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Brauchen wir den gläsernen Abgeordneten?

Durak: Jeden Tag neue Spekulationen oder auch Informationen über Verbindungen zwischen Politikern oder Parlamentariern zum inzwischen umstrittenen PR-Berater Moritz Hunzinger. Über den CDU-Fraktionsvorsitzenden Friedrich Merz wurde gestern berichtet im Zusammenhang mit Kontakten zu Rüstungsvertretern, just zu dem Zeitpunkt, als der Export von Spürpanzern und anderem anstand. Merz hat ausführlich dementiert, unredlich gehandelt zu haben. Günther Rexrodt von der FDP ist im Gespräch, und, und, und... jeden Tag etwas mehr dazu. Unter dem Strich bleiben Fragen nach dem, was Politiker dürfen und was nicht. Fragen nach moralischen Maßstäben unter Parlamentariern, nach dem, was normal ist. Wolfgang Bosbach ist selbst langjähriger Abgeordneter, hat da ganz eigene Erfahrungen, ist stellvertretender Fraktionsvorsitzender der CDU/CSU im Bundestag. Ich habe mit ihm vor der Sendung gesprochen und ihn zunächst gefragt, was denn für einen Abgeordnete normal sei in Sachen Kontakte.

    Bosbach: Normal muss es sein und auch bleiben, dass man in seinen Entscheidungen nicht beeinflussbar ist. Erst recht darf man nie fremdbestimmt werden, aber dass man Kontakt hat zu sogenannten Lobbyisten, das bringt die politische Arbeit jeden Tag mit sich und das ist ja nichts Anrüchiges. Und auch Kontakte mit Herrn Hunzinger können ja nicht per se anrüchig sein. Entscheidend ist immer, ob man sich an das hält, was das Mandat eines Abgeordneten mit sich bringt, nämlich die Unabhängigkeit. Wir müssen alle persönlich und wirtschaftlich unabhängig bleiben, und darüber hinaus müssen wir ganz selbstverständlich die gesetzlichen Bestimmungen achten und einhalten.

    Durak: Reichen denn die gesetzlichen Bestimmungen aus, und ich denke daran, dass die rot-grüne Koalition noch vor der Bundestagswahl die Verschärfung des Gesetzes sozusagen durchbringen will, was Ihre Partei, die Union, ja ablehnt?

    Bosbach: Zunächst einmal geht es ja nicht darum, dass man irgendetwas macht, sondern wenn wir an Änderungen des geltenden Rechts denken, dann müssen die einen ganz bestimmten Zweck erfüllen, einen ganz bestimmten Sinn haben. Und alle Vorschriften nützen nichts, wenn man sich nicht an die Vorschriften hält. Im Fall Scharping scheint es ja wohl so zu sein, dass es zumindest umstritten ist, ob er alle Regelungen des Ministergesetzes geachtet hat. Also konkret: Er hat die Frage zu beantworten, ob er die Regelung eingehalten hat, dass ein Minister während seiner Ministerzeit keine Tätigkeit gegen Entgeld ausüben darf. Da wollen wir ihn nicht vorverurteilen. Den Verdacht kann er ausräumen. Und dann gibt es ganz bestimmte Verhaltensvorschriften. Wir haben zum Beispiel als Abgeordnete des Deutschen Bundestages gegenüber dem Präsidenten des Bundestages ganz bestimmte Sachverhalte zu offenbaren. Ein Teil der Sachverhalte wird veröffentlicht, ein Teil wird nur vertraulich dem Präsidium mitgeteilt. Also, da müsste man mir schon sagen, was jetzt genau geändert werden sollte, und dann werden wir uns das in aller Ruhe ansehen. Ich meine, dass hier eine vernünftige, ausführliche Beratung wichtiger ist als eine Schnellschuss aus der Hüfte. Ich habe Ihre Frage jetzt insofern zu verstehen versucht - sicherlich zielen Sie darauf ab -, ob nicht das Vertrauen in die Politiker mit jedem Tag etwas mehr schwindet, ob nicht ein großer Teil der Politikverdrossenheit in Wahrheit Politikerverdrossenheit ist. Und wenn wir dazu etwas beitragen können, dass auch unser Ansehen wieder in der Öffentlichkeit etwas besser wird, dass Regelungen, die wir selber beschließen, auch von uns ganz selbstverständlich eingehalten werden, dann haben Sie recht.

    Durak: Die Verschärfung - das lesen wir jetzt als Journalisten, aber auch nur als Wiedergabe der Wiedergabe - soll darin bestehen, dass die Nebeneinkünfte der Bundestagsabgeordneten auch im Bundestagshandbuch und im Internet veröffentlicht werden. Wie auch immer das werden wird oder auch nicht. Herr Bosbach, was halten Sie denn davon, sozusagen den gläsernen Abgeordneten zu präsentieren, also, dass - ich sage es mal salopp - Hinz und Kunz über die finanziellen Verhältnisse von Abgeordneten bescheid wissen? Ist das wirklich nötig?

    Bosbach: Ich meine, dass das nicht notwendig ist. Notwendig scheint mir allerdings zu sein, dass man weiß, dass es möglicherweise Interessenkollisionen gibt. Das kann für die Öffentlichkeit schon von Interesse sein. Nehmen Sie doch mal zum Beispiel den Fall Ihres Gesprächspartners Wolfgang

    Bosbach: Dass ich Sozius, also Mitinhaber in einer Anwaltskanzlei gemeinsam mit anderen Berufskollegen bin, das ist doch kein Geheimnis, das kann jeder wissen. Auch dass ich an einer Kapitalgesellschaft beteiligt bin, nämlich an einer Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft, die mit unserer Kanzlei zusammenarbeitet, das kann doch auch jeder wissen. Aber was ich als Rechtsanwalt verdiene, das, meine ich, geht außer dem Finanzamt niemanden etwas an. Das ist meine eigene freiberufliche Tätigkeit, und im übrigen weiß ich nicht, welchen Erkenntniswert man daraus ziehen sollte, wenn man weiß, was der Abgeordnete Wolfgang Bosbach als Rechtsanwalt Wolfgang Bosbach noch verdient. Also, für den gläsernen Abgeordneten plädiere ich nicht, aber dafür, dass so viel Transparenz wie möglich herrscht, um schon Interessenkollisionen dem Anschein nach zu vermeiden. Das halte ich für richtig.

    Durak: Transparenz ist ja in den aufgedeckten Fällen offenbar nicht gegeben gewesen, also lässt sich da nicht doch etwas an der ein oder anderen Stelle verbessern, außer an die Abgeordneten zu appellieren, sie möchten sich doch bitte an die Ordnungen und Verordnungen halten?

    Bosbach: Sehen Sie mal: Die Fälle, über die wir in den letzten Tagen diskutiert haben und die mich wirklich bedrücken, weil ich befürchte, dass jetzt wieder viele Menschen sagen: 'Politisch Lied, ein garstig Lied' oder 'Politik verdirbt den Charakter', obwohl Politik nicht den Charakter verdirbt, aber es gibt wohl Charaktere, die die Politik verderben. Es sind ja nicht alle identisch: Der Fall Scharping ist eine anderer Fall als der Fall Özdemir. Es ist ja nicht verboten, sich von Herrn Hunzinger Geld zu leihen. Allerdings stellt sich die Frage, warum der Kollege Özdemir nicht zu einer Bank oder Sparkasse geht, wenn er einen Kredit haben möchte. Das ist eine politische Eselei, aber nicht zu verwechseln mit dem Fall Scharping, wo der Bundestagspräsident sagt, er hat eine Anzeigepflicht nicht erfüllt. Davon zu unterscheiden ist wiederum der Fall des ehemaligen brandenburgischen Justizministers Schelter. Es ist ja nicht illegal, während seiner Tätigkeit als Staatssekretär oder Minister über 60 Wohnungen käuflich zu erwerben. Ich frage mich allerdings, ob das unbedingt sein muss. Wenn man in einem solchen Umfang Immobiliengeschäfte tätigt, ob man dann nicht besser Immobilienkaufmann wird und stattdessen ein Staatsamt ansteht. Das ist alles keine Frage von Rechtswidrigkeit, sondern, wenn Sie so wollen, eine Frage der politischen Moral. Es gibt nämlich nicht nur die Kategorie legal, sondern auch die Kategorie legitim, oder, wie meine Eltern zu sagen pflegen: Das tut man nicht.

    Durak: Sind denn die hohen Ansprüche an die Redlichkeit von Abgeordneten in persönlicher und beruflicher Hinsicht gerechtfertigt?

    Bosbach: Ich meine schon. Ich will mich hier gar nicht als Moralist aufspielen, aber wir stehen nun einmal im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. Wir haben öffentliche Ämter inne. Wir selber sind als Personen nicht wichtig, aber die Ämter, die wir inne haben, sind wichtig, die Verantwortung, die wir tragen, ist eine ganz besondere, und insbesondere geben wir ja als Gesetzgeber Regeln vor, und wir erwarten, dass sich die Menschen in unserem Lande nach Gesetzen und Verordnungen richten. Dann müssen wir doch selber diejenigen sein, die sich zu allererst an die Regeln halten, die wir selber aufstellen. Insofern sollten wir schon eine Vorbildfunktion wahrnehmen.

    Durak: Richtig schwierig und richtige interessant im negativen Sinne wird es, wenn es noch einmal um die Kontakte geht, Herr Bosbach. Kontakte sollten durch Abgeordnete gegenüber der Wirtschaft und gegenüber Verbänden gepflegt werden. Von wem denn sonst. Aber wann werden diese Kontakte - sagen wir mal - unmoralisch?

    Bosbach: Man darf sich nie in eine Abhängigkeit begeben.

    Durak: Wie wollen Sie das messen, Herr Bosbach?

    Bosbach: Na, zum Beispiel in eine wirtschaftliche Abhängigkeit. Das ist übrigens ein Grund dafür, warum ich in all den Jahren neben meiner Tätigkeit als Bundestagsabgeordneter und selbst neben meiner Tätigkeit als stellvertretender Fraktionsvorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion immer noch meine Anwaltstätigkeit ausübe, gerade um auch wirtschaftlich unabhängig zu bleiben. Selbstverständlich - und ich bin Ihnen dankbar, dass Sie das erwähnen - sind wir auch geradezu darauf angewiesen, mit sogenannten Lobbyisten, mit Verbänden Kontakte zu pflegen - nehmen Sie mal meinen Verantwortungsbereich: mit dem Deutschen Beamtenbund, mit der ÖTV, mit der Gewerkschaft der Polizei, mit der Polizeigewerkschaft im Beamtenbund. Da gibt es regelmäßige Kontakte. Aber das hat doch nichts mit verbotener oder anrüchiger Einflussnahme auf politische Entscheidungen zu tun. Wichtig ist die Unabhängigkeit und dass man immer dem Gemeinwohl verpflichtet bleibt und sich nie ganz bestimmten Gruppeninteressen unterordnet.

    Durak: Ist es wirklich für jeden Abgeordneten, sei er nun jung im Amt oder jung in Jahren oder auch schon etwas älter, wirklich immer erkennbar, wann jemand versucht ihn zu beeinflussen, und damit komme ich auf das zurück, was Sie eingangs unseres Gesprächs sagten.

    Bosbach: Das ist eine wichtige Frage. Das ist vielleicht sogar die Frage aller Fragen, nämlich: Wann verschwimmen die Grenzen? Aber das muss jede Kollegin, jeder Kollege selber wissen. Man muss schon an sich selbst gewisse Maßstäbe anlegen und sagen: Das tue ich oder das muss ich sogar tun. Ein Beispiel: Wir sind darauf angewiesen, zu wissen, wie sich ganz bestimmte politische gesetzgeberische Entscheidungen in der Praxis auswirken, und dafür brauchen wir auch die kontinuierliche Kontaktaufnahme, die Rückkoppelung mit der Praxis. Aber es darf nie so sein, dass andere bestimmen, was man tut und erst recht nicht, dass andere bestimmen, wie man im Parlament abstimmt. Genau das ist die Grenze, die man als Abgeordneter nie überschreiten darf.

    Durak: Sie sprachen davon: Keine Tätigkeit gegen Entgelt. Das würde heißen, dass jemand, der als Politiker, als Parlamentarier eingeladen wird, eine Rede hält oder sonst irgendwie tätig wird, ein Honorar erhält, dies niemals selbst behalten dürfte?

    Bosbach: Nein, hier liegt ein Missverständnis vor. Das gilt für Minister oder parlamentarische oder gar beamtete Staatssekretäre. Das ist ein anderer Fall. Wir müssen hier differenzieren, zwischen denen, die ein Staatsamt inne haben und denen, die "nur Mitglieder des Deutschen Bundestages" sind. Wenn jemand eine Ministeramt inne hat, so wie beispielsweise Herr Scharping als Verteidigungsminister. Er durfte daneben keine Tätigkeit ausüben. Das verbietet das Ministergesetz, und darum wird ja zur Zeit gestritten. Aber wenn man als Abgeordneter zum Beispiel eine Rede hält - also mit Verlaub, ich bin noch nie für eine Rede bezahlt worden -, dann sollte es eigentlich selbstverständlich sein, dass man dann dieses Geld als Spende für die Partei betrachtet oder das Geld für einen wohltätigen Zweck zur Verfügung stellt.

    Durak: Halten Sie es eigentlich für misslich, lässlich oder positiv, dass Informationen über solche Dinge doch an die Presse gelangen, sei es, weil jemand die Presse informiert oder sei es, dass Journalisten so schlau, so clever sind, diese Informationen selbst herauszubekommen?

    Bosbach: Wissen Sie, wenn man selbst betroffen ist, also wenn es eigene Parteifreunde betrifft oder wenn man gar die Sorge hat, dass die Partei oder die Fraktion einen Nachteil haben könnte, dann ärgert man sich natürlich, aber das geht nach kurzer Zeit vorbei, weil das zum Wesen einer wirklich funktionierenden Demokratie gehört. Eigentlich ist es gut, dass irgendwann alles herauskommt. Keiner soll sicher sein, dass illegale Machenschaften, rechtswidriges Handeln auf Dauer verborgen bleibt. Insofern hat der wirklich freie, unabhängige Journalismus, die Pressefreiheit eine große Bedeutung für eine wirklich funktionierende Demokratie, auch wenn wir uns manchmal darüber ärgern.

    Durak: Wenn ein politischer Funktionsträger Rechte verletzt, muss er aus dem Amt. Das scheint ja wohl klar zu sein. Wir haben aber auch über moralische Kategorien gesprochen. Wann sollte ein Funktionsträger, vom Parlamentarier angefangen bis hin zu Parteien und Regierungsmitgliedern, moralisch sozusagen den Hut nehmen?

    Bosbach: Also, ich glaube, jeder muss für sich selbst entscheiden, wann er untragbar geworden ist, und zwar in mehrerer Hinsicht: untragbar für seine Partei und untragbar für das Amt, das er inne hat, untragbar für die Wählerinnen und Wähler, die ihn in dieses Amt gehoben haben. Hier wird man schon nach der Art und der Schwere der Verstöße differenzieren müssen, und das meine ich war vorbildlich, wie Professor Schelter, der hier die Konsequenzen gezogen hat. Unmittelbar nach der Veröffentlichung hat er demissioniert und das Amt des Justizministers aufgegeben, ohne dass man ihn gedrängt hat, schon um das Amt des Justiz- und Oberministers im Lande Brandenburg nicht zu beschädigen.

    Durak: Wolfgang Bosbach, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Herzlichen Dank, Herr Bosbach für das Gespräch.

    Link: Interview als RealAudio