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Brenner
Warten auf den neuen Ansturm

Nach der Schließung der Balkanroute bereitet sich Österreich auf neue Flüchtlingsrouten vor. Wien plant deshalb vor allem am Brenner, an der Grenze zu Italien, verstärkte Grenzkontrollen. Am Bahnhof Brenner werden sich dann vermutlich Dramen abspielen, fürchten die Südtiroler.

Von Jan-Christoph Kitzler | 16.03.2016
    Zahlreiche Flüchtlinge fahren mit dem Regionalzug von Bozen (Italien) zum Bahnhof Brenner.
    Viele Flüchtlinge versuchen, mit dem Zug von Italien nach Deutschland zu kommen. Oft ist am Bahnhof Brenner Endstation. (picture alliance / dpa / Nicolas Armer)
    Schwierige Zeiten ziehen auf für Arno Kompatscher, den Landeshauptmann und Regierungschef von Südtirol. Vielleicht ist das gerade die Ruhe vor dem Sturm. Denn dass wieder mehr Flüchtlinge durch Italien versuchen, sich in den Norden Europas durchzuschlagen, gilt als sicher. Und weil Österreich die Grenzen nach Italien strenger kontrollieren will, könnte es Probleme geben:
    "Wir gehen schon davon aus, dass mit der Quasi-Schließung der Balkanroute, sich Flüchtlingsströme verlagern können. Vor allem dann, wenn es wieder wärmer wird, wenn wieder mehr Menschen dann es versuchen werden, über das Mittelmeer nach Italien zu kommen. Und dann natürlich in Verbindung mit Einsetzen und Kontrollen seitens Österreich. Dann kann die Lage natürlich kritisch werden."
    Der Alpenpass ist eine der wichtigsten Verkehrsachsen in Europa
    Oben am Brenner werden sich dann vermutlich Dramen abspielen. Der Alpenpass ist eine der wichtigsten Verkehrsachsen in Europa. Auch für die Migranten. Die meisten kommen mit der Bahn, auf dem kleinen Bahnhof heißt es für viele, umsteigen. Der Bürgermeister der Gemeinde hofft, dass es keine Zustände wie in Idomeni an der griechisch-mazedonischen Grenze gibt. Deshalb sollen die Migranten am besten schon vor dem Brenner abgefangen werden. Deshalb muss es Klarheit darüber geben, wie viele Menschen Österreich wirklich ins Land lässt. Dafür, dass die Migranten halbwegs in Würde über den Brenner kommen, will Luca De Marchi von der Hilfsorganisation Volontarius sorgen. 70 Schlafplätze haben sie hier oben, sie können viele mit Nahrung versorgen – auch De Marchi ist besorgt:
    "Wir versuchen nicht zu viele Prognosen zu machen. Wir blicken auf die anderen Länder, auf das, was dort passiert, leider mit Bitterkeit. Und wenn das kommt, dann seufzen wir und denken daran, wie wir es letztes Jahr geschafft haben. Ich denke nicht so sehr an das, was kommt, denn das hängt ja nicht von uns ab. Wir wissen, dass wir Mittel haben und dass wir das schaffen können."
    Zur Zeit kommen jeden Tag rund 50 Flüchtlinge über den Brenner. Inzwischen werden einige auch wieder zurückgeschickt nach Italien. Wenn es deutlich mehr wird, glaubt der Polizeigewerkschaftler Mario Deriu, wird ein Großteil der Arbeit wieder an den Beamten hängen bleiben – aber deren Möglichkeiten sind begrenzt:
    Leid und Chaos an der italienisch-österreichischen Grenze
    "Was können wir schon tun, sie festnehmen? Unsere Aufgabe als Polizei ist es, für die öffentliche Ordnung zu sorgen. Und darüber hinaus? Wenn die Flucht vor Krieg und Verzweiflung ein Verbrechen ist, dann müssen wir sie festnehmen. Wenn nicht, ist unsere Aufgabe, zu schützen, uns, sie, alle."
    Arno Kompatscher, der Landeshauptmann, hofft immer noch, dass Österreich seine Drohungen nicht wahr macht. Den Brenner, mit seiner viel befahrenen Autobahn und Bahnstrecke könne man nicht so einfach schließen. Vor allem in der Reisezeit würden schärfere Kontrollen zu langen Staus führen und zu großem wirtschaftlichen Schaden. Aber der politische Schaden einer Abschottung durch Österreich wäre vermutlich noch viel größer:
    "Ich bin davon alles andere als begeistert. Ich verstehe, dass Österreich sagt: So kann es nicht weitergehen. Ich glaube aber nicht, dass jetzt einzelstaatliche Maßnahmen das richtige Rezept sind. Ich bin da eher bei der deutschen Kanzlerin Merkel, dass man sagt: Es muss ein gemeinsames, europäisches Vorgehen geben. Schengen darf nicht infrage gestellt werden und man sollte die EU-Beschlüsse umsetzen und nicht jetzt mit einzelstaatlichen Lösungen versuchen, das Problem zu lösen."
    Im letzten Jahr, als Schätzungen zufolge, rund 60.000 Flüchtlinge den Brenner passiert haben, hatte es schon für ein paar Tage große Probleme gegeben, als die Grenze dort wegen des G7-Gipfels in Bayern schwerer passierbar war. Wenn jetzt die Migranten wieder verstärkt durch Italien kommen, könnten Leid und Chaos an der italienisch-österreichischen Grenze noch größer sein – und dauerhafter.