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Brasilien
Nach Olympia ist vor der Amtsenthebung

Die Olympischen Spiele überdeckten die politische Krise in Brasilien nur für kurze Zeit. Präsidentin Dilma Rousseff könnte ihr Amt schon bald verlieren. Ihr Nachfolger wäre der nicht weniger umstrittene Interimspräsident Michel Temer.

Von Julio Segador | 23.08.2016
    Die brasilianische Präsidentin Dilma Rousseff im Mai 2016.
    Die brasilianische Präsidentin Dilma Rousseff steht kurz vor der Amtsenthebung. (picture alliance / dpa / Fernando Bizerra Jr.)
    Auch das war Olympia in Rio de Janeiro. Immer wieder kam es am Rande der Spiele zu Demonstrationen pro und contra Dilma Rousseff. Keine großen Kundgebungen für oder gegen Brasiliens gewählte Präsidentin. Aber es wurde auch während des Sportereignisses klar: Brasilien ist polarisiert und durchlebt seine schwerste Regierungskrise seit dem Ende der Diktatur 1985.
    Bei dieser Anti-Rousseff-Kundgebung macht ein mit einem Batman-Kostüm verkleideter Mann seiner Wut Luft.
    "Wir haben erneut hohe Inflation, und sie wird tagtäglich größer. Die Industrialisierung ist fast komplett zum Erliegen gekommen. Und es gibt kaum Perspektiven. Im Gegenteil: Die Arbeitslosigkeit wächst und wächst. Wir hatten vor 20 Jahren schon einmal Hyperinflation. Es hat uns viel Kraft gekostet, den Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Das alles haben wir jetzt verspielt. Wir müssen wieder von Neuem beginnen."
    Nur wenige Meter davon entfernt, auf dem Weg zur Beach-Volleyball-Arena, beschimpft ein in den brasilianischen Farben gekleideter Fan die Demonstranten. Er findet klare Worte:
    "Was sich derzeit hier abspielt, ist nichts anderes als ein Putsch. Am besten wäre es, wir hätten Neuwahlen. Unser Land ist geteilt. Eine Hälfte ist gegen Dilma, die andere ist für sie. Mir geht es nur um die Demokratie, die muss verteidigt werden. Und Dilma Rousseff wurde schändlich abgesetzt, man hat sie rausgeworfen."
    Regierungskrise trifft Brasilien mit voller Wucht
    Vermutlich nur kurz haben die Olympischen Spiele den Fokus von der Polit- und Wirtschaftskrise auf das Sportereignis gerichtet. Die Regierungskrise trifft Brasilien in den nächsten Tagen mit voller Wucht. Noch vor Beginn der Paralympischen Spiele am 7. September will Interimspräsident Michel Temer als regulärer Präsident sein Amt antreten.
    Die Chancen dazu stehen nicht schlecht. Dilma Rousseffs Unterstützung im Senat, wo am Donnerstag der wohl letzte Akt im Amtsenthebungsverfahren beginnt, ist zuletzt eher gesunken. Ungeschickte Äußerungen haben ihr ohnehin schon angespanntes Verhältnis zu eigenen Partei noch weiter beschädigt. Auch ihr politischer Ziehvater Lula da Silva hat sie zuletzt öffentlich nicht mehr in Schutz genommen. Kaum jemand rechnet mehr damit, dass Dilma Rousseff als Präsidentin zurückkehrt. Viele in Brasilien wie diese Frau wollen einen politischen Neustart:
    "Das Impeachment muss jetzt durchgezogen werden. Wir müssen dieses Kapitel endlich schließen, zur Normalität zurückkehren. Wir brauchen einen Wechsel, und wir müssen vor allem versuchen, es besser zu machen. Wir brauchen jetzt einen Neubeginn."
    Michel Temer will regulärer Präsident werden.
    Michel Temer will regulärer Präsident werden. (picture alliance / dpa / Leonardo Munoz)
    Kein Rückhalt für Interimspräsident Temer
    Noch vor dem 4. September dürfte das Amtsenthebungsverfahren - vermutlich erfolgreich - beendet sein. Dann will Temer als legitimer Präsident Brasilien beim G20-Gipfel in China vertreten. Dass er in der Bevölkerung so gut wie keinen Rückhalt genießt, scheint den 75-Jährigen nicht zu stören. Bei der Olympia-Eröffnungsfeier wurde er gnadenlos ausgepfiffen. Zur Schlussfeier war er gar nicht erst erschienen. Eine Tatsache, die er am Rande eines Pressetermins sarkastisch kommentiert hatte. Die Leute mögen sich ihre Pfiffe für die Eröffnung der Paralympischen Spiele aufheben, meinte Temer.
    Nicht nur er rechnet offensichtlich fest damit, dass er nach dem Amtsenthebungsverfahren Brasiliens legitimer Präsident ist. Auch wenn er damit eher Pfiffe erntet.