Dienstag, 14. Mai 2024

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Brexit-Verhandlungen
Binnenmarktgesetz "verstößt gegen das Austrittsabkommen"

Das geplante Binnenmarktgesetz der britischen Regierung ist umstritten. Es verstoße gegen das internationale Recht, sagte EU-Parlamentarier David McAllister (CDU) im Dlf. Das UK Internal Market Bill habe die Verhandlungen erheblich belastet. Man komme in der Sache nicht voran.

David McAllister im Gespräch mit Tobis Armbrüster | 29.09.2020
EU-Parlamentarier David McAllister bei einer Pressekonferenz im APril 2020
Brexit-Verhandlungen: "Die Stimmung ist recht ordentlich, aber in der Sache kommen wir nicht weiter, weil die britische Seite nicht die notwendige Flexibilität zeigt" sagte David McAllister im Dlf (AFP / François Walschaerts)
Es ist die insgesamt neunte Runde - die Unterhändler in Brüssel verhandeln erneut über einen Handelspakt nach dem Brexit. Doch die Uhr tickt - für Großbritannien und die Europäische Union. Es bleiben nur noch wenige Wochen Zeit, um einen Vertrag für die Zeit ab dem 1. Januar 2021 abzuschließen. Denn das ist der Stichtag, an dem Großbritannien den Binnenmarkt und die Zollunion endgültig verlassen wird.
EU-Vertreter sehen die Gesetzespläne als Vertragsbruch an
Für Streit sorgen derzeit britische Gesetzespläne, die den bereits gültigen Brexit-Vertrag zum Teil aushebeln sollen. Das Unterhaus in London soll darüber am Abend abstimmen. Viele EU-Vertreter sehen die Gesetzespläne als Vertragsbruch an.
Großbritannien, London: Die Fahnen der EU (oben) und von Großbritannien wehen vor dem Parlament in Westminster
Warum das geplante britische Binnenmarktgesetz problematisch ist
Mit einem neuen Binnenhandelsgesetz will Großbritannien ungehinderten Handel im gesamten Königreich ermöglichen – auch wenn dies gegen internationales Recht verstößt, Teilen des Brexit-Abkommens widerspricht und die Glaubwürdigkeit der Regierung untergräbt.
Ob es zu einem Abkommen kommt oder nicht, darüber werde das EU-Parlament "das letzte Wort haben", sagte David McAllister, Vorsitzender des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten im Europäischen Parlament, im Deutschlandfunk. Aber, so McAllister, schon jetzt zeigt sich: "Das UK Internal Market Bill hat die Verhandlungen erheblich belastet."
Juristische und politische Schritte nicht ausgeschlossen
Die EU habe die britische Regierung einhellig aufgefordert, dieses Gesetz in Teilen zurückzuziehen. "Das Europäische Parlament ist besonders deutlich geworden, wir haben kurz nach der Präsentation dieses Gesetzentwurfes fraktionsübergreifend gesagt, dass wir, wenn es eine Bedrohung oder die Ankündigung einer Bedrohung des Austrittsabkommens gibt, inklusive der Regelung zu Nordirland, dass wir dann nicht bereit wären, ein Abkommen mit dem Vereinigten Königreich zu ratifizieren", sagte David McAllister. Auch juristische und politische Schritte gegen das Vereinigte Königreich seien nicht ausgeschlossen. "Ich bedaure sehr, dass in dieser entscheidenden Phase der Verhandlungen dieses zusätzliche Erschwernis gibt", so McAllister.

Das Interview im Wortlaut:
Tobias Armbrüster: Was ist Ihre Erfahrung aus dem gestrigen Tag? Kann die EU mit den Briten noch verhandeln?
David McAllister: Ja. Die Verhandlungen gehen jetzt in eine ganz entscheidende Phase. Wie Sie es angekündigt haben: Bis zum Ende des Jahres müssen sich beide Seiten auf ein Abkommen verständigt haben über unsere künftigen Beziehungen. Ab dem 1. Januar wird das Vereinigte Königreich definitiv den Binnenmarkt und die Zollunion verlassen haben. Sollte es zu einem Abkommen kommen, dann muss dieses Abkommen bis spätestens Oktober aus Sicht des Europäischen Parlaments vorliegen, und zwar als fertiger unterschriftsreifer Text, denn wir brauchen einfach einige Wochen Zeit im Parlament, um dieses Abkommen detailliert zu prüfen.
"In der Sache kommen wir nicht weiter"
Armbrüster: Was haben Sie denn gestern gehört? Wie laufen die Verhandlungen?
McAllister: Die UK Coordination Group im Europäischen Parlament, die ich leite, ist ein fraktionsübergreifender Zusammenschluss von Abgeordneten, die die Verhandlungen parlamentarisch begleitet, denn das Europäische Parlament wird ja am Ende das letzte Wort haben, ob es zu einem Abkommen kommt oder nicht. Wir sind gestern unterrichtet worden durch Maroš Šefčovič auf der einen Seite, dem Vizepräsidenten der Kommission. Da ging es um die gestrige Sitzung des Joint Committee, das paritätisch besetzte Gremium, das die Umsetzung des bereits beschlossenen Austrittsabkommens überwacht. Zum zweiten hat Michel Barnier uns eingestimmt auf die neunte Verhandlungsrunde, die diese Woche läuft.
Die Verhandlungen laufen nach wie vor in einer konstruktiven Atmosphäre, von gegenseitigem Respekt getragen. Aber das eine ist ja, dass die Stimmung recht ordentlich ist, aber in der Sache kommen wir nicht weiter, weil die britische Seite nicht die notwendige Flexibilität zeigt. Und natürlich hat das UK Internal Market Bill die Verhandlungen erheblich belastet. Das ist natürlich eine schwerwiegende Verletzung des Austrittsabkommens und insbesondere des besonders sensiblen Themas Protokoll Irland-Nordirland.
"Gesetz verstößt gegen das Austrittsabkommen"
Armbrüster: Sie haben dieses Binnenmarktgesetz angesprochen. Ohne da in die Details einzusteigen: Das sehen viele auf EU-Seite als eindeutigen Vertragsbruch der Briten. Deshalb noch einmal die Frage: Wenn die Briten tatsächlich so einen Schritt durchziehen, wenn die an diesem umstrittenen Gesetz festhalten wollen, kann man dann tatsächlich mit ihnen weiter verhandeln?
McAllister: Die Europäische Union hat die britische Seite aufgefordert, und zwar einhellig, dass dieses Gesetz in Teilen zurückgezogen werden muss. Das Europäische Parlament ist besonders deutlich geworden. Wir haben kurz nach der Präsentation dieses Gesetzentwurfes fraktionsübergreifend gesagt, dass wir, wenn es eine Bedrohung oder die Ankündigung einer Bedrohung des Austrittsabkommens gibt, inklusive der Regelung zu Nordirland, dann nicht bereit wären, ein Abkommen mit dem Vereinigten Königreich zu ratifizieren. Die britische Seite weiß, wie wichtig das ist, und wir hoffen jetzt erst mal, dass es in den parlamentarischen Beratungen noch weitere Veränderungen gibt. Aber die Kommission wird sich dann genau überlegen müssen, welche juristischen und politischen Schritte man gegen das Vereinigte Königreich vornehmen kann.
Ich bedauere das sehr, dass es in dieser entscheidenden Phase der Verhandlungen, wo wir ohnehin unter einem enormen Zeitdruck stehen, diese zusätzliche Erschwernis gibt. Die fünf lebenden ehemaligen britischen Premierminister von den Konservativen und von Labour, alle fünf haben einvernehmlich erklärt, dass dieses Gesetz nicht gut ist. Es verstößt gegen internationales Recht und es schadet auch der Glaubwürdigkeit des Vereinigten Königsreiches, und für unsere künftigen Beziehungen ist ja eines ganz entscheidend, genauso wie jetzt in dieser entscheiden Phase der Verhandlungen: Es muss Vertrauen geben auf beiden Seiten. Dieser Gesetzentwurf ist überraschend von der britischen Seite vor einigen Wochen präsentiert worden und er beeinträchtigt das notwendige Vertrauen. Denn das Gesetz verstößt ja gegen das Austrittsabkommen, was im letzten Jahr über Wochen mühsam ausgehandelt worden ist, und das kann jetzt nicht mehr von einer Seite geändert, missachtet oder nicht angewandt werden.
Im Fall der Verabschiedung des Gesetzes - keine Ratifizierung des Abkommens
Armbrüster: Herr McAllister, habe ich Sie jetzt richtig verstanden? Sie sagen, wenn London tatsächlich an diesem Gesetz, so wie es geplant ist, festhält, dann kann das Europäische Parlament dem gemeinsamen Abkommen, das zum Ende des Jahres in Kraft treten soll, wie auch immer das dann aussehen wird, dann kann das Europäische Parlament diesem Abkommen nicht zustimmen?
McAllister: In einer gemeinsamen Erklärung haben die Fraktionsvorsitzenden und die Mitglieder der UK Coordination Group vor einigen Wochen bereits erklärt: Sollte dieser Gesetzesentwurf in seiner jetzigen Form verabschiedet werden, oder auf andere Weise das Austrittsabkommen verletzen oder androhen zu verletzen, dann würde das Europäische Parlament ein Abkommen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich über unsere künftigen Beziehungen nicht ratifizieren. Diese Einigung steht und es liegt jetzt an der britischen Seite, genau diese vertrauensbildenden Maßnahmen wiederherzustellen, damit der Geist des Austrittsabkommens, der ja schon jetzt durch diesen Gesetzentwurf verletzt wird, dass das vom Tisch kommt.
Armbrüster: Das scheint allerdings bei der britischen Seite ja gar nicht so anzukommen. Da steht ja heute auf der Tagesordnung im Unterhaus, dass über dieses Gesetz abgestimmt werden soll. Da ist keine Rede davon, dass da irgendetwas zurückgezogen wird.
McAllister: Die Ankündigung des Gesetzes und die Begründung des Gesetzes war ja, dass angeblich die Europäische Union Lebensmitteleinfuhren nach Nordirland blockieren würde. Das hat Michel Barnier ja zurecht entschieden zurückgewiesen. Natürlich muss die Europäische Union wissen, welche Vorschriften ein Land für Lebensmittel hat, damit es als Drittland dann für Lebensmittelimporte aufgelistet werden kann. Dies ist ein objektiver Prozess. Aber wenn die britischen Vorschriften für Lebensmitteleinfuhren uns vorgelegt werden und wir sie prüfen können, dann gibt es überhaupt keine Schwierigkeiten im Warenverkehr zwischen Großbritannien und dem britischen Nordirland. Die ganze Begründung für diesen Gesetzesentwurf, die ist aus meiner Sicht gar nicht vorhanden, und das wäre eigentlich der passende Grund und der passende Anlass, dann auch diesen Gesetzentwurf in einigen Teilbestimmungen auch zurückzuziehen.
"Für uns ist ja wichtig, dass die britische Seite das Austrittsabkommen umsetzt"
Armbrüster: Wie sehen Sie das jetzt, dass die Briten das so unbekümmert lässt, dass die einfach weitermachen? Sind die einfach starrsinnig?
McAllister: Ob das eine Verhandlungstaktik ist, oder ob da andere politische Gründe eine Rolle spielen, das muss in London erforscht werden. Für uns ist ja wichtig, dass die britische Seite das Austrittsabkommen umsetzt. Wir haben immer gesagt, das ist ein Lackmus-Test für die Umsetzung unserer zukünftigen Partnerschaft. Und es geht hierbei nicht nur um die Europäische Union; es geht hier auch insgesamt um die Glaubwürdigkeit des Vereinigten Königreichs, rechtsverbindliche internationale Verträge einzuhalten. Nicht ohne Grund haben auch amerikanische Politiker warnend ihre Stimme erhoben, unter anderem Nancy Pelosi, aber auch Joe Biden. Joe Biden hat erklärt, dass solange es eine Gefährdung des Karfreitagsabkommens gibt, was ja Frieden und Stabilität auf die irische Insel nach Jahrzehnten der Auseinandersetzung gebracht hat, solange es eine Gefährdung des Karfreitagsabkommens gibt, würde es auch kein Handelsabkommen zwischen dem Vereinigten Königreich und den Vereinigten Staaten geben.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.