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Breitbandausbau
"Wir brauchen einen Investitionswettbewerb"

Ein Drittel der Deutschen habe keinen Zugang zu breitbandigen Internetanwendungen, kritisierte Jürgen Grützner, Geschäftsführer des Verbandes der Anbieter von Telekommunikations- und Mehrwertdiensten (VATM), im DLF. Ein Investitionswettbewerb unter den Breitbandanbietern könnte laut Grützner Abhilfe schaffen.

Jürgen Grützner im Gespräch mit Jürgen Zurheide |
    Jürgen Zurheide: Die Bundesregierung hat sich nicht viele Dinge auf die Tagesordnung geschrieben. Neben der Energiewende will sie allerdings ein anderes Thema angehen, das heißt, die weißen Flecken im Internet in Deutschland beseitigen. Weiße Flecken heißt, dort gibt es kein Internet oder jedenfalls kein schnelles Internet, wie es denn heute gebraucht wird. Der zuständige Minister Dobrindt will dort einiges tun und hat gestern seine Pläne vorgestellt.
    Über dieses Thema wollen wir reden mit einem, der im Markt selbst unterwegs ist. Ich begrüße den Geschäftsführer des VATM, Jürgen Grützner, der Geschäftsführer des Verbandes der Anbieter von Telekommunikations- und Mehrwertdiensten. Guten Morgen, Herr Grützner!
    Jürgen Grützner: Einen schönen guten Morgen, Herr Zurheide!
    Zurheide: Herr Grützner, zunächst einmal, wo kein Internet ist, ist eigentlich fast eine banale Frage, dort findet kaum Wirtschaft statt oder jedenfalls nur unter erschwerten Bedingungen. Wie viele weiße Flecken haben wir denn eigentlich noch in Deutschland?
    Grützner: Sie haben es ja gerade schon richtig gesagt. Wir haben weiße Flecken in Deutschland, das heißt, wir haben zum Teil weniger Internet, als man braucht. Rein mathematisch gesehen, mit einem Megabit, das ist so als Grundversorgung im Augenblick noch der Standard, da kann man sagen, da liegen wir bei 99 und ein paar gequetschten Prozent. Da sieht es schon ganz gut aus.
    Also, Internet kann man haben, aber es ist in ganz vielen Orten noch viel zu langsam. Und ich sag mal, unter sechs Megabit macht Surfen wirklich wenig Spaß, und für viele andere Anwendungen, die man heute schon gerne haben möchte, die die Bürger brauchen und die Unternehmen brauchen, da müssen Sie dann auch schon ein bisschen mehr haben.
    "Internet ist an vielen Orten noch viel zu langsam"
    Und die Bundesregierung hat zu Recht hierauf Wert gelegt, dass wir jetzt endlich hier Gas geben und dass wir höhere Bandbreiten bekommen. Ob es dann genau 50 sein müssen, das ist ein sehr technischer Wert, der mit den Diensten wenig zu tun hat, die man da drauf betreiben kann, oder ob es auch 30, wie die EU meint, erst einmal sein dürfen, darauf wird es am Schluss nicht ankommen, aber wir brauchen mehr als die ein, zwei oder sechs Megabit, das ist ganz klar.
    Zurheide: Jetzt müssen wir auch noch mal sagen: Wenn das nicht da ist, dann ist das ein Entwicklungshemmnis. Das können wir daraus ableiten – Sie haben kürzlich eine Studie gemacht und haben gesagt, das Wirtschaftswachstum in den zurückliegenden zehn Jahren war ganz erheblich vom Breitbandausbau getrieben. Wie sind die Zahlen?
    Grützner: Ja, das ist ganz erstaunlich, was die Studie des DIW, des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung hier zutage gebracht und gefördert hat. Man muss sich vorstellen, dass vom gesamten Bruttoinlandsprodukt Wachstum der Telekommunikationsmarkt zu 41 Prozent zum Gesamtwirtschaftswachstum in Deutschland beigetragen hat. Davon gehen allein 55 Prozent, also deutlich über die Hälfte, auf das Konto der Wettbewerber. Das heißt, wir haben hier einen ganz starken Treiber für die Gesamtwirtschaft. Es gibt –
    Zurheide: Wettbewerber müssen wir erklären, wir haben die Telekom auf der einen Seite, und wir haben andere Unternehmen. Das ist immer noch die alte Trennung, richtig?
    Grützner: Das ist richtig. Der Platzhirsch ist immer noch die Telekom, aber man kann sehen, dass die vielen kleineren und größeren Unternehmen einstweilen einen sehr hohen Beitrag für die Volkswirtschaft leisten, und das ist eine ganz wichtige Erkenntnis für Herrn Dobrindt.
    Zurheide: Auf der anderen Seite, ich will noch mal zurück – wenn das eben nicht da ist – 99 Prozent hört sich jetzt erst mal gut an, aber Sie haben gesagt, 99 Prozent mit einem Megabit, und das ist eben viel zu wenig. Wie viele weiße Flecken haben wir denn noch?
    Grützner: Wir können davon ausgehen, dass wir bei etwa 90 Prozent stehen, wenn wir bei sechs Megabit mal hier versuchen, eine Grenze zu ziehen. Wenn wir dann höher gehen, dann wird das schon sehr viel dünner. Wirklich breitbandige Anwendungen haben etwa zwei Drittel der Bevölkerung heute zur Verfügung –
    Zurheide: Das heißt ja übrigens im Umkehrschluss, ein Drittel haben es nicht, also 30 Prozent.
    "Es geht nicht nur um Unterhaltung, es geht um Wissen"
    Grützner: Ein Drittel hat es etwa noch nicht. Das liegt also auch daran, dass natürlich die letzten zehn, zwanzig, dreißig Prozent immer die allerschwersten und allerteuersten sind, gerade im ländlichen Bereich. Und das ist jetzt genau die Aufgabe, die wir lösen müssen. Weil hier geht es auch um Lernen, es geht um Wissen.
    Es geht nicht nur um die Betriebe und die Arbeit, die sonst vom Land wegzieht in die Städte. Es geht auch um die alten Menschen. Wir brauchen hier Versorgung und wir brauchen Sicherheit. Wir brauchen im Gesundheitswesen höhere Bandbreiten. Und es geht also wirklich nicht nur um Unterhaltung, sondern es geht hier um einen Nutzen für die gesamte Bevölkerung.
    Zurheide: Wie kann man den Ausbau beschleunigen? Was erwarten Sie von der Bundesregierung?
    Grützner: Ich glaube, das ist sehr klar und eindeutig, und diejenigen, die mit am Koalitionsvertrag geschrieben haben, haben das ja auch eigentlich an vielen, vielen Stellen richtig hier benannt. Wir werden sehr, sehr weit kommen, wenn wir im Wettbewerb ausbauen. Wir brauchen einen Investitionswettbewerb.
    Ganz viele Bürgermeister wissen, dass entweder gerade die Wettbewerber der Deutschen Telekom dort gebaut haben oder aber tatsächlich am Schluss auch die Telekom, was wir alle sehr begrüßen. Es ist mir nämlich egal, wer da baut, Hauptsache, es baut einer. Aber in vielen Fällen hat die Telekom erst dann gebaut, als Wettbewerber sich entschlossen hatten, dort auch die Schaufel in die Hand zu nehmen.
    Und dieser Wettbewerb, den brauchen wir als Anreiz für die ganz Großen, die sonst nicht in die Puschen kommen, und die vielen Kleinen, die vor Ort mit ihren Kenntnissen eigentlich prädestiniert sind. Auch Stadtwerke, wir hatten es ja eben auch im letzten Beitrag, machen hier eine sehr, sehr wichtige Rolle und spielen eine sehr wichtige Rolle einstweilen, und man muss alle Kräfte nutzen und alle Investitionen nutzen und auf keinen Fall nur auf einige wenige Unternehmen setzen.
    "Wir brauchen Wettbewerb als Anreiz für die Großen"
    Zurheide: Was sind die europäischen Aspekte der ganzen Veranstaltung? Denn die Europäische Union spielt auch eine nicht unwichtige Rolle?
    Grützner: Ja, Europa hat hier im Augenblick – spielt hier eine sehr unrühmliche Rolle. Wir sind in Deutschland in einer absoluten Sondersituation. In keinem anderen Land in Europa herrscht so viel Wettbewerb beim Bauen wie in Deutschland. Wir haben über 100 Unternehmen, die in Deutschland bauen. Das gibt es sonst nicht. Brüssel steht jetzt vor dem Problem, dass es in vielen Mitgliedsstaaten nur sehr geringe Aktivitäten gibt, und setzt ganz verstärkt auf die alten Incumbents, auf die alten Monopolisten und versucht jetzt hier, den alten Monopolisten wieder mehr Spielraum zu geben. Im Gegenzug sollen sie dann bauen.
    Wie das funktionieren soll, das erschließt sich uns und den Fachleuten in Deutschland nicht. Aber die Regeln, die jetzt gemacht werden, begünstigen die alten Monopolunternehmen und erschweren den Ausbau für die kleinen Unternehmen. Und das ist ein Weg, der mag vielleicht in Spanien oder in Griechenland interessant sein, der ist aber für Deutschland die ganz falsche Medizin für die Krankheit, an der wir hier noch leiden. Also für Infrastruktur und vor allem für Investitionswettbewerb sorgt das eher weniger.
    Zurheide: Sie sagen also heute Morgen zu, die Unternehmen, die Sie vertreten, stehen bereit und wollen wie viele Milliarden investieren?
    EU-Regelungen sind für Deutschland "die ganz falsche Medizin"
    Grützner: Das sind pro Jahr etwa fünf bis sechs Milliarden, die hier investiert werden. Wir dürfen nicht die Augen davor verschließen, dass man in den wirklich ländlichen Bereichen ohne Fördergelder, ohne staatliche Mittel diese schwierigen Regionen nicht wird im Wettbewerb erreichen können. Der Bau ist dort teurer als das, was wir von den Bürgern an Geld verlangen können. Und wenn man es ernst meint mit Vorsorge und gut gemeinter staatlicher Vorsorge, dann muss man hier auch die Konsequenz aus diesem Wissen ziehen.
    Es standen hier eine Milliarde Fördermittel zunächst im Koalitionsvertrag, das war ein Wert, den sehen wir als sehr realistisch an. Man hätte aus ökonomischen Gründen etwas geringer dran gehen können, wenn die Mittel nicht in dem Maße zur Verfügung stehen, aber jetzt zu sagen, wir kommen ohne Fördermittel ins Land, das ist einfach vollkommen unrealistisch, und das wissen alle Fachleute, die sich damit beschäftigen.
    Zurheide: Das war ein Plädoyer für mehr Wettbewerb, aber eben auch für Unterstützungen, damit die weißen Flecken endlich verschwinden, über die schon lange in Deutschland geredet wird. Herr Grützner, ich bedanke mich für das Gespräch!
    Grützner: Vielen Dank!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.