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Brenner-Basistunnel
"Das Tal wird attraktiver werden"

Die Bauarbeiten für den 55 Kilometer langen Brenner-Basistunnel laufen. Wenn er 2025 fertig ist, soll ein Großteil des Alpentransitverkehrs auf die Schiene kommen. Viele Reisende werden den Brenner dann nicht mehr zu sehen bekommen. Die Menschen an der österreichisch-italienischen Grenze sehen das weitgehend gelassen.

Von Gerwald Herter | 21.11.2014
    Ein Güterzug fährt am 02.05.2014 über dem Eingang zum Zugangsstollen zum Brenner Basistunnel bei Steinach (Österreich).
    Ein Güterzug fährt am 02.05.2014 über dem Eingang zum Zugangsstollen zum Brenner Basistunnel bei Steinach (Österreich). (picture-alliance / dpa / Karl-Josef Hildenbrand)
    Um ein Büro in dieser Umgebung würden ihn andere Bürgermeister beneiden: Wenn Karl Mühlsteiger das Fenster im Gemeindehaus öffnet, hört er den Bach vorbeirauschen. Die Lastwagen- und PKW-Kolonnen der Brennerautobahn stören hier nicht, weil sie weit oben am Ort vorbei führt. Vor allem aber ist Gries am Brenner von schönen Alpengipfeln umgeben. Karl Mühlsteiger liebt seine Tiroler Heimat, dennoch bestreitet er nicht, dass er hier schon bessere Zeiten erlebt hat:
    "Gries ist seit der Grenzöffnung, wie wahrscheinlich viele Grenzgemeinden in Österreich und auch in Südtirol, auf der Verliererseite."
    Bis in die 1990er-Jahre, sagt Mühlsteiger, seien hier 180 Zollbeamte im Einsatz gewesen. Viele wohnten mit ihren Familien in Gries, ein großer Teil ist inzwischen aber weiter gezogen. Etwa 1.200 Menschen leben hier noch. Vor einigen Jahren musste die Gemeinde den Skilift schließen, weil zu hohe Investitionen nötig gewesen wären und jetzt wird auch noch die Polizeistation verschwinden:
    "Unsere Polizeidienststelle wird aller Voraussicht nach zum 01.12. nach Steinach wandern und das sind halt Abstriche, die schmerzen."
    Denn die Polizeidienststelle galt einst als Ausgleich für den Wegfall der Zollstation. Karl Mühlsteiger muss damit leben, dass so "alte Wunden", wie er sagt, wieder aufgerissen werden.
    Dass der Brenner-Basis-Tunnel bald unter Gries hindurch gebohrt wird, gehört für den Bürgermeister zu den sehr guten Nachrichten. Von Widerständen gegen das milliardenschwere Bauvorhaben ist in Gries nichts zu spüren. Die Transitgegner im Wipptal sind ohnehin leise geworden:
    "Irgendwo stumpft man ab. Irgendwo verliert man dann den Enthusiasmus und die Energie zum Weiterkämpfen und zum Weitermachen."
    Ein paar Kilometer weiter oben, auf der italienischen Seite, steht seit einigen Jahren ein modernes Einkaufszentrum, das Factory-Outlet-Center. Ski-Bekleidung, Sportgerät, Laufschuhe, Alltagsmode, das sorgt im italienischen Brennero für Steuereinnahmen und Arbeitsplätze, von denen auch Menschen aus der Umgebung profitieren. Nikolaus Hutter, der Geschäftsführer der Outlet-Brenner-AG sagt, dass hier 250 Menschen arbeiten und es sollen noch mehr werden:
    "Hundertprozentig, mit dem Fall des Grenzbalkens ist der Ort Brenner schon ein bisschen eingeschlafen und mit Sicherheit durch die Etablierung des Outlet-Centers wieder bekannter geworden und hat an Attraktivität gewonnen."
    Viele Familien kommen eigens für den Einkauf hier auf den Brenner - auch aus Deutschland. Andere Kunden sind auf der Durchreise von und nach Italien. Dass viele Reisende künftig im Zug weit unter dem Brenner durch den Tunnel hindurchfahren werden, macht Hutter keine Sorgen:
    "Ich glaube, es ist insgesamt eine Aufwertung für das gesamte Wipptal. Der Schwerverkehr kommt von der Straße weg, das Tal wird wahrscheinlich attraktiver werden, aber einen sonstigen Einfluss auf das Outlet-Center oder die Region wird es wahrscheinlich nicht geben."
    Wie das Einkaufszentrum liegt auch das Restaurant “Terminus” direkt hinter dem alten Grenzübergang. Während die Alufassade des Outlet-Centers selbst im Regen funkelt, wirkt das Gebäude nebenan etwas vernachlässigt. Die Wohnungen über der Gaststube stehen leer. Das Restaurant ist dennoch gut besucht - auch von Gästen, die im Outlet eingekauft haben und in Ruhe eine Pizza essen wollen. Sonja, die Wirtin, will sich nicht beklagen, obwohl auch hier im Ort Brennero früher mehr los war:
    "Es wurde geschmuggelt, am Brenner hat man günstig eingekauft. Zucker, Monopolware, Schnaps, Zigaretten, auch Bekleidung, italienische Ware, die einfach günstiger und modern war. Unsere Bedienung hat dann mal erzählt, sie ist eben aus Österreich, und sie wurden fast nackig, alle sieben Kinder auf den Brenner herauf und haben sich dann in der Kirche umgezogen, und sind vierfach bekleidet dann wieder nach Hause gefahren."
    Stammgäste kommen immer noch, selbst aus Innsbruck. Motorradfahrer, die die Brennerautobahn meiden, trinken im Terminus ihren ersten wirklich italienischen Cappuccino, außerdem Autofahrer, die genug Zeit haben oder sich die Maut sparen wollen. Und das geht auch weiter so, davon ist die Wirtin überzeugt, selbst wenn der Brenner-Basis-Tunnel irgendwann fertig wird.
    "Ich weiß nicht, ich glaube ja 2025, wo wir dann noch sind, ist eine andere Frage, aber für mich ist das noch ganz weit weg."