Freitag, 29. März 2024

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Brennpunkt Kölner Ebertplatz
"Zeigt uns, dass ihr diese Verhältnisse verändert"

Im Hinblick auf Brennpunkte wie den Kölner Ebertplatz, sollten Politiker sich nicht in Rechtfertigungen flüchten, sagte der Chefautor des "Kölner Stadt-Anzeigers" Peter Pauls im Dlf. 4.000 Stunden Dienst der Polizei hätten nichts verbessert. Trotz langer Vorstrafenregister der mutmaßlichen Täter komme es nicht zu Verurteilungen.

Peter Pauls im Gespräch mit Christoph Heinemann | 27.10.2017
     Polizisten durchsuchen einen Mann an der U-Bahn Station "Ebertplatz" am 16.12.2016 am Ebertplatz in Köln (Nordrhein-Westfalen) nach Drogen.
    "Das kann man nicht mit Licht und mit gerodeten Büschen durch eine Stadtverwaltung klären lassen", sagte der Journalist Peter Pauls im Dlf über die Zustände am Kölner Ebertplatz. (dpa/Ina Fassbender)
    Christoph Heinemann: Heute ist Freitag, der 27. Oktober. Vor gut einem Monat wurden 709 Mitbürgerinnen und Mitbürger zu Abgeordneten des Deutschen Bundestages gewählt. Unter ihnen nach einem prominenten Abgang 92 Vertreter der AfD. Über diesen und andere Wahlerfolge dieser Partei wird gerätselt. Eine Erklärung lieferte Wolf Biermann im Gespräch mit dem "Spiegel": "Die Menschen, die jetzt geschrien haben, Merkel muss weg und hau ab, das sind die stummen Untertanen von damals." Gemeint ist die DDR. "Das sind die Leute", so Biermann, "die zu lange geschwiegen und alles erduldet, ertragen haben." Sie seien damals zu feige gewesen, weil sie so voller Angst gelebt hätten, meint der Dichter und Liedermacher.
    Nun erzielt die AfD auch in den alten Bundesländern Wahlerfolge, und die hat Peter Pauls gestern erklärt, ohne dass er in seinem Leitartikel die AfD auch nur erwähnt hätte. Peter Pauls ist Chefautor und ehemaliger Chefredakteur des Kölner Stadt-Anzeigers, und er hat ganz einfach die Lage rund um den Kölner Ebertplatz analysiert. Dort kann man gescheiterte Zuwanderungspolitik besichtigen: vorbestrafte nordafrikanische Drogenhändler, die im Duldungsstatus in Deutschland leben, einen Toten, verängstigte Anwohner, wie gehört, eine träge Stadtverwaltung, eine überforderte Polizei.
    Im Studio ist Peter Pauls, der Chefautor des Kölner Stadt-Anzeigers. Guten Morgen.
    Peter Pauls: Guten Morgen, Herr Heinemann.
    "Warum handeln diejenigen, die es tun sollten, nicht?"
    Heinemann: Herr Pauls, Sie kritisieren einen trägen Rechtsstaat. Wie äußert sich diese Trägheit?
    Pauls: Die Trägheit äußert sich darin, dass die jüngsten Festnahmen gezeigt haben, dass die mutmaßlichen Täter Einträge im Polizeiregister in zweistelliger Höhe hatten. Das heißt nicht, dass es zu Verurteilungen gekommen ist; das heißt aber, dass es Kontakt mit der Polizei gegeben hat wegen was weiß ich, ich muss hier mutmaßen, Rauschgifthandel, wegen Körperverletzung, wegen unangemessenen Benehmens, und das Ganze ist folgenlos geblieben. - Wir müssen feststellen, dass das rechtsstaatliche Reglement, das Menschen nutzen soll, auch Menschen, die auf der Flucht sind, hier ganz klar missbraucht wird.
    Heinemann: Warum handeln Behörden und Politik dann nicht entsprechend?
    Pauls: Das ist eine Frage, die, glaube ich, in der Beantwortung auch dazu geführt hat, dass viele Menschen AfD gewählt haben. Warum handeln diejenigen, die es tun sollten, nicht? – Ich bin kein Jurist. Aber ich denke, wenn dieser Rechtsstaat die falschen schützt, wenn ein Pass, der, ich sage es mal ganz vorsichtig, abhandengekommen ist, einem mehr nutzt als schadet, und wenn die Urlaubsländer Marokko und Tunesien als unsichere Herkunftsstaaten bezeichnet werden, dann nutzt das dieser Klientel ganz enorm und dann wäre es eigentlich aller Anstrengungen wert, ein Reglement zu finden, das diese Umstände austrocknet. Das kann man nicht mit Licht und mit gerodeten Büschen durch eine Stadtverwaltung klären lassen.
    Heinemann: Sie haben gestern geschrieben, das wirkt ungefähr wie Juckpulver auf Bankräuber.
    Pauls: Ja. Es ist eine unangemessene Maßnahme, weil es am Kern nichts ändert. Sie haben ja gerade den Einspieler gehabt, das was die Menschen dort sagen, das was uns als Zeitung erreicht. Menschen fragen sich ja, wie ist das möglich. Wie ist das möglich: Wenn ich aufgeschrieben werde, wenn ich falsch parke, oder wenn ich mein Fahrrad falsch abstelle oder sonst irgendetwas mache, dann ist der Rechtsstaat ja da. Und wie kann es sein, dass ich aber abends, wenn ich über diesen Platz gehen möchte, das um Gottes willen besser nicht tue. Man muss sagen, das ist seit 30 Jahren schon so. Das war nie ein schöner Platz, denn er ist architektonisch so angelegt – auch das haben wir gerade gehört -, dass er vielerlei Rückzugsmöglichkeiten bietet. Aber diese Kölner Eigenschaft, Dinge geschehen zu lassen, hat hier dazu geführt, dass, weil nichts von nichts besser wird, es schlechter wird.
    Pauls: Würde dafür werben, dass man aktiv vorgeht
    Heinemann: Wobei wir ja auch über den Tiergarten in Berlin sprechen könnten, oder viele Tiergärten oder Ebertplätze in Deutschland. Was löst diese Handlungsschwäche des Staates bei Bürgerinnen und Bürgern aus?
    Pauls: Entsetzen, wie wir gerade gehört haben. Ich würde, jetzt allerdings an die Politik oder an die Handelnden gewünscht, dafür werben, dass man aktiv vorgeht, dass man das Reglement überdenkt, das es Menschen gestattet, hier im Grunde ja rechtsstaatlicher Regeln ihren Geschäften nachzugehen, aber auch, wie kann ich so einen Platz bearbeiten, kann ich da Streetworker hinschicken. Da gibt es sehr gute Konzepte, wie man Menschen anspricht und sagt, das macht ihr nicht. Oder aber dort kommen ja Kunden hin. Dort kommen junge Leute hin. Auch denen, finde ich, kann man ja in einer vorpolizeilichen Form sagen, das ist nicht euer Platz, überlegt euch, was ihr hier gerade tut. Eigentlich bergen solche Plätze ja auch eine Chance, weil sie eine Klientel erreichen, die kriegen Sie sonst nicht, sondern vielleicht erst wieder drei Jahre später, wenn sie dann irgendeinen Drogenraum besuchen. Hier ist eigentlich vielerlei Möglichkeit gegeben, präventiv zu arbeiten.
    Heinemann: Sie haben geschrieben, bei Wahlen geht es heute weniger um Weltanschauung als um Arbeitsaufträge an die Politiker. Wie lautet konkret der Arbeitsauftrag mit Blick auf den Ebertplatz oder die Ebertplätze im Land?
    Pauls: Verändert diese Verhältnisse. Zeigt uns, dass ihr diese Verhältnisse verändert. Flüchtet euch nicht in Rechtfertigungen. Der Polizeichef hier hat gesagt, sie hätten schon 4000 Stunden Dienst am Ebertplatz geleistet. Aber es hat sich nichts verbessert. Das ist ein bürokratisches Argument. – Schafft neue Zustände, die sich mit einem Rechtsstaat vereinbaren lassen, aber zeigt, dass ihr euch kümmert, dass ihr euch um die Sorgen der Bürger kümmert, denn sie sind ganz und gar evident.
    Heinemann: Wir reden über überwiegend nordafrikanische Drogenhändler, die hier im Duldungsstatus leben. Haben die Ton angebenden Medien und die Politik diese Form gescheiterter Zuwanderung zu lange ausgeblendet?
    Pauls: Das vermag ich nicht zu sagen. Köln spielt eine Sonderrolle seit zirka zwei Jahren. Wir hatten ja Ende 2015 die Kölner Silvesternacht hier und haben eigentlich versucht, Dinge relativ klar zu benennen. Man muss hier sehr stark unterscheiden zwischen diesem gescheiterten Milieu, das die nordafrikanischen Staaten selber nicht haben wollen, und auch den Asylsuchenden. Man muss aber auch die Dinge beim Namen nennen, und das geschieht – ich will es mal so sagen – in letzter Zeit häufiger, als es vor zwei Jahren oder 2015, als die vielen Flüchtlinge kamen, noch der Fall war. Der Blick ist nüchterner geworden, er ist klarer geworden. Wir müssen Acht geben, dass wir durch Nichtbehandeln nicht denen in die Hände spielen, über die wir gerade geredet haben, der AfD, denn die AfD-Abgeordneten sind nicht mit dem Fallschirm abgesprungen, die haben sich nicht den Zugang zum Bundestag verschafft, die sind gewählt worden, weil man etwas mit ihnen verbindet.
    "Wer einen klaren Blick hat weiß, dass das eine andere Klientel ist"
    Heinemann: Hieße, umgekehrt gefragt: Gefährden Zustände wie die auf dem Ebertplatz das, was von der Willkommenskultur übrig geblieben ist?
    Pauls: Wer einen klaren Blick hat weiß, dass das eine andere Klientel ist. Aber wer an dieser Stelle wohnt – und das sind viele und das ist ein prominenter Innenstadtbereich -, der muss sich die Frage stellen, warum geschieht das. Und das ist ein absolutes Unding und es geht nicht. Und es wirft natürlich, sagen wir mal, einen Schatten auf die Willkommenskultur, das ist ganz klar, weil es ein unhaltbarer Zustand ist. Das kann man so, meine ich, nicht lassen, oder unser Staat, unsere Institutionen, aber auch die Stadt, Sozialarbeiter etc., müssen an dieser Stelle präsent sein, denn dort vertreten sie die Interessen ihrer Bürger.
    Heinemann: Letzte Frage noch mal zum architektonischen Ausmaß. Werden Fehlplanungen – und der Ebertplatz ist nun kein Schmuckstück, sagen wir mal so, der Platz -, werden Fehlplanungen, Betonwüsten leichter zu Orten der Kriminalität? Wie kann eine Stadt mit solchen Zentren umgehen?
    Pauls: Durch massiven Umbau. Im Jahr 2008 hat der Stadtplaner Speer festgestellt, dass der Ebertplatz so nicht bleiben kann wie er ist. Wir haben jetzt das Jahr 2017 und unter dem Druck der Umstände hat der Kölner Rat jüngst erst beschlossen, diesen Platz zu verändern. Der Zeitraum ist neun Jahre. Bis die Veränderung greift, werden 12, 13, 14 Jahre ins Land gegangen sein.
    Wir hatten am Kölner Hauptbahnhof Zustände, von der Architektur her, die die Silvesternacht begünstigt haben. Das ist, auch weil es eine langfristige Planung war, mittlerweile beseitigt. Aber solche Dunkelstellen, solche Bausünden müssen beseitigt werden, nicht nur, weil sie Bausünden sind, sondern weil sie Sicherheitsrisiken sind und weil sie auch nicht mehr in die moderne Zeit und Gesellschaft passen.
    Heinemann: Peter Pauls, Chefautor, vormals Chefredakteur der Zeitung Kölner Stadt-Anzeiger. Danke schön für Ihren Besuch!
    Pauls: Ich danke Ihnen, Herr Heinemann.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.