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Breitband-Ausbau
Australiens Internet-Fiasko

Es ist das größte Infrastruktur-Projekt in der Geschichte Australiens: Bis zum Jahr 2020 soll jeder Winkel des Kontinents per Mausklick erreichbar sein. Flott in der Theorie, doch in der Praxis so etwas wie Australiens Berliner Flughafen. Es knirscht an allen Enden - Ausgang ungewiss.

Andreas Stummer | 10.02.2018
    Schotterpiste im australischen Outback
    Je weiter weg von der Stadt, desto schlechter das Internet - das Land entwickelt sich zu einer Art digitaler Zweiklassengesellschaft (dpa / picture alliance / Hinrich Bäsemann)
    Das Wohnzimmer von Ray Warren ist ein Schlachtfeld. Gerade hat er all seine Gegner in einen Hinterhalt gelockt und mit dem Maschinengewehr niedergemäht. Game over! Schon wieder hat Ray die meisten Kills bei seinem Lieblings-"Schieß-auf-alles-was-sich-bewegt"-Videospiel. Ray ist 36 und erst seit vier Jahren Gamer. Seit er eine Glasfaser-Internetverbindung hat ist er nur noch online - und das rasend schnell und in Top-Qualität.
    "Ich mache meine Telefonanrufe über Glasfaser und die Qualität ist kristallklar. Ich skype in Fernsehbild-Qualität mit Verwandten im Ausland, ich lade Videospiele, High Definition-Filme und ganze TV-Serien in kürzester Zeit herunter - und das alles ohne Aussetzer. Ich bin immer verbunden."
    Ray hat Sinn für Humor. Das gute, alte Internet-Anwählsignal ist jetzt der Klingelton auf seinem Handy. Denn bei 100 Megabit pro Sekunde, mit denen er Daten herunterladen kann, sind die Zeiten, in denen er selbst die armseligsten Email-Anhänge nicht öffnen oder nicht ruckelfrei einloggen konnte endgültig vorbei. Ray war einfach nur zur rechten Zeit am rechten Fleck. Sein Haus in Midway Point, Tasmanien, war eines der ersten, das 2010 an Australiens nationales Breitband-Netzwerk NBN angeschlossen wurde.
    Das Versprechen von der digitalen Revolution
    Es ist das größte und komplexeste Infrastruktur-Projekt in Australiens Geschichte. Alle australischen Haushalte, Unternehmen und Büros, egal ob in Städten oder im dünn besiedelten Outback, sollen eine Hochgeschwindigkeits-Internetverbindung bekommen. Werbespots der Regierung versprechen eine digitale Revolution. Jeder noch so entlegene Winkel des riesigen australischen Kontinents erreichbar nur durch einen Mausklick, ungeahnte Geschäftsmöglichkeiten für Industrie und Wirtschaft, mehr Dienstleistungen für ländliche Regionen, Studenten mit Online-Zugang zu jedem Dozenten im Land. Doch die schöne neue Datenwelt hat ihren Preis - ursprünglich 20 Milliarden Euro. Soviel wollte sich die damalige Labour-Regierung 2009 ein Glasfasernetz für ganz Australien kosten lassen.

    Der Bau begann, doch 2013 gab es einen Machtwechsel in Canberra. Die Konservativen wollten von superschneller Glasfaser bis an jede Haustür nichts wissen, sie setzen auf die alten Kupfer- und Fernsehkabel der Telekom. "Es ist eine Schande", ärgert sich Scott Ludlam, der frühere Kommunikationssprecher der australischen Grünen. Statt des versprochenen Rolls Royce auf der Hochgeschwindigkeits-Datenautobahn bekäme der australische Steuerzahler nur einen klapprigen Pick-up-Truck.
    Ein NBN-Techniker verbindet ein Appartement in Brunswick mit dem Breitband-Netz
    Ein NBN-Techniker verbindet ein Appartement in Brunswick mit dem Breitband-Netz (imago stock&people)
    "Das Glasfasernetz sollte Australiens Zukunft sein. Stattdessen ist das nationale Breitwandnetz jetzt ein Flickenteppich aus Kupfer-, Faser-, Satelliten- und Wireless-Verbindungen. Australien bekommt ein Telekommunikations-System das langsamer, teurer und später fertig ist als das ursprünglich geplante Glasfasernetz. Was für ein Geniestreich."
    Die Kosten explodieren, die Zeit verrinnt
    Das Ausrollen des NBN-Netzwerks hinkt dem Zeitplan hinterher, das Datum der Fertigstellung wurde von - ursprünglich Ende 2016- um vier Jahre verschoben. Die Kosten sind von 20 auf über 37 Milliarden Euro explodiert - und sie steigen weiter. Scott Ludlam fürchtet, dass Australien international, buchstäblich, den Anschluss verlieren könnte.
    "Unser Premierminister spricht gerne über Beweglichkeit und Innovation - davon, dass unsere Wirtschaft vielseitiger werden muss - und nicht länger nur vom Export gewaltiger Mengen schwindender Rohstoffe abhängig sein darf. Für diesen grundlegenden Wandel brauchen wir modernste Telekommunikation von Weltformat. Aber was bekommen wir? Ein Breitband-Netzwerk, das am Tag der Fertigstellung bereits überholt sein wird."
    Kritiker nennen die lahme Möchtegern-Version des Ur-NBN-Netzwerks abschätzig Schmalspur-Breitband. Glasfaser gibt es nur bis zu sogenannten Datenknotenpunkten - hässliche, moosgrüne Blechkästen, meist so groß wie ein Wohnzimmerschrank. Von dort aus wird das Internetsignal über herkömmliche Telefon- oder Fernsehkabel weitergeleitet. Je weiter ein Anschluss vom Knotenpunkt entfernt ist, desto mehr Bandbreite geht verloren, je älter die Kabel, desto schwächer das Signal.
    Probleme in der Provinz
    Jordan Springs, eine Neubausiedlung außerhalb von Sydney: An der Zufahrtsstraße wird noch gebaut, das NBN-Internet aber ist schon da. Ein grüner Datenkasten für 400 Einfamilienhäuser. Einer der Anwohner ist der Lehrer Brian Senden. Er wollte mehr Grün und weniger Grau. Also zog er mit seiner Familie vor einem halben Jahr aus Sydney weg. Die Großstadt ist nicht einmal eine Autostunde entfernt, trotzdem ist Jordan Springs tiefste digitale Provinz. Brian kann zu Hause weder die Online-Schularbeiten seiner Klasse redigieren, noch sein Telefon benutzen, weil die alte Kupferkabelverbindung vom NBN-Knotenpunkt zu unverlässlich ist.
    Das Internet seiner Nachbarn, nur vier Häuser weiter sei fast doppelt so schnell, moniert Brian. Mit seiner Verbindung könne er 34,6 Megabit pro Sekunde herunter- und 16 Megabit hochladen. Das Dumme ist nur: Brian bezahlt 85 Euro im Monat für einen Premium-Plan, der 100 Megabit pro Sekunde verspricht.
    "Wenn ich ein Kilo Äpfel im Supermarkt kaufe, dann bekomme ich ein Kilo Äpfel. Aber sagen wir, der Supermarkt ist das NBN-Netzwerk und die Äpfel sind Megabit. NBN sollte mir eigentlich meine Äpfel nach Hause liefern, aber unterwegs gehen einige verloren, andere werden zu meinen Nachbarn gebracht. Am Ende bekomme ich nur 350 Gramm Äpfel, aber ich habe für ein volles Kilo bezahlt. Wie um alles in der Welt ist das fair?"

    Brian Senden ist nicht alleine. Seit die Regierung nicht mehr "Glasfaser bis ins Haus" sondern nur noch "bis zum Knotenpunkt" garantiert, sind Beschwerden über das NBN-Netzwerk um 160 Prozent gestiegen. Millionen Australier sind zwar bereits angeschlossen, aber bevorzugen Alternativen. Kommunikationsminister Mitch Fifield macht gute Miene zu schlechtem Internetservice.
    "Das NBN-Netzwerk wird unseren Bedürfnissen gerecht. Das Ziel dieser Regierung ist es, es so schnell und so kostengünstig wie möglich fertigzustellen. Auch wenn wir verstärkt das Kupfer- und Fernsehkabelnetz nutzen - das Herz des Netzwerks ist Glasfaser."
    Mitch Fifield (l.) wird 2015 zum Kommunikationsminister ernannt
    Mitch Fifield (l.) wird 2015 zum Kommunikationsminister ernannt (imago stock&people)
    Digitale Zweiklassengesellschaft
    Die Folgen des NBN-Kurswechsels in Canberra sind in Städten und Gemeinden überall in Australien zu spüren. Ein Beispiel von vielen ist Dubbo, 36.000 Einwohner, vier Autostunden nordwestlich von Sydney. Denn was das Internet betrifft, ist Dubbo eine geteilte Stadt.
    Die Regierung sagte 93 Prozent aller Haushalte und Geschäfte einen Glasfaseranschluss bis an die Eingangstür zu. Matt Dickerson war damals Bürgermeister.
    "Die Stadt ist in sieben Internet-Zonen eingeteilt. Drei haben Glasfaser-Anschluss nur bis zu einem Knotenpunkt, aber von dort bis zu ihrem Haus veraltete Kupfer- oder Fernsehkabel. Die anderen vier Zonen haben superschnelle Glasfaserverbindungen. Die Stadt ist eine digitale Zweiklassengesellschaft."
    Glasfaser haben und nicht haben liegt in Dubbo oft nur ein paar Hausnummern weit auseinander. Anwalt Dave Hayward ist eigens in einen Stadtteil gezogen, der eigentlich schnelles Internet bekommen sollte. Jetzt aber kann er sich nicht einmal Filme in High Definition oder Videospiele problemlos herunterladen.
    "Sollte ich dieses Haus wieder verkaufen, bin ich finanziell gegenüber anderen Gegenden im Nachteil - dank unserer schlechten Internetverbindung. Wir haben zwei Jahre darauf gewartet, etwas Besseres als Dial-up oder WiFi zu bekommen, und jetzt haben wir wieder nicht, was wir haben könnten. Das ist frustrierend."
    Mehr Bandbreite zieht in ganz Australien auch mehr Nutzung nach sich. Je niedriger die Bandbreite, desto weniger Inhalte werden im Netz abgerufen. Schmalband-Onliner wie Dave brauchen monatlich im Durchschnitt nur ein Viertel des Datenvolumens von Breitband-Surfern auf. Und Häuser mit Glasfaseranschluss sind, in ähnlicher Lage, oft zehntausende Euro mehr wert als ohne.
    Wie ein Set für einen Science-Fiction-Film
    Aufgerissene Gehwege, Kabeltrommeln, neongelbe Sicherheitswesten und umgegrabene Grünstreifen: Mittlerweile hat man sich in Australien an die NBN-Crews gewöhnt. Insgesamt elf Millionen Haushalte, Geschäfte, Organisationen und Betriebe sollen an das nationale Internet-Netzwerk angeschlossen werden. Seit 2013 wurden etwa fünfeinhalb Millionen verbunden - weit weniger als geplant. Immer wieder gab und gibt es Verzögerungen. Mal sind es politische oder organisatorische Querelen, mal holen Altlasten aus der Vergangenheit Australiens digitale Zukunft ein.
    Derby Street, Penrith, im Westen von Sydney: Peter Bartholomew ist wütend, sein Vorgarten gleicht einer Müllkippe. Auf dem kurzgemähten Rasen liegen flache, handtellergroße Betonbruchstücke und loses Dämmmaterial. Achtlos über den Zaun geworfen von der Crew, die Peters neuen NBN-Anschluss gelegt hat. Die ausgehobene, jahrzehntealte Kabelgrube vor Peters Haus hatte es in sich: Nicht nur alte Telefon- und Fernsehkabel sondern auch jede Menge Asbest. Die Straße sieht aus wie der Set für einen Science-Fiction-Film. Der Gehweg ist gesperrt, Männer in weißen Ganzkörper-Schutzanzügen und mit Atemmasken vor dem Gesicht beseitigen den hochgiftigen Sondermüll. Aus Peters Garten und bei Elise und Jo, seinen Nachbarn.
    "Niemand hat uns gewarnt, dass Asbest in diesen Kabelgruben ist. Die NBN-Techniker hatten auch keine Schutzkleidung an. Dieses Zeug kann tödlich sein, wenn die Asbest-Fasern in die Luft geraten und eingeatmet werden. Ich mache mir Sorgen um meine Nichten und meine Familie."
    Der Chef von NBN, Bill Morrow, präsentiert die Zahlen
    Der Chef von NBN, Bill Morrow. NBN steht wegen dem schleppenden Ausbau des Breitband-Internets in der Kritik. (AAP / NBN)

    In ganz Australien gibt es acht Millionen Kabelgruben. Nahezu alle müssen geöffnet, viele ausgebaggert und ersetzt werden. Die Telekom glaubt, dass etwa 300.000 der Gruben ein Asbest-Problem haben. Tanya Segelov von der australischen Fernmelde-Gewerkschaft aber rechnet mit mehr als 500.000.
    "Wir gehen davon aus, dass alle Kabelgruben, die vor 1980 angelegt wurden, Asbest enthalten. Darum hätte man sich kümmern müssen, bevor das Projekt Breitband-Netzwerk begonnen wurde. Es geht schließlich um die Sicherheit unserer Arbeiter. Wir sollten genau wissen, wo überall diese Asbestfallen lauern, damit wir bei großen Bauvorhaben wie diesem nicht gleich in Panik geraten."
    Weder Zeit noch Geld
    Asbest ist weder gefährlich noch ein Problem, wenn das Material, das es enthält, nicht aufgebrochen und von Fachleuten entsorgt wird. Doch das kostet Zeit und Geld - die NBN-Leitung hat weder das eine noch das andere. Australiens Breitband-Netzwerk wird von einer Armee aus Subunternehmern gebaut. Viele sind kleine Familienbetriebe mit nur einem oder zwei Mitarbeitern. Ihnen fehlt oft das nötige Sicherheitstraining und noch öfter das technische Know-how.
    Elektrotechniker Pete Sales hat Horrorbilder auf seinem Iphone. Fotos ungeschützt vergrabener Kabel, nicht isolierter Anschlüsse und verdreckter Stecker. Nur ein wenig dicker als menschliches Haar ist ein Glasfaserleiter, mit bloßem Auge kaum zu erkennen. Pfusch aber sieht Pete auf den ersten Blick - und bei NBN-Anschlüssen, die er in und um Brisbane reparieren soll, sieht er mehr, als ihm lieb ist.
    "Sogenannte Techniker erledigen Arbeit, für die sie weder qualifiziert noch ausgebildet sind. Ich habe Spezialkurse und jahrelange Erfahrung hinter mir. Das Problem ist: Es gibt nur Geld für jeden erledigten Job. Also machen Viele zehn Anschlüsse am Tag und es sich so einfach wie möglich."
    Australien ist ein weites Land und weiter draußen, in der Versorgungswüste des Outbacks, ist eine funktionierende Internetverbindung wie ein Lottogewinn. Manche Gegenden gelten als "nicht verbindbar." Emerald in Queensland, drei Autostunden weit weg von der nächsten größeren Stadt, hat Glück gehabt. Elise Mooney muss sich von einem Spezialisten ein bösartiges Mal von ihrer Nase entfernen lassen. Wenn sie mit dem Doktor im 900 Kilometer entfernten Brisbane sprechen will, geht sie ins Krankenhaus von Emerald und sitzt bald über Skype im Sprechzimmer des Facharztes.
    Digitale Unterversorgung
    Nur 300 Kilometer landeinwärts, in der Klinik von Barcaldine, ist ohne NBN "Videokonsultation" ein Fremdwort. Krankenschwester Jill Morton muss ihre Patienten, oft nur für einen Checkup, auf eine Vierstunden-Rundreise schicken. "Ein funktionierendes Internet", sagt Jill, "ist im Outback kein Luxus, sondern überlebenswichtig".
    "Jedes Mal haben wir damit Probleme. Wir bekommen zwar eine Verbindung, aber dann friert das Bild ein. Wir können nicht einmal Röntgenaufnahmen von Spezialisten in der Stadt untersuchen lassen, weil wir kein Internet haben."
    Ob für einen Videospiel-Designer in Sydney, beim Fernunterricht für Farmkinder im Hinterland oder international vernetzte australische Unternehmen: Internetanwendungen werden immer datenintensiver und die Datenmengen steigen und steigen. Es gibt mehr Geräte, mehr Videostreams und Unterhaltung über das Internet. Australier rufen jedes Jahr mehr und mehr Daten ab.
    "Glasfaser und Gigabit-Übertragungsgeschwindigkeiten sind der heilige Gral", sagt ein Mann, der es wissen sollte. Mike Quigley war vier Jahre lang der Geschäftsführer des NBN. Er wurde gefeuert, weil er gegen die halbherzige Schmalspur-Version des geplanten Breitband-Netzwerks war.
    "Sie sind Milliarden über Budget und hinten und vorne nicht fertig. Jeder, der damals getönt hat, das Netzwerk könne billiger, schneller und besser gebaut werden, lag falsch", sagt Quigley. Er ist nicht bitter, nur enttäuscht. Eine digitale Unterversorgung, gerade auf dem Land, wäre ein enormer wirtschaftlicher Standortnachteil für Australien. Glasfaser für einen Kontinent 22 Mal größer als Deutschland war immer ein gewagtes Projekt, ehrgeizig und teuer. Die Umsetzung des NBN aber hält Mike Quigley für ein Debakel. Denn ein löchriges Glasfasernetz könne sich Australien nicht leisten.
    "Wir haben die Gelegenheit vergeudet, ein erstklassiges Breitband-Netzwerk zu bauen, das Australiens digitale Zukunft sichert. Das Traurige dabei ist, dass die Regierung es aus kleinkariertem, politischem Kalkül heraus getan hat. Aber Lamentieren hilft nicht. Das NBN-Netzwerk wird fertiggebaut - auch wenn es danach für Aber-Milliarden auf den neuesten Stand gebracht werden muss."