Donnerstag, 28. März 2024

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Brexit
"Die EU ist bis an die Grenze des Erträglichen gegangen"

Michael Roth (SPD) wirft Brexit-Befürwortern nach der erneuten Ablehnung des Deals im britischen Unterhaus "zynische Verantwortungslosigkeit" vor. Die EU habe lediglich zwei Kernforderungen, sagte der Staatsminister im Auswärtigen Amt im Dlf - doch von britischer Seite komme keine Antwort.

Michael Roth im Gespräch mit Silvia Engels | 13.03.2019
Michael Roth, Staatsminister für Europa im Auswärtigen Amt (SPD)
Michael Roth, Staatsminister für Europa im Auswärtigen Amt (SPD) (dpa / picture alliance / Geert Vanden Wijngaert)
Silvia Engels: Es gab in den letzten Monaten ja reichlich viele Abstimmungen im britischen Unterhaus rund um das Verfahren, wie die EU zu verlassen ist. Ob und wann die Briten aber nun wirklich gehen, ist allerdings auch zweieinhalb Wochen vor dem offiziellen Austrittstermin weiter unklar. Doch die Abstimmung gestern Abend hat zumindest eine Klarheit gebracht: Das Austrittsabkommen, wie es Theresa May über Jahre hinweg ausgehandelt hat, wird in dieser Form wohl nicht so kommen. Die Abstimmungsniederlage war einmal mehr deutlich: 391 Neinstimmen standen 242 Jastimmen gegenüber.
Mitgehört hat Michael Roth (SPD), Staatsminister im Auswärtigen Amt, dort zuständig für Europafragen. Guten Morgen, Herr Roth!
Michael Roth: Guten Morgen, Frau Engels.
Engels: Was macht die Bundesregierung nun aus dieser Situation in London?
Roth: Gestern trafen sich in Bukarest die Europaministerinnen und Europaminister der Europäischen Union, und ich habe da sehr viel Genervtheit, Frustration und tiefe Sorge erlebt über so viel zynische Verantwortungslosigkeit, die da einige Brexitiers vor sich hertragen. Es geht ja hier nicht alleine nur um die Position der Bundesregierung; es geht hier darum, wie sich die Europäische Union aufstellt. Wir haben in großer Geschlossenheit immer wieder auch einen Schritt zugemacht in Richtung London, in Richtung der Bedenkenträger, weil es dort eine absurde Debatte über den sogenannten Backstop gab, über eine Notfalllösung, die in 99 Prozent der Fälle überhaupt nicht eintritt, anstatt dass uns die britische Seite einfach mal sagt, was sie denn will, was sie anstrebt. Aber bislang bekommen wir immer nur gesagt, was alles nicht geht, und das ist eine sehr, sehr deprimierende Situation und macht natürlich das wahrscheinlicher, was niemand will und was vor allem überhaupt nicht im Interesse der Bürgerinnen und Bürger des Vereinigten Königreichs liegt, nämlich ein ungeregelter Brexit.
Konstruktiver und zukunftsweisender Vorschlag muss her
Engels: Das ist eine Option, die immer noch auf dem Tisch liegt. Wir haben auch eine ganze Menge andere Möglichkeiten, die da kommen können. Aber bleiben wir konkret bei einem Szenario, was recht bald auf Brüssel, aber auch auf Berlin zukommen könnte, nämlich die Frage, falls das Unterhaus sich dafür entscheidet, eine Verschiebung des Austrittstermins der Briten anzunehmen – möglicherweise erst mal für zwei bis drei Monate. Wären Sie da dabei?
Roth: Die britische Seite müsste die Europäische Union darum bitten, einmalig noch einmal eine Verlängerung auszusprechen, und dann müsste der Rat, die Staats- und Regierungschefs – das könnte dann am 21. März geschehen – einstimmig eine solche einmalige Verschiebung beschließen – einmalig! Dabei geht es um die Frage, wie lang soll das denn laufen und unter welchen Bedingungen. Bislang ist mir überhaupt nicht klar, was in wenigen Wochen geregelt werden soll, was wir in zwei Jahren nicht hinbekommen haben. Es müsste dann schon mal ein konstruktiver und zukunftsweisender und vielleicht auch mehrheitsfähiger Vorschlag auf den Tisch kommen der britischen Seite, wie sie sich denn das alles vorstellen, und das sehe ich derzeit nicht.
Wir sind weiterhin an einer konstruktiven vernünftigen Lösung interessiert. An uns wird das sicherlich nicht scheitern. Aber wir müssen ja zusammenstehen und wenn es zu einer längeren Verschiebung kommt, über wenige Wochen hinaus oder über den 1. Juli hinaus, dann müsste auch Großbritannien an den Europawahlen teilnehmen, und ob das durchsetzbar ist, da habe ich so meine Zweifel.
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Engels: Ob das durchsetzbar ist, da haben Sie Ihre Zweifel. Aber lehnen Sie es auch politisch ab, wie beispielsweise Manfred Weber von der CSU, der das ja – wir haben es gehört – kategorisch ausschließt, eine Verschiebung über Mai hinaus oder Mai, Juni, Juli hinaus.
Roth: Die britische Seite, wenn sie diese Bitte äußert in Richtung Brüssel und Europäische Union, muss sich über die Konsequenzen im Klaren sein. Wenn es zu einer längerfristigen Verschiebung kommt, dann muss das britische Volk natürlich auch wählen. Wer Mitglied der Europäischen Union ist, darf seinen Bürgerinnen und Bürgern das Wahlrecht natürlich nicht verwehren.
Engels: Graham Watson, der frühere britische Fraktionschef der Europäischen Liberaldemokraten, hat das allerdings nicht ausgeschlossen, dass die Briten beispielsweise es schon organisieren könnten, noch einmal an EU-Parlamentswahlen im Mai teilzunehmen. Die Frage ist hier, möchte das die EU und wie stellt sich Berlin dazu auf. Herr Weber hat sich klar dazu positioniert für die CSU. Was sagt die SPD?
Roth: Wenn man über eine Verschiebung redet von wenigen Wochen, bis Ende Mai oder bis allerspätestens zum 1. Juli – am 2. Juli konstituiert sich das neue Europäische Parlament -, ginge es auch ohne Wahlen. Das ist zumindest unsere Auffassung. Aber wenn man verlängert, dann würde es natürlich auch eine Wahl mit einschließen. Anders kann das doch gar nicht funktionieren.
"Es gibt hier keinen deutschen Weg"
Engels: Das ist richtig. Aber wollen Sie das? Oder schließen Sie das so kategorisch aus wie Herr Weber?
Roth: Ich kann das überhaupt nicht ausschließen. Das hängt natürlich am Ende davon ab, worum uns die britische Regierung bittet, und dann werden wir mit großer Einmütigkeit darüber zu befinden haben. Es gibt hier keinen deutschen Weg und es gibt auch nicht den Weg des Fraktionsvorsitzenden und Spitzenkandidaten der Europäischen Volkspartei. Es gibt hier nur einen gemeinsamen Weg der EU27 und der EU-Institutionen.
Engels: Dann nehmen wir mal einen anderen Blick. Schauen wir nämlich darauf, dass möglicherweise auch die Briten in der Tat nur eine kurze Verlängerung beantragen. Dann kann ja passieren, dass man in zwei, drei Monaten wieder vor der Situation steht, es droht ein harter Brexit, weil es keine Entscheidung gibt. Ist dann in der Tat die EU so hart, überhaupt nicht mehr zu verhandeln?
Roth: Wir sind ja bis an die Grenzen des Erträglichen gegangen. Das ist ja nun schon das wiederholte Mal, dass wir den sogenannten Scheidungsvertrag, den Trennungsvertrag noch einmal präzisiert haben, um auf die Bedenken, Sorgen und kritischen Fragen aus Großbritannien einzugehen. Wir haben als Europäische Union nur zwei Kernbedingungen, die erfüllt werden müssen. Das eine ist die Integrität des Binnenmarktes und der zweite Punkt ist, es darf keine neue Grenze geben zwischen Irland und zwischen Nordirland. In allen anderen Fragen sind wir gesprächsbereit und wir sind sehr weit zugegangen. Aber es kann dieses schwarze Peter Spiel nicht weitergehen, dass einige Zyniker in Großbritannien meinen, sie könnten der Europäischen Union die Schuld in die Schuhe schieben. Wir sind sehr flexibel, wir sind sehr offen und wir sind gesprächsbereit. Das ist ja auch deutlich geworden in den letzten Tagen. Nicht zuletzt hat sich ja noch mal Kommissionspräsident Juncker mit Frau May getroffen. Aber wir bekommen keine vernünftige Antwort, was die britische Seite eigentlich will. Bislang hören wir immer nur, was alles nicht möglich ist.
Lieber mit Zukunftsfragen der EU beschäftigen
Engels: Sind Sie denn zu einer längerfristigen Verschiebung des Austrittstermins bereit, wenn dafür die Weichenstellung angekündigt wird in London, jawohl, es gibt ein zweites Referendum zu dieser Frage?
Roth: Das werden wir dann gemeinsam zu diskutieren haben, wenn sich denn die britische Seite zu einem solchen Entschluss durchringen sollte, wenn sie nämlich sagt, die britische Regierung bekommt jetzt nichts mehr durch, das britische Parlament ist handlungsunfähig und wir geben diese Entscheidung zurück in die Hände der britischen Wählerinnen und Wähler. Das muss aber in Großbritannien entschieden werden. Noch einmal: Die EU hat sich in den vergangenen Monaten und Jahren sehr, sehr verantwortungsbewusst mit dieser schwierigen Frage auseinandergesetzt. Ich würde mich auch lieber mit Zukunftsfragen der Europäischen Union beschäftigen. Hier haben hunderte von Kolleginnen und Kollegen in vielen Ministerien in allen Mitgliedsstaaten sehr viel Zeit, Kraft und Kreativität investiert und wir bekommen immer nur gesagt, dass das alles, was wir ausverhandelt haben, nicht geht. Und wir sind jetzt auch an einem Punkt, wo man der EU sicherlich nicht vorwerfen wird, sie ist hartherzig, sie ist dogmatisch oder sie geht ideologisch an diese Frage heran. Wer redet eigentlich in diesen Tagen von den Bürgerinnen und Bürgern in Großbritannien? Die werden die Zeche zu zahlen haben und die werden die Suppe auszulöffeln haben, die einige Zyniker, die rhetorisch brillant irgendwelchen Unsinn erzählen, ihnen eingebrockt haben.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.