, sondern überall in der Welt für eine ganzheitliche Ökologie einsetzen. Wir erhoffen uns, dass die Synode den Reichtum dieser Völker der Ureinwohner anerkennt und einen aufrichtigen Dialog mit ihnen sucht.
Reimer: Die Regierung Bolsonaro wird sehr stark von konservativen evangelikalen Kirchen getragen - Geht es in diesem Konflikt um den Amazonas auch um eine Art Kulturkampf zwischen evangelikaler und katholischer Kirche, um Einflusszonen ?
Dom Roque: Für mich besteht die Mission der Kirche im Evangelium und der Praxis von Jesus Christus. Wenn es da andere Motive gäbe, dann wäre das für mich Untreue gegenüber dem Kreuz Jesus Christi, den Gekreuzigten von heute in der Welt und auch im Amazonas. Ich meine, daran sollte sich die Kirche orientieren, am Evangelium, am Kreuz Christi, den Gekreuzigten der Welt – und nicht an der Zuneigung und dem Applaus des Präsidenten.
Reimer: Sollte die EU den bereits weitgehend ausgehandelten Freihandelsvertrag des Mercosur-Abkommen mit Brasilien und andern Lateinamerikanischen Staaten unterzeichnen?
Dom Roque: Ich kenne diesen Vertrag nicht gut. Priorität für mich hätte: So ein Vertrag sollte der Würde und der Hoffnung der Armen dienen. Wenn dieser Vertrag nur dazu dient, unsere natürlichen Ressourcen weiter auszubeuten, um den Konsum der reichen Gesellschaften zu nähren und die Armen weiter verarmen, dann sollten wir ihn überdenken, in dem Sinne, damit er in der südlichen als auch in der nördlichen Hemisphäre für mehr soziale Gerechtigkeit sorgt, bei der Landfrage wie auch für die Armen generell.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.