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Brexit
Frage nach zweitem Referendum am Beispiel Schweizer Volksentscheide

Kommt ein erneutes Brexit-Referendum? Und welches Ergebnis bzw. welche Konsequenzen würde es bringen? In der Schweiz sind Volksabstimmungen an der politischen Tagesordnung. Das Land weiß also, wie man mit schwierigen Ergebnissen umgeht.

Von Dietrich Karl Mäurer | 27.09.2018
    Das Beamtentum war in der Schweiz nie stark verankert.
    Der Zürcher Politologe Thomas Widmer betont, dass Volksentscheide in der Schweiz Rechtsgrundlagen unmittelbar verändern. (Deutschlandradio / ARD)
    Im Schweizer System der direkten Demokratie kann jeder Bürger darüber mitentscheiden, wie Staat, Kantone und Gemeinden organisiert werden. Viermal im Jahr wird abgestimmt, etwa über den Bau eines neuen Stadions, über die Energieversorgung im Kanton oder über die Ausgestaltung der staatlichen Altersversorgung. Natürlich ist nicht jeder mit den Ergebnissen einverstanden und doch - so sagt der Politologe Thomas Widmer von der Universität Zürich - wird der Ausgang einer Volksabstimmung in der Regel akzeptiert:
    "Der Volkswille hat einen sehr hohen Stellenwert in der schweizerischen politischen Debatte. Also, das ist ein wichtiger Wert, und es ist wenig akzeptiert und findet keinen Anklang in der Bevölkerung, wenn Volksentscheide in Frage gestellt werden."
    Und dennoch sorgen gerade knappe Abstimmungsergebnisse für Diskussionen. Gerade dann wird überlegt, wie der unterlegenen Minderheit in einem gewissen Grade entgegengekommen werden kann. Thomas Widmer:
    "Es gibt keine gesetzlichen Vorschriften dazu, aber entspricht der schweizerischen politischen Kultur, dass man konsensorientiert vorgeht und versucht, auch eben Minderheiten entsprechend deren Anliegen zu berücksichtigen und bei der Umsetzung, beim Vollzug beispielsweise von Rechtssätzen dann auch das entsprechend einfließen zu lassen."
    Das schwierige Thema Zuwanderung
    Mitunter bereitet ein Abstimmungsergebnis Regierung und Parlament, die für die Umsetzung der Volksinitiativen zuständig sind, enormes Kopfzerbrechen. So war das 2014, als eine Mehrheit der Schweizer sich dafür aussprach, die Zuwanderung von Ausländern zu begrenzen. Das Votum stand im Widerspruch zu bestehenden Staatsverträgen mit der EU, die z. B. die Personenfreizügigkeit regeln und die viele Schweizer nicht aufs Spiel setzen wollten. Die nach langem Zerren gefundene Lösung sorgte nicht für ein Ende der Debatte - erklärt der Politikwissenschaftler Thomas Widmer:
    "Die Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative war ein sehr schwieriges Geschäft. Da hat sich das Parlament sehr schwer getan, hat nun eine Regelung gefunden, die etwas in die Richtung der Initianten geht. Aber die Initianten sind der Auffassung, dass der Initiative nicht Genüge getan ist. Und sie haben deswegen auch eine Folgeinitiative lanciert, um dann auch die Durchsetzung der Inhalte der Masseneinwanderung realisieren zu können."
    Mehrere Abstimmungen zu einem Thema
    Zusätzlich zur Möglichkeit, ein ausgearbeitetes Gesetz per Referendum abzulehnen, gibt es in der Schweiz also durchaus die Möglichkeit, mehrfach über den gleichen Sachverhalt abzustimmen. So geschehen bei der Frage eines UNO-Beitritts: 1986 stimmte das Volk mit Nein, wie damals das Westschweizer Fernsehen berichtete: "Drei von vier Schweizern lehnten heute den Bundesbeschluss über den Beitritt zu den Vereinten Nationen ab." Sechzehn Jahre später, 2002, gab es zur gleichen Frage ein Ja:
    "Heute nach einer langen und intensiven Kampagne ist die Wende bei dieser wichtigen außenpolitischen Frage geschafft. Eine wenn auch knappe Mehrheit der Stände und eine klarere Mehrheit der Stimmenden steht hinter der Mitgliedschaft der Vereinten Nationen."
    Allerdings ist eine solche mehrfache Abstimmung zum selben Sachverhalt nicht der Regelfall. Und - darauf macht der Züricher Politologe Thomas Widmer aufmerksam - gibt es zwischen dem Brexit-Votum der Briten und den Volksabstimmungen in der Schweiz einen grundlegenden Unterschied:
    "Die Brexit-Abstimmung im United Kingdom war eine Abstimmung, die keine Verbindlichkeit hat für die Regierung und für das Parlament. In der Schweiz ist das anders. In der Schweiz werden Volksentscheide getroffen, die direkt dann Rechtsgrundlagen verändern, entweder Verfassungsänderungen hervorrufen oder auch Gesetzesänderungen."