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Brasilien
Mit Musik soziale Grenzen überwinden

MC Gringo heißt bürgerlich Bernhard Weber. Der 44-jährige Musiker lebt seit zehn Jahren in Rio de Janeiro. In seinem neuen Projekt versucht er ein Cross-over zwischen dem Baile Funk aus den Favellas und dem bei reichen Brasilianern beliebten Progressive House.

Von Ole Schulz |
    Nachmittags am Aproador: Der bekannte Felsen trennt die beiden Strände Copacabana und Ipanema voneinander. Hier versammeln sich am Wochenende zum Sonnenuntergang Tausende – es ist einer der wenigen Orte, wo Reiche aus den Strandvierteln auf Arme aus den Favelas treffen. Und heute hat MC Gringo genau hier sein Soundsystem aufgebaut.
    MC Gringo heißt bürgerlich Bernhard Weber und ist ein 44-jähriger Deutscher, der sich seit zehn Jahren als Musiker und Überlebenskünstler in Rio de Janeiro durchschlägt. Heute startet MC Gringo einen musikalischen Versuch: Er will den populären Baile Funk aus den Favelas von Rio mit Progressive House mischen.
    "Auf jeden Fall das Hauptziel ist einfach, wie immer gesellschaftsverbindend zu sein, die Grenzen aufzureißen, die sozialen Grenzen und einfach Progressive House, was hier ne Musikrichtung für extrem Reiche ist in Rio, das ist nicht so, wie in Deutschland und den Baile Funk der Armen zu einer Bewegung zu verbinden."
    In Rio de Janeiro hat sich MC Gringo als "MC" einen Namen bei den wilden Baile Funk-Partys in den Favelas gemacht. Mittlerweile widmet er sich auch mit Leidenschaft dem Samba, und trotzdem verdient er als Musiker nicht genug zum Überleben.
    "Zu meinen Hochzeiten konnte ich von der Musik leben. Das war so zwischen 2006 und 2008. Nur habe ich dann beschlossen, nicht ganz mehr so den Maxen zu machen, sondern einfach bisschen anspruchsvollere Musik zu machen, dadurch bin ich in so ein kleineres Loch gefallen und ich arbeite auch ganz normal, mehrere Jobs, ganz klar ohne Arbeiten geht's nicht.
    Schon bevor es bei Ausländern in Mode kam, in befriedete Favelas zu ziehen, hat MC Gringo in mehreren dieser sogenannten Armenviertel gewohnt. Zurzeit lebt er in der ruhigen Favela Ladeiras Tabajaras auf einem Hügel oberhalb der Copacabana – der Blick von hier oben ist fantastisch: Vor einem liegt der Zuckerhut und links die Christusstatue. Seit einem Jahr bietet MC Gringo nun Touren durch seine Nachbarschaft an.
    "Die Idee ist: Man kommt als Kunde und geht als Freund. Das, was ich anbiete, ist mehr eine Mischung: Lernen sie das echte Brasilien kennen, nur fünf Minuten von der Copacabana. Es ist ´ne Mischung mehr aus dörflichem Leben, verbunden mit viel Natur. Und es läuft sehr gut, und ich habe 100 Prozent positive Kritiken. Man kann mich ja finden auf Favelafriends bei Facebook. Die Tour geht circa 90 Minuten, aber meistens bleiben die Leute länger, da verlange ich keinen Aufpreis."
    MC Gringo versichert, dass ein Besuch seiner Favela ungefährlich sei. Denn wie alle Favelas in der Südzone Rios wurde auch Tabajaras im Zuge der Befriedung von der Polizei besetzt und die Drogenhändler vertrieben.
    "Gibt halt keinen Drogenhandel mehr. Dadurch sind auch viele gezwungen, einfach wieder ihr Geld unten auf dem Asphalt zu machen. Das heißt bei uns oben in der Favela ist es sicherer geworden, aber auf der Straße – kann man schon sagen – ist es wieder gefährlicher geworden."
    Auch beim Auftritt MC Gringos am Aproador-Felsen kommt es ganz in der Nähe zu zwei Massenüberfällen von Strandgästen. Doch MC Gringo bleibt davon unbehelligt. Und obwohl sich das Zuschauerinteresse beim ersten Progressive Baile in Grenzen hält – es sind vor allem Straßenkinder, die stehen bleiben und zur Musik tanzen – , ist MC Gringo zufrieden: Mit dem Mix aus Favela-Funk mit der bei Rios Bohème beliebten House-Musik sei ein weiterer Schritt getan, um die oft so strikten sozialen Grenzen der Stadt aufzuweichen.