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Brexit-Verhandlungen
Hüther: Jeder Deal wäre besser als kein Deal

Mit dem bisherigen Gesprächstempo werde es enge für einen kontrollierten Brexit, sagte der Direktor des Instituts der Deutschen Wirtschaft, Michael Hüther, im Dlf. Die Briten hätten mit ihrer bisherigen "Strategielosigkeit" die Chance vertan, die Trennung konstruktiv zu gestalten.

Michael Hüther im Gespräch mit Jasper Barenberg | 13.11.2017
    Michael Hüther, Direktor vom Institut der Deutschen Wirtschaft
    "Die Züge haben den Bahnhof längst verlassen", sagt Wirtschaftsexperte Michael Hüther über zahlreiche Firmen, die in der Unsicherheit und Furcht vor einem ungeregelten Brexit aus Großbritannien weggezogen sind (imago)
    Jasper Barenberg: Seit Wochen ist es das gleiche Spiel. Ein ums andere Mal reist die Delegation aus London nach Brüssel, bevor am Ende der Brexit-Gespräche klar ist, dass es wieder keine greifbaren Fortschritte gibt in den Verhandlungen über den Abschied Großbritanniens aus der EU. Ursprünglich wollten beide Seiten ab Dezember über die künftigen Beziehungen sprechen. Das aber wird immer unwahrscheinlicher. Entsprechend besorgt dürften die Wirtschaftsverbände sein, wenn sie heute zu einem Termin bei Premierministerin Theresa May geladen sind.
    Mitgehört hat der Direktor des Instituts der Deutschen Wirtschaft. Schönen guten Tag, Michael Hüther.
    Michael Hüther: Schönen guten Tag nach Köln.
    Barenberg: Herr Hüther, wie laufen die Verhandlungen aus Ihrer Sicht? Schlecht oder ganz schlecht?
    Hüther: Sie laufen schlecht und sie laufen, gemessen an dem, was eigentlich notwendig wäre, sogar sehr schlecht. Denn man darf eines nicht vergessen: Man hat eigentlich nur noch ein Jahr Zeit, denn die beiden Verträge, die in Aussicht stehen, der Scheidungsvertrag und der Vertrag über die künftigen Beziehungen, müssen ja von allen anderen europäischen Mitgliedsländern akzeptiert und ratifiziert werden. Insofern muss der Prozess dann spätestens in einem Jahr um diese Zeit beginnen, wenn man zum März '19 handlungsfähig sein will.
    Wahrscheinlichkeit eines ungeregelten Austritts steigt
    Barenberg: Wie wahrscheinlich ist es denn aus Ihrer Sicht, dass wir am Ende in einer Situation sein könnten, wo es tatsächlich so etwas wie einen ungeregelten Austritt gibt, einen sehr, sehr harten Brexit in dem Fall?
    Hüther: Was ich mir selbst nicht habe vorstellen können, aber die Wahrscheinlichkeit steigt, indem die britische Regierung immer noch nicht so richtig erkannt hat, worum es geht. Das Problem ist: Sie hat ja begonnen mit der Selbsteinschätzung, sie sei ein Trendsetter für Europa, nämlich einer Neugestaltung Europas, der europäischen Integration. Faktisch musste sie lernen, sie ist ein Außenseiter.
    Die Rede, die Theresa May in Florenz gehalten hat, kam ein Jahr zu spät, und es muss nun auch mal akzeptiert werden, man kann die künftigen Handelsbeziehungen und sonstigen Beziehungen zu der Europäischen Union nicht gestalten, bevor der Scheidungsvertrag nicht klar ist. Das ist auch in jedem Privatrechtsverhältnis so. Das gilt aber auch zwischen Subjekten wie Staaten und Staatengemeinschaften. Und dann zu glauben, man könne jetzt noch mal mit den europäischen Industrie- und Wirtschaftsverbänden ein Gespräch führen, wenn man nicht bereit ist, deren Sorgen ernst zu nehmen, wird das auch zu nichts führen. Anzubieten hat Theresa May bisher nicht viel, zumal ja auch das, was sie sagt, meistens dann von einem aus dem Kabinett oder von wem auch immer in der Partei wieder in Zweifel gezogen wird.
    Barenberg: Der Termin heute in London, in Downing Street Number 10, der macht gar nicht so richtig Sinn aus Ihrer Sicht?
    Hüther: Auch das ist eigentlich ein Jahr zu spät. Die Briten haben unheimlich viel Zeit vergeudet, weil sie dachten, sie könnten im zweiten Halbjahr 2016 – Theresa May ist damals durch die europäischen Hauptstädte gereist, hat die Regierungen besucht – einen Deal vorab machen, und dieser Deal vorab ist nicht zustande gekommen. Da hat man sehr lange gebraucht zu realisieren, man muss akzeptieren, die Europäer stehen beieinander, und auch in Europa hat sich eigentlich, auch was die Bewertung der Bevölkerung angeht, die Sicht auf Europa positiv verfestigt. Darauf hat man eigentlich keine strategische Antwort.
    Die Briten wird es am meisten belasten
    Barenberg: Wenn Sie sagen, dass Theresa May in Ihren Augen die Zeichen der Zeit noch gar nicht erkannt hat, wenn Sie sagen, dass ein Scheidungsvertrag selbstverständlich ist, bevor man über die künftigen Beziehungen spricht, dann würden Sie unterm Strich schon sagen, London ist im Moment ausschließlich und allein verantwortlich für den schlechten Zustand dieser Verhandlungen?
    Hüther: Die Europäer haben ja sehr schnell klar gemacht, welche Punkte wichtig sind, und haben das auch nicht überdehnt. Sie haben gesagt, es geht um den Rechtsstatus der Bürger in beiden jeweiligen Rechtseinheiten. Es geht um die Frage der Akzeptanz der bisherigen Regeln. Wenn Sie ein Produkt aus Großbritannien in Europa nutzen und umgekehrt, gelten ja bisher die Regeln des Ursprungslandes in der Europäischen Union. Auch das fällt weg und sie haben gesagt, wir müssen eine Regelung haben über die Finanzen. Das ist keine Überforderung. Deswegen bin ich schon der Meinung, dass die Europäer das Thema nicht überdehnt haben, und letztlich sitzen nun einmal die Briten im Führerhäuschen ihres eigenen Ausstiegszuges.
    Barenberg: Lassen Sie uns ein bisschen darüber sprechen: Was wäre denn im schlimmsten Fall? Wie sähe es aus, wenn es keine Einigung geben wird oder nicht eine umfangreiche, umfängliche? Was würde dann passieren im nächsten Jahr?
    Hüther: Wir müssen die verschiedenen Bereiche unterscheiden. Die Handelsbeziehungen wären dann sehr schnell konfrontiert von Zollsätzen, denn wenn nichts geregelt ist, kann Großbritannien allenfalls den Status einer WTO-Mitgliedschaft für sich beanspruchen, und das würde dann auch die Beziehungen zur Europäischen Union definieren, wenn man in diesem Extremfall jetzt mal argumentiert mit entsprechenden Zollsätzen, die dann bei 10, 12 Prozent zum Teil liegen, und das würde natürlich schon durchwirken. Wir haben uns angeschaut, wie die Vorleistungsverflechtungen beispielsweise zwischen der deutschen Wirtschaft und der britischen Wirtschaft sind, und es ist nicht so, dass es nur die Briten belastet. Sie wird es am stärksten belasten, aber es belastet halt auch in einer Zeit globaler Wertschöpfungsketten, wo Großbritannien auch ein Standort ist, auch die deutsche Wirtschaft.
    "Man kommt aus der Nummer nicht raus, das zu klären"
    Barenberg: Aber es soll doch gar nichts passieren, denn es gibt ja diese Übergangszeit für zwei Jahre, wo sich erst mal überhaupt gar nichts ändern wird.
    Hüther: Diese Übergangszeit muss aber noch beschlossen werden. Die Übergangszeit ist ja keine selbstverständliche Regelung, die dann ab dem 29. März 2019 gilt, denn wir haben dafür keine Vorgaben in den europäischen Verträgen. Insofern muss das erst einmal beschlossen werden. Dann kann man sagen, okay, dann verhandeln wir in der Zeit den eigentlichen künftigen Beziehungsvertrag, aber es gibt keine Automatik einer Übergangslösung, außer die beiden Partner sagen, wir haben es jetzt ansonsten nicht geschafft, um den Schaden zu reduzieren, wir haben zwar keine Regelung, aber wir lassen einfach mal alles wie es ist. Das kann man sich in einer Notsituation auch denken. Vertrauensbildend ist es nicht und vor allen Dingen darf man eines nicht verkennen: Die Unternehmensentscheidungen über eine Standortverlagerung aus Großbritannien weg haben ja längst auch schon stattgefunden, weil man in dieser Unsicherheit irgendwann handeln muss. Um ein Bild zu wählen: Die Züge haben den Bahnhof längst verlassen.
    Barenberg: Das heißt einerseits, ohne so eine Übergangsfrist wird es gar nicht gehen. So verstehe ich Sie jedenfalls. Andererseits endet auch jede Übergangsfrist. Also werden wir dann wieder das Ende mit Schrecken noch weiter herauszögern?
    Hüther: Wenn es nicht gelingt, wirklich klare Perspektiven dann zu haben, dann ist das nur eine Verzögerung des eigentlichen Problems. Die Ratlosigkeit der Briten sieht man ja auch daran, dass zwischenzeitlich vor ein paar Wochen die Idee aufkam, man könnte ja einen Mitgliedsantrag an die NAFTA stellen, den nordamerikanischen Freihandelsraum, den die Amerikaner gerade zerlegen. Aber selbst die Amerikaner, die dort vernünftig darüber nachdenken in der Administration, haben natürlich erst mal nur geschmunzelt und gesagt, wie sollen wir mit den Briten einen Vertrag machen, bevor sie nicht wissen, welchen Status sie haben, und das hängt nun wieder vom Scheidungsvertrag mit der Europäischen Union ab. Man kommt aus der Nummer nicht raus, das zunächst zu klären.
    "Kein Deal heißt einfach Rechtsunsicherheit"
    Barenberg: Was können denn die Wirtschaftsverbände, wenn sie heute schon mal zu Gast in Downing Street Number 10 sind, anbieten oder raten, wie Theresa May da noch die Kurve kriegen könnte?
    Hüther: Das eine ist, einfach deutlich zu machen, was auf dem Spiele steht, und am Ende ist die Belastung der britischen Volkswirtschaft höher als die des Kontinents. Das ist ganz eindeutig. Es ist aber auch etwas, was den Kontinent insgesamt belastet. Denn nehmen wir mal die Finanzthematik an, die Finanzindustrie. Es ist nicht nur die Frage, verlagert man Londoner Funktionen nach Frankfurt, nach Amsterdam oder nach Paris, sondern es ist auch die Überlegung, dass angelsächsische Aktivitäten nach New York gehen könnten. Insofern ist es auch eine Verlustandrohung für Europa insgesamt, und das mal in aller Deutlichkeit klar zu machen, sollte nach einer solchen Entscheidung, die jetzt nun über anderthalb Jahre fast vorbei ist, auch in Großbritannien dann noch mal helfen. Die können ja nicht sich hinstellen und sagen, wir üben Druck aus auf die europäischen Regierungen, um euch gegenüber netter zu sein. Wenn das Theresa May denken sollte, dann hat sie mit Zitronen gehandelt.
    Barenberg: Wenn wir auf die andere Seite gucken. Können sich denn die Europäer irgendwie davor schützen, sollte Theresa May jetzt nicht zu Potte kommen, kann sich Europa davor schützen, die schlimmsten Folgen abzuwenden?
    Hüther: Man kann natürlich im Sinne eines Selbstschutzes sagen, wenn es keinen Vertrag gibt, weil die entscheidenden Fragen von britischer Seite nicht beantwortet wurden oder dafür kein Angebot vorliegt, das man verhandeln kann, dass man dann einfach einseitig eine Übergangsfrist von zwei Jahren anbietet und definiert, um diesen abrupten Vorgang zu verhindern. Bei den Briten herrscht ja gelegentlich der Eindruck vor, es ist besser, keinen Deal zu haben als einen schlechten. Meine These wäre, es gibt keinen Deal, der so schlecht ist, dass er nicht doch besser wäre als kein Deal, denn kein Deal heißt einfach Rechtsunsicherheit und es gibt so viele offene Fragen. Die einfach im Raume stehen zu lassen, wäre fatal. Also könnten die Europäer überlegen, ob sie quasi aus Selbstschutz einseitig einen zweijährigen Übergang definieren.
    Europa ganz zentral für Frieden und Wohlstand
    Barenberg: Zum Schluss noch, Herr Hüther, die Frage. Aus Londoner Sicht würden Sie sagen, Theresa May, die Regierung hat dem eigenen Volk so oder so, wie immer diese Regelung mit Brüssel zustande kommen wird, einen Bärendienst erwiesen?
    Hüther: Na ja. Einen Bärendienst haben die erwiesen, die in der Zeit zuvor, unter Cameron als Premier dieses alles eingeleitet haben in einer unverantwortlichen Weise, auf falschen Fakten beruhend, nicht wirklich Europa erklärend, so wie es ist. Europa hat viele Probleme, aber im überwiegenden Sinne ist es ganz zentral für diese Situation, die wir als Frieden und Wohlstand in Europa begreifen, und das ist eigentlich damit in die Grütze gefahren worden. Und Theresa May hat die Chance vertan, frühzeitig daraus einen zwar klaren, aber konstruktiven Weg zu finden, und diese Strategielosigkeit ist eigentlich das Erbärmlichste, was wir dabei beobachten.
    Barenberg: Der Direktor des Instituts der Deutschen Wirtschaft hier live im Deutschlandfunk, Michael Hüther. Vielen Dank!
    Hüther: Sehr gerne.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.