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Brexit und die Folgen
Tausende Briten in Andalusien zittern vor dem Rausschmiss

In keinem anderen Land außerhalb Großbritanniens leben so viele Briten wie in Spanien. Rund 300.000 sind offiziell gemeldet. Viele von ihnen sorgen sich nun um ihre Zukunft: Verlieren sie durch den Brexit ihre Rechte als EU-Bürger?

Von Oliver Neuroth | 01.04.2017
    Kath Emerton (von links nach rechts), "Brexpat"-Sprecherin Anne Hernández, Victoria Westhead, Sarah Hawes und Glyn Emerton debattieren in Mijas, Spanien, über die Zukunft. Sie fürchten, dass sie wegen des Brexit das Land verlassen müssen.
    Kath Emerton (von links nach rechts), "Brexpat"-Sprecherin Anne Hernández, Victoria Westhead, Sarah Hawes und Glyn Emerton debattieren in Mijas, Spanien, über die Zukunft. Sie fürchten, dass sie wegen des Brexit das Land verlassen müssen. (picture alliance / Emilio Rappold/dpa)
    Teatime im Stammcafé von Glyn und Kath. Doch auf dem Tisch der britischen Rentner steht kein Tee – die beiden trinken lieber starken spanischen Kaffee. Sowieso fühlen sie sich kaum mehr wie Engländer, erzählt Glyn. Seine Frau und er leben seit zehn Jahren in der Stadt Mijas in Andalusien, haben hier eine kleine Eigentumswohnung.
    "Wir lieben die entspannte Atmosphäre, das Leben unter freiem Himmel. Wir fühlen uns willkommen und wollen hier bleiben."
    Doch ob das nach dem Brexit noch möglich ist? Niemand kann es den beiden genau sagen. Kath macht sich vor allem Gedanken über die Gesundheitsversorgung. Kann das bisherige System bestehen bleiben? Im Moment zahlt der britische Staat für jeden Briten, der eine spanische Aufenthaltsgenehmigung hat, pro Jahr eine feste Summe an Spanien – quasi als Beitrag für die staatliche spanische Krankenversicherung.
    Gesundheitsversorgung für Senioren in Gefahr
    "Wenn Großbritannien künftig nicht mehr zahlt, würde das spanische Gesundheitssystem uns nicht mehr mitversorgen. Davor haben wir wirklich Angst. Alles andere wird schon irgendwie funktionieren, aber die Gesundheitsversorgung bleibt unsere größte Sorge."
    So geht es fast allen britischen Rentnern an der andalusischen Mittelmeerküste, erzählt Anne Hernandez. Sie ist die Präsidentin der Organisation "Brexpats", die Briten in Spanien mit Informationen zum Brexit versorgt.
    "Wer über 70 ist oder eine Vorerkrankung hat, wird von keiner privaten Krankenkasse aufgenommen. Je älter man wird, umso wichtigster wird das Gesundheitssystem. Wir wissen nicht, was nun passiert. Eine wirklich schreckliche Situation."
    Die Stadt Mijas versucht, den besorgten Briten zu helfen. Zwar kann sie ihnen keine Gesundheitsversorgung zusichern – doch Bürgermeister Juan Carlos Maldonado verspricht, sich bei zu den zuständigen staatlichen Stellen für sie einzusetzen. Denn Mijas ist die Stadt in Spanien mit der größten Dichte an Briten.
    "Das ist eine sehr wichtige Gemeinschaft. Mijas hat 80.000 Einwohner, etwa 11.000 davon kommen aus Großbritannien – also ein wesentlicher, bedeutender Anteil. Außerdem lebt Mijas vom Tourismus. Viele Menschen aus Großbritannien kommen hierher und besuchen zum Beispiel ihre Freunde. Das ist ein Wirtschaftsfaktor für uns und sichert Arbeitsplätze."
    "Brexpats" wollen in Spanien bleiben
    Auch deshalb will der Bürgermeister nicht, dass Briten wegen der Brexit-Ängste Mijas verlassen und zurück in ihre Heimat gehen. Doch im Moment denkt darüber kaum jemand ernsthaft nach, sagt Anne von der "Brexpats"-Initiative.
    "Viele Briten haben nichts mehr in Großbritannien. Ihr Haus ist verkauft, ihre Kinder sind vielleicht auch nach Spanien ausgewandert, ihre Familie ist ebenfalls in Spanien. Viele haben auch keine Geschwister auf der Insel. Sie wohnen seit langem in Spanien – ihr Leben ist hier!"
    Anne und ihre Kollegen von "Brexpats" fahren regelmäßig in die Orte Andalusiens, in denen besonders viele Briten leben und veranstalten Info-Abende. Immer mehr Briten schließen sich der Organisation an; die Facebook-Gruppe hat inzwischen gut 3500 Mitglieder. Konkrete Tipps, wie sie sich auf den Brexit vorbereiten können, hat Anne bisher nicht parat – schließlich weiß noch niemand, welche Auswirkungen der Brexit konkret haben wird. Doch eines ist für Anne schon klar: Briten, die in Spanien bleiben wollen, sollten sich gut integrieren.
    "Geht nicht mehr nur in britische Bars. Klar, wer älter ist, hat damit vielleicht Probleme – man fühlt sich wohl mit dem, was man kennt. Aber Spanier sind sehr offen, akzeptieren Fremde, legen großen Wert auf die Familie. Es ist schön, mal in ein spanisches Restaurant zu gehen und nicht immer nur Fish & Chips zu essen."
    Für die Kundschaft der "Jolly Pirate Bar" in Benalmádena, einem Nachbarort von Mijas, kommt das nicht in Frage. Auf der Terrasse sitzen ausgewanderte Engländer und genießen die Frühlingssonne Andalusiens – mit britischem Bier und Zeitungen auf Englisch. Der Brexit sei kein Thema, sagen sie – allerdings nicht ins Mikrofon. Kellnerin Maria dagegen schon. Sie lebt seit zwei Jahren an der spanischen Mittelmeerküste
    "Ich denke nicht über den Brexit nach. Seitdem ich meine Aufenthaltsgenehmigung habe, fühle ich mich hier sicher. Der Brexit wird hier nicht viel verändern. Hoffentlich. Ich habe keine Pläne, nach England zurückzukehren, ich bleibe hier in Spanien."
    "Sie warten ab, was passiert"
    Marias Kollegin Donna macht sich dagegen ein paar mehr Gedanken. Sie lebt seit 16 Jahren in Andalusien. Donna sagt, dass inzwischen weniger britische Touristen in den Badeort kommen. Auch wenn offizielle Statistiken etwas anderes sagen. Dort heißt es, so viele britische Urlauber wie nie seien im vergangenen Jahr in Spanien gewesen. Donna hat auch den Eindruck, dass die Zahl der Briten abnimmt, die dauerhaft in Benalmádena leben.
    Ist die Sorge vor den Brexit-Konsequenzen bei einigen Briten also jetzt schon so groß, dass sie vorsichtshalber zurück in die Heimat gehen? Leslie sieht das nicht so. Sie ist Immobilienmaklerin und hat ein Büro in Benalmádena. In ihrem Schaufenster hängen zwar viele Angebote für Häuser und Wohnungen, einige auch stark reduziert – aber nach ihren Worten gibt es bisher keinen Trend, dass Briten ihre Immobilien abstoßen wollen.
    "In dieser Stadt leben hauptsächlich britische Rentner. Die meisten besitzen keine Immobilie, sie sind Mieter. Ich beobachte, dass sie sich kleinere Wohnungen suchen. Denn jeder ist hier etwas nervös und hat Zukunftssorgen. Außerdem ist der Kurs des britischen Pfunds seit längerem nicht gerade vorteilhaft für uns hier im Euro-Raum. Darum wollen viele ihre monatlichen Kosten herunterfahren. Aber sie verlassen nicht gleich das Land, sie warten ab und sehen, was passiert."
    So sieht auch die Strategie von Glynn und Kath aus Mijas aus. Abwarten und Tee trinken – beziehungsweisen starken spanischen Kaffee. Das britische Rentnerpaar versucht sich Stück für Stück in Spanien zu integrieren – besucht einen Spanisch-Kurs, um die Sprache besser zu lernen. Eine Option wäre für die beiden auch, die spanische Staatsangehörigkeit zu beantragen.
    Kath kann sich unter keinen Umständen vorstellen, in ihre Heimatstadt Luton in der Nähe von London zurückzukehren. Glynn sagt: Zwar seien die beiden frustriert und besorgt mit Blick auf mögliche Brexit-Konsequenzen – aber dennoch voller Hoffnung.