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Brasilien
Jäger der verlorenen Stadt

Percy Fawcett soll das Vorbild für Indiana Jones gewesen sein. Der brasilianische Journalist Antonio Callado zeichnet von dem Forscher ein weniger charismatisches, aber ebenso determiniertes Bild.

Von Eva Karnofsky | 06.12.2013
    US-Drehbuchautor George Lucas soll seinen Indiana Jones nach dem Vorbild des britischen Colonel Percy Harrison Fawcett geschaffen haben. Doch als der brasilianische Journalist Antonio Callado 1952 zum Culuene-Fluss im Bundesstaat Mato Grosso aufbrach, um nach Fawcett zu suchen, war von dem Filmhelden noch lange nicht die Rede. Und der tropische Regenwald war für die Brasilianer noch ein fernes, unentdecktes Territorium, das erst ein gutes Jahrzehnt später von der nationalistischen Militärregierung bewusst als Teil Brasiliens wahrgenommen werden sollte. Es war nicht nur die Person des Abenteurers Fawcett, sondern auch diese Terra incognita und vor allem ihre indianischen Bewohner, die den Journalisten und späteren Romanautor Callado damals gereizt hatten, sich einer Tour auf den Spuren des Briten anzuschließen, an der auch Fawcetts jüngster Sohn Brian teilnahm.
    Die Indianer vom Volk der Kalapalo, das Callado mit der Gruppe besucht, könnten Fawcett ermordet haben. Sie hatten 1951 sogar selbst dessen Leiche präsentiert, nachdem man ihnen dafür rote Ara-Federn versprochen hatte. Nur: Es stellte sich heraus, dass der Tote nicht Fawcett war.
    Weshalb der Leser ab sofort zur Kenntnis nehmen möge, dass dieser Kriminalroman in haarsträubender Weise gegen alle einschlägigen Regeln verstößt: Es ist uns weder gelungen, die aufgefundene Leiche zu identifizieren, noch den Täter oder dessen Motive zu ermitteln. Aufgrund des hohen Symbolwerts einer Persönlichkeit wie Colonel Fawcett erschien uns die Geschichte dennoch erzählenswert, wie auch die Art und Weise, wie die Kolonisierung vonstattengegangen ist, unserer Ansicht nach einige Bemerkungen verdient, vor allem weil wir es dabei ... mit Menschen zu tun bekommen, über die wir so gut wie nichts wissen: die Indios.
    Callado verwebt in seinem Buch Der Tote am See verschiedene Themenbereiche: eine Urwaldreportage und einen Essay über die Rolle der Indianer in Brasilien, eine Fawcett-Biographie und eine historische Darstellung über die versunkene Stadt Z. Diese Verknüpfung macht es gelegentlich etwas mühsam, die einzelnen Stränge zu verfolgen, zumal das Buch mit außerhalb Brasiliens unbekannten Namen und Daten vollgestopft ist. Ein Glossar hätte das Lesen zumindest erleichtert.
    Den Erzählrahmen des Buches bildet Callados sechstägiger Regenwaldausflug. Besonders genau beobachtet er dabei die Indios, deren Verhalten ihm immer wieder Rätsel aufgibt. Er stellt sich eine Frage, die bis heute viele Brasilianer beschäftigt:
    Warum sich mit der Erziehung dieser Indios aufhalten, die nicht imstande sind, richtig zu arbeiten, und keinen nützlichen Beitrag zu unserer Kultur leisten? ... Die einzig sinnvolle Antwort hierauf lautet: Die Indios sind nun einmal da. ... Warum sollen wir die Oberhäupter ihrer Familien nicht fragen, ob sie ihren herumwuselnden Kindern nicht Reife und Bildung zukommen lassen wollen, damit sie ihnen wiederum helfen, eines Tages ihr eigenes Geld zu verdienen?
    In die Reiseerlebnisse und seine Überlegungen dazu webt Callado die Biografie Fawcetts und versucht, sich zu erklären, warum dieser sich den Strapazen von Urwaldexpeditionen unterwarf. Er zieht folgenden Schluss:
    Was Colonel Fawcett antrieb, war der Traum von einem neuen Empire, von der Wiederkehr des Elisabethanischen Zeitalters.
    Vor allem aber war er wohl besessen davon, als Entdecker in die Geschichte einzugehen, was ihm jedoch nicht gelang. Callado zeichnet den Briten als nicht besonders angenehmen Zeitgenossen:
    Es ergibt sich stets das gleiche Bild: eine hochgradig autoritäre Persönlichkeit, die den eigenen Sohn ebenso rücksichtslos behandelt wie die angeheuerten Lastenträger.
    Fawcett war in Begleitung seines ältesten Sohnes Jack und eines Fotografen unterwegs gewesen. Callado findet verschiedene Beispiele für die Rücksichtslosigkeit des Colonels und schließt daraus:
    Wenn der Weiße böse wird, wird es der Indio auch.
    Will heißen, Fawcetts Benehmen könnte ein Grund für seine Ermordung gewesen sein. Der Colonel steht für Callado im Übrigen für eine kolonialistische Art des Umgangs mit den Indios, die für ihn selbst nicht infrage kommt.
    Callado geht auch auf vorherige Expeditionen ein, die versucht haben, Fawcetts Verbleib zu klären. Es gab im Übrigen auch immer mal wieder Gerüchte, dass der Brite sich lediglich in ein abgelegenes Indianerdorf zurückgezogen hatte und noch am Leben war.
    Zudem liefert Callado eine historische Betrachtung über Z, die legendäre Stadt, die Fawcett im Urwald aufspüren wollte. Schon die Bandeirantes, die Eroberer des brasilianischen Binnenlandes, haben 1753 von ihr berichtet und Callado hängt deren Brief an den König von Portugal über diese Stadt seinem Text an. Laut Callado wurde die Stadt 1591 erstmals in Dokumenten erwähnt, im Zusammenhang mit einer Silbermine. Schon viele haben sie gesucht. Callado schreibt:
    Das erste Opfer der von den Bandeirantes entdeckten verlassenen Stadt war der Kleriker Benigno José de Carvalho. Auf der Suche nach ihr starb er zwar nicht, musste dafür aber, abgesehen davon, dass seine Unternehmung ergebnislos blieb, viel beißenden Spott und Häme ertragen.
    Die Urwaldreise, die Antonio Callado für sein Buch Der Tote im See unternommen hatte, bildete die Grundlage für sein späteres literarisches Schaffen. In seinen Romanen Quarup und Expedition Montaigne setzte er sich ebenfalls mit der Frage auseinander, welche Rolle die Indianer in Brasilien spielen sollen. Wen Nachdenkliches über die Problematik des staatlichen Umgangs mit ethnischen Minderheiten interessiert, dem sei Der Tote im See empfohlen. Ebenso hat Callado ein paar interessante Texte zu der legendären Stadt Z zusammengetragen. Spannende Unterhaltung á la Indiana Jones sollte man von dem Buch jedoch nicht erwarten.

    Antonio Callado: "Der Tote im See. Leben und Verschwinden des Colonel Fawcett im brasilianischen Regenwald."
    Aus dem brasilianischen Portugiesisch von Peter Kultzen. Berenberg Verlag, Berlin 2013, 120 Seiten, 20 Euro, ISBN 978-3937834665