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Braunkohle-Ausstieg
"Die Klimakrise wartet nicht, bis wir zu Potte kommen"

Es müsse unverzüglich alles dafür getan werden, den Kohleausstieg einzuleiten, sagte Annalena Baerbock, Grünen-Co-Vorsitzende, im Dlf. Die dafür eingerichtete Kohlekommission sei zwar wichtig, komme aber viel zu spät. Denn laut Klimazielen müsse Deutschland bis 2020 40 Prozent CO2 reduzieren.

Annalena Baerbock im Gespräch mit Mario Dobovisek | 06.06.2018
    Annalena Baerbock, Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen
    Eine kommission mit dem Titel „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ soll den Barunkohleausstieg voranbringen (dpa/Mohssen Assanimoghaddam)
    Mario Dobovisek: Die Steinkohle hat bereits ihr Ende gefunden; jetzt geht es um die Braunkohle, an der aber noch gut 20.000 Arbeitsplätze hängen. Es gab politischen Streit um eine Kommission, die das Ende einleiten soll. Heute will sie das Bundeskabinett schließlich einsetzen mit dem Titel "Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung". Die erste Sitzung soll bereits am 26. Juni stattfinden. - Am Telefon begrüße ich die Grünen-Co-Vorsitzende Annalena Baerbock. Guten Morgen, Frau Baerbock.
    Annalena Baerbock: Schönen guten Morgen.
    Dobovisek: Die Kohlekommission soll nun schon bis Jahresende einen Plan für den Kohleausstieg vorlegen. Wie wichtig ist dieser Schritt?
    Baerbock: Dieser Schritt ist zentral. Sie haben gerade anmoderiert "schon bis zum Ende des Jahres". Aus unserer Sicht ist das viel zu spät. Eigentlich hätte man den Kohleausstieg gesetzlich verankern müssen und dann hätte diese Kohlekommission auf dieser Grundlage gemeinsam diskutieren können, wie man das sozialverträglich im Sinne der Region und auch der Beschäftigten, die Sie gerade angesprochen haben, dann umsetzen kann. Jetzt hat sich die Große Koalition leider nicht getraut gehabt, im Koalitionsvertrag diesen Kohleausstieg gesetzlich zu verankern. Das soll die Kommission jetzt auch noch machen, neben diesen Strukturwandel-Fragen. Das ist eine riesengroße Aufgabe und im Übrigen ja auch viel zu spät.
    "Klimakrise wartet nicht, bis wir in Deutschland zu Potte kommen"
    Dobovisek: Gemessen an dieser Aufgabe, Frau Baerbock, wie realistisch ist es, dass es bis Ende des Jahres Ergebnisse geben kann?
    Baerbock: Das wird sehr, sehr eng werden und die Regierung hat schon selber gesagt, dass sie eigentlich nur einen Teil bis zum Ende des Jahres schaffen wird, dass man auch im nächsten Jahr weiter tagen wird. Das Problem ist, die Zeit rennt uns davon. Wir haben eigentlich Klimaziele, dass bis 2020, also in knapp zwei Jahren, 40 Prozent CO2 reduziert sein müssen. Wir sind meilenweit davon entfernt. Und man schafft dieses Klimaziel nur, wenn man jetzt erhebliche Kohleblöcke vom Netz nimmt, und das wäre eigentlich die Arbeitsgrundlage für diese Kommission gewesen.
    Das ist jetzt aber ein bisschen vergossene Milch. Deswegen sagen wir ganz klar, diese Kommission muss über ihr politisches Mandat hinauswachsen, damit wir die Klimaziele überhaupt noch erreichen können. So wie gerade auch sehr weise gesagt wurde: Diese Erde ist sehr zerbrechlich. Die Klimakrise wartet nicht, bis wir in Deutschland zu Potte kommen, sondern wir erleben das ja auch jetzt schon hier in Deutschland, Extremwetterereignisse Tag für Tag. Deswegen muss unverzüglich alles dafür getan werden, dass dieser Kohleausstieg jetzt eingeleitet wird.
    Dobovisek: 31 Mitglieder soll die Kommission haben. Vertreter von Gewerkschaften, Arbeitgeber- und Industrieverbände, dazu Wissenschaftler, Betroffene, Umweltschützer. Ist das der richtige Weg?
    Baerbock: Es ist zumindest jetzt gut, dass diese Kommission einigermaßen ausgewogen ist. Zu Beginn hatten Union und SPD ja nur ihr Parteibuch genommen und geguckt, wer kann da eigentlich reinkommen. Klimaschützer haben sehr stark gefehlt. Es gab im Vorsitz keine Stimme des Klimaschutzes. Das hat sich jetzt auf Druck von Umweltverbänden, von uns Grünen auch deutlich geändert. Das ist jetzt gut, weil diese Kommission ist dafür da, die Klimaschutzziele einzuhalten, im Sinne der Beschäftigten diesen Kohleausstieg zu gestalten und natürlich auch zu garantieren, dass wir rund um die Uhr eine Stromversorgung haben. Deswegen sind unterschiedliche Akteure wichtig.
    Aber man hat aus meiner Sicht Angst vor der eigenen Courage gehabt und dann gesagt, jetzt nehmen wir noch ganz viele andere dazu. Es wurden ja auch weitere Ministerien neben Wirtschafts- und Umweltministerium noch beteiligt, zum Beispiel das Innenministerium. Das hat das letzte Woche ja auch noch mal verzögert, weil Herr Seehofer dann plötzlich gesagt hat, er hätte jetzt auch noch einen Personalvorschlag. Man sieht an dieser Besetzung der Kommission auch die Mutlosigkeit der Regierung, selber Entscheidungen zu treffen, wie man den Kohleausstieg gestalten muss.
    Dobovisek: Insgesamt klingt das allerdings nach einem Querschnitt durch das gesamte Thema Braunkohle. Was ist daran falsch?
    Baerbock: Wie gesagt, es ist richtig, dass da unterschiedliche Akteure mit drin sind. Es sind auch Menschen, die vom Tagebau direkt betroffen sind - das finde ich super -, die die Befürchtung haben, dass ihre Häuser und Höfe noch abgebaggert werden. Natürlich sind Gewerkschaftsvertreter mit drin, weil die sprechen natürlich auch für die Beschäftigten, und Umweltverbände. Dann hat man aber wie gesagt weitere Ministerien noch mit beteiligt, fünf an der Zahl, die alle mitkoordinieren sollen. Das hat in den letzten Monaten dazu geführt, dass man diese Kommission Woche für Woche vertagt hat.
    Es ist jetzt aber auch vergossene Milch. Wir Grünen hätten das anders gemacht. Wenn man den Mut gehabt hätte zu sagen, ja, wir steigen ein in den Kohleausstieg, wir nehmen jetzt bis zum Jahr 2020 20 Kraftwerksblöcke raus, dann hätte man das politisch in ein Gesetz gießen können. Diesen Mut hatte die Große Koalition nicht. Wir müssen jetzt damit umgehen. Deswegen haben wir als Grüne auch klar gesagt, wir stehen nicht beleidigt an der Seitenlinie. Wir müssen alles dafür tun, die Klimakrise in den Griff zu bekommen, und deswegen braucht es jetzt alle Klimaschützer dieses Landes, um diese Kohlekommission zum Erfolg zu führen.
    Dobovisek: Der Klimafolgenforscher Hans Joachim Schellnhuber sagt, die Menschheit gehe sehenden Auges in die Katastrophe. Im Prinzip sei es schon zu spät zu handeln. Wann sollte Deutschland aus der Kohle aussteigen?
    Baerbock: Herr Schellnhuber ist zum Glück jetzt auch noch mit drin. Das ist auch total wichtig, dass wirklich Experten in dieser Kommission noch mit drin sind. Das Entscheidende ist nicht – und das ist auch so ein Manko in diesem Mandat -, wann das letzte Kraftwerk vom Netz geht, weil CO2 sammelt sich in der Luft an. Das ist so ein bisschen wie mit der Badewanne. Wir haben ein begrenztes Maß an CO2, was wir in Deutschland überhaupt noch bis zum Jahr 2050 ausstoßen dürfen. Wenn wir jetzt volle Pulle das Wasser weiterlaufen lassen wie in einer Badewanne von Anfang an, dann läuft die Wanne irgendwann über. Dann hilft es auch nichts, wenn man dann ganz am Ende das Wasser ausschaltet. Dann ist die vorher schon übergelaufen.
    "Bis zum Jahr 2020 müssten eigentlich 20 Kohleblöcke rausgenommen werden"
    Dobovisek: Dann machen wir es doch mal konkret, Frau Baerbock. Wann muss es aussteigen?
    Baerbock: Lassen Sie mich mal ganz kurz! – Man muss am Anfang jetzt das CO2 reduzieren, damit der Pegel nicht dramatisch steigt. Deswegen sagen wir, bis zum Jahr 2020 müssten eigentlich 20 Kohleblöcke rausgenommen werden und dann schrittweise bis 2030 die weiteren, 150 Kohleblöcke gibt es an der Zahl, reduziert werden, dass man rund um das Jahr 2030 in der Stromversorgung aus der Kohle aussteigt. Aber wie gesagt: Man muss am Anfang anfangen, jetzt schnell Kohleblöcke zu reduzieren, damit man dann am Ende diesen Kohleausstieg auch wirklich angehen kann. Das muss jetzt die oberste Aufgabe dieser Kommission sein, bis 2020 Blöcke vom Netz zu nehmen und darauf aufbauend den Kohleausstieg bis Mitte des Jahres 2030 rechtsverbindlich zu gestalten.
    Dobovisek: Die Braunkohlereviere in Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Nordrhein-Westfalen, sie laufen Sturm gegen einen früheren Ausstieg. Potsdam verweist da zum Beispiel auf langfristige Revierpläne von bis zu 25 Jahren in die Zukunft. Jedes vorgezogene Datum würde in eine ökonomische und soziale Krise führen, heißt es. Eine Krise sehen Sie nicht am Horizont?
    Baerbock: Natürlich ist das eine riesengroße Herausforderung. Deswegen hat man ja auch alle Akteure an einen Tisch gebracht. Wir haben als Grüne selber immer so eine Kommission vorgeschlagen, die in den Regionen diesen Strukturwandel begleitet. Wir hätten das so gemacht, dass man vorher ein Kohleausstiegsgesetz hat. Aber natürlich müssen die unterschiedlichen Aspekte und Gesichtspunkte von den Regionen in so einer Kommission zusammenkommen. Das ist total wichtig. Das ist ein großer Transformationsprozess für unsere Gesellschaft.
    Auf der anderen Seite muss man sagen, dass wir mal 100.000 Beschäftigte in der Kohle in Deutschland hatten. Jetzt sind es noch gut 20.000 Direktbeschäftigte plus die Zuliefererfirmen. Das heißt, das ist eine Aufgabe, die man auf jeden Fall stemmen kann und die man auch so stemmen kann, dass man die Kohle nicht bis 2050 weiterlaufen lässt, weil dann brechen ja alle Klimaziele, sondern deutlich vorher aussteigen kann. Da sitzen ja auch die Regionen mit am Tisch. In Brandenburg zum Beispiel hat der Energiekonzern LEAG vor einem guten Jahr selber gesagt, angesichts der jetzigen Pläne können wir unsere Tagebauerweiterung, die wir eigentlich angedacht haben, gar nicht durchführen. Die hat man vom Tisch genommen. Da läuft das Kraftwerk Jänschwalde dann in den nächsten zehn Jahren auch wirklich aus und wird da vom Netz gehen.
    Für die Beschäftigten eine Perspektive zu schaffen, wobei die Hälfte von denen auch in den nächsten 15 Jahren in Rente gehen wird, da muss man schauen, was ist mit den anderen Beschäftigten. Manche Regionen machen sich schon auf den Weg.
    Dobovisek: Frau Baerbock, welche Perspektive wollen Sie denn als Grüne den Beschäftigten, den gut 20.000 geben? Sie sagen, Sie wollen nicht an der Seitenlinie stehen.
    Baerbock: Genau. Man muss genau schauen, in welchen Bereichen sie beschäftigt sind. Der Altersdurchschnitt in diesem Bereich ist relativ hoch. Das heißt, ein guter Teil der Beschäftigten geht in den nächsten 10 bis 15 Jahren in Rente. Dann muss man schauen, was mit den anderen Beschäftigten ist. In der Lausitz ist es so, dass man sich bereits auf den Weg gemacht hat zu schauen, was können die Zuliefererfirmen in Zukunft machen in der Frage Speichertechnologie, aber auch in der Frage Batteriezellenforschung zum Beispiel. Dann sind es natürlich andere Bereiche, die man angehen muss.
    Wir haben einen Staatsvertrag für die Lausitz vorgeschlagen, wo wir gesagt haben, der Bund steht hier auch in der Pflicht, mit großen Investitionen mit in die Lausitz reinzugehen. Zum Beispiel sind Teile der Bundesknappschaft gerade da. Ein zweiter Teil könnte dazukommen. Im rheinischen Revier wären das andere Bereiche, wo man aktiv werden kann. Da sieht das mit der Arbeitsplatzfrage anders aus. Da gibt es einen absoluten Fachkräftemangel in der Region.
    Man ist es beim Steinkohlebergbau ja auch gemeinsam angegangen und deswegen braucht man diesen Transformationspfad auch für die Braunkohle. Das ist gemeinsam aber zu schaffen, wenn sich die Akteure, die da jetzt mit am Tisch sitzen, auf diesen Weg machen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.