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Brexit und die Folgen
Der Druck auf die Wirtschaft ist hoch

Der Brexit kommt – wenn er kommt – frühestens in zwei Jahren; die neue britische Premierministerin Theresa May will den Austritt aus der EU nicht vor 2017 beantragen. Noch ist also eigentlich nichts passiert. Aber in der britischen Wirtschaft hat sich die Stimmung bereits massiv verschlechtert.

Von Sandra Pfister | 26.07.2016
    Zwei Arbeiter in der britischen Stahlfirma "Forgemasters International Ltd". in Sheffield.
    Nicht nur Gastronomen und Bauern in Großbritannien befürchten, dass ihnen osteuropäische Arbeitskräfte fehlen werden, wenn es zum Brexit kommt, sondern auch viele Industriebetriebe. (AFP / OLI SCARFF)
    Sunderland im Nordosten Englands. Sunderland war die erste von elf Regionen, bei der nach dem Referendum klar war: Eine überwältigende Mehrheit hat für "Leave" gestimmt, 61,3 Prozent. Seither pilgern die hierher, die verstehen wollen, warum. Und vor allem: Wie es weiter geht, vor allem ökonomisch. Der Hafen von Sunderland zeigt noch die Überreste des reichen industriellen Erbes der Stadt. In Sunderland wurden früher Schiffe gebaut; Schiffe, die auf allen Weltmeeren unterwegs waren. Die Schiffsbauer haben längst dicht gemacht, aber auf ihren Überresten hat sich eine neue Industrie angesiedelt: die Automobilindustrie. Nissan ist hier, seit 30 Jahren, die Fabrik hier beschäftigt 7.000 Menschen, wenn man die Zulieferer dazurechnet, hängen von Nissan mehr als 10.000 Jobs ab.
    Sunderland ist inzwischen die Region mit dem größten Handelsüberschuss in England. Trotzdem haben viele das Gefühl, dass der wirtschaftliche Wohlstand sie nicht erreicht hat. Und jetzt müssen sie hoffen, dass Nissan nicht auch noch geht. James Ramsbotham von der Britischen Industrie und Handelskammer Nord-Ost:
    "Nissan wird jetzt hier nicht weggehen. Das ist eine der effizientesten Autofabriken weltweit. Aber ich denke, sie werden Sorgen haben, dass sie jetzt extra hart daran arbeiten müssen, dass neue Modelle in Zukunft hier hergestellt werden, und wir müssen mit ihnen daran arbeiten, dass diese Fabrik langfristig hier eine Zukunft hat."
    Denn das ist noch längst nicht ausgemacht. Nissan hält sich bedeckt, aber die Firma exportiert 70 Prozent ihrer Autos aus England in die EU. Die Hälfte aller Güter aus dem Nordosten geht nach Europa. Weil so viele Jobs von der EU abhängen, wirkt es unlogisch, dass die Leave-Kampagne hier so viele Stimmen gefangen hat. Die Gründe dafür sind jedoch letztlich auch ökonomisch: Viele haben Angst, dass Ausländer ihnen die Jobs wegnehmen könnten.
    "Viele Ausländer. Zu viele Fremde hier, auch in unseren Firmen."
    Doch gerade der Austritt aus der EU könnte nun viele Jobs kosten – auch hier. Das zeigt sich im Herzen von Sunderland; in der Nähe eines hübschen alten Gewächshauses, den sogenannten "Winter gardens", liegt das "Sunderland Software Centre". Finanziert von EU-Mitteln, beherbergt das Gebäude einige der renommierten Technologiefirmen der Stadt. Adam Hill arbeitet hier für das Startup "Consult and Design".
    "Wir haben noch keinen Auftrag verloren, aber wenn wir die EU verlassen, werden unsere Verträge mit europäischen Auftraggebern nicht erneuert, wir wissen das schon, da wird sich viel verändern. Aus der Business Perspektive ist das sehr enttäuschend."
    Doch längst nicht alle sehen das so. In einer Region, die so mit Europa verflochten ist, haben sogar viele Unternehmer mit Out gestimmt. Stephen McDowell ist einer von ihnen, Direktor des mittelständischen Unternehmens "Crabtree Press"; die Firma produziert Maschinen, die Metall bedrucken können, zum Beispiel Keksdosen.
    "Es war eine gute Gelegenheit, jetzt rauszugehen, sonst gewinnen andere Wirtschaftsregionen, die mehr wagen, die sich mehr reinhängen. Wir sollten versuchen, mit anderen Teilen der Welt mehr Handel zu treiben."
    Das ist keine Einzelstimme. Obwohl die große Mehrzahl der Unternehmerverbände und viele Firmen aus allen Segmenten klar gegen den Brexit Stellung bezogen haben, gibt es einzelne, die ihn sogar stürmisch begrüßen. Vorwiegend sind das Firmen, die ein sehr teures Premiumsegment bedienen und wenig Konkurrenz haben, stellvertretend dafür: Will Butler-Adams, Chef der Firma Brompton Bicyles, dessen 250 Mitarbeiter in London edle Klappfahrräder herstellen.
    "Das ist kein Desaster, wir verkaufen nach China, nach Indonesien, nach Singapur. Ich meine, Europa ist einfach, da hat sich nichts geändert, wenn überhaupt, dann müssen wir diese Gelegenheit ergreifen und etwas daraus machen, und positiv sein."
    "… viel stärker sind die getroffen, die in einem härteren Wettbewerb sind"
    James Dyson, Erfinder des beutellosen Staubsaugers oder des Airblade-Handtrockners, wird mit ähnlichen Worten zitiert. Ulrich Hoppe, Leiter der britisch-deutschen Industrie- und Handelskammer in London, glaubt ohne weiteres, dass Dyson keine wirtschaftlichen Nachteile zu befürchten habe.
    "Das ist ein bisschen die Psyche auch, er fühlt sich sehr britisch etc, hat 'ne tolle Erfindung gemacht, marketingtechnisch, dann glaubt er an sich selber, dann glaubt er an sein Land, sind alles die Größten und die Besten, ist natürlich auch 'ne tolle Erfindung, gar keine Frage; der operiert aber auch in einem Segment, wo er so einen Premiumpreis bekommen kann. Also von daher ist der nicht so betroffen, viel stärker sind die getroffen, die in einem härteren Wettbewerb sind, weil das geht sofort auf die Kosten, auf den Preis und auf die Wettbewerbsfähigkeit."
    In einem härteren Wettbewerb aber stehen die meisten anderen britischen Firmen. Zwar dürfte es mindestens noch zwei Jahre dauern, bis es tatsächlich zum Brexit kommt. Aber die Stimmung hat sich schon jetzt gedreht. Das Verbrauchervertrauen ist laut der jüngsten Befragung abgesackt. Die Ratingagentur Standard & Poors hat die Kreditwürdigkeit des Vereinigten Königreichs herabgestuft, und der Internationale Währungsfonds hat seine Wachstumsprognose für das Land im kommenden Jahr gerade erst drastisch gekürzt, um fast einen Prozentpunkt. Dennoch halten sich viele Konzerne erst einmal bedeckt. Ulrich Hoppe von der British-German Chamber of Commerce:
    "Viele Unternehmen äußern sich jetzt erst mal nicht, weil die Regierung jetzt erst mal mit einem Plan ankommen muss. Solange kein Plan da ist, will man auch erst mal nicht die Pferde scheu machen. Aber jedes Unternehmen macht jetzt auch ein Szenario Planning und schaut, wenn das jetzt schwierig wird mit dem Marktzugang und dem Anwerben von Talenten, dass man gewisse Sachen, wo man hier investiert hätte, unter Umständen woanders investiert."
    Das bestätigt auch das Institute of Directors, eine Lobbyorganisation, der 35.000 Geschäftsführer und Manager angehören. Eine Umfrage unter seinen Mitgliedern hat ergeben, dass jeder fünfte Wirtschaftsboss in Großbritannien überlegt, einen Teil seiner Geschäfte aus dem Land abzuziehen. Simon Walker vom Institute of Directors: "Ich denke, dass Entscheidungen, ob man in ein Geschäft investiert oder Jobs schafft, dass die so lange aufgeschoben werden, bis Stabilität und Klarheit herrscht. Also wird es eine Weile dauern, bis die Dinge wieder normal verlaufen."
    Fünf Prozent der Betriebe gaben an, sie würden jetzt direkt Leute entlassen; ein Viertel sagte, sie hätten eigentlich Leute einstellen wollen, würden das aber jetzt bis auf weiteres verschieben. Der erste große Unternehmer, der öffentlich darüber geredet hat, wie das Brexit-Votum seinem Unternehmen jetzt schon schade, ist Sir Richard Branson, Gründer der Virgin Group, die mit Musik, Mobilfunk oder auch Luftfahrt Geld verdient. Er sagt, ihm sei durch den drohenden Brexit ein großes Geschäft geplatzt:
    "Ich vermute, wir haben ein Drittel unseres Wertes verloren, was für alle unsere Angestellten grauenvoll ist. Wir waren dabei, einen sehr großen Deal abzuschließen, wir haben ihn abgeblasen, er hätte 3.000 Jobs geschaffen, und in so einen Schlamassel geraten gerade viele in diesem Land.
    Eine der Branchen, die allen Prognosen zufolge ebenfalls tief in solch einem Schlamassel landen könnte, ist der Bankensektor – die Cash Cow Londons, Londons Geldmaschine. Ulrich Hoppe: "Das wird sich keine Regierung, das wird sich die EU nicht leisten können, dass sehr viel Finanzdienstleistungen aus einem Land importiert werden, das nicht der Bankenregulation unterliegt (...) und deswegen ist der Finanzdienstleistungssektor ganz massiv betroffen."
    Blick auf Londons Finanzdistrikt mit den Bankentürmen von unter anderem HSBC, Citigroup, JPMorgan Chase, Barclays.
    Blick auf Londons Finanzdistrikt mit den Bankentürmen von unter anderem HSBC, Citigroup, JPMorgan Chase, Barclays. (AFP)
    Ein Schrumpfen der Banken könnte London teuer zu stehen kommen. Die Banken erwirtschaften zwölf Prozent der Steuereinnahmen des Landes. Allein in der City of London arbeiten 400.000 Angestellte im Bankgeschäft. Die US-Bank JP Morgan hat verlauten lassen, bei ihr stünden bis zu 4.000 Jobs auf dem Spiel. Die britische Bank HSBC hat erst angekündigt, 1.000 Jobs aus der City nach Frankreich zu verlagern; inzwischen ist sie aber wieder zurückgerudert. Dazu Jonathan McGlory, Berater in der City of London.
    "Ich kann mir nicht einen einzigen internationalen Unternehmenschef vorstellen, der gerade auch nur einen einzigen Penny in London investieren will, bevor man nicht weiß, wie genau die Beziehungen zwischen dem Vereinigten Königreich und London einerseits und der EU andererseits aussehen werden."
    Unter der Hand sagen viele Banker, dass sie damit rechnen, dass jetzt in London Personal abgebaut werde. Aber die großen Banken bestätigen das nicht - zumindest nicht offiziell. Ulrich Hoppe:
    "Die Deutsche Bank hat natürlich das deutsche Geschäft in weiten Teilen aus Deutschland gemacht. Natürlich sind Teile des Investmentbanking auch aus London heraus, aber die Deutsche Bank muss sich ja eh neu fokussieren, von daher kann man da kaum Aussagen treffen, ob da jetzt irgendwas zurückverlegt wird oder ob das dann eigentlich nur ein Teil der Refokussierung ist oder aufgrund der EU. Da würde ich mal sagen, vorwiegend sind es die Auslandsbanken aus Nicht-EU-Ländern, die da betroffen sind."
    Die Angst vor dem "Brain Drain"
    Selbst, wenn die Banken durch Sonderabkommen mit der EU nahezu ungestört weiterarbeiten könnten: Ohne Arbeitnehmerfreizügigkeit rechnen viele von ihnen mit einem "Brain Drain": Fachleute, Spezialisten dürften dann das Land verlassen. Das könnte die Banken in der City deutlich schwächen, befürchtet Jeffrey Mountevans, Lord Mayor der City of London, der Bürgermeister der City of London, die unabhängig vom Rest Londons regiert wird.
    "Wir brauchen Zugang zu europäischen Arbeitskräften. Etwa zehn Prozent der Arbeitskräfte in der City sind EU-Bürger. Viele von denen sind in Führungspositionen. Sie spielen eine ausschlaggebende Rolle beim Erfolg von Großbritanniens wichtigstem Wirtschaftszweig."
    Fachkräftemangel wird auch für deutsche Firmen zu einem existenziellen Problem, befürchtet Ulrich Hoppe; denn falls die drei Millionen EU-Ausländer, die derzeit im Vereinigten Königreich leben, gehen müssten, fehle bald überdurchschnittlich qualifiziertes Personal.
    "Ob man die so schnell mit lokalen Arbeitskräften ersetzen kann, ist zu bezweifeln, denn die hat man ja vorher auch nicht hier gefunden, um das zu machen. Das wäre dann schon auch ein Verlust, im Endeffekt, an Wirtschaftskraft (für die Bürger hier) und ein Rückschritt wirtschaftlich. Denn die Arbeitslosigkeit liegt ja im Moment so bei fünf Prozent; das wird man nicht auffüllen können, wenn da jetzt Lücken entstehen."
    Dass Lücken entstehen werden bereitet auch britischen Unternehmen Sorgen. Nicht nur Gastronomen und Bauern befürchten, dass ihnen osteuropäische Arbeitskräfte fehlen werden, wenn es zum Brexit kommt, sondern auch viele Industriebetriebe: Sie klagen, es würden einfach zu wenig Facharbeiter ausgebildet. Die deutsche Betriebswirtin Bele Weiß, die vor 22 Jahren zunächst als Software-Beraterin nach England gegangen ist, versucht vorzusorgen. Sie betreibt seit vielen Jahren an verschiedenen Standorten am Themse-Ufer die sehr erfolgreichen Biergärten "Stein's". Bratwurst, Weißbier, Wein und Semmel – das Geschäft läuft gut. Ihr Personal rekrutiert sie allerdings nahezu vollständig unter Osteuropäern. Die Briten würden sich um diese Jobs nicht reißen, sagt sie.
    "Zunächst mal wollen wir sicherstellen, dass möglichst viele von unseren Angestellten, die alle irgendwo aus der EU stammen, bleiben dürfen, wenn sie das wollen. Deswegen haben wir jetzt das Formular runtergeladen, um permanent residency zu beantragen, was eine Vorstufe ist, um einen britischen Pass zu kriegen und haben dadurch ein bisschen mehr Sicherheit, was in zwei Jahren passieren könnte."
    Briten protestieren gegen den Brexit
    Briten protestieren gegen den Brexit (picture alliance / dpa / Sean Dempsey)
    Sollte Großbritannien allerdings tatsächlich aus der EU austreten, würde sich ihr Geschäft irgendwann wohl nicht mehr lohnen, fürchtet sie.
    "Von der Nachfrageseite her nicht, aber dadurch, dass wir alles importieren und in Euro bezahlen müssen, sind natürlich über Nacht unsere Würstchen und unser Bier teurer geworden. Wir können das noch dadurch, dass wir 'ne gute Marge haben, einigermaßen abfangen, aber wenn es schlimmer wird, dann wird es sicherlich ein Problem für uns. Und noch schlimmer wäre es eben, wenn wirklich Zölle oder sonstige technische Hindernisse eingebaut würden. Denn im Moment dauert es vier Tage, unsere Würstchen einzuführen, und mit dem Wein, auf den ich Alkoholsteuer bezahlen muss, dauert es jedes Mal vier Wochen. Und die Würstchen halten keine vier Wochen."
    Das Stein's ist ein kleiner Betrieb, doch bei den diversen Mittelständlern zeigt sich im Kleinformat, welche seismischen Erschütterungen die britische Wirtschaft gerade spürt. Zahlen, Daten und handfeste Beweise liegen noch nicht vor, Indizien aber gibt es. Bei der Job-Suchmaschine Azuna sind normalerweise eine Million Jobs gelistet. Eine Woche nach der Brexit-Entscheidung wurde dort bereits ein Drittel weniger neue Stellen angeboten als noch in der ersten Juni-Woche. Unternehmen scheinen also beim Anheuern neuer Mitarbeiter bereits vorsichtiger zu werden. Oder sie entlassen sogar. Wenn die Suchmaschine "Google" als ein Frühindikator taugt, als kleines Guckloch auf den allgemeinen Zustand des Arbeitsmarkts, so wie das die Bank of England 2011 schon einmal durchexerziert hat, dann verheißt das Ergebnis nichts Gutes:
    Bei Google haben Briten seit dem Referendum den Begriff "jobseeker", "arbeitssuchend", um 50 Prozent häufiger eingegeben als im Monat vor dem Brexit. Auch die Nachfrage nach Immobilien nimmt bereits ab, Bauaufträge werden auf die lange Bank geschoben. Bereits in den vergangenen Monaten war die Stimmung auf dem Immobilienmarkt eher getrübt. Nach dem Brexit-Votum im Juni wurde sie düsterer: 36 Prozent der von der Royal Institution of Chartered Surveyors Befragten meldeten eine sinkende Nachfrage. Ex-Schatzkanzler George Osborne hatte prognostiziert, der Wert von Häusern und Immobilien werde sinken, wenn die Briten die EU verlassen. Er scheint in Teilen recht zu behalten. Fast 60 Prozent der Makler in London gaben nach dem Referendum an, ihre Nachfrage sei gesunken – und sie rechneten damit, dass auch die Preise deutlich fallen. Was sich für potenzielle Hauskäufer aus der Mittelschicht gut anhört, ist für den Klempner Jörg Schäfer eine schlechte Nachricht. Er war im reichen Londoner Westen bislang ein gut beschäftigter Handwerker gewesen.
    "Ein Großauftrag ist in der Schwebe; sieht so aus, dass er wahrscheinlich storniert wird. Mein Kundenkreis sind viele EU-Bürger, die hier sind, Banker, Immobilienhändler, wo ich befürchten muss, dass mir die Kunden ausgehen, weil sie das Land verlassen müssen."
    Deutsche Firmen zeigen sich bislang wenig beunruhigt
    Doch Unruhe ist schlecht fürs Geschäft – und Zuversicht die Hauptzutat für Erfolg. Deshalb folgen die meisten britischen Konzerne und auch die deutschen Niederlassungen im Vereinigten Königreich der Durchhalteparole aus dem Zweiten Weltkrieg: Keep calm and carry on – "ruhig bleiben und weitermachen". Siemens-Vorstand Joe Kaeser, der vorher mit Nachdruck vor einem Brexit gewarnt hatte, erschien vergangene Woche vor dem britischen Unterhaus und gab eine Liebeserklärung an Großbritannien ab. Er garantierte auch, Siemens werde im Königreich bleiben. Eine Selbstverpflichtung, die bei Ulrich Hoppe von der British-German Chamber of Commerce allerdings auch Skepsis hervorruft:
    "Firmen wie Siemens und BMW, die hier auch produzieren, deren Wertschöpfungsketten über dieses Land hinaus gehen, die sind natürlich schon betroffen, die fragen sich natürlich auch: Wie weit kann man zukünftig diesen Standort nutzen, um von hier in andere EU-Länder zu exportieren, wenn die EU dann plötzlich auch warenverkehrstechnisch Ausland ist. Die bleiben hier, um den Markt zu bedienen, aber inwieweit weitere Investitionen die frühere Globalität des Marktes aufrecht erhalten, bleibt abzuwarten, und dadurch herrscht natürlich sehr viel Unsicherheit."
    Auch die Automobilindustrie auf der Insel verbreitet erst einmal Durchhalteparolen. BMW hatte für einen Verbleib in der EU geworben und will jetzt eigenen Angaben zufolge abwarten. Aston Martin und Rolls Royce geben sich ebenfalls zurückhaltend. Nur der größte britische Automobilhersteller Jaguar Landrover ließ verlauten, nichts werde sich über Nacht ändern, aber in ein paar Jahren könne der Brexit für das Unternehmen jedes Jahr umgerechnet mehr als eine Milliarde Euro Verlust bewirken. Jeder zwölfte Mitarbeiter der britischen Autobauer kommt aus dem EU-Raum. Deshalb werde es das größte Problem sein, qualifizierte Mitarbeiter aus dem Vereinigten Königreich zu bekommen. Die Regierung hat zwar schon angekündigt, etwaige Standortnachteile für britische Unternehmen durch Steuererleichterungen zu kompensieren. Doch das könnte womöglich wenig nutzen. Denn Großbritannien, einst die Wiege der modernen Industriegesellschaft, ist heute ein Land mit einem extrem geschrumpften Industriesektor. Nach dem Brexit, fürchten viele, könnte das Land vielleicht noch mehr billige Callcenter, insgesamt aber noch weniger Industrie haben. Firmen in Deutschland reagieren bislang eher gelassen auf das Brexit-Votum der Briten. Die gestrige Umfrage des ifo-Instituts zum Geschäftsklima zeigt, dass deutsche Firmen das Gefühl haben, sie könnten die Brexit-Entscheidung wegstecken.