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Brechts "Fatzer" am Schauspiel Köln
Warten auf das Ende des Krieges

Wo Regisseur Oliver Frljić Regie führt, gibt es meist barocke Bilderfluten und drastische Publikumsprovokationen. In Köln bringt er Brechts unvollendetes Drama "Der Untergang des Egoisten Johann Fatzer" als Inszenierung zwischen Fleischesgier und Kriegsekel auf die Bühne.

Von Dorothea Marcus | 08.06.2019
Die Schauspieler Seán MCDonagh, Nicolas Lehni und Benjamin Höppner in einer Szene aus Oliver Frljics Inszenierung am Schauspiel Köln.
Eine Szene aus Brechts fragmentarischem Werk "Der Untergang des Egoisten Johann Fatzer" in der Inszenierung von Oliver Frljić am Schauspiel Köln (Julian Roeder / JU / Schauspiel Köln)
Zwölf Feldbetten wachsen aus schwarzer Erde, sieben versprengte Soldaten gießen den Boden, dazu läuft abgewandelt Marlene Dietrichs Schlager "Sagt mir, wo die Männer sind". Ja, Krieg ist furchtbar, aber er war doch zu etwas nutze, und Männer wachsen bald auch wieder nach, erzählt das Setting im Kölner Depot 2 – zynisch und unverdrossen optimistisch zugleich.
"Arm und reich sind immer gewesen, aber sie werden nicht immer sein, und das ist gut. Doch zu ihrer Zeit da sterben sie und fallen in die Löcher und an ihren Platz treten die anderen und schlafen in ihren Leintüchern und essen von ihren Tellern mit Behagen – und das ist gut."
Doch sogleich bricht die Härte des ewigen Krieges wieder aus. Schüsse knattern, Scheinwerfer blenden, schnell werden die Feldbetten werden zu Schutzmauern aufgestellt – und wie die Fliegen kippen die Soldaten tot in den Dreck.
Fatalistisches Antikriegsstück
Dass Krieg in Wirklichkeit blindwütig und sinnlos ist, alles Menschliche auf allen Seiten vernichtet, das hat Brecht in seinem Fatzer-Fragment jahrzehntelang auf 400 Seiten voller Notizen aufgeschrieben: ein fatalistisches Antikriegsstück, eine apokalyptische Bankrotterklärung jeder Gesellschaftsidee. Heiner Müller hat das, was er für Brechts bestes, weil offenstes Stück hielt, dann 1978 in kondensierte 73 Seiten gegossen.
"Ich kann keinen Krieg mehr führen!"
Die vier Deserteure Fatzer, Koch, Schröder und Frühhaupt fliehen nach Mülheim an der Ruhr in einen Keller zum Kameraden Kaumann. Dessen Frau Therese stürzt sich auf die Männer und lässt sich von Fatzer in die Prostitution treiben. Zum Glück bricht Oliver Frljić Brechts eher eindimensionale Frauenfantasien, wenn er Frauen und Männer permanent die Rollen wechseln lässt –und mit Fremdtexten von Clara Zetkin über die Rolle der Frau im Sozialismus reflektiert. Auch die Hauptfigur Fatzer, der seine Kameraden verrät oder von ihnen verraten wird, ist ständig jemand anderer.
Ruf als bildgewaltiger Skandalregisseur
In brutaler Verausgabung brüllen sich die Schauspieler dabei die Kehle heiser. Und auch wenn die vier Kameraden zunächst den antikapitalistischen Umsturz planen, werden sie doch bald vom brutalen Hunger gequält, der alle Ideale fahren lässt. Oliver Frljić macht seinem Ruf als bildgewaltiger Skandalregisseur alle Ehre. Genüsslich brachial lässt er Hunger, Fleischesgier und Kriegsekel illustrieren: Erst serviert ihnen Frau Kaumann die eigenen Lederstiefel, dann fressen sie ihre Exkremente, einer wischt sich mit der schwarz-rot-weißen Reichsfahne den Hintern ab.
Bald sind aus den hungernden Soldaten ihre eigenen Schlächter geworden, ziehen sich Fleischerschürzen an und schneiden Stücke aus Schauspieler Benjamin Höppner, klopfen Fleisch, drehen es zu Wurst – später wird er auch noch gekreuzigt und mit Blut bespuckt. Ohnehin zieht sich das Wort Fleisch als Ekelbild durch Text und Inszenierung – der Mensch ist Bestie und Kannibale, und bekämpft vor allen Dingen sich selbst.
Letzlich eine zu schlichte Erzählung
"Ja, dieser Krieg, der hier geht gegen uns. Mit unseren Armen wird unsere eigene Person bekämpft! Und ausspieh ein Geschlecht voll Aussatz… dass unterging die gealterte Welt… Deutschland ist reif für einen weiteren Krieg."
Doch die Inszenierung begnügt sich nicht damit, eine Kriegswarnung zu sein –Frljić bebildert zugleich ein rechtsnational wiedererwachendes Deutschland. Zu Anfang und Ende wird die erste, verpönte Deutschlandliedstrophe gesungen, die ganze Zeit hängt eine Reichsfahne auf Halbmast, am Ende verwandeln sich die Soldaten in Schweine und werden grölend in einen Stall getrieben. Latent übergriffig improvisiert Schauspieler Höppner Texte darüber, dass unser gegenwärtiger, 70-jähriger Friede nur mit Kriegen außerhalb erkauft ist. Eine fatalistische Botschaft von der Bestie Mensch, die dem Zuschauer hier bildgewaltig in die Köpfe gehämmert wird. Doch ob das wirklich eine Erzählung ist, die weiterbringt, kann bezweifelt werden. Dafür ist sie dann letztlich doch zu schlicht.